Dieses Tagebuch hat Anna Bergmann, geb. Andres (1887-1933), #1254616 in der Zeit von 1914 bis 1932 in Russland und Kasachstan geschrieben. Bis zur ihrer Heirat 1914 mit Witwer Julius Bergmann lebte sie bei ihren Eltern in Sadthof, Westpreussen. Danach ging sie mit ihrem Mann nach Lysanderhöh, Am Trakt, Russland. Dort erlebte sie den Erstem Weltkrieg, die Oktoberrevolution und schliesslich die Enteignung und Deportation nach Kasachstan.
Dieses Tagebuch habe ich von ihrer Enkelin Anna Siebert bekommen mit einer freundlichen Erlaubnis zum Veröffentlichen.
Die Fussnoten sind von mir sowie auch einige Kommentare in <Klammern>. AW
Befiehl dem Herrn Deine Wege
und hoffe auf Ihn, Er wird‘s wohl machen.
Wenn im Menschenleben
Jahr um Jahr entflieht,
Und das Auge fragend
In die Zukunft sieht
Gibt Gott Dir eine Brücke
Die durchs Nebelgraun
Uns hinüber leitet
Und sie heißt Vertrauen!
Dünkte sie uns manchmal
Wie ein schmaler Steg
Endetet sie immer
Auf dem rechten Weg!
Ach zwei starke Arme
Breiteten sich doch
Über unser Leben
Warum graut uns noch?
Ohne in der Tiefe
Unter uns zu schaun,
lasst’s uns fröhlich wagen
Jesum zu vertrauen!
Dieses Buch hat mir meine liebe Schwester Kath[1]. bei unserm Aufenthalt in Deutschland zu Weihnachten geschenkt. Es soll mir nun dazu dienen, die wichtigsten Ereignisse aus der Zeit unseres Ehestandes hier wieder zu schreiben. Zuerst will ich nachholen von den nun bald verflossenen 9 Jahren und dann fortfahren.
Mein innigster Wunsch ist es, dass der Herr Gnade geben möchte zu unserm verworrenen Lebenslauf, dass wir zu seines Namens Preis und Ruhm dasein könnten, auch dass wir unsere Kinder zu brauchbaren Menschen erziehen möchten zu unserer Freude und des Herrn Ehre.
Ostern den 1. 4. 1923
[1] AW. Katharina Andres (1878-1966), keine GM
1

UNSER HOCHZEITSTAG war am 25. Juni 1914. Es war ein wunderschöner warmer Sommertag. Mein lieber Julius[1] und ich saßen schon am Vormittag viel in der Tannenlaube und erfreuten uns des herrlichen Tages und des Herrn wunderbaren Führungen, wie Er uns, die wir doch so weit von einander getrennt waren so wunderbar zusammengeführt hat. Wir kannten uns ja schon etwas von meinem ersten Besuch in Russland, als ich mit den Eltern mitgefahren war im Jahr 1909. Das war Schwester Mariechens[2] erster Sommer in Russland. Damals lebte Kätchen[3] noch und ich besuchte sie in unserm jetzigen Heim. Ich weiß, dass damals schon Kätchens Mann, jetzt mein lieber Julius, einen sehr guten Eindruck bei mir machte, aber wer hätte damals gedacht, dass ich selbst noch einmal hier Hausfrau sein würde?
Später haben wir uns wiedergesehen, als Julius nach Deutschland kam, um die Bibelschule zu besuchen. Da kam er bei uns in Sandhof an und überbrachte uns Grüsse von H. Neufelds[4] und seiner Kätchen. Dann Weihnachten im Jahr 1911 kam er bei uns an und fuhr gemeinsam mit den Geschwistern Cornelius[5] und Johanna und Grete[6] und Hermann, die besuchsweise zu Mariechen und Johannes[7] wollten, nach Russland.
Nach den Weihnachtsferien kehrten die Geschwister wieder zurück und auch Julius fuhr wieder nach Berlin. Da nach einigen Tagen bekam er die Depesche, dass sein Töchterchen Agathchen[8] gestorben sei und einige Tage später auch die Todesnachricht von seiner Kätchen. Daraufhin fuhr er sofort wieder nach Russland. Uns berichtete er diesen schweren Fall von unterwegs durch eine Karte. Wir waren alle sehr tief erschüttert. Ich weiß noch, dass wir uns alle in der großen Stube versammelten und niederknieten, und Papa betete für die traurigen Hinterbliebenen. Später kehrte Julius wieder zurück nach Berlin und überließ sein einziges Söhnchen den Peter[9], der Pflege der Großeltern.
Dann sahen wir uns wohl den Sommer darauf in Berlin, als Papa mit Schwester Liesbeth[10] und mir und auch Siewerts hatten sich uns angeschlossen, dorthin eine Vergnügungsreise machten. Wir fuhren auch noch weiter bis zum Rhein und sahen viel Schönes. Dann fuhr ich im Jahre 1913 zu Weihnachten mit Franz Dycks[11], die sich damals besuchsweise bei uns aufhielten, nach Russland zu den Geschwistern. Da haben wir uns öfters gesehen und getroffen. Ich spürte wie mein Herz höher schlug für diesen stillen ernsten Mann, der so gerade seinen Weg ging. Auch mein Wunsch war es dem Herrn nachzufolgen in Treue und Demut, so führte der Herr unsere Wege zusammen.
Im Frühjahr 1914 kam Julius einmal hin zu den Geschwistern, wo ich mich aufhielt und fragte mich: ‚Willst du die Meine werden?‘ Ich sagte: ‚Ja ich will“. Dann fragten wir brieflich bei den Eltern an, ob sie nichts dagegen hatten. Auch sie willigten gerne ein. Ihr Vorhaben war es im Mai hinzukommen, um mich abzuholen, und so wurde es auch jetzt gemacht. Sie kamen hin und am 9. Mai 1914 an Schwester Katharinchens Geburtstag wurde bei den Schwiegereltern H. Neufelds im Kreise Julius seiner Geschwister unsere Verlobung gefeiert. Papa sprach über die Worte: ‚Suchet so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“
Ja, es war auch damals unser größter Wunsch den Herrn als Ersten in unserm Bund aufzunehmen und mit ihm zu pilgern. Dieser Art Gedanken werden wohl damals an unserm Hochzeitstag uns bewegt haben, als wir in der Tannenlaube saßen.
[1] AW. Julius Bergmann (1980-1965), #1157806
[2] AW. Maria Andres (1889-????), #1254717
[3] AW. Katharina Bergmann, geb. Neufeld (1885-1912), #1402989. Zweite Ehefrau von Julius Bergmann.
[4] AW. Hermann Neufeld (1857-????), #792560 und Marie, geb. Andres #792775 – Eltern von Katharina Neufeld.
[5] AW. Cornelius Andres (1879-1940), #514329
[6] AW. Margarethe Andres (1880-????), #1324661
[7] AW. Johannes Neufeld (1868-1940), #792627
[8] AW. Agathe Bergmann (????-1912), #1254890
[9] AW. Peter Bergmann (1909-1938), #1254864
[10] AW. Elisabeth Andres (1890-1991), #415635
[11] AW. Wahrscheinlich Franz Dyck (1873-1931), #861525
2
In der Luft war es an dem Vormittag gerade sehr unruhig. Es war nämlich ein Wettflug der Luftschiffe von Königsberg nach Danzig im Gang, und so sahen wir viele Luftschiffe über unsern Garten einherfliegen. Auch wegen unserer amtlichen Papiere gab’s noch viel Unruhe. Papa ging noch einige Male deswegen zur Stadt. Am Nachmittag zog ich mein weißes Kleid an. Muttchen, Tantchen auch die Schwestern waren dabei, und dann sagte Schwester Liesbeth das Kranzgedicht auf, dass Cousine Agathchen selbst gedichtet hat. Es war alles so lieb und so schön. Dann fuhren wir zur standesamtlichen Trauung. Da fehlte aber immer noch ein Papier, das telegraphisch von Berlin überwiesen werden sollte. Als wir zum Standesamt kamen, war es noch nicht da. Da fuhren wir zur Post, Gustav ging dort nachfragen, und kam dann richtig mit dem erwünschten Papier an. Wir waren herzlich froh dazu, konnte doch nun alles der Ordnung gemäß vollzogen werden. Auch als wir nach Hause kamen, war bei Muttchen und Tante und den Geschwistern die Freude groß. Wir dankten herzlich dem Herrn dafür, dass ER so geholfen hatte.
Der übrige Teil des Tages verlief äußerst angenehm und schön. Die eingeladenen Gäste waren wohl alle erschienen. Wir waren sehr viel im Garten, auch die Gedichte wurden dort aufgesagt. Wir saßen auf dem Rasenplatz unter dem Apfelbaum, und die Gedichte wurden dann vor der Tannenlaube meistens von Kindern in reizender Weise vorgetragen. Cousine Agathchen hatte sie wohl meistens gedichtet und ihre und der Geschwister Kinder waren daran beteiligt. Es steht mir noch alles in so lebhafter, schöner Erinnerung. Der Kaffee wurde dann getrunken. Die große Stube sah aus wie ein Rosengarten, so prächtig geschmückt. Draußen gab es dann zwischenein Bouillon und Brötchen. Zum Abendessen wurde dann auch reingegangen. Ich vergaß noch zu schreiben, dass gleich nach der standesamtlichen Trauung, als wir nach Hause kamen die kirchliche folgte, die Prediger Dyck Warnau vollzog. Der Text war: Befiel dem Herrn Deine Wege und hoffe auf IHN, ER wird’s wohl machen. – Auch mehrstimmige Gesänge von Onkel Jakob Robach eingeübt erfreuten uns recht. So verlief der Tag sehr schön. Spätabends, als wohl die Gäste alle fort waren, weiß ich, ging mein lieber Julius mit mir nochmals in den Garten in die Tannenlaube, dort beteten wir zusammen und erflehten uns nochmals des Herrn Gnade und Nahesein für unsern gemeinsamen Lebenslauf. Nun gab es nur noch einige wenige Tage im Elternhaus. Dann kam der Abschied, und ich folgte mit Freuden meiner lieben Mann nach Russland, dem ja mein ganzes Herz gehörte und noch gehört.
Die Reise ging ganz gut, nur auf der Grenze hatten wir wegen der Sachen, die im Sekretär eingepackt waren, Aufenthalt. Da die Sachen und auch der Schrank zu hoch versteuert werden sollten, schickte Julius den Schrank mit den Sachen zurück zu den Eltern, wo wir sie auch jetzt nach 8 1/2 Jahren unversehrt vorfanden.

Als nun unsere Reise beendet war, begann für mich ein neuer Wirkungskreis. Unsern kleinen Peter damals 4 1/2 Jahre alt, nahmen wir gleich von den Grosseltern H<ermann> .N<eufeld>. mit in unser Heim. Da traten nun Mutter und Hausfrauenpflichten an mich heran. Aber mein lieber Julius stand mir immer so getreulich zur Seite, so dass mir alles nicht schwerfiel. Auch

die Verwandten meines lieben Mannes, der Vater[1] und die Geschwister brachten mir Liebe entgegen. Besonders gern kam ich immer mit den Schwiegereltern und den Orloffer Geschwistern Johannes und Mariechen[2] zusammen. Ich lebte mich in meinem neuen Heim schnell ein, und hab mich auch nicht sehr gebangt, aber die Briefe von zu Hause waren immer eine besonders große Freude.
[1] AW. Peter Bergmann (1850-1934), #19137.
[2] AW. Johannes Neufeld (1868-1942), #792627 und seine Frau Maria, geb. Andres (1889-????), #1254717.
3
So verliefen der Sommer und Winter. Julius hatte in seinem Geschäft als Müller immer viel zu tun, und als der Frühling seinen Einzug hielt, schenkte der Herr uns ein Kindlein ein Söhnchen, dem wir den Namen Johannes[1] gaben. Es war der 11. April gerade an einem Sonntag da er geboren wurde. Mit großer Freude haben wir den kleinen Erdenbürger begrüßt, und sehnlichst gewünscht, dass Wachsen und Zunehmen möchte zu unsrer Freude und des Herrn Ehre sein.
Bald darauf, ich glaube Hanschen war gerade 4 Tage alt, kam die Nachricht, dass auch mein lieber Mann sich in einigen Tagen in den Militärdienst zu stellen hatte. Die Nachricht kam mir sehr ungewünscht und schlug mich ganz danieder. Es waren ja schon viele Jahrgänge vorher eingezogen. Ich dachte immer bis an meinen lieben Julius würde es nicht kommen. O was hat dieser große Krieg, der schon einen Monat nach meiner Ankunft in Russland ausbrach, für Schweres und Elend verbreitet. Auch ich war überaus traurig, dass ich mich von meinem Julius trennen musste. Doch der Herr ließ es so zu, und ich beugte mich unter seinen Willen, wenn auch mit großem Schmerz.
Mein lieber Mann sorgte nun für Einwohner in unserm Häuschen, damit ich nicht allein da war. Es schickte sich so, dass Warkentin’s[2], die so lange in der Osterfelder Schule wohnten, dort ihr Quartier räumen sollten, und sie waren willens bei uns in die 2 Stuben, Vorder-und Wohnstube einzuziehen. Ich bewohnte dann mit unseren beiden Jungen die große Stube. Mein lieber Julius kam dann nach Nowgorod in den Krankenpflergedienst, von wo aus ich auch oft Nachricht von ihm bekam.
Diese Zeit des Alleinseins war für mich schwer und einsam. Oft habe ich geweint vor Traurigkeit. Doch der Herr hat auch darin seine Liebesabsichten gehabt. Das weiß ich, und ich wollte auch ganz Ihm mein Herz aufschließen, und ihn walten lassen. Aber oft geriet ich in große Herzens und Seelennot. Ich war mir meines Gnadenstandes beim Herrn nicht gewiss. Ich schrieb es auch meinem lieben Julius und sprach mich auch zu H<ermann>. Neufelds den lieben Schwiegereltern aus. Dann konnte ich auch wieder glauben und hoffen, aber es war nicht auf Bestand.
Jetzt darf ich aber bekennen, dass der Herr mich frei gemacht hat von den Zweifeln, obgleich ich oft sehr meine Schwachheit und Ohnmacht fühle, so weiß ich doch, dass ich teuer erkauftes Eigentum bin. Gebe der Herr mir Gnade treuer zu werden in Seiner Nachfolge.
Zu Weihnachten im Jahre 1915 kam Julius auf ersten Urlaub. Unsere Freude war groß. Ich glaube es waren 10 Tage. Peterchen freute sich auch sehr den lieben Papa wiederzusehen. Auch Hansel war inzwischen ein ganz strammes Burschchen geworden. Er war immer groß und kräftig für sein Alter. Dann im Mai darauf wurde mir Gelegenheit geboten mit einem


Dienstkamerad von Julius, Johannes Thiessen[3] Köppental mit nach Nowgorod zu fahren meinen Julius zu besuchen. Auch Frau David Quiring und Frau Heinrich Unger[4]schlossen sich uns an. Die Fahrt ging glücklich von statten.
Wir durften uns dort in der Fremde gesund wiedersehen, aber es war auch nur eine kurze Zeit, dann hieß es wieder scheiden. Zurück fuhren wir mit Br. Jakob Töws bis Moskau zusammen, der sich auch gerade in Nowgorod aufgehalten hatte und dort Versammlungen abhielt. Dort brachte er uns Frauen erst in den richtigen Zug nach Saratow ehe er uns verließ.

In Saratow angekommen erfuhren wir, dass unser Schwager Peter Froese[5] plötzlich gestorben sei, er sei seiner Frau[6] schnell gefolgt. Hansel hatte ich in der Zeit meiner Abwesenheit bei Mariechen[7] und Peter[8] bei den Großeltern gelassen. Nun nahm ich wieder meine Kinder zu mir und lebte mit ihnen und für sie.
[1] AW. Johannes Bergmann (1915-2005), #1254620.
[2] AW. Abraham Warkentin (1877-1937), #19155 und seine Frau Katharina, geb. Wall (1878-1943), keine GM. Er war Lehrer und Prediger.
[3] AW. Johannes Thießen (1884-1935), #415967.
[4] AW. Heinrich Unger (1884-????), seine Frau Margaretha, geb. Nikolai Wall (1884-1919). Beide keine GM.
[5] AW. Peter Froese (1873-1916). #1157786.
[6] AW. Katharina geb. Wiens (1878-1914), #1157787 und #1407977.
[7] AW. Maria, geb. Herm. Neufeld (1882-1935), #1402987.
[8] AW. Peter Bergmann (1878-1935), #1157847.
4
Der Mühlenbetrieb, der anfangs, als Julius fort kam eingestellt wurde, wurde später wieder in Gang gesetzt. Es kamen nämlich viele Flüchtlinge aus Polen in unsere Gegend. Auch in unsere leerstehenden Müllerhäuser zogen 4 solche Flüchtlingsfamilien ein. 2 Familien Foth, 1 Familie Neumann und 1 Familie Toefs. Papa stellte dann diese Männer in der Mühle an, und dann wurde wieder fleißig gemahlen.
Im Herbst 1916 kam mein lieber Julius wieder auf Urlaub. Er überraschte mich, und ich war sehr glücklich. Aber immer verlief die Zeit seines Hierseins so schnell, und nachdem empfand man die Leere und Einsamkeit wieder doppelt. Ich weiß mich wollte öfters das Gefühl beschleichen, als würde es schon immer so bleiben, und dass wir niemals mehr glücklich zusammenleben dürften.
Das Zusammenwohnen mit Warkentins ging eigentlich recht gut. Tienchen <Katharina Warkentin, geb. Joh. Wall> war immer eine liebe mütterliche Freundin, von der ich viel lernen konnte. Auch ihr Mann A. Warkentin <Abraham, #19155> wurde eine zeitlang eingezogen. Ach es war für viele eine schwere Zeit, für viele noch schwerer als für mich, die in der Wirtschaft so allein gelassen wurden, und wo nun die Frauen für alles sorgen und aufkommen mussten. Doch der Herr hat ja auch dieser Zeit ein Ziel gesetzt, sie ist abgelaufen.
Mein lieber Julius kam nun im Frühjahr 1917 auf Urlaub. Da erwarteten wir ein Kindlein. Ich wünschte so sehr, dass er dazu kommen möchte, doch das ging nicht, weil seine anderen Kameraden an der Reihe waren Urlaub zu nehmen. Unser Kätchen[1] wurde den 4. März nach neuem Stil geboren. Der Herr half auch sehr gnädig über die schwere Stunde hinweg. Es ging alles so schnell und gut. Den Tag drauf berichtete ich es gleich selbst mit kurzen Worten meinem Mannchen. Er war auch sehr glücklich, dass es ein Töchterchen war, und schrieb darauf eine Karte, die voller Lob und Dank war gegen unsern Herrn und Heiland.
In dieser Zeit brach auch nun die Revolution aus. Ich war sehr besorgt wegen Julius. Aber der Herr hat ihn bewahrt und ließ ihn nach 5 Wochen nach Kätels Geburt gerade an Hansels Geburtstag wohlbehalten nach Hause kommen. Es war eine große Überraschung und Freude. Nach Ablauf des Urlaubs musste mein lieber Julius uns wieder verlassen, aber im September 1917 kam eine Depesche, die uns seine Freilassung ankündigte, und einige Tage später kam er selber. Unsere Herzen waren voller Lob und Dank gegen unsern Herrn, der es nun so gefügt hatte.


Nun war die lange Trennungszeit vorbei und wir durften wieder gemeinsam unsern Pfad pilgern. Auch für die übrigen eingezogenen Männer kam noch dasselbe Jahr die Freilassung. In diesem Herbst starb auch die liebe Schwägerin Lieschen[2] Abrams[3] Frau, noch ehe Abram nach Hause kam. Es war sehr traurig. 1918 im Frühjahr fuhren die meisten Polen wieder zurück in ihre Heimat. auch unsere Einwohner verließen uns. Julius nahm nun wieder Janzen[4] in den Dienst, auch Unger[5] aus Medemtal zog hier ein als Müller.
Den 24. September 1918 wurde uns unsere liebe Elisabeth[6] geboren. Es war gerade eine sehr stürmische Nacht. Dächer wurden abgedeckt und Bäume vom Sturm entwurzelt, da kam die kleine Putt an. Schwägerin Käthe kam her zur Hilfe. Sie hat mir oft treu zur Seite gestanden, viel Handarbeit für uns gemacht, ich hatte sie sehr Lieb. Auch Frau Unger[7] war mir eine liebe Freundin. Sie starb im Herbst 1919. Auch die liebe Schwägerin Käthe[8] wurde den Winter leidend und Weihnachten 1919 starb sie. Der Herr wolle sie aus Gnaden zu sich genommen haben.
[1] AW. Katharina Bergmann (1917-1931), #1254509
[2] AW. Louise Bergmann, geb. D. Fröse (1882-1917), #1157807
[3] AW. Abraham Bergmann (1877-1961), #1157799. Älteste Bruder von Julius Bergmann.
[4] AW. Jakob Janzen (1888-1922), #1254581
[5] AW. Heinrich Unger, (1884-????), keine GM. Enkelsohn von Jakob Unger #342329.
[6] AW. Elisabeth Bergmann (1918-2011), #1254445
[7] AW. Margarethe, geb. Wall, (1884-1919). Tochter von Nikolaj Wall #1200347.
[8] AW. Katharina Bergmann (1883-1919), #1157848
5
Den 17. März 1920 wurde unser lieber Paul[1] geboren. Der Herr segne die lieben Kinder alle, und lasse sie heranwachsen zu Seiner Ehre und unserer Freude. Ich hatte 1/4 Jahr vorher recht schlimmer Beine, sodass ich viel sitzen und liegen musste. Andresen Luise[2] aus Ostenfelde war die Zeit über bei uns zur Hilfe. Auch nachher hatte ich recht das Fieber, doch der Herr hat wieder geholfen und mir Gesundheit geschenkt. Im November 1920 lag Julius sehr schwer krank an Lungenentzündung. Ach wie hat da mein Herz gebangt. Doch schließlich konnte ich ruhig werden und sagte: „Herr wie Du willst“. Doch der Herr sah gnädig drein und erhielt uns den Geliebten. Die Briefe von zu Hause waren einige Jahre ausgeblieben. Aber nun fingen sie wieder an zu kommen, und mit Lob und Dank erfuhren wir, dass unsere Lieben daheim noch alle am Leben seien.
Unter der neuen Regierung hatten wir hier am Trakt besonders in den Jahren 1920 und 21 zu leiden. Im Frühjahr 1921 war der Aufstand der Weißen gegen die Roten, was zur Folge hatte, dass später die Roten, die doch am Ruder blieben, die Bauern hier noch mehr unterjochten und über einige, die sich besonders am Aufstande beteiligt hatten, das Todesurteil fällten. So wurden auch von unseren Leuten ich glaube 11 Mann erschossen <S. Tribunalurteil>. Darauf folgte noch im Jahre 1921 eine vollständige Missernte, Die Not war groß, besonders der Winter darauf für viele schrecklich schwer.
In den umliegenden Dörfern sind viele dem Hungertod erlegen. Auch in unseren Dörfern war‘s auf vielen Stellen sehr knapp. Viele dachten an Auswandern, aber wohin! Einige aus unseren Dörfern zogen nach dem Kuban, weil dort noch Brot genug seien sollte. Aber verbessert haben sie ihre Lage dadurch nicht. Sie verkauften zum größten Teil hier ihre Sachen, und ihr Vieh nahmen sie mit dorthin und jetzt sind die meisten zusagen mit leeren Händen zurückgekommen. Auch die Orloffer Geschwister[3] und die Schwiegereltern H. Neufeld[4] wollten fort nach Deutschland. Die Papiere hatten sie alle in den Händen, die dazu nötig

waren. Auch Annchen Wiebe[5], Jakob Wiebe’s[6] Frau schloss sich mit ihren 4 kleinen Kindern ihnen an. Vor ihrer Abfahrt den 31. Okt. 1921 wurde unser Annchen[7] geboren. Der Herr half wieder gnädig über die schwere Stunde hinweg.
14 Tage darauf fuhren die Reisenden ab nach Saratow. Mein lieber Julius geleitete sie bis dorthin. Dort hatten sie auch schon all ihre vielen Sachen hin befördert und auch schon die Billette <Fahrkarten. AW> in den Händen, aber als sie auf dem Bahnhof das schreckliche Gedränge sahen, wurde es ihnen leid und die Schwiegereltern sowie die Orloffer Geschwister kamen wieder zurück. Aber Annchen Wiebe fuhr mit ihren Kindern. Schwager Joh.

Bergmann[8] Orloff begleitete sie bis Moskau. Da sah man auch, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Sie fuhr ja auch ihrem Manne nach, der vorher fliehen musste, um dem Kriegsgericht zu entfliehen. Sie kam auch unter vielen Beschwerden glücklich ans Ziel zu ihrem Mann. Ich freute mich übrigens sehr, dass die anderen Lieben wieder zurückkamen.
Nach Weihnachten, als die Hungersnot immer mehr um sich griff, setzte die amerikanische Hilfe ein. Es wurden in den Dörfern Kochküchen eingerichtet, und alle Kinder konnten dort zu Mittag speisen. Auch wurden Lebensmittel verteilt, bestehend aus Dosenmilch, Mehl, Zucker, Reis, Erbsen, Grütze, Fett und Tee und Kakao. Auch viele Liebespakete kamen an. Es war eine großartige Mithilfe. Mir kam oft der Gedanke, ebenso wie der Herr das Volk Israel in der Wüste mit Manna gespeist hat, so wunderbar speiste er hier so viele Hungernde durch die Amerikaner.
[1]AW. Paul Bergmann (1920-2007), #1254472
[2] AW. Luise Andres, (1894-zwischen 1930-1935), keine GM. Tochter von Cornelius Andres #792769
[3] AW. Johannes Neufeld (1868-1942), #792627 mit Frau Marie, geb. Andres (1886-????), #1254717
[4] AW. Hermann Neufeld (1857-????), #792560 und Maria, geb. P. Andres (1856-1929), #792775
[5] AW. Anna Wiebe, geb. Wiebe (1887-1967), #19381
[6] AW. Jakob Wiebe (1887-1967), #6796
[7] AW. Anna Bergmann (1921-20??), #1254494
[8] AW. Johannes Bergmann (1881-1943), #19372. Jüngere Bruder von Julius Bergmann.
6
Das Frühjahr im vergangenen Jahr 1922 war äußerst fruchtbar. Das arme Vieh, dass im Stall beinahe das Aufstehen verloren hatte, konnte beizeiten ausgetrieben werden und sich nun mal richtig satt fressen. Das Heu Grass wuchs in wunderbarer Geschwindigkeit. Wer nun noch Vieh und Kraft besaß, konnte sich soviel Heu machen wie er wollte. Die Ernte fiel auch einigermaßen gut aus. Nun da auch die Möglichkeit vorlag nach Deutschland fahren zu können, wollten wir nicht länger zögern, sondern besorgten uns all die nötigen Papiere und machten uns reisefertig. Der Herr gab auch zum Wollen das Vollbringen. Wir nahmen Jakob Janzen in unser Haus, übergaben ihm und Unger auch die Führung der Mühle. Die Orloffer

Geschwister hatten sich Abram Wiens[1] zum Wirtschaften genommen, auch die Schwiegereltern und Onkel C. Andres[2] schlossen sich uns an.
Am 16. Sept. 1922 traten wir unsere Reise an. Es war ein lichter, sonniger Morgen, da wir von zu Hause abfuhren. Jakob Janzen auch die anderen Müller standen um unsern Wagen und

wünschten uns eine glückliche Reise. Bis Saratow geleiteten uns Peter[3] und Abram B[4]. Es ging alles ganz gut von statten. Auch Herr Lehrer Braun, der mit uns mal in Moskau war zum Pässe besorgen, geleitete uns zum Zug mit seiner Frau. Auch Asschen[5], Lenchen Warkentin[6] und Peter’s Kinder geleiteten uns alle zum Zug. Es war ein ganz rührender Abschied. Unsere 5 ältesten Kinder hatten wir mit. Nur unser Annalein ( 11 Monate alt) hatten wir zurückgelassen. Wir hatten sie der lieben Mariechen in die Pflege gegeben.
Bis Moskau fuhren wir in einer Tour, auch ganz gut. Dort hatten wir einige Tage Aufenthalt, aber der Herr half immer wunderbar über alle Schwierigkeiten hinweg. Von Moskau fuhren wir nach Petersburg und von dort mit dem Dampfer bis Stettin und dann Richtung Marienburg. Die Fahrt hatte 17 Tage in Anspruch genommen. Ach wie glücklich waren wir, als sich unser Zug der Heimat immer mehr näherte. Den 3. Okt. 6 Uhr morgens trafen wir glücklich in Marienburg ein. Mariechen mit den 4 ältesten Kindern und ich mit unsern 3 ältesten Kindern gingen nun vom Bahnhof nach Hause. Ach, was bewegte doch alles unsere Herzen als wir da nach so langer Zeit gehen durften. Wie würden wir wohl die Eltern antreffen?
Als wir auf den Hof kamen, bemerkte uns niemand. Wir gingen durch den Garten ums Haus und gingen hinein. Da kamen die Geliebten alle herbei. Muttchen und Liesbeth waren gerade in den Keller gegangen, sie wollten Fleisch und Kumst heraufholen. Aber als Muttchen soviel Kinderfüsschen hatte am Kellerfenster vorbeitrippeln sehn, hatte sie geahnt, wer es sei, und kam mit Liesbeth schnell rauf. Papa und Tantchen kamen auch herbei, und nun lagen wir uns in den Armen und lachten und weinten vor Freuden. Ach, der Herr hat uns eine große Gnade erwiesen, dass ER uns dieses Wiedersehn mit unseren alten Eltern und Tantchen, die schon alle über 70 Jahre sind, geschenkt hat. Auch Lenchen Siewert war da, und wir freuten uns auch sie begrüßen zu dürfen.
Nun wurde angespannt und die andern mit den Sachen vom Bahnhof geholt. Wir hatten von Stettin aus telegraphiert, dass wir erst des Abends ankommen würden. Doch da wir nun schneller fahren konnten, überraschten wir die Lieben. Die lieben Eltern und Tante fand ich doch etwas gealtert. Aber die Geschwister gar nicht, an denen ist die Zeit fast spurlos vorübergegangen. Aber all die Nichten und Neffen, die hätte man alle nicht mehr nach Hause gebracht. Die größten nun schon alle erwachsen, und dann die Jüngsten, die sind ja erst in der Zeit geboren, da ich in Russland bin.
[1] AW. Abraham Wiens (1878-1937), #1254681
[2] AW. Cornelius Andres (1861-ca. 1935), #792769
[3] AW. Peter Bergmann (1878-1935), #1157847
[4] AW. Abraham Bergmann (1877-1961), #1157799. Brüder von Julius Bergmann.
[5] AW. Wahrscheinlich Anna Warkentin (1906-1972), keine GM
[6] AW. Wahrscheinlich Helene Warkentin (1904-1938), keine GM. Töchter von Abraham Warkentin
7
Ja wir haben die Geschwister mit ihren Kindern alle wiedersehen dürfen, außer Altfelder Mariechen, die ist in der Zeit meines Fortseins gestorben Verwandten fehlen die lieben Robacher Onkel und Tante und die liebe Cousine Agathchen[1] aus Reichfelde. Letztere hat mir besonders gefehlt. Ich hatte mich schon so gefreut mit ihr Gedanken auszutauschen, doch wir trafen sie nicht mehr an. Es war vergangenes Jahr im April, da die lieben Bartel’s von einer Spazierfahrt kommend über das Schienengeleise fahren wollten, und kaum, dass sie drauf sind, so ereilt sie der D-Zug. Walter ihr ältester Sohn, der Kutscher war, war gleich herausgeschleudert und vollständig verstümmelt, auch der Verdeckwagen und die Pferde. Heinrich Bartel und sein Sohn Hans sind wunderbarer Weise ohne Verletzung davongekommen. Doch Agathchen war sehr verletzt, wohl besonders der Rücken und ein Bein gebrochen. Man hatte sie sofort ins Elbinger Krankenhaus gebracht, doch alles Bemühen der gelehrten Ärzte hat ihr Leben nicht erhalten können. Nach 6 wöchentlichem Krankenlager ist sie im vollen Vertrauen auf ihren Herrn und Erlöser heimgegangen. Der liebe Heinrich und seine 8 Kinder vermissen die Liebe noch sehr. Doch Heinrich ist auch ergeben in Gottes Willen.
Es war auch für uns eine große Freude die Geschwister alle so wohl und gesund mit ihren Kindern wiederzusehen. Es ist auch so schön, dass es ihnen in wirtschaftlicher Hinsicht so gut geht. Gerade die Landwirte stehen sich jetzt in Deutschland sehr gut. Aber für viele andere ist das Fortkommen dort sehr schwer, besonders die armen Rentiers, die sind sozusagen aufgeschrieben. Das Geld ist dort auch entwertet und wer nun keinen Verdienst hat und von den Zinsen leben soll, kommt nicht fertig. Diesen Notstand haben die Landwirte eingesehen und haben sich die bedürftigen Familien eingeteilt, die sie nun mit Lebensmittel unterhalten.
Ach wie vieles fanden wir doch in unserm lieben Vaterland verändert. Kein Kaiser mehr, auch dass nun ein Teil von Deutschland zu Polen gehört und dann noch der Freistaat Danzig besteht, hat viel Veränderungen mit sich gebracht. Immer wenn wir über die Eisenbahnbrücke fuhren, wurden die Pässe revidiert, vor auch nach der Brücke. Auch war es nicht gestattet Lebensmittel oder andere Ware herüber oder hinüber zu nehmen. Trotzdem wurde viel über die Grenze geschmuggelt.
Wir sind nun viel hin und her gefahren, unser Hauptquartier war aber immer bei den Eltern. Bei den Geschwistern waren wir auch Wochen in eins. Sie haben uns alle viel Liebe erwiesen. Ja es tat sehr wohl so von allen geliebt zu werden. Aber trotzdem sehnte man sich auch wieder zurück in das eigene Heim. Ach wie ist es doch hier auf Erden alles so Stückwerk. Vor Weihnachten erfuhren wir auch noch, dass Jakob Janzen, unser Vertreter zu Hause gestorben sei. Das war meinem lieben Julius sehr schwer. Aber Papa aus Russland schrieb, dass nun in

seiner Stelle Franz Epp[2] eingetreten sei, und wir uns nicht beunruhigen sollten. Papa hat selbst nach der Mühle gesehen.
Aber Julius eilte doch mehr nach Hause. Das Weihnachtsfest verlebten wir nun einmal wieder nach langer Zeit im Elternhause. Muttchen war leider nicht wohl und musste sich nachmittags hinlegen. Die Kinder auch unsere dabei sagten alle schöne Gedichtchen auf. Der Weihnachtsbaum mit seinem Duft und vor allem die frohe Botschaft aus der Weihnachtsgeschichte erfreuten unser Herz. Ach dass wir immer mehr unsere Herzen aufschlössen für die unaussprechliche Liebe unseres Herrn und Heilandes. Über Sylvester und Neujahr war ich allein einige Tage im Elternhause, denn sie waren dort alle nicht gesund. Es war wohl die Grippe. Das Pflegen ging mir sehr gut.
[1] AW. Agathe Bartel, geb. Andres (1881-1922), #606922
[2] AW. Franz Epp (1902-1943), #1157827
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Tante und Liesbeth lagen in der Sommerstube und Muttchen in der Schlafstube. Papa fühlte sich auch nicht wohl, aber er legte sich nicht fest, sondern begnügte sich mit dem Mittagsschlaf. Mit der Zeit wurden sie wieder alle munter. Tantchen konnte sich am schlechtesten erholen, ihr krankes Bein macht ihr auch oft Schmerzen. Ach, wie freuten wir uns doch immer wieder, dass wir noch einmal unsere geliebten Eltern und Tantchen haben begrüssen dürfen. Die Zeit verlief nun sehr schnell, denn wir bestimmten unsere Abreise zu Ende Februar. Wir waren noch immer überall bei den Geschwistern und die letzte Zeit bei den Eltern, Tantchen und den Geschwistern fiel uns recht schwer.
Am 28. Feb. 1923 morgens fuhren wir und die Orloffer Geschwister ab. Die beiden Brüder Cornelius <#514329> und Gustav <#211979> kamen bis zur Grenze mit. Obgleich die Rückreise mit unseren kleinen Kindern ziemlich beschwerlich war, so merkten wir es, wie der Herr mit seinem Schutz und Beistand um uns war. Ja, die Gebete unserer Lieben umgaben uns. Wir fuhren über Riga, Petersburg und mussten im Ganzen 9-mal umsteigen. Für Johannes und Julius war es sehr schwer, denn wir hatten außer den Kindern noch ein Teil Handgepäck. Die Witterung war sehr günstig, immer gelinde und am Tauen. Ja, der Herr hat uns wunderbar über alle Schwierigkeiten hinweggeholfen.
Am 9. März abends 10 Uhr kamen wir dann glücklich zu Hause an. Schon in Saratow am Bahnhof empfing uns Peter Bergmann. Das war uns eine große Freude, und auch auf seinem Fuhrwerk fuhren wir nach Hause. Hier angelangt weckten wir erst Frau Jakob Janzen[1] und Franz Epp. Alle hießen uns herzlich willkommen. Frau Janzen wurde es noch sehr schwer, als sie uns von dem Abschied ihres Mannes erzählte.
In den Tagen darauf war viel Arbeit, alles fortzuräumen und einzurichten. Wir bekamen auch noch den Korb mit den aufgegebenen Sachen. Für meinen lieben Julius gab es gleich viel Arbeit mit der Mühle, doch wir freuten uns wieder zu Hause sein zu dürfen und hier schalten und zu walten nach Herzenslust. So kommen und vergehen Zeiten. Wie lange wird es dauern, dann ist auch unser Erdenlauf hier vollendet. Ach, dass der Herr mich mit heißem Sehnen erfüllte nach dem Vaterhause in der oberen Heimat. Solange wir nun noch hier wallen, wollen wir flehen: “ Herr lehre uns tun nach Deinem Wohlgefallen“.
21. Juni 1923 Wieder liegt eine ernste bewegte Zeit hinter uns, indem wir noch anfangs ein Stück Winter durchzumachen hatten mit viel Frost und Schnee. Wir haben gerade wie in einem Stückchen Frühling nach Hause fahren können. Nachdem wurde es noch sehr kalt. Es gab ein spätes Frühjahr. Dann haben wir unsere Saaten hoffnungsvoll in die Erde gesät und alles fruchtbar hervorsprießen sehen. Aber jetzt bedrückt uns die Trockenheit und die Hitze sehr. Das Getreide auf dem Lande leidet und auch im Garten werden die Bohnen und Erbsen gelb. Alles lechzt nach einem erquickenden Regen. Aber es ist uns in dieser Zeit noch mehr gegeben und genommen?
Den 1. Mai schenkte uns der Herr ein gesundes kräftiges Mädelchen. Aber schon in der 2.

Woche fanden sich gelbe Bläschen, die Onkel Wiens[2] Schälblasen nannte. Diese fingen aber schon an abzuheilen, da kamen aber leider große Geschwüre dazu, die unserm Kindlein sehr geschmerzt haben. Sie gingen auf und eiterten fortwährend. An dem untersten Geschwür wurde die Öffnung immer grösser, als wenn das Fleisch rund herum festfraß. Die Haut hob sich auch so los. Es sah so, als ob das ganze Rückchen unter Eiter war. O es war zuletzt sehr traurig anzusehen.
[1] AW. Helene Janzen, geb. P. Wiens (1889-1961), #1253852
[2] AW. Peter Wiens (1853-1931), #1253826
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Die letzten 14 Tage war sie sehr krank, auch immer Fieberhitze dabei. Den 7. Juni abends 11 Uhr hat der Herr unser Kindlein erlöst von seinem Leiden, und wir danken ihm innig dafür. Jetzt will es mir noch oft schwer werden, warum es so kommen musste. Aber ich weiß es ist der Herr, der es nun zu sich genommen hat und es nun an seine Brust drückt. Sollte ich darüber so unglücklich sein? Nun ich will es auch nicht, der Herr gebe Gnade, dass ich mich immer mehr ziehen lasse zu Ihm hin, auch durch dieses Pfand, das der Herr von uns gefordert hat. Die Stelle Jesa: 40 Vers 11 ist mir so tröstlich. Es war auch der Text, den der liebe Lehrer Bartsch[1] am Begräbnistage den 9. Juni behandelte. Er machte es sehr schön. Wir hatten dazu Papa, die Geschwister, Tante Bertha und unsere Müllerleute eingeladen. Wir und unsere anderen Kinder sind wohl und gesund. Gebe der Herr uns viel Weisheit sie recht zu erziehen.
19. Aug.1923 Recht arbeitsreiche Monate liegen wieder hinter uns. Die Ernte ist eingeheimst. Sie ist nun wieder recht schwach ausgefallen. Auf Stellen hat es sehr wenig nur die Saat gegeben. Der Regen ist so knapp, nur hin und her ein wenig. Jetzt wird auf den Feldern sehr geackert und wir haben mit Sirup kochen und Obst trocknen viel Arbeit. Mein lieber Julius ist oft auf Geschäftsreisen bald muss er fahren Mehl verkaufen und einiges andere einkaufen. Den 19. war er in Krasnokut und hat dort vom Markt ein Pferd für den Papa gekauft. Papa hat schon mehrere Male das Fieber gehabt. Seine Gesundheit hat dadurch sehr gelitten.
Heute Nachmittag ist mein lieber Julius wieder nach Saratow gefahren. Ach, es geht mir gar nicht gut, wenn er nicht da ist. Es fehlt dann immer am rechten Kopf. Da sind immer die vielen Leute mit denen es auch geordneter und ruhiger zugeht, wenn der Hausherr da ist. Selbst die Kinder sind viel unruhiger, wenn der Papa fehlt. Ach, ich möchte so gerne sie recht erziehen, doch will es mir oft recht schwer werden, besonders da Peter und Hansel sich so oft zanken. Auch die Kleineren wollen nicht immer recht aus. Ach gebe der Herr mir die rechte Weisheit sie recht zu erziehen.
Gestern war mein Geburtstag der 9. hier in Russland. Wie hat doch der Herr schon durch so manche Schwierigkeiten hinweggeholfen. Ihm will ich mich auch für die Zukunft mit Freuden anvertrauen. Gestern am Vormittag kamen die Schwiegereltern H[ermann] N[eufeld] her. Sie kamen anfangs August wohlbehalten hier an und haben uns noch viel von unseren Lieben dort erzählt. Am Nachmittag kam dann Papa und Schwägerin Lene[2] sowie auch die anderen Geschwister her, nur Peter[3] und Mariechen[4] fehlten. Peter war nach Saratow gefahren. Es war ein schöner Tag. Wir waren nach dem Essen mit unsern Gästen im Garten und aßen Melonen und Arbusen <Wassermelonen>. Den ganzen Tag vorher hatten wir auch sehr hässliches Wetter, so stürmisch und staubig und ich hatte gehörige Zahnschmerzen. Abends als Julius von Krasnokut zurück war, gingen wir zu Wiensen und ich ließ mir den Zahn ziehen. Es tat gehörig weh. Es kommt mir heute Abend ohne meinen lieben Julius wieder so einsam vor. Gebe der Herr, dass er wieder wohlbehalten zurückkehren möchte.
3. Februar 1924. Das alte Jahr liegt nun schon über einen Monat mit seinen Freuden und Leiden hinter uns. Ach ja, wie eilt die Zeit so schnell, doch besonders wenn alles gesund ist, und dieses große Gnadengeschenk dürfen wir nun schon so lange aus unseres Herrn Hand dahinnehmen, auch von zu Hause bekommen wir oft Nachricht. Sie sind auch dort alle wohl und gesund, und es scheint, als ob dort schon recht geregelte Zustände sind. Das Geld hatte dort schon mehr den Wert verloren wie hier. Nun haben sie aber wertbeständiges Geld und es geht wieder geregelt zu.
[1] AW. Franz Bartsch (1854-1931), #1377858
[2] AW. Helene Bergmann (ca. 1892-????), #1407981
[3] AW. Peter Bergmann (1878-1935), #1157847
[4] AW. Maria Bergmann, geb. Neufeld (1882-1935), #1402987
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Ach, dass doch auch hier die Verhältnisse geregelt würden. Es ist ja für den Landwirt etwas leichter, wie vor einigen Jahren, aber die Abgaben sind immer so sehr hoch. Auch ganz besonders für uns Besitzer der Mühle, sodass man gar nicht kann wie man möchte. Julius möchte gerne bauen. Für die Mühle fehlt nötig Raum, auch für die Müllerwohnungen sollte ein Stall oder Schuppen gebaut werden, auch unser Wohnhaus wird uns schon gerade bisschen eng. Aber zu allem reicht es nicht zu, da muss eben nur gerade das in Angriff genommen werden, was das Nötigste ist. Und ich möchte mich auch gerne genügen lassen mit dem was da ist. Schenkt uns doch der Herr so viel, sodass man nur Grund zum Danken hat.
Unser Annachen ist sehr munter, kann schon bald alles plappern. Alle Kinder waren vergangenen Sonntag zu den Großeltern gefahren. Wie sie nach Hause kamen erzählte Annachen: „Da sind so viele Gugslöcher“. Auch Paul ist immer sehr auf Deck. Kürzlich war der liebe Junge in großer Lebensgefahr. Ich hatte eine Tasse mit etwas Karbol auf den Tisch gestellt. Peter sollte ihn auflösen um die Wunde eines Pferdes damit auszuspülen. Kaum hatte ich mich fortgewandt, da ergreift Paul die Tasse und führt sie zum Mund… Ich sah es gleich und schrie vor Angst los. Da spuckte er es noch schnell aus und hat sich somit den Mund verbrannt, was nun schon alles besser ist. Ach wie gnädig hat der Herr uns auch damals behütet. Wie sehr hätte ich mich beschuldigen müssen, wenn unser lieber Junge daran gestorben wäre. Ach ich möchte dem Herrn dafür dankbar sein. O Herr bitte mache mich zu einer vorsichtigen und weisen Mutter.
Auch Kätel und Elisabeth werden schon immer etwas verständiger und können schon etwas helfen. Hansel und Peter gehen gerne zur Schule und lernen leicht. Hansel hat jetzt angefangen russisch zu lernen und Peter hat angefangen beim alten Onkel Bartsch[1] Harmonium spielen zu lernen.
Sonntag d. 27. 4. 1924. Es ist heute Sonntag nach Ostern. Wir haben nun den langen kalten Winter hinter uns. Der Frühling ist eingekehrt. In letzter Woche haben wir den Garten besorgt, schon alles fertig gesät und gesetzt.

Sonntag d. 18. 5. 1924. Vergangenes Mal kam ich nicht weit mit meinem Schreiben, denn wir bekamen Cornelius[2] und Martha[3] zum Besuch. Nun will ich heute nachholen. Ich habe auch viel zu berichten. Sonntag den 4. Mai hat uns der Herr ein gesundes Söhnchen geschenkt. Wir haben ihm den Namen Cornelius[4] gegeben. nach dem Sandhöfer Großpapa. Der Herr möge in Gnaden seinen Segen auf dieses neugeborene Kindlein legen und ihm dermaleins so ein Verlangen nach Wahrheit schenken wie dem Hauptmann Kornelius in Apg. 10. Der Herr war uns wieder sehr gnädig und half schnell über die schwere Stunde. Ihm sei Dank für alles. Mariechen war die ersten Tage hier und hat mich gepflegt. Das war für mich sehr schön. Paul und Annachen waren die erste Woche hier bei Onkel Peter und Tante Mariechen. so war es sehr still und schön. Jetzt nach 14 Tagen fühle ich mich schon recht wohl nur noch etwas matt.
Es ist immer recht warm. Meistens über 20 Grad. Der Regen fehlt sehr nötig. Wir haben viel Wind. Ach, dass wir doch bald einen erquickenden Regen bekämen. Mein lieber Julius ist heute nach Mendemtal gefahren. Es ist mir dann immer bisschen bange zu Mute. In nächster Woche muss er nach Saratow fahren.
[1] AW. Franz Bartsch (1854-1931), #1377858
[2] AW. Cornelius Wiens (1880-1951), #19134
[3] AW. Martha Wiens, geb. Heinrich Penner (1884-1951), #19135
[4] AW. Cornelius Bergmann (1924-2008), #1254784
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Sonntag den 5. April 1925. Wieder ist es Frühling geworden, und mit ihm zieht immer aufs Neue frischer Mut und Tatendrang ins Menschenherz. So kann ich es auch von mir sagen, dass ich mich schon recht freue den Garten zu bestellen und mit froher Hoffnung in die Zukunft blicke. Wir hatten in diesem Jahr einen besonders milden Winter mit wenig Frost. Man dachte immer so kann es nicht bleiben, die letzten Monate werden uns wohl noch viel Frost und Schnee bringen, aber nein. Es fing schon Anfang März an zu tauen und gab trotz dem wenigen Schnee, doch viel Wasser. Nun schien es nach einer frühen Saatzeit. Doch hat sich’s schon recht in die Länge gezogen. Einige haben in der vergangenen Woche schon mit dem Säen begonnen, aber wir konnten noch nicht in den Garten auch auf dem Felde war es zu nass.
Heute hat es wieder ziemlich geschneit, aber Tauwetter dabei, sodass wir wohl vor Ostern nicht mit dem Garten anfangen werden. Um 8 Tage feiern wir das liebe Osterfest. Wir haben nun die Feste mit den Lieben zu Hause immer zugleich. Wir haben von unseren Lieben immer noch gute Nachricht erhalten. Sie dürfen sich alle der schönen Gesundheit erfreuen. Die lieben Eltern und Tantchen haben auch schon aus Gottes Gnaden ein hohes Alter erreichen dürfen. Papa ist 73 Jahre alt, Muttchen 76 Jahre alt und Tantchen 74 Jahre. Schwester Liesbeth hat wohl öfters recht große Rückenschmerzen. Hoffentlich wird sie noch einmal kräftiger. Auch den verheirateten Geschwistern in Deutschland geht es gut. Ihre Kinder sind schon zum Teil groß. Wir erhalten auch von den Geschwistern öfters Briefe. Luise die älteste Tochter von den Geschwistern Esau ist als Krankenschwester gegangen im Danziger Krankenhaus. Sie war früher zur Ausbildung in einem Mädchenheim im Harz, wo es wohl sehr vornehm herging. Als wir damals in Deutschland zu Hause zum Besuch waren, kam es mir so vor, als ob sich das Tochterchen zu Hause nicht mehr wohl fühlte. Gretchen die jüngere Tochter kam zur Ausbildung nach Köslin, wo auch die anderen Mädels von den Altfelder und Reichfelder Geschwistern eine Zeitlang waren, und von wo sie wohl mit sehr guten Eindrücken zurückgekehrt sind. Ach der Herr möchte die liebe Jugend dort und auch unsere lieben Kinder hier in seiner Gnade segnen.
Am 24. März verlebten wir alle in Gesundheit den Geburtstag meines lieben Julius, unseres lieben Papas. Die Kinder waren schon vorher alle freudig erregt, und als sie morgens aufwachten, rief Elisabeth: ‚Heut ist der wunderschöne Tag“! Der Tag verlief auch recht schön. Die Geschwister und von drüben der Papa, sowie Ungers und Fasten[1] waren unsere Gäste. Julius Janzen[2] konnten nicht kommen, weil sie und auch die Kinder krank waren. Leider fehlte auch Cousine Mariechen. Sie hat wieder das Fieber, welches sie im Herbst schon einmal hatte und sie so sehr mitnahm. Die Orloffer Geschwister holten wir mit unserem Fuhrwerk, weil in ihrem Stall rotzkranke Pferde waren, und sie nun mit dem Fuhrwerk nicht auf die Gasse dürfen. Der Weg war noch recht schwer, und als wir Donnerstag bei ihnen waren, erzählte Mariechen, dass sie sich auf dem Rückweg schrecklich geängstigt hatte. Es hat oft so schief gegangen. Der kleine Johannes, der unter der Decke lag, hatte den Weg über geschrien. Sie sind dort auch alle schön gesund. Diese große Gnade tritt uns jetzt besonders groß vor Augen, denn um uns herum herrscht sehr der Scharlach und einige Kinder sind schon dieser tückischen Krankheit unterlegen. So bei J. Janzen das kleine Lieschen. Da war

letzten Mittwoch das Begräbnis. Jetzt ist in Lindenau bei J. Klassens[3] ein kleiner Sohn[4] gestorben und hier bei Witwe Janzen ihr kleinstes Bübchen und bei Gustav Toews[5] der kleine Otto[6]. Gustav wurde einige Wochen vor seinem Söhnchen abgerufen.
[1] AW. Hermann H. Fast (1897-1980), #1254597 mit Frau Amalie, geb. Mateus (1894-1989), #1254831
[2] AW. Vermutlich Julius Janzen (1895-1937), #1253847
[3] AW. Jakob Klaassen (1886-1948), #1254887
[4] AW. Hermann Klaassen, (1921-1925), keine GM.
[5] AW. Gustav Töws (1888-1925), #1240616
[6] AW. Otto Töws (1921-1925), #1253829
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So ist im Leben ein Kommen und Gehen. Unser kleiner Bubi gedeiht sehr. Er ist nun 11 Monate alt. Er zieht sich überall in die Höhe und geht dann herum, hat blaue Augen und blondes Haarchen und dicke rote Bäckchen. Überhaupt ist er groß und kräftig.
Annchen unsere 2. Jüngste ist im Oktober 3 Jahre gewesen und schon recht verständig für ihr Alter. Sie kann sehr nett mit dem Bubi oder mit Puppen spielen, und kann schon alles sehr bereden.
Paulchen ist nun 5 Jahre alt. Er hat eine ruhige gutmütige Art, aber mitunter treten auch rechte Jungenskniffe hervor. Er hat kürzlich zugesehen, dass ich Blumensamen gesät habe. Da sagte er: „Aber Mama, Du musst auch mal Schokoladensamen säen. Dann kannst du oft Schokolade kochen“.
Elisabeth ist ein sehr karsches Mädel und immer schnell bereit Ohrfeigen auszuteilen. Sie hat schon dafür Strafe bekommen. Aber das Händchen ist sehr lose. Nun ich hoffe, dass ihre ganze Energie später der Mama eine rechte Stütze sein wird.
Käthel ist gelassener, aber auch immer sehr munter. Sie geht seit dem Herbst zur Schule, und das Lernen macht ihr Freude.
Hansel besitzt auch viel Tatkraft. Er hält nicht lange in der Schule aus. Sie ist ihm zu eng. Wenn die Schularbeiten gemacht sind, geht er entweder zum Gustav oder in die Werkstube und macht sich dort Huruckknüppel und anderes mehr. Doch gewirkt muss werden.
Peter ist ruhiger, er geht jetzt in die 2. Stufe und hat immer viel zu lernen und zu zeichnen. Seine Lieblingsbeschäftigung ist Geschichten lesen. Ach verständen wir es nur recht in den lieben Kindern die guten Triebe zu wecken und zu pflegen.
Sonntag den 23. Aug.1925. Wieder sind einige Monate seit meinem letzten Schreiben verflossen. Wir sind, dem Herrn sei Dank, alle wohl und gesund. Auch mir geht es immer noch recht gut. Kann noch tüchtig herumwirtschaften, Arbeit ist ja immer viel. Wir haben schon viel Äpfel und Birnen geschnitzt. In vergangener Woche hatten wir große Wäsche. Wir haben ja auch 3 Mädchen. Tine und Lena die mir in der Wirtschaft und bei den Kindern zur Hand gehen und Emma die Köchin. Ich bin mit ihnen auch sehr zufrieden. Unser kleiner Kornelius kann jetzt laufen. Er ist recht stolz darauf und stapft tüchtig herum. Aber er lässt sich auch sehr gern tragen.
Die Ernte liegt nun auch wieder hinter uns. Wir haben vom Roggen 44 Pud, vom Weizen 44 Pud und vom Hafer 90 Pud von der Desjatine gebaut. Die Ernte ist wohl überall besser ausgefallen, wie die Jahre vorher. Der viele Regen, den wir gerade in der Erntezeit hatten, hat viel verdorben. Aber wir können dankbar sein, dass der Herr uns soviel gegeben hat. Aus dem Garten haben wir schon recht viel Beeren gepflückt, auch Gurken gibt es viel. Die Mohrrüben und Beten sind recht dick geworden. Wir können für alles sehr dankbar sein.
Mein lieber Julius ist heute nach Köppental zur Versammlung gefahren. Zu Mittag wollte er zurückkommen. Gestern ist hier bei Wiensen der alte Hirt im Tränktrog ertrunken. Er ist über den Zaun gestiegen und jedenfalls auf die Kante des Trogs mit dem Kopf gefallen. Dabei besinnungslos geworden und so hat man ihn tot aufgefunden. Überhaupt sind in letzter Zeit viel plötzliche Todesfälle vorgekommen. In Medemtal Br. Joh. Peters[1] an Gehirnschlag, hier

bei David Frösen[2] der Sohn Kornelius[3] an Magenkrampf. Nicht ganz 24 Stunden krank und dann tot. In Lindenau Lehrer Wiens und ein kleiner Junge von 10 Jahren beim Baden ertrunken. So ruft der Herr oft so plötzlich die Menschenkinder ab, und spricht dann auch: „Kommt wieder Menschenkinder“ Psalm 90. Ach, dass wir des Herren Stimme stets recht verständen und darauf achteten.
[1] AW. Wahrscheinlich Johannes Peters (ca.1873-1925), keine GM. Nr. 18 unter: https://amtrakt.de/bewohner-von-medemtal-1921-22/
[2] AW. David D. Fröse (1869-1921), #1253837
[3] AW. Kornelius Fröse (1895-1925), keine GM
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Sonntag den 3. Jan.1926. Wieder sind Monate dahingeeilt seit meinem letzten Schreiben. Den 27. August schenkte uns der Herr ein Töchterchen, dem wir den Namen Maria[1] gaben. Der Herr half wieder gnädig über die schwere Stunde. Möge der Herr unser geliebtes Kind reichlich segnen. Bange Monate folgten nach der kleinen ihrer Geburt. Ich war nicht immer bettlägerig aber ziemlich 3 Monate dauerte es, bis ich meine volle Gesundheit wieder erhielt. Die linke Brust riss mir zusammen. Die Eiterung lag aber so tief, sodass es so lange dauerte, bis es zum Aufbruch kam. Die Brust war lange rot und hart und schmerzhaft. Da habe ich verschiedenen Mittel angewandt, doch nichts wollte helfen. Immer war ich fiebrig und matt, und die Brust zeigte keine Besserung. Da entschlossen wir uns mal nach Saratow zum Arzt zu fahren. Es war kurz vor Annchens Geburtstag den 31. Okt. Dr. Kassel riet uns gleich die Brust operieren zu lassen. Doch ich hatte davor sehr Angst. Dann sprachen wir noch mit Dr. Petrofski, der glaubte, es würde vielleicht noch verziehen und gab dazu Salbe, die wir auch angewandt haben.
Nach dieser Fahrt bekam ich nochmals sehr hohes Fieber, sodass ich ganz im Bett bleiben musste. Andresen Luise war wohl fast 2 Monate hier zur Hilfe. Ich wollte mitunter schon ganz mutlos werden, doch Julius hat mir dann immer wieder zurechtgeholfen. Acht Tage nach der Saratow Fahrt geschah es, dass sich unten an der Brust ein kleines Knaeulchen fand, das schmerzhaft war. Das wurde grösser und ging nach paar Tagen auf. Wir waren sehr glücklich, dass nun endlich Erleichterung geschaffen war. So hat der Herr in Gnaden weitergeholfen. Es ging langsam zur Besserung. Doch nun kann ich sagen, ich fühle mich wieder ganz gesund, und ich bin dem Herrn dankbar, dass er so gnädig geholfen. Unser kleines Mariechen hat auch recht gekränkelt. Hat viel Geschwüre gehabt. Jetzt glaube ich, sie ist gesund, aber noch sehr fein und wenig. Hoffentlich nimmt sie bald mehr zu. Nun haben wir auch wieder gesund das Weihnachtsfest verleben dürfen und das neue Jahr haben wir wieder antreten dürfen. Dem Herrn sei Dank. ER helfe uns aus Gnaden weiter.
Sonntag den 14. März 1926. Es ist heute ein schöner, klarer Tag. Des morgens hat es tüchtig geschneit, jetzt taut’s. Wir hatten schon einige Tage Tauwetter, sodass es auf Stellen schon ganz wässerig ist. Überhaupt war dieser Winter nicht streng. Unser Mariechen ist jetzt schon ein recht dickes Mädelchen und macht uns viel Freude. Sie ist so ruhig und kann einen so verständig mit ihren blauen Augen angucken. Von zu Hause bekommen wir regelmäßig Nachricht. Alle 14 Tage abwechselnd wir und die Orloffer Geschwister. Sie sind auch dort schön gesund. Den 13. Juni dieses Jahres ist schon die Silberhochzeit der Staller Geschwister Und nächstes Jahr im Juli trifft die goldene Hochzeit unserer lieben Eltern ein. Ob wir uns dann wohl noch einmal alle wiedersehen dürfen?
Die Zeit in der wir leben ist so ernst und so dem Wechsel unterworfen, doch wir wissen, wir sind in Gottes Hand, und das macht uns getrost und voll Zuversicht. Der Monat März ist bei uns reich an Geburtstagen Am. 7. März war Käthels Geburtstag. Sie ist nun 9 Jahre alt geworden. Sie hatte sich auch einige Gästchen eingeladen und verlebte den Tag recht froh und heiter. Jetzt am 17. März ist Pauls Geburtstag und am 24. März hat mein lieber Julius Geburtstag, In nächster Woche wollen wir waschen und Stuben reinmachen. Gestern hat es geregnet und da haben wir schönes Wasser dazu aufgefangen. O wie dankbar kann ich sein, dass ich nun wieder ganz gesund bin. Da fällt keine Arbeit schwer, sondern mit Lust und Freude geht man dran.
[1] AW. Maria Bergmann (1926-1932), #1254442
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Sonntag den 19. Dez. 1926. Eine Reihe von Monaten sind verstrichen seit meinem letzten Schreiben. Der Herr ist uns auch in dieser Zeit gnädig gewesen. Wir hatten dieses Jahr eine recht gute Ernte. Im Herbst kam wieder viel Regen, sodass es vielen beim Dreschen sehr geschadet hat. Auch bei viel anderer Arbeit hat der Regen sehr aufgehalten und versäumt.
Nach den langen Sommerferien sind die Kinder nun schon wieder Monate fleißig zur Schule gegangen. Elisabeth und Paul haben frisch angefangen. Wir wollten Paul lieber noch zu Hause halten, aber er wollte so sehr gerne anfangen. so haben wir es ihm erlaubt, und es geht ihm auch gut, auch den andern. Unser Peter geht seitdem Herbste in Dawlekanowo zur Schule. Jetzt erwarten wir ihn zu den Weihnachtsferien nach Hause, und freuen uns schon sehr auf sein Kommen. Morgen will mein lieber Julius nach Saratow fahren ihn abholen. Heute ist er in Medemtal bei Peters. Dort ist Mariechen Peters[1] Hochzeit, und ich bin mit unseren Kindern allein zu Hause. Es geht dann immer ziemlich lebhaft zu, und macht mich recht müde.
Gestern waren es 5 Wochen wie ich krank wurde. Es ging dieses Mal nicht so glatt und schnell wie sonst. Unsere Hebamme Frau Töws[2] untersuchte mich und die sagte, dass die Lage des Kindes nicht richtig sei. Daraufhin holten wir den Köppentaler Arzt, doch der konnte nicht helfen. Da wurde noch nach der Woskresener Ärztin geschickt, die gab den Rat nach Brunnental zu fahren. Ich hatte schon einige Stunden sehr große Schmerzen, doch da wurde ich in Betten gepackt und mein lieber Mann fuhr mit mir nach Brunnental. Unger war unser Fuhrmann. Die Fahrt dauerte 3 Stunden von 12 Uhr nachts bis 3 Uhr morgens. Es war sehr schwer. Doch der Herr hat mein Leben wunderbar erhalten. Ihm sei Preis und Dank. Ach könnte ich die übrige Zeit meines Lebens zu Seinem Wohlgefallen da sein. O Herr hilf mir dazu.
8 Tage blieb ich im Brunnentaler Krankenhaus und heute vor 4 Wochen holte mich mein lieber Julius nach Hause, und nun kann ich wieder gesund meiner Arbeit nachgehen. Aber von unserm Kindlein schrieb ich noch nicht. Es kam tot zur Welt. Jedenfalls hat es alles zu lange gedauert. Es war ein Mädelchen. Es hat der Herr zu sich genommen und wir wollen uns mit ihm freuen. Amen ja sein Glück ist gross!
Himmelfahrt den 26. Mai 1927. Wieder sind Monate dahin gegangen. Gar viel Veränderung haben sie uns gebracht. Den Tag vor meines Mannes Geburtstag, also am 23. März wurde uns die Mühle auch das Wohnhaus mit allen anderen Gebäuden abgenommen. Bis zum 1. April hatten wir zu räumen. Es fiel uns zwar etwas schwer, aber es musste sein und es ging ja auch. Papa bot uns an zu ihm zu ziehen und wir willigten ein. Als wir 2 Wochen beim Papa wohnten, geschah ein 2. großes Ereignis, was uns noch schwerer dünkte, nämlich die Mühle brannte ab. Der junge Peter Pauls war den Abend Maschinist und hat sehr unvorsichtig und gleichgültig gehandelt. Er hat während dem Gehen des Motors einen Krahn am Steftbaseng (?) herausgedreht zum Reinigen. Da ist der Steft mit Gewalt herausgeflossen, hat sich entzündet und alles stand im nu in Flammen. Auch die 2 Ambare die dicht dabei standen brannten mit. Der hinterste war Papas Ambar. In beiden hatten wir noch Getreide liegen, das zum größten Teil mit verbrannt ist. Es war ein großer Schmerz. Dies schöne große Gebäude mit seinen vielen Maschinen, alles so in Flammen aufgehen zu sehen. Ja es war schwer, besonders aber für meinen lieben Mann, aber er war ruhig und gefasst. Doch das Schwerste stand uns immer noch bevor.
[1] AW. Vermutlich Maria Peters (ca. 1902-????), keine GM. Nr. 20 unter: https://amtrakt.de/bewohner-von-medemtal-1921-22/
[2] AW. Möglicherweise Helene Töws, geb. Janzen (1891-????), #935108 aus Hohendorf.
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Den 4. Mai 1927 gerade an Bubis (Cornelius) Geburtstag wurde mein Mann von der Geheimpolizei aus Pokrowsk fortgeholt in Untersuchungshaft. Da sind falsche Aussagen gemacht worden, dass Julius den Abend in der Mühle soll gewesen sein. Auch soll er zu dem Peter Pauls gesagt haben, dass er den Kran reinigen soll. Dieses sind alles arge Verleumdungen, aber es scheint, als wenn sie den lieber glauben als der Wahrheit.
Nun war ich schon 2 Mal in Prokrowsk und habe meinen lieben Mann jedes Mal auf ein Weilchen sehen und sprechen können. Mein Vornehmen ist auch morgen wieder hinzufahren. Ach wenn der Herr doch bald, bald dies Leid in Freude verwandeln möchte, und uns unsern lieben Papa zurückgeben. Wir brauchen ihn doch so nötig. Der Herr gebe Kraft auszuharren und uns zu bewähren.
Den 3. Juli 1927. Unsere Gebete und unser Flehen hat der Herr in Gnaden erhört und meinen lieben Mann befreit. Es war Donnerstag den 2. Juni als ich mich zum 4. Mal auf den Weg machte ihn aufzusuchen. Ich hatte zwar das letzte Mal Bescheid bekommen, dass er freikommen würde, doch dauerte es mir zu lange. Als wir noch nicht recht auf dem halben Weg waren, kamen uns 2 Wagen entgegen, und mein lieber Mann kam mir entgegen, auch Unger, Fröse und Pauls. Ach das war eine Freude des Wiedersehens. Ja der Herr hat in Gnaden uns angesehen. Nun konnten wir gemeinsam das Pfingstfest feiern. Einen Monat ist mein lieber Julius jetzt wieder zu Hause gewesen und viel hat er in der Zeit erwirkt. Das Heu ist geerntet und vieles in der Wirtschaft in Ordnung gebracht. Auch unser Peter ist von der Schule in D[awlekanowo] wieder nach Hause gekommen, und hilft nun sehr in der Wirtschaft. Wie sich nun weiter unsere Wege gestalten werden wissen wir nicht, doch der Herr weiß es, und Ihm wollen wir uns überlassen.
Den 25. Sept. 1927. Wieder sind Monate dahingeschwunden. Die Ernte ist hinter uns. Der Herr hat uns reichlich gesegnet, Ihm sei Dank. Unsere Jungen Peter und Hansel sind vorgestern nach Dawlekanowo abgefahren. Wir wünschen von Herzen, dass sie dort rechte Fortschritte machen möchten im Lernen und dass der Herr auch ihren Seelen nähertreten möchte. Mein lieber Mann ist immer noch an unser Dorf gebunden. Er musste damals ein Papier unterschreiben, dass er nicht aus Lysanderhoeh
dürfe bis die Erlaubnis käme. Trotzdem wir schon öfters angefragt haben, ist diese Erlaubnis noch nicht gekommen. Der Herr gebe, dass er bald ganz frei werde.
Den 29. Feb. 1928. Möchte mal nur einiges Nötiges machen. Wir sind dem Herrn dankbar, alle wohl und gesund und doch liegt eine schwere Last auf uns. Mein lieber Julius musste am 6. Februar nach Kukkus zum Gericht. Ich war auch mitgefahren. Es war ein sehr schwerer Tag, obgleich der Staatsanwalt und der Advokat den Peter Pauls für sich angenommen hatte. Für meinen lieben Mann sprachen sie hinten ihn beide für unschuldig. Trotzdem verurteilte der Richter meinen Julius schließlich auf 3 Jahre Gefängnis. Es war in der Nacht um 3 Uhr als die Richter hereinkamen und dieses vorlasen. Wir waren sehr niedergeschlagen, aber zugleich wurde uns bekannt gemacht dass die Klage weiter nach Kosackenstadt einzureichen sei und dort das Gericht den 3. März entscheiden würde. Dies hat mein Julius auch getan, doch wir wollen von den Menschen fortblicken und hin zum Herrn Jesu in völligem Vertrauen. Es ist dem Herrn ein Kleines durch viel oder wenig zu helfen.
Auch muss ich noch von meiner Krankheit berichten. Es war gerade am Neujahrstage, wenn Julius war zur Versammlung gefahren. Da spürte ich mit einem Mal Wehen. Sehr wohl fühlte ich mich schon einige Tage nicht.
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Da die Wehen immer stärker wurden, schickten wir zu Frau Töws, sie war in der Kirche und kam nicht mehr zurzeit. Auch Schwester Mariechen ließen wir holen, und Julius riefen wir durchs Telefon. Die Geburt war eben viel zu früh, wohl von 4 Monaten. Ich hatte sehr viel Blut verloren und war sehr matt. Außerdem war die Nachgeburt fest und wir ließen dem Woskresenzer Arzt holen. Dem gelang es mit Gottes Hilfe sie zu entfernen.
Nun bin ich wieder ganz gesund und kann meiner Arbeit nachgehen. Ja, so hat der Herr schon oft über Bitten und Verstehen geholfen.
Sonntag den 11. Sept. 1928. Voll Lob und Dank kann ich nur berichten, dass der letzte Gerichtstag der am 3. März war, meinem lieben Mann die Freilassung gebracht hat. Auch ich war wieder mitgefahren. Ach mit welchem bangen Herzen saßen wir dort und warteten auf den Urteilsspruch. Nur kurze Fragen wurden meinem lieben Mann vorgelegt. Darauf sprach der Advokat, den Julius sich genommen hatte. Er hob natürlich all die entlastenden Gründe hervor. Darauf sprach der Staatsanwalt, noch ein sehr junges Menschchen. Dieser sagte nach seiner Meinung müsste Bergmann die 3 Jahre Gefängnisstrafe kriegen. Dann fragte der Richter Julius was er dazu sage. Er sagte, er sei unschuldig. Dann gingen die Richter fort, und wir warteten mit Hoffen und Bangen im Herzen auf die Lösung. Es dauerte wohl fast 1 1/2 Stunden, da kamen die Richter wieder herein und der Hauptrichter sagte, dass die Sache des Bürger Bergmann abgeändert sei und er hiermit für frei erklärt werde.
Ach ich kann gar nicht beschreiben, welch eine Freude mein Herz durchfuhr. Wie hat der Herr so gnädig und so herrlich geholfen. Ihm sei Lob, Preis und Dank dafür gebracht. Ach, könnte ich es mit meinem Leben mit der Tat beweisen und ein dankbares Leben führen. O Herr Jesu auch dazu musst Du mir Deine Kraft und Deinen Beistand schenken. Hilf mir o Herr es nie zu vergessen, wie herrlich Du helfen kannst, damit ich Dir stets vertrauen möchte.
Sonntag den 1. Juli 1928. Wieder sind Monate dahingeschwunden. Der Herr hat immer gnädig weitergeholfen. Vorgestern kamen unsere Jungen nach Hause, gesund und frisch. Dem Herrn sei Dank. Ich bin glücklich sie mal wieder zu Hause zu haben. In dieser Woche will mein Mannchen nach Saratow fahren und mal nachhorchen wegen unserm Auslandpass. Sie machen dort in Pokrowsk viel Schwierigkeiten. Wer weiß ob wir zum Fahren kommen werden. Wir wünschten sehr, dass es bald entschieden werden möchte und bitten den Herrn, dass ER uns nach Seinem Willen führen möchte.
Mein lieber Julius ist heute mit Hansel nach Mendemtal gefahren. Die Kinder sind alle schön gesund. Ich habe oft Kopfschmerzen und fühle mich müde, doch hoffentlich wird es auch wieder besser.
Sonntag den 3. April 1932. Jahre sind dahingeschwunden und haben in unserm Leben vieles verändert. Ja, der Herr hat uns tiefe Wege geführt. Als ich das letzte Mal in diesem Buch schrieb, wohnten wir noch in Lysanderhöh bei Vater Bergmann und Schwägerin Helene. Wir hofften auf den Auslandspass, doch der wurde uns abgesagt. So kauften wir im Herbst 1928

die Cornelius Frösen[1] Wirtschaft von Schw. Cornelius Wiens[2], die er gekauft hatte. Wir zogen Ende Oktober dort ein. Annachen sagte, es war gerade an ihrem Geburtstag, als wir dort einzogen. Dann war es also der 31. Oktober. Wir haben uns dort schnell eingelebt. Anfangs hatten wir noch einen Knecht und ein Dienstmädchen.
[1] AW. Cornelius Fröse (1868-1929), #454720
[2] AW. Cornelius Wiens (1880-1951), #19134. Anna Bergmann nennt ihn Schwager, weil er ein Stiefbruder ihres Mannes Julius Bergmann war.
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Da sich aber die Verhältnisse immer mehr zuspitzten und von der Regierung darauf gedrungen wurde, dass die Besitzer keine Dienstboten haben sollten, so entließen wir sie und wurden auch ganz gut allein fertig. Aber das Wirtschaften wurde von außen immer mehr erschwert. Anfangs konnte man noch den Anforderungen gerecht werden. Das Getreide wurde geliefert bis aufs letzte. Man hoffte immer noch wohnen bleiben zu können. Aber auch diese Hoffnung war vergebens. Ein Besitzer nach dem andern musste räumen. Im Herbst 1929 wurden die Orloffer Geschwister hart angegriffen. Schwager Johannes[1] wurde verschickt nach Baku.(?) Darauf musste Schwester Mariechen mit den Kindern das Haus räumen. Sie kamen zu uns gezogen und bewohnten die beiden Vorderstuben, und das Wohnhaus. Noch denselben Herbst starb die liebe Mutter Hermann Neufeld[2]. Sie bekam einen Schlaganfall, und nach einigen Tagen entschlief sie.
Im kommenden Februar 1930 mussten auch wir aus dem Haus. Das Meiste blieb stehen und liegen. Wir durften ins Lysanderhöher Schmiedehäuschen einziehen, und wenn ich jetzt daran zurückdenke, waren es sehr schöne Monate, die wir dort verleben durften. Wie konnten uns zum Frühjahr eine Kuh kaufen und lebten so still und zufrieden miteinander. Aber auch hier sollte unser Bleiben nicht sein. Mein lieber Julius schaffte im Holz und später half beim Dreschen. Es war gerade an meinem Geburtstag den 18. August 1930 da erfuhren wir, dass wir unsern Osterfelder Schuppen zu Wohnungen ausbauen sollten. So wurde auch bald mit dieser Arbeit begonnen. Es wurden Speicher und Schuppen abgerissen aus den Dörfern und neu dort aufgebaut. Manche bauten sich auch Simlinken[3]. Wir waren 106 Personen die anfangs ausgesiedelt wurden. Mitte Oktober zogen wir hin. Wir waren kaum eine Woche dort, da wurden die Männer zur Arbeit fortgeschickt nach Neukolonie gleich hinter Seelinen[4]. Dort haben sie Bäume gefällt, durften aber öfters nach Hause kommen. Wir waren dort nur Mennoniten zusammen. In unserm Hause wohnten Schw. Peter[5] mit seiner Familie, Schw.

Johannes[6] mit seiner Familie. Onkel Joh. Bergmann[7] mit seinen unverheirateten Kindern und wir. Unsere Männer hatten alles so schön gebaut, und wir fühlten uns bald heimisch. Doch es waren oft Haussuchungen und so mancherlei wurde uns weggenommen.
Mein lieber Julius kam zum Februar nach Hause. Hansel konnte ihn vertreten und am 9. Feb. 1931 gerade an Joh. Bergmanns Silberhochzeit[8] wurde uns ein Söhnchen geboren. Wir gaben ihm den Namen Julius[9]. Es war ein sehr ruhiges, liebes Kind. Wir alle hatten es so sehr lieb. Schwester Mariechen, die auch auf einem Kuterchen[10] wohnte fuhr dann auch fort mit ihren Kindern. Auch mein lieber Julius fuhr als ich gesund war nach anderen Dörfern, wollte sehen ob wir dort ein Heim für uns fanden. Hat dieses aber dort nicht für uns gefunden und so wollten wir geduldig abwarten, was da kommen würde. Dies dauerte nicht lange, dann wurden die Männer wieder zur Arbeit gerufen. Sie waren unterdessen alle von Neukolonie zurückkehrt und mussten nun an der Brücke in Köppental schaffen.
Wie mein lieber Julius dort war, bekamen wir die Nachricht von zu Hause, dass unser liebes Muttchen[11] am 20.03. entschlafen sei. Und gerade ein Jahr vorher auch im Maerz starb unsere liebe Tante. Diese geliebten Beiden treffen wir hier unten nicht mehr an. Kaum das diese Arbeit dort an der Brücke vollendet war, wurden unsere Männer gefangen genommen. Erst einige Tage im Lysanderhoeher Farmehaus dann in Hohendorf in Johann Bergmanns Wirtschaft.
[1] AW. Johannes Neufeld (1868-1942), #792627
[2] AW. Maria Neufeld, geb. Andres (1856-1929), #792775
[3] AW. Erdhütten (Russisch = землянка)
[4] AW. Vermutlich ist Seelmann gemeint.
[5] AW. Peter Bergmann (1878-1935), #1157847
[6] AW. Johannes Bergmann (1881-1943), #19372
[7] AW. Johann Bergmann (1844-1936), #991212
[8] AW. Johannes Bergmann (1881-1943), #991212 und Anna Wiebe (1884-1955), #6799 heirateten am 08.02.1906.
[9] AW. Julius Bergmann (1931-1931), #1254757
[10] AW. Russisch = хутор. Wirtschaft abseits eines Dorfes. In diesem Fall eine sehr kleine Wirtschaft.
[11] AW. Catharina Andres, geb. Neufeld (1849-1931), #793090
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Dort konnten wir sie noch immer mit Lebensmitteln genügend unterstützen. Aber dann am 26. April 1931 wurden sie abgeführt durch unsere Dörfer. Wir sahen sie vom Kuterchen aus längs der Gasse vorübergehen. Liefen noch hin, aber sprechen durften wir nicht mit ihnen. Sie gingen zur Station und fuhren nach Pokrowsk[1]mit der Bahn. Dort waren sie auch eine Zeitlang in Gefangenschaft. Später mussten sie Erdarbeit verrichten. Dort konnten wir sie schlecht mit Lebensmittel versehen. Sie bekamen lange nicht alles was wir hinschickten. Endlich wurden sie von dort fortgeschickt nach Kasachstan in das Dörfchen Maikuduck[2]. Sehr beschwerlich war die Reise. Mein lieber Julius hatte seine Lebensmittel und sein Geld als es auf die Bahn ging. Unterwegs haben sie sehr knapp Post bekommem. Auch die erste Zeit hier haben sie sehr schlecht gelebt, ungesalzene Suppen bekommen und wohl oft gehungert. Mein lieber Julius war auch eine Zeitlang geschwollen, aber der Herr hat ihn in Gnaden erhalten. Uns ließ man anfangs ganz im Unklaren über das Verschicken unserer Männer. Wir haben uns viel Sorgen und Gedanken gemacht und immer wieder alle und alles dem Herrn anbefohlen. Endlich kam ein Telegram, dass sie in Kasachstan angekommen seien. Es wurde uns gesagt, dass wir auch bald nachgeschickt werden sollten. Wir packten und backten. Es war wohl mehr wie 3 Mal dass uns das Datum angesagt wurde, wann es weggehen sollte und immer wurde es aufgeschoben. Endlich den 16. Juli 1931 wurde es doch zur Wirklichkeit. Wir mussten fort, hatten alle unsere Sachen eingepackt, die durch die vielen Haussuchungen schon recht zusammengeschmolzen waren. Aber auf dem Wege sollten sie noch weniger werden. Einesteils freuten wir uns, dass wir zu unsern Männern geschickt werden sollten, aber so auf diese Weise die liebgewordene Heimat, den lieben Schwiegervater und andere Verwandte und Bekannte zu verlassen und in die Ferne zuziehen, fiel doch schwer. Als wir so fuhren ein Wagen nach dem andern, da war es mir als wenn ich einen langen Trauerzug sah und wir alle in den Tod fuhren. Wir waren 38 Familien, die ausgesiedelt wurden. Schon früh morgens kamen die Fuhrwerke und fort ging‘s. Durch die Dörfer ging‘s nur langsam. Es wurde noch manche Hand geschüttelt und ein letztes Lebewohl zugerufen. Auf der Steppe wurde übernachtet und am andern Tag ging‘s nach Seelmann. Wir hofften schnell wieder befördert zu werden, aber wir wurden alle in einem Mühl Hof versammelt, wo wir uns 8 Tage unter freiem Himmel aufhalten mussten. Es wurde doch nach unserer Hinsicht für uns gesorgt. Es waren nämlich große Kessel auf den Hof eingemauert und auch Holz wurde gebracht., dass wir alle kochen konnten. Den 23. Juli 1931 Wir fuhren von S[eelmann]. los an die Wolga. dort am Kontor haben sie uns nochmals gründlich bestohlen. Unser Fleisch, Eier, Nudeln und noch manches andere verschwand. Das Mehl und die Wiege ließen sie schon gar nicht aufladen. Man glaubte alles so nötig zu haben, doch man musste sich von einem Stück nach dem andern trennen. Wir fuhren bis zum späten Abend auf dem Dampfschiff, dann landeten wir in Pokrowsk. Kätel und ich mussten uns sehr quälen die Kästen mit den Sachen vom Dampfschiff herunterzutragen. Alles wurde ans Wolgaufer gestellt wo wir auch übernachteten. Am andern Tag den 24.07.wurden wir bei großer Hitze in einen Maschinenschuppen gebracht. Sie fingen schon früh morgens an die Sachen zu fahren. Wir hatten leider alles mitgegeben, bis wir an Stell und Ort kommen. Es wurde Mittag, die Kinder bekamen so Hunger und Durst. Eine Frau Grinke lieh uns etwas Kolatsch[3]. Wir tranken Wolgawasser dazu.
[1] AW. Pokrowsk wurde oft auch Kosakenstadt genannt. Zu Sowjetzeit und auch später Stadt Engels.
[2] AW. Maikuduck wurde später zum Stadtteil von Karaganda.
[3] Russisch = калач. Weißbrot.
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Die Kinder badeten sich in der Wolga, was ihnen eine rechte Wohltat war. Wir hoffen nun bald in den Zug zu kommen aber nein. Wir mussten dort liegen bis Montag den 3. Aug. Die Zeit wurde uns sehr lang. Sie schickten unsern Hans zu uns, der damals von Ostenelde schon einen Tag früher abfahren musste mit den Pferden und Ackergeräten. So hatte ich dann unsere 8 wieder um mich. Klein Julius war immer ziemlich munter trotzdem er den Durchfall hatte. Wir bekamen in Pokrowsk täglich Brot und Suppe heraus auch mitunter Brei. Aber zum Sattessen war es nicht. Das Kochen war hier sehr beschwerlich. Wenn man zum Brunnen nach Wasser ging, hat man sich Brennung zusammengesucht, was die Miliz nicht gerne erlaubte. Wir wurden hier alle ganz schwach und bekamen Durchfall.
Endlich durften wir uns rüsten zum Weiterfahren. Die Bagage hatten wir schon vorher aus den Kästen herausnehmen müssen und in Säcke packen, weil sie die Kästen nicht befördern wollten. Die Sachen wurden zur Bahn gefahren, wir gingen mit etwas Handgepäck nebenher. Ich hatte unser Juliuschen auf dem Arm und die andern um mich herum. Nur Hans war nicht dabei. Er musste bei der Bagage helfen. Wie wir nun so in Staub und Hitze gingen, kamen mir immer wieder die Worte in den Sinn: ‚So demütiget euch unter die gewaltige Hand Gottes“. O Herr verhilf mir doch zu dieser Demut, die vor Dir gilt.
Bis wir eingeladen waren, war es ganz dunkel. Mit uns wurde auch eine ganz schwerkranke Frau eingeladen. Sie starb den ersten Morgen. Dem Mann und ihren Kindern war es sehr schwer. Paar Stunden später kamen sie mit der Tragbahre und holten sie fort. Den ersten Tag war es sehr beklommen, den 2. Tag den 25.08. bekamen wir noch eine recht gute Krautsuppe. Wir hatten die nächsten Tage Regenwetter, sodass es uns gerade kühl wurde. Unser Bubchen wurde ganz krank. Brechen und Durchfall und Fieber dazu. Den 19.08. Die letzte Zeit auf der Bahn wurde uns sehr lang. Der Zug ging immer so langsam und hielt so viel. Wir alle wurden ganz schwach und kraftlos und kamen so den 17.08. endlich bei unserm Papa in Maikuduk an.
Ach wie freuten wir uns des Wiedersehens. Auch unser Papa sah sehr angegriffen aus. Wir lagen die ersten Tage an der Bahnlinie. Dann kamen wir nach Maikuduk. Da war erst kaum angefangen Häuser zu bauen. Wir lagen fürs erste unter freiem Himmel. Unser kleines Jungchen wurde immer schlechter. Den 22.08. hat es der liebe Heiland zu sich genommen. Mitachen und ich waren schon unterwegs recht geschwollen und konnten uns gar nicht erholen. Wir waren so recht mutlos. Mein lieber Mann hat mich öfters ermahnt, nicht den Mut sinken zu lassen, und es ist mir jetzt, dass ich zurückblicke so sehr schade, dass ich meinen Kindern nicht eine bessere Stütze gewesen bin.
Wir gruben uns nach einigen Tagen eine Simlinka. Das Dach bildete ein Strick an dem Decken befestigt wurden. Es war sehr mangelhaft, wenn Wind und Regen kam, sah es ganz trostlos aus. Die Kinder mussten arbeiten gehen. Hansel musste helfen Patzenhäuser bauen Kätel musste schmieren helfen. Das liebe Kind hat oft über Müdigkeit geklagt. Ich habe es nicht genug geachtet. Ende Sept. zogen wir unten in ein Häuschen, wo auch Janzens[1], Albrechts[2] und Esaus[3] wohnten. Es wurde bald empfindlich kalt. Unsere liebe Käte bekam sehr den Durchfall und war ganz furchtbar geschwollen. Ich hoffte ganz sie wollte wieder gesund werden. Doch es kam anders. Ende Oktober zogen wir oben ins Häuschen, wo


Penners. Abram Wiensen[4], Julius Wiensens[5], Herbert und Heinrich Isaaks und Engbrechts[6] wohnten.
[1] AW. Vermutlich Familie Wilhelm Janzen (1880-1933), keine GM
[2] AW. Vermutlich Familie Franz Albrecht (1884-1933), keine GM
[3] AW. Familien von zwei Brüdern: Hermann Esau (1884-1932), #346672 und Gerhard Esau (1886-1933), #347042
[4] AW. Familie Abraham P. Wiens (1878-1938), #1254681
[5] AW. Familie Julius P. Wiens (1885-1932), #1253850
[6] AW. Familie Kornelius Engbrecht (1875-1932), keine GM
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Hier starb unser geliebtes Kind unsere Kätel den 3. Nov. 1931 Ach der Herr hat uns dadurch eine tiefe Wunde geschlagen. Auch unser geliebtes Mitachen nahm er den 1.1.1932 zu sich. Auch sie litt an Durchfall und magerte ganz furchtbar ab. Mitachen habe ich doch die letzten Monate noch pflegen können, weil die Pakete von——
Ende vom Tagebuch.

Anna Bergmann ist am 14. Februar 1933 in Russland <Kasachstan. AW> gestorben.
Julius Bergmann ist am 22. Dezember 1965 in Russland <Kasachstan. AW> gestorben
Die Kinder des Julius Bergmann.
Aus 2. Ehe mit Käthe Neufeld Sohn Peter geb. 1909 wurde erwachsen. Heiratete und wurde verhaftet und am 8. 11. 1938 erschossen. Hinterliess 2 Söhne.
Aus 3. Ehe mit Anna Andres
Hans geb. 11. April 1915
Käthe geb. 4. Maerz 1917 – gestorben 3. Nov. 1931
Elisabeth geb. 24. Sept. 1918
Paul geb. 17. Maerz 1920
Anna geb. 31. Okt. 1921
Irmgard geb. 1. Mai 1923 – gestorben 7. Juni 1923
Cornelius geb. 4. Mai 1924
Maria geb. 27. Aug, 1925 – gestorben 1. Jan. 1932
Totgeburt im Nov. 1926
Fehlgeburt 1. Jan. 1928
Julius geb. 19. Feb. 1931 – gestorben 22. August 1931