Lebensgeschichte von Ernst Penner (1923-2014)

Diese Lebensgeschichte seines Onkels hat mir Manfred Penner zugeschickt. Ernst Penner hatte sie in einem Heft in Russisch aufgeschrieben. Ein andere Neffe Dietrich Penner hat diese Geschichte ins Deutsche übersetzt. Ernst Penner beschreibt seine Kindheit in Fresenheim, Am Trakt, die Flucht seiner Familie in die Region Kuban (wegen der Verhaftungsgefahr seines Vaters), die Deportation 1941 nach Nordkasachstan, Jahre in der Trudarmee in Ural und Karaganda, das Leben seiner Familie in Karaganda nach dem Krieg, bis zur Auswanderung nach Deutschland 1992. Ich habe einige Tippfehler ausgebessert, Fußnoten und Kommentare hinzugefügt. A.W.

 Geschichte 
der Umsiedlung den Deutschen nach Russland
in 12,16,17,18 und 19 Jahrhunderten

Seite 1
Schon im 10 Jahrhundert gab es mutige Deutschen, die aus Westpreußen nach Russland wanderten, und die sich in Stadtviertel der Städte Moskau, Petersburg, Kiew niederließen. Schon in 12 Jahrhundert heirateten Söhne von Moskau- und Kiewsfürsten deutsche Frauen und schon zur diesen Zeit konnte man bis 1000 deutschen Frauen zählen, die russischen Fürsten geheiratet haben. In 16 Jahrhundert ist in Moskau die deutsche Sloboda entstanden, wo in 400 Höfen 18000 Deutschen lebten, bei 200000 Gesamtbewohner von Moskau.

Seite 2
In der Regierungszeite von russische Zaren Peter der Großen (1682-1725), der das Fenster nach Westeuropa öffnete, war die erste Welle der Übersiedlung von Deutschen aus Preußen nach Russland. Das waren vor allem Deutsche aus westlichen Gebieten Preußen – Hassen, Köln, Hamburg und Lübeck meistens Katholiken.
Nach Einladung von Peter I kamen viele Wissenschaftler, Militärs, Händler und Bau-Leute.
Petr der I zu seiner Zeit war in Hamburg auf einer Werft, wo er als Helfer bei unterschiedlichen Arbeiten das Bauen von Schiffen lernte.
In der Zeit der Herrschaft von Katharina die II (1762-1796) gab es zwei große Wellen von Deutschen aus Westpreußen – Hessen, Rheinland,

Seite 3
Danzig Ostpreußen etwa 10 Tausend Deutschen. Ihr Weg ging über Nordsee bis Petersburg und Riga und weiter auf den Landwegen über Moskau nach Wolga wo Katharina die II denen das Land gegeben hat. Die anderen wanderten auf dem Lande mit Kutschen Richtung Königsberg und Riga. Ein Teil von ihnen fuhr weiter nach Moskau und Wolga. Viele gingen nach Süden, Richtung Kiew und Dnjepr zur Schwarzmeerküste. Kurz nach der Ankunft, in 3-5 Jahren wurden viele Siedlungen und kleine Städte gebaut, waren die ganze Regionen besiedelt.
Katharina die II hat ein Manifest mit 4 wichtigen Punkten herausgegeben:

Seite 4

  • Alle Ausländer, die nach Russland kommen, dürfen sich dort niederlasse, wo es ihnen gefällt
  • Alle Ausländer dürfen ihren Glauben nach Kirchlichen Vorschriften praktizieren.
  • Alle Ausländer waren für 5-10 Jahren von Steuern befreit.
  • Alle Ausländer, die neue Flächen besiedelten, bekamen das Land in Zeitlich unbegrenzte Nutzung und dürften das kaufen und verkaufen.

Es wurde auch betont, dass die Übersiedler jede Zeit Russland wieder verlassen dürfen.

Seite 5
Während der Herrschaft von Alexander den I (1801-1825),war im Jahr 1805 die größte Welle der Übersiedlung von Deutschen aus südlichen Regionen Preußens nach Russland. Ein Teil der Deutschen kam aus dem mittleren Teil Preußen, aus Dresden, Schlesien und Sachsen sie fuhren Richtung Warschau und weiter Richtung Süden zum Schwarzmeer, Krim und Kaukasus.
Viele bewegten sich auf den Flüssen (Donau) mit Schiffen und gingen aufs Land in Bukarest, Belgrad und Budapest und besiedelten ganze Gebiete. Sie gründeten auch viele Siedlungen am Schwarzmeer und in der Krim. Insgesamt waren das 26.345 Seelen. Vor allem, waren das Schwaben.

Seite 6
Ein Teil der Übersiedler, die unter Katharina der II kamen, gingen an die Wolga, wo sie Ganze Gebiete besiedelten und gründeten viele Siedlungen und Städte Saratow, Engels, Kukus. Später ist auf dem Ufer von Wolga die Deutsche Republik endstanden.
Unter den Nationalitäten in Preußen gab es Mennoniten. Dieser Glaube ist von einem Deutschen namens Menno Simons in 14 Jahrhundert entstanden und der hatte Herkunft von einem deutschen Theologen aus Holland.
Mennoniten wurden nicht als Volk und auch nicht als Glaube anerkannt. Dieses Volk war sehr überzeugt von ihrem Glauben. Die charakteristischen Unterschiede des mennonitischen Glaubens von anderen Religionen war ihre Mündliche Sprache und, im Unterschied zu Orthodoxen, die Kindern werden

Seite 7
erst mit 16 Jahren getauft. Außer dem protestierten sie gegen den Militärdienst und nahmen keine Waffen in die Hände. Wegen diesem Protest wurden sie von den Machthabern verfolgt und vernichtet. In zwei Jahrhunderten hat sich diese Nation sehr vergrößert und, wegen Verfolgung, sind viele nach Kanada und Südamerika ausgewandert.

Wegen Verfolgung gingen viele nach Osten, nach Polen und Preußen. Nach den Kriegen zwischen Preußen, Österreich, Polen und Russland im 17 Jahrhundert, die Polen verloren hat, wurde Polen zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt. Das Teil, wo die Mennoniten lebten, ging an Preußen.
Noch anfangs 17 Jahrhundert hat der polnische

Seite 8
Zar Siegesmund gab den Mennoniten das Marienwerder Tiefland bei Danzig. Er wusste, dass Mennoniten gute Landwirte sind und war sicher, dass sie diese Flächen zur Fruchtbaren Böden machen. Der polnische Zar schrieb ein Manifest, dass dieses Land für immer an die Mennoniten ging und versicherte ihnen die Glaubensfreihat und die Befreiung vom Militärdienst. Mit ihrer mühevollen Arbeit machten die Mennoniten in zwei Jahrhunderten diese Flächen zu den fruchtbaren Landschaften.
Nach dem Übergang an Preußen im Jahr 1772, hat das Manifest von polnischem Zar Siegesmund seine Gültigkeit verloren. Und russische Zarin Ekaterina II hat die Mennoniten zu sich eingeladen und hat ihnen

Seite 9
Länder und Territorien in Russland gegeben. Oben habe ich schon geschrieben, wo diese Völker dann hin kamen.
Die Zarin wusste, dass große Gebiete Russlands noch nicht bewohnt sind und werden nicht bearbeitet und sie war sicher, dass diese Völker werden zum Vorbild in der Landwirtschaft für Russen sein, und tatsächlich, haben sie das Vertrauen der Zarin nicht enttäuscht. Später wurde der Ernteertrag bei diesem Volk zwei Mal größer, als bei russischen Bauern, was durch eine schwere hartnäckige Arbeit erreicht wurde.
Unter diesen Mennoniten in Holland wurden meine Vorfahren geboren. Zwei Generationen sind in Ostpreußen in Marienwerder Tiefland geboren, das war Penner Jakob geb. 1754 er erbte das Gut von seinem Vater Penner Gerhard,

Seite 10
und Penner Wilhelm[1] erbte das Gut von seinem Vater Penner Jakob im 1811 nach seinem Tod. Penner Heinrich[2] erbte das Gut von seinem Vater nach seinem Tod im 1798 und nach dem Umzug nach Russland nach der Einladung von Zarin im 1825 er hat das Landgut in Fresenheim[3] an der Wolga aufgebaut.
Penner Leonhard[4] erbte das Gut von seinem Vater Penner Heinrich im 1830. Penner Artur[5] – mein Vater erbte das Gut von seinem Vater (also von meinem Opa) im 1927. Ich konnte nichts erben. Der Vater starb, genau gesagt wurde erschossen, am 28.02.1937.
Hier sind auch meine Geschwister geboren – Katja, Wanja, Lena und Artur.
Es wurde vereinbart, dass jede Familie aus dieser Gemeinde von 100 Familien,
[1] Wilhelm Penner (27.02.1798 – 23.04.1874), GRANDMA #342403
[2]Heinrich Penner (23.02.1830 – 05.02.1905), GRANDMA #342405
[3] Fresenheim wurde erst 1856-1859 gegründet. <Nach meiner Meinung wurden auf dieser Seite viele Daten ungenau angegeben. So war Wilhelm Penner mit seiner Familie erst 1855 nach Russland eingewandert. A.W.>
[4]Leonhard Penner (01.12.1865 – 21.01.1927), GRANDMA #132341. Aus dem Tagebuch von Johannes D. Dyck ist bekannt, dass Leonhard Penner mit seiner Tochter Käthe verheiratet war und mindestens bis zu 1898 zusammen mit seinem Schwiegervater gewirtschaftet hat.
[5] Artur Penner (16.10.1895 – 28.02.1937), GRANDMA #1118662

Seite 11
350[1] (Taler) pro Familie bekommt, die man in der russischen Botschaft Berlin bekommen konnte. Jeder Familie wurden 360[2] Desjatin zugeteilt, insgesamt 1620 Desjatin.
Zum größten Teil wanderte diese Gemeinde mit Kutschen Zügen bis Königsberg, und weiter bis Riga und Moskau, nach Wolga, wo russische Zarin ihnen das Land gegeben hat. Der erste Kutschen Zug mit 21 Familien überwinterte im russischen Dorf „Waluewka“[3]. Die Züge waren 3 Monaten unterwegs, in dieser Zeit hat man viele Pferde und das Vieh verloren. Man hat unterschiedliches Inventar, Ziegelsteine und Vieh mitgenommen. Schon am Ziel hat man fehlende Sachen, Pferde und Kühen nachgekauft. Im Winter kaufte man Baumaterialen und lagerte jeder auf seinem Grundstück.
[1] Bei ihrer Abreise aus Preußen musste jede Familie im russischen Konsulat in Berlin mindestens 350 Taler Pfand hinterlegen. Dieses Geld wurde ihnen in Russland, nach Abzug der Resekosten, zurückgegeben.
[2] In Russland, Am Trakt bekam jede Familie 65 Desjatin Land.
[3] Walujewka wurde als Dorf der Kolonie Am Trakt erst ca. 1875 gegründet. Teil der ersten 21 Familien überwinterte im lutherischen Dorf Warenburg an der Wolga.

Seite 12
Im Frühling, als der Schnee begann zu tauen, hat jede Familie auf ihrem Grundstück eine Erdhütte gebaut und ist dorthin umgezogen. In jedem Dorf baute man eine große Erdhütte, die als Schule und an Sonntagen als Kirche diente.
Während sechs Jahren nach 1789 wanderten alle Mennoniten dieser Gemeinde aus Westpreußen, aus Danzig – Marienwerder Tiefland vor allem nach Süden, Wolinien und noch südlicher. Während dieser Zeit bauten 100 Familien von Einsiedler auf dem linken Ufer von Wolga 9 Siedlungen.
Alle Dörfer richteten sich von Süd nach Norden Wolga entlang. Siedlung bestand aus einer Straße, in der Mitte wurde ein Brunnen ausgegraben. Die Brunnen erreichten die Tiefe von

Seite 13
30 Meter, oberhalb vom Brunnen baute man Gerüst ein Schutzbau in dem sich im Kreise ein Pferd bewegte und damit große hölzerne Eimer mit Wasser nach oben zog. In diesem Häusle war eine große Trommel mit zwei dicken Seilen aufgebaut, so dass wenn ein Seil das Fass mit Wasser nach oben zog, ging das Seil mit anderem Eimer nach unten. Und so holten die Eimer das Waser periodisch nach oben und kippten es in ein Behälter aus dem das kommende Vieh trinken konnte. Dieser Holztrog war aus einem 5 m großen Stamm ausgeschnitten, aus dem das Vieh das Wasser trank. Jeder Hauswirt hatte eine Kutsche mit einem Wasserfass, mit der er Wasser für eigenen Bedarf transportierte. Später, als die Landgüter aufgebaut wurden, hat man direkt in den Pferdestalls Brunnen gebohrt.

Seite 14
Die Bauten dieser Landgüter waren den Bauten in Danzig ähnlich. Die Häuser standen auf großen Fundamenten, mit einem Erdgeschoss aus mehreren Zimmern: Schlafzimmern, Wohnzimmer, Küche. Das Haus war mit einer großen Antifeuermauer vom Stall getrennt, diese Mauer durfte nicht niedriger, als das Haus selbst sein (So waren die Brandschutzmaßnahmen). Gebäude waren aus Ziegelstein und Dächer mit roten Pfannen bedeckt. Hinter dem Pferdestahl wurden die anderen hohen Schuppen aufgebaut, wo unterschiedliches Inventar lagerte. Die Schuppen standen quer zum Pferdestahl und gegenüber war Getreidespeicher, wo man Getreide lagerte. So bildete das Hof etwa ein verlängertes Quadrat, das von allen Seiten mit Gebäuden geschützt war. Von außen war der Hof mit einem Holzzaun geschützt, mit großem Tor für Ein- und Ausfahrt. 

Seite 15
Alle Landgüter standen genau auf einer Linie. Der Straße entlang genau in einer Reihe wuchsen dekorative Bäume und Pflanzen – Akazien, Pappeln und viele anderen. Auf den Grundstücken waren die Fruchtbäume und Blumengarten.
Die Hausdächer waren spitz und hoch, der Dachboden wurde glattgemacht, es wurden Kammer und Räume gemacht für die Lagerung von notwendigen Sachen. Die Schornsteine wurden extra größer gemacht, sie hatten Metallstäbe auf denen man Schweinefleisch und Wurst räucherte. Es wurden kleine Türchen eingebaut und so entstanden Räucherkammern.

Seite 16
Während man jeder das eigene Landgut aufbaute, wurden mit Gesamtkräften Schulen gebaut, wo die Kinder bis 4-te Klasse lernten. Die Kinder befanden dort bis 4-te Klasse und dann gingen in die Weiteren Schulen nach Köppental. Das war das Zentrum wo auch Krankenhaus, Verwaltung und Läden gab. Köppental befand sich in der Mitte von Siedlungen und hatte mehrere Straßen.
Wie ich schon sagte, die Gemeinde hat 9 Siedlungen gebaut, die hissen: 1. Fresenheim, 2. Lindenau, 3. Hahnsau, 4. Köppental, 5. Hohendorf, 6. Lysanderhöh, 7. Orloff, 8. Ostenfeld, 9. Medemtal. Meine Vorfahren, zwei Generationen – der Vater und der Großvater sind in Fresenheim geboren und ich wurde dort geboren.
In der Zeit ging ich in die erste Klasse, Wanja und Katja gingen in dieselbe Schule, nur

Seite 17
sie waren eine oder zwei Klassen weiter, aber wir alle waren in einem Raum und bei allen begann der Unterricht morgens. Im Frühling gab´s immer viel Wasser, das heißt im Winter gab´s viel Schnee in dieser Gegend und der Frühling kam stark und plötzlich und auf den Straßen war viel Tauwasser.
Und so wir drei: ich, Katja und Wanja ritten in die Schule auf einem Pferd, das Pferd war aus Vaterswirtschaft, war ruhig und gehorsam. Wir kamen in die Schule, stiegen runter und klopften leicht auf das Pferd und das lief zurück nach Hause. Und um uns abzuholen, kam dann jemand extra. Im Winter machte man Schlittenkutschen und hinten mit einem Seil die ganze Ketten aus kleinen Schlitten für die Kinder.
Weil es im Winter viel Schnee gab, der dann sehr schnell taute, so floss das Wasser von den Feldern in die Schluchten. Jeder Wirt versuchte möglichst viel

Seite 18
von dem Tauwasser auf seinem Felde zu halten, man machte Dämme aus Erde, pflanzte unterschiedlichen Büsche und Bäume, die schützten im Winter vom Wind und hielten den Schnee auf. Der Wirt versuchte möglichst viel Feuchtigkeit auf seinem Grundstück zu halten, im Winter verteilte den Mist auf seinen Feldern und das Tauwasser ging mit dem Mist in den Grund. Diese Anstrengungen hatten sich dann mit den guten Ernten ausbezahlt. Es gab auch trockene Jahren, aber die Ernte reichte dem Wirt für das Leben und zum Futtern von Vieh, Schweine und Gänse und anderes Geflügel. In guten Jahren verkaufte man der Überfluss und gab das an den Staat. In diesem Gebiet wurde eine Ziegelstein Fabrik gebaut, man brannte Ziegelsteine, für den Bau von Häusern und anderen Gebäuden, damit man sie nicht von weit weg holen brauchte. Es wurde eine Molkerei, Lederbearbeitende- und Konservierungsfabrik,

Seite 19
Holzwerkstätte man musste nicht weit weg fahren und es war billiger.
Die Menschen lebten im Wohlstand bis 1929. Im Jahre 29 gab es ein Dekret von Sowjetischer Macht die Siedlungen in Kollektive Eigentum zu verwandeln den Menschen alles wegzunähmen. Pferde, das Vieh, Inventar, Häuser – alles. Und auch noch dazu aus den eigenen Häuser verjagt, und die Männer verhaftet und verbannt in die Lager und Gefängnisse in Sibirien, nach Norden, weil das Volk besser und Wohlhabender lebte als die Menschen, Nachbarn in den anderen Regionen. Dieses bessere Leben bestand in der ständiger Arbeit im Winter und Sommer, am Tage und nachts, sie hatten wovon sie leben konnten und hatten Vorräte. Mehrmals wurden statistische Vergleiche der Ernte in verschiedenen Bezirks gemacht und

Seite 20
das Ergebnis zeigte, dass die Ernte bei Mennoniten durchschnittlich zweimal höher war, als in anderen Bezirken.
Wer von unseren Vätern konnte sich verstecken Ende 20-ger und Anfang 30-ger, die haben noch für die kurze Zeit überlebt, und später in 35-37 Jahren wurden alle verhaftet und in die Gefängnisse und Lager in Norden eingesperrt oder erschossen.
Die Zeit von 1921 bis 1929, die Zeit unserer Kindheit, war die schönste und glücklichste Zeit, sorgenlos und fröhlich, ohne jede Abenteuer, lebten wir mit unseren Eltern. Die Eltern haben uns ihre ganze Liebe, Freude und Aufmerksamkeit gegeben. Als ich 3 war, hat unser Opa Penner Leonhard in der Lederwerkstatt vier Pelzmäntelchen bestellt für seine vier Enkelkinder – für Wanja, mich, Harry (Sohn von Onkel Herbert[1], Vaters Bruder) und Viktor (Sohn von älterem Bruder meines Vaters Ivan[2]).
[1] Herbert L. Penner (02.03.1899 – 14.09.1937), GRANDMA #1196381
[2] Johannes L. Penner (02.12.1889 – 15.02.1942), GRANDMA #1196380

Seite 21
Er ging mit uns vier im Winter durch die Straße, hat uns an den Händen gehalten und war sehr stolz über seine Enkelkinder. Der Opa ist im Februar 1927 gestorben. Ich kann mich noch sehr gut erinnern wie er im Sarge lag und man konnte sein großen weisen Bard sehen. Er liebte mich sehr, setzte mich manchmal auf den Schoß und fragte mich wie viele Eier ich esse, und ich sagte – drei. Darüber hat er immer gelacht und hat sich gefreut.
Im Winter 1929 liefen die Soldaten mit Gewehren und Budenov-Mützen auf Ski durch die Felder zur Siedlung. Sie waren wie ein Orkan, Räuberbande, dieses Bild steht mir noch heute vor den Augen. Mama stand in der Saalecke, wir vier drückten uns an sie, und die Soldaten machten im Hause was sie wollten und brachten alles durcheinander. Die Oma setzte sich neben uns und die suchten überall im Hause und brachten alles, was denen gefallen hat auf ein Haufen in der Saalmitte. Denen war es egal,

Seite 22
sie raubten von Menschen alles, was sie sich mit eigener Arbeit in Jahrhunderten verdient haben. Sie folgten dem Aufruf von Lenin: „Wer war ein nichts wird zum Alles“ und vernichteten alles Gutes. Sie machten alles durcheinander, haben nach dem Vater gesucht, aber er war nicht da, er konnte sich rechtzeitig verstecken.
Den Vater nicht gefunden und aus Hass zu uns, zu Mutter und Oma, jagten uns aus dem Hause auf die Straße, während der Winterzeit nur in dem, was an uns war. Auf unserer Straße, gegenüber lebte ein älteres Paar im kleinen Landgut und man hat sie nicht angefasst. Sie haben uns aufgenommen und wir lebten bei denen eine Zeitlang. Ich kann auch an eine Nacht erinnern, als ein Landgut in der Nachbarschaft brannte, in unserem Landgut zerstörte man großen Getreidespeicher.
Neben dem Haus, wo wir kurze Zeit Wohnten

Seite 23
gab es, oder genauer stand ein kleines Häusle, in dem niemand wohnte und wir sind dort hin übergegangen zum Wohnen. Hinter dem Haus war ein Strohschober, damit konnten wir den Ofen beheizen damit es warm wird, es war noch Winter. Die Menschen gaben uns eine gute Ziege, ich weiß, dass die Mitter sie melkte, es gab gute Milch von der wir lebten, wahrscheinlich haben uns das Menschen gegeben. Als der Frühling kam, es war sehr viel Wasser und Schlamm, einmal nachts kam der Vater mit großer Kutsche auf die er uns alle und alles, was wir hatten aufgeladen hat, und hat uns weggefahren. Ich erinnere mich wie wir nachts durch eine Schlucht fuhren und vor Morgendämmerung kamen in ein russisches Dorf. Wir sind neben einem kleinen Haus angehalten und gingen alle rein. Dort war ein russischer Ofen und es war warm. Dort wohnten wir nicht lange, in diesem Dorf, das hieß Iwanowka.
Eines Tages sagte der Vater

Seite 24
zur Mitter, dass wir aus diesem Dorf weg fahren müssen, weil man erfahren hat wo der Vater sich befindet. Und wir fuhren nach Kaukasus in die Stadt Kislar, aber lebten dort nicht lange, der Vater hat während dieser kurzen Zeit eine Arbeit gefunden. Wir haben uns ein 6 Monate altes Schwein gekauft. Haben das Zeitlang gefuttert und gemästet. Es gab damals eine Anweisung, dass bei der Mästung eines Schweines die Haut muss abgezogen werden, wir haben das nicht gewusst und Haut nicht abgezogen, jemand hat das der Milizija gemeldet. Milizionäre sind zu uns gekommen und haben den Vater und auch das Fleisch mitgenommen, und haben ihn dort gezwungen die Haut in Teilen abzuziehen. Ich wurde damals krank geworden, ich hatte Typhus und war im Krankenhaus eine Zeitlang, dann nahm man mich zurück nach Hause. Nach diesem Vorfall hat man angefangen den Vater zu verfolgen und wir mussten wegfahren. Der Vater ist mit uns in ein russisches Dorf

Seite 25
„Podresenka“ gefahren. Es war ein kleines Häusle, ein Zimmer, ein großer russische Offen, wenn man heizte, war es warm. Es sind anderthalb Jahre vergangen, aber unserem Umherwandern ist ein Ende gekommen, es war 1930 Jahr, es war Winter.
Der Vater hatte keine Arbeit, wir führten sehr armes Leben, hatten keine Einkünfte und, zum Unglück, ist in unserer Familie Typhus ausgebrochen. Dies ist eine Typische Entwicklung, da, wo Armut und Not sind, entstehen auch die Epidemien. Der Vater, Wnja und Katja wurden krank. Die anderen hat es nicht getroffen, ich hatte schon im Sommer Typhus überstanden. Ich war der einzige noch gesunde Mann, der noch etwas unternehmen konnte. Ich war 7. Zu meinen Aufgaben gehörte Brandholz für den Offen zu holen, das Wasser aus dem Fluss bringen und etwas zum Essen zu finden für die Unterstützung unserer Familie. Gleich hinter dem Dorf war ein Wald und ich ging in den Wald und

Seite 26
sammelte dort trockene Äste um den Ofen zu beheizen. Das Wasser musste ich aus dem Fluss holen, das Flussbett war sehr tief und ich konnte nur einen halben Eimer nach oben tragen. In unserem Zimmer, wir vier, saßen auf dem Offen, dort war der wärmste Platz, Katja hat Typhus leichter, als Vater und Wanja, überstanden und hat uns oft viele Märchen und Geschichten über das schöne Leben und Essen erzählt. In die Schule sind wir an diesem Winter nicht gegangen, wir hatten weder Filzstiefel, noch Kleidung, aber die Kälte war sehr stark. Im Dorf gab es keine Schule, die gab es in der Nachbarsiedlung.
In fünf km von uns, von dieser Siedlung Wohnten entfernte Verwandten von unseren Eltern und sie teilten uns mit, dass jemand von uns kommen sollte und sie geben uns etwas Nahrungsmittel. Ich war der einzige, der gehen konnte. Ich kannte den Weg, man sagte mir, dass ich dem Wald entlang gehen sollte und der Weg führte direkt zum

Seite 27
Landgut, wo sie wohnten. Als ich kam, war gerade Mittagszeit und sie haben gegessen. Man setzte mich an den Tisch und ich aß mich satt, man gab mir auch etwas Mehl, Butter, Brot und Kartoffel. Man legte in die Ecken von kleinem Sack Kartoffeln, band den oben zu und so ist ein Rucksack entstanden und ich ging nach Hause. So ging ich alle ein paar Tage und brachte uns das Notwendigste, so konnten wir mit Gotteshilfe überleben. Da, wo im Hause Elend und Armut herrschen, verbreiten sich sofort Mäuse und Ratten. Ich erinnere mich, als wir am Tisch saßen und gegessen haben, sprangen die Mäuse direkt auf den Tisch und ich hatte ein Stöckchen, mit dem ich sie vertreiben musste.
Vater und Bruder waren in einem schweren Zustand, es gab keine Medikamenten und dazu mangelnde Ernährung. Eine Nacht standen wir alle am Bett von Wanja, war Kriese in der Krankheit, wir dachten, dass er stirbt,

Seite 28
aber Gott gab ihm Kraft und er hat überlebt. Der Vater war auch sehr schwach, aber auch er hat überlebt. Die Mutter hat uns abends oft die Bibel gelesen, wir alle haben geglaubt das Christi uns rettet. Einmal nachts klopfte jemand stark in unsere Fenster und man schrie laut: „Es brennt, es brennt!“ Es stellte sich heraus, dass der Ruß im Schornstein unseres Hauses hat angefangen zu brennen. Das Feuer ging hoch. Das Dach war aus Stroh aber war mir dem Schnee bedeckt. Wir öffneten die Tür, die Menschen kamen rein und haben uns schnell rausgeholt, und die Männer stiegen aufs Dach und löschten Feuer mit dem Schnee. Die Menschen haben gesehen im welchen Elend wir lebten, haben angefangen uns Kartoffel und Milch zu geben, die Menschen waren gut. Dank gemeinsamen Anstrengungen haben wir überlebt, der Schnee ist weggegangen, es war schon Frühling, aber Wanja war noch sehr schwach. Weiter nach Nordosten von uns, nahe

Seite 29
zu Dagestanischer ASSR und Schwarzmeer hat Deutschland das Land gepachtet[1], ich weiß nicht genau wieviel. Auf dieser Fläche wurden 6 Siedlungen gebaut, mit Schweinefarmen, Michfarmen, Obstgärten es wurden auch Kombinaten gebaut für Fleisch- und Milchbearbeitung. Es gab Mühlen, Felder mit unterschiedlichen Getreidesorten. In der Siedlung Nr. 2 war die Verwaltung. Es wurden große Wirtschaften gebaut, kamen viele Menschen es gab Arbeit, die man gut bezahlte. Der Bruder vom Vater der Onkel Herbert lebte und arbeitete in der Siedlung Nr. 2 auf deutschen Farm nicht weit von Kropotkin. Onkel Herbert und Onkel Peter Siebert[2] kamen unserer Familie zu Hilfe und rissen uns aus der Hölle. Onkel Peter Siebert kam und holte uns auf diese Konzession. Wir fuhren mit dem Zug
[1] Von 1924 bis 1933 befand sich in der Nähe der Stadt Kropotkin im Gebiet Krasnodar die Landwirtschaftliche Versuchsfläche der Deutsch-Russischen Saatbau AG (DRUSAG). https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Russische_Saatbau_AG. Davon ist hier die Rede. A.W.
[2] Peter Siebert (15.01.1886 – 17.09.1933), GRANDMA #132300

Seite 30
Wanja war noch so schwach, dass man ihn unter dem Arm halten musste. Es war eine ordentliche Strecke die wir zu fahren hatten, aber wir sind gut angekommen. Erst kamen wir nach Kropotkin, wo uns ein Bekannte von Onkel Herbert mit einer Kutsche abgeholt hat. Er hatte ein großes Brot dabei. Er stand an der Ausgangstür von Eisendahn-Wagen gab jedem ein Stückchen Brot. Anderen Menschen haben gesehen, dass man Brot verteilte und sofort streckte man zu ihm Hände von allen Seiten und bettelten um Stückchen Brot, alle waren hungrig, weil es ein hungriges Jahr war. Das Haus in dem Onkel Herbert und Onkel Petja Siebert wohnten hatte drei Zimmer und in dem wohnten drei Familien. In erstem Zimmer lebte Onkel Petja S. mit seiner Familie, Frau und fünf Kinder, drei Mädchen und zwei Jungen. In mittlerem Zimmer wohnte Onkel Herbert

Seite 31
mit seiner Familie, Frau und drei Jungs – Harry, Walter und Otto. Im dritten Zimmer wohnten wir, Vater, Mutter und 5 Kinder. Wir lebten in der Enge, aber einträchtig, auf dem Hof war ein Kindergarten mit 13 Kinder, dort stand auch die Küche und auch ein Schuppen wurde gebaut, in dem wir uns befinden konnten. Es war schon warm und wir konnten auf dem Hof und im Schuppen spielen.
Aber wir lebten dort, auf der 2 Siedlung, nicht lange, der Vater hat Arbeit als Leiter einer Bäckerei und eine Zweizimmerwohnung auf der 6 Siedlung gefunden. Und zogen bald dorthin, es war Sommer 1931. Im Winter dieses Jahres kündigte Deutschland den Vertrag über Verpachtung dieses Landes. Und Deutsche haben kurz vor Neujahr eingepackt und fuhren nach Deutschland. Sie haben sich in den Waggons gemütlich gemacht, haben die Tannenbäume aufgestellt und feierten unterwegs Weihnachten und das Neujahr. Uns ging es in dieser Siedlung gut, wir waren satt

Seite 32
angezogen, spielten auf der Straße mit Kindern der unterschiedlichen Nationen, aber wir waren freundlich zu einander wir fühlten keinen Hass gegen Deutschen. Wir sind in die Schule gegangen, aber wir mussten eine Klasse niedriger anfangen, da wir noch nicht so gut russisch konnten und wegen dem Umzug ein Jahr lang nicht in der Schule waren.
Da die Konzession aufgelöst wurde, Menschen, die bei den Deutschen gelebt und gearbeitet haben, sind in andere Gebiete weggezogen, weil sie von den Regierenden verfolgt wurden.
Der Vater musste auch wegfahren, und er ist mit uns in ein russisches Dorf gefahren, aber wir lebten dort nicht lange, es kam Frühling der Schnee war schon weg, aber es war viel Matsch. Ich erinnere mich wie wir mittags aus dem Hause barfuß auf den Hoff liefen, es war warm, aber im Schatten lagen noch

Seite 33
Häuflein Schnee. An manchen Stellen ist schon das erste Gras erschien und dazwischen wuchsen wilde Zwiebeln oder Knoblauch wir pflückten das und aßen. Gleich hinter den Häusern war eine tiefe Schlucht in der mit lautem Geräusch strömte das getaute Wasser, wir sind oft dorthin gegangen um zu schauen und hören, wie das Wasser in der Schlucht rauscht.
Der Vater führ in dieser Zeit durch die Siedlungen des Bezirks und suchte Arbeit, und er fand Arbeit in einem russischen Dorf. Das war eine große Siedlung namens Tarumowka. In dieser Siedlung gab´s eine Zehnjährige Schule mit Internaten für Jungen und Mädchen aus anderen Siedlungen. Der Direktor der Schule Wasilij Lukitsch Dubowez hat in als Verwalter der Schule eingestellt <Schulmeister>. Er musste nach der Ordnung in Schulischen Gebäuden

Seite 34
und Ernährung der Schüler in der Kantilene schauen. Ich erinnere mich, wie der Direktor selbst mit einer Kutsche in unser Dorf kam und fuhr uns nach Tarumowka und man gab uns eine Zweizimmerwohnung. Unterwegs hat er uns nachgefragt wo wir lebten und wo wir gelernt haben. Wir konnten noch schlecht russisch, aber nach Möglichkeit, haben wir im geantwortet. Direktor hat Mutter als Köchin eingestellt und unser Leben hat sich langsam wieder normalisiert. Wir mussten eine Klasse niedriger anfangen wegen schlechten Russisch Kenntnissen und oft fehlendem Unterricht. Wir haben schnell unsere Kenntnisse verbessert und bald waren wir unter den besten Schülern. In diesem Dorf lebten mehrere
Nationalitäten: vor allem Russen, Armenier, Kalmyken und drei deutsche Familien

Seite 35
 – wir, Deutschlehrer Rempel und Physiklehrer mit der Familie. Wir, Kinder haben uns mit anderen Familien schnell befreundet und spürten keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten, wir alle waren gleich.
Schon ab 7. Klasse wählte man mich zum Klassensprecher, als besten Schüler und ich hatte auch organisatorische Begabung. Und so wurde ich jedes Jahr bis zur 10. Klasse zum Klassensprecher gewählt.
So lebten wir nicht schlecht wehrend 5 Jahren bis zun Jahr 1937, wir waren satt und angezogen. Die Siedlung Tarumowka war groß, 4 oder 5 Straßen und etwa, ich weiß jetzt nicht mehr genau, um die 1000 Einwohner. Es gab drei Landwirtschaftliche Brigaden, die haben Getreide und Reis angebaut. Zwei Brigaden waren mit Weinbau beschäftigt

Seite 36
und zwei mit Gemüseanbau. In diesen Brigaden arbeiteten hauptsächlich Frauen. In der gemeinsamen Bewirtschaftung befanden sich Traubengärten, die sich mehrere Kilometer lang zogen. Alle Traubenpflanzen wurden an Pfählen befestigt, die in die Erde eingeschlagen wurden und hissen Tarkalen. Im Herbst, als alles schon geerntet war, zog man sie aus der Erde und stapelte auf den Wegen, wo man mit Kutschen fahren konnte. Im Herbst bog man die Reben zur Erde und schüttete diese mit der Erde zu, für den Winter. Weil es im Winter auch Frost gab. Im Frühling befreite man sie wieder aus der Erde und befestigte auf Tarkalen.
Mitte Februar fuhr Vater in Bezirkszentrum Kislar um

Seite 37
Lebensmittel für die Schule zu holen und kam nicht zurück, wir haben ihn nicht mehr gesehen. Er wurde vom KGB verhaftet, so wie viele Millionen Menschen, die in Gefängnisse kamen, wurden mit Etappen nach Sibirien in die Lager gebracht, in den Norden und wurden erschossen. Sie wurden in unerhörten Verbrechern beschuldigt, gefoltert, geschlagen. Die Menschen hielten die Folter nicht aus und haben alle Vernehmungsprotokolle
 unterschrieben. Sie wurden als Feinde des Volkes und Gegner der Sowjetischen Macht beschuldigt. So auch den Vater hat man als Feind des Volkes beschuldigt und 28 Februar 1937 erschossen. Da der Vater als Feind des Volkes genannt wurde, so durfte Mutter nicht mehr in der Schulkantine arbeiten und sie wurde in eine Milchfarm versetzt, die etwa 1,5 km weg vom Dorf lag. Wir mussten unsere Wohnung verlassen und zu der Farm in 1 Zimmer ziehen.

Seite 38
Und wieder hatten wir Nöte in Brot und Kleidung. In der Schule hat man uns nicht verachtet, wir spürten keine Erniedrigung, wir waren allen anderen Schülern gleich. Die Lehrern und Direktor wussten, dass die Beschuldigungen ungerecht waren, aber niemand sagte auch kein Wort zu Verteidigung, alle hatten Angst, das war eine schreckliche Zeit. In der Stalin-Zeit waren erschossen und zu Tode gefoltert in Gefängnissen und Lager mehr als 10 Millionen Menschen aus Sowjetunion. Erst später zurzeit Chruschtschow‘s, wurden sie alle von den Beschuldigungen frei gesprochen und rehabilitiert.
Wir lebten auf der Milchfarm 1,5 Jahre, obwohl wir Mangel am Brot und anderem spürten, aber wir, Kindern, waren immer fröhlich. Gingen in die Schule

Seite 39
immer vormittags, und wenn auch manchmal nachmittags, dann gingen wir nach Hause, ich meine zur Farm schon in der Dunkelheit, aber wir hatten keine Angst. Nach der Schule gingen in Weintrauben- und Obstgarten, einer war in der Nähe, und wir aßen Trauben und Früchte, als sie schon reif waren und waren satt. Milch gab es an der Farm genug, sie mussten wir nicht kaufen, man gab uns umsonst. Wir haben uns ein monataltes Ferkel gekauft, in der Nähe gab es eine Schweinefarm und man konnte billig kaufen. Nach dem Sommer und Herbst ist das groß geworden, wir futterten das vor allem mit der Molke von der Farm, die man uns gegeben hat. So hatten wir im Winter Fleisch, Wurst und Speck. Im nächsten Jahr hat man unserer Mutter diese Stelle, als Melkerin, gekündigt

Seite 40
und in die Gemüse Brigade geschickt. Dort war es viel schlechter für sie, in der Kälte, beim Unwetter, immer musste sie gehen. Schon im Februar 1937, als man den Vatter verhaftet hat, wurde sie auch verhaftet und nach Bezirkszentrum gebracht. Sie wurde dort 5 Tage festgehalten, danach ließ man sie frei, man hatte doch Mitleid, weil zuhause auf sie 5 Kindern warteten.
Als Mama in die Gemüsen Brigade versetzt wurde, bekamen wir eine Wohnung im Dorf, ein kleines Zimmer. Aus Möbel hatten wir ein Bett, zwei Truhen, 3 Hockern. Mama schlief mit Mädchen in einem Bett, ich mit Wanja auf den Truhen. Es gab ein kleines Fenster und wir alle fünf machten unter solchen Bedingungen unseren Hausaufgaben, und wir alle hatten gute Noten.
Unter diesen Bedingungen war es für die Mutter schwer, aber sie hat mit aller Kraft versucht uns eine gute Ausbildung zu geben.

Seite 41
Auch mit der Kleidung ist es schlecht geworden, im Kolchos zahle man ganz wenig Tageslohn. Am Ende des Jahres zahlte man einen kleinen Betrag aus, das aber weder für Essen noch für Kleidung reichte. Als Tageslohn gab man Geld, Getreide und Wein. Ich kann nicht genau erinnern, man gab uns einen Fass Wein etwa 500 Liter, dann haben wir im Kolchos ein Gespann der Stiere ausgeliehen fuhren den Wein in die Nachbardorfe, wo man keinen Wein produzierte. Ich glaube, wir hatten 1 Rubel pro Liter verlangt. Mama fuhr dann mit dem Zug nach Machatschkala und hat uns dort etwas Kleidung und Schuhen gekauft. So sind wir irgendwie weitergekommen. Ich erinnere, wie ich mir anstatt kaputt gewordenen Schuhen aus Planen Stoffselbstgemachte Schuhe aus Rindleder genäht habe und habe sie lange getragen. Sie waren stabiler, als die aus Planen Stoff. In diesen Schuhen bin ich auch in die Schule gegangen. Die Kinder in der Schule

Seite 42
haben mich nicht ausgelacht, sie hatten Mitleid mit mir. Ich erinnere dass viele solche selbstgemachten Schuhe zuhause und bei der Arbeit getragen haben, aber niemand kam so in die Schule. Die waren aber einfach zu machen. Man nahm ein Stück Leder, schnitt daraus ein Konus, etwas größeres als der Fuß, schnitt am Rande kleine Löcher, verband sie mit einer Schnur und zog zusammen so ist wie ein Bott entstanden. Man stellte dort die Fuß und zog Schnur fest zusammen, und der Schuh sah fest auf dem Fuß. Ich erinnere mich wie wir im Jahre 38 die Tante Meta in Winterferien besucht haben. Das war wohl das einzige Jahr, wo der Schnee im Winter einen Monat lang lag. Aber es war nicht kalt. Normalerweise, wenn der Schnee fiel, dann taute gleich weg, oder lag bis Morgen. In der Nähe von Lenindorf war ein kleines Dorf mit 6 oder 7 Höfen, sie stellten im Sommer einen Hirten für die Kühe ein,

Seite 43
und ich arbeitete dort als Hirt im Sommer wehrend Sommerferien in der Schule. So hatte ich bei Tante Methe übernachtet und frühmorgens ging zu Herde. Ich weiß es nicht mehr wieviel hatte ich pro Kopf im Monat bekommen. Die Menschen haben mich der Reih nach mit Frühstück und Abendessen versorgt und das Essen zum Mittag gab man mir mit. Einmal gab es so einen Vorfall, ich warf meinen Stock in Richtung einer Kuh und traf im Busch ein Bienennest. Als ich mein Stock holen wollte, haben die Bienen mich so stark gestochen, dass ich noch 3 Tage danach mit 41 Grad Fieber bei Tante Meta im Bett lag. Wir wohnten in Tarumowka auf der mittleren Straße Sowjetskaja. Die Straße war breit und in der Mitte gab es ein Wassergraben, dort, wo die Tiefe 1,5 m war, haben wir im Sommer immer gebadet, als wir noch klein waren.

Seite 44
Der Sommer war immer heiß und wir drei haben auf dem Hof unter einer Plane geschlafen, am Abend und nachts gab es sehr viele Mücken und ohne Plane konnte man nicht schlafen. Vor dem Einschlafen liefen wir immer zum Graben und sprangen kurz ins Wasser, dann liefen zurück unter die Plane. Schon damals haben wir gelernt gut zu schwimmen, was mir später sehr geholfen hat, ich hatte keine Angst vor dem Wasser, ob schnelles, oder tiefes u s. w.
Als der Vater mit uns war, hatten wir keine Probleme mit Nahrung oder Heizung und alles Notwendiges fürs Leben.
Als es den Vater nicht mehr gab, mussten wir selbst um uns Sorge tragen, in den Sommerferien haben wir versucht überall, wo es nur möglich war, etwas zu verdienen, auch an die Heizung musste man denken. Wir hatten eine Karre mit der wir im Wald trockene Äste als Brandholz sammelten, um im Winter den Offen zu heizen.

Seite 45
 Im Frühling nahmen die Winzer aus der Brigade einen Hocker, eine Axt und gingen in Weintraubengarten, setzten sich neben dem Haufen mit „Tarkalas“ und spitzten sie an, damit man sie besser in die Erde reinschlagen konnte und dann die Weinpflanzen zu befestigen. Im Frühling schnitt man auch zu viel gewachsene Zweige und sammelte außerhalb vom Garten, wo sie dann jahrelang lagen und wurden sehr trocken. Wir nahmen unsere Karre und fuhren zu arbeitenden Winzern und sammelten um sie herum liegende Spänen, sie waren trocken. Man hat uns das erlaubt, gleichzeitig sammelten wir auch Müll und es wurde sauber auf den Wegen. Wie ich schon oben sagte, war die Sowjetskaja Straße breit, nicht asphaltiert und im Frühling, in der Winterzeit und im Herbst gab es immer viel Schlamm. Da, wo wir wohnten

Seite 46
dieses Territorium gehörte zur Dagestans ASSR, wo Georgien, Tawlinen, Tschetschenen und andere Bergnationalitäten lebten. Tawlinen und Georgien waren vor allem mit Viehzucht (Schafen und anderem Vieh) beschäftigt, sie hatten viele Viehschuppen im Vorgebirge, d.h. Schuppen, wo Vieh und Schafen überwintert haben. Mit dem Frühlingsanfang trieb man die Schafe in die Berge auf die Weiden. Der Weg von diesen Herden ging durch die Tarumowka und Sowjetskaja Straße in die Richtung Berge und Weiden. Diese pausenlose Viehwanderung dauerte ungefähr einen halben Monat oder mehr. Wie ich schon oben sagte, im Frühling, Winter und Herbst gab es schlechtes Wetter mit vielen Niederschlägen und viel Schlamm. Beim Durchgang diesen Herden, diese Tausende und abertausende Füße wandelten unsere Straße erst in eine gut gemischte Masse um, und dann wurde sie zu eine

Seite 47
glatte gut gestampfte Fläche. Hinter jeder Herde führen mehrere Arben (Kutschen) mit Frauen und Kinder, um die Herde, vorne und hinten gingen große Hunde mit den Halsbänden in die man scharfe stechende Speere einmontiert hat. So ein Hund konnte alleine mit dem Wolf kämpfen. Einmal ging so eine Herde durch das Dorf und hinter den letzten Hunden lief ein Straßenhund und bellte, die großen Hunde schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Aber das ärgerte den Hirten, er rief etwas und seine Hunde zerrissen in wenigen Sekunden den Straßenhund.
Einmal gab es solches Vorkommnis. Es war die große Pause in der Schule, die Schüler standen in der Tür und schauten auf die vorbeiziehende Herde. Die Schule stand

Seite 48
auch auf unserer Straße. Hinter der Kutsche gingen alte Weiber mit keinen Hunden. Wir spielten mit kleinen Hunden und gaben denen was wir konnten. Und so gingen alle weg aber ein kleiner Hund ist bei uns geblieben. Erst außerhalb des Dorfes merkten die Tawlienen, dass ein kleiner Hund fehlt und drei Ritter kamen zurück. Sie trugen schwarze Burkas und waren wie ein Orkan, wir sind schnell in die Schule gelaufen. Wir wussten, dass das ein schlechtes Ende haben konnte und haben uns in der Schule versteckt.
Einmal ging ich mit unserer Karre um abgeschnittene Weinzweige zu holen, ich wusste, dass sie schon seit mehreren Jahren

Seite 49
dort liegen und gut getrocknet sind. Die Weintrauben waren schon fast reif, das Wächterhäuschen war weit Weg und ich pflückte mit etwas Weintrauben. Dann machte ich meine Karre voll mit trockenen Weinzweigen und ging zurück. Nicht weit von mir ging eine Herde, die Hunde haben mich gesehen und meine fahrende Karre schien den Hunden verdächtig zu sein. Mit lauten bellen kamen sie zu mir und umringte die Karre. Ich sprang auf die Karre. Zwei Hunde stellten die Pfoten auf die Karre und zeigten mir Zähne. Ich habe mich etwas beruhigt und habe angefangen sie mit Weinbeeren, die ich gepflückt habe, zu futtern, das schien den Hunden zu gefallen. Die Hirten haben mich gemerkt, haben gepfiffen und die Hunde liefen zurück. Und ich ging mit meine Karre nach

Seite 50
Hause. Ich war unversehrt, aber, ehrlich gesagt, sehr erschrocken. Aber Christi hat mich wieder gerettet.
Es gab auch so ein Vorfall, es war um die Mittagszeit, der Vater war noch zu Hause, er hatte gerade Mittagspause und wir kamen aus der Schule. Plötzlich sehen wir wie die Tawlinen in ihren schwarzen Burkas durch die Straße rennen. Und unter den Burkas hatten sie Dolche und kurze Gewehre. Es stellte sich raus, dass einer von Tawlinen seine Burka verloren hat, er war betrunken, in der Siedlung hatte fast jeder Wein, die wussten das, kauften Wein und tranken. Tawlinen kamen zu uns, gingen ins Haus und forderten vom Vatter dass er ihnen die Burka zurückgibt. Der Vatter hat sie etwas beruhigt, hat versprochen, dass sie die Burka schnell finden. Sie gingen zum Milizionär und haben mit ihm zusammen erst bei uns gesucht,

Seite 51
aber wir hatten diese Burka nicht, dann haben sie auf der Straße nachgefragt. Ein Junge auf der Straße sagte, dass er gesehen hat wie eine Frau eine Burka von der Straße ins Haus getragen hat, und zeigte auf das Haus. In diesem Haus haben sie auch Burka gefunden, haben sie genommen und fuhren weg. Das waren sehr herbe Menschen, die zu allem bereit waren. Wir alle waren sehr erschreckt, nur der Vetter war sehr ruhig und hat auch uns beruhigt.
Im Kolchos gab es solche Regel, man züchtete Seidenwürmer, die ihre Kokons machten, so groß, wie eine Walnuss, nur länger. Fast alle im Kolchos bekamen diese Würmchen und mussten sie futtern sie eine bestimmte Größe erreicht hatten und ein Eichen legte, aus dem wieder ein Würmchen entstand, das ein Häuschen aus seidenen Fäden baute. Ich weiß es schon nicht mehr genau, aber lange mussten wir

Seite 52
während der Sommerzeit, als alles grün war, Säcke mit den Blättern von Maulbeeren sammeln und nach Hause tragen. Die Würmchen haben dann diese Blätter gerne Weggefressen. Im Schuppen konnte man sogar Geräusche hören, wie sie gearbeitet haben. Ich weiß schon nicht mehr wie lange dauerte es bis ein Kokon fertig war, man musste sie dann im Kolchos abgeben und dafür gab es Tageslohn.
Noch pflanzte man Baumwolle und nach dem die Pflanzen sprießen zwang man Menschen sie jäten. Jede Familie hat ein Grundstück bekommen, den sie bearbeiten mussten. Im Herbst, als Vollerntemaschinen sammelten Wate aus den offenen Körbchen, blieben noch einige geschlossene Körbchen und Menschen mussten sie sammeln. Die Schüler mussten auch die Baumwolle sammeln, sie gaben die nach Gewicht ab und bekamen dafür Tageslohn. So lebten wir, alle haben gearbeitet sowohl alte auch kleine, es war schwer, oft mangelte es an allem,

Seite 53
 aber, trotz allem, waren wir immer optimistisch. Nach der Schule gingen wir immer in den Wald oder in den Garten und fanden uns immer etwas zum Essen. Ich erinnere mich, wie wir Körbe aus den Weidenzweigen flochten, wir nannten sie „Kubriki“, sie hatten etwas gezogene Form und auf der dickeren Seite ein Loch. Man warf etwas rein, gut war zum Beispiel gebrannte Brotkruste und stellte diese „Kubriki“ ins Wasser im See, in der Nähe von Schilf, man beschwerte den Korb, damit das Loch unter dem Wasser blieb. Am Morgen kamen wir und zogen „Kubrik“ aus dem Wasser und fanden dort oft ganze Schüssel Fische, wir trugen sie nach Hause und brieten. Oder fingen wir Krebse. Wir kannten Stellen, wo das Seeufer steinig war und unter dem Wasser waren solche

Seite 54
Spalten. Die Krebse krochen da rein und saßen drin. Wir schwammen dorthin, steckten Finger unter die Steine und zogen manchmal zwei oder drei Stück heraus. So hatten wir immer etwas gefunden. So lebten wir unseres Leben – schweres, armes, aber die Zeit ging und wir wurden schon fast erwachsen. Wanja war fast 18, in dem Alter wurden Jungs in die Armee eingezogen, ich fast 17, Katja zwei Jahre älter als Wanja.
Im Jahr 1941 wurde Wanja 18 und zur Armee eingezogen. Er war froh. Dieses ewiges Mangel an allem in der Familie, man hoffte, dass er satt wird. Er war angezogen – Wate-Jacke, Schuhen, ein Hemd und eine Schirmmütze. An der Einberufungsstelle alle Einberufenen bekamen Bekleidung, seine eigenen Kleider hat Wanja zurück nach Hause übergeben und ich hatte danach

Seite 55
etwas zum Anziehen. Als der Krieg begann, gab es in der Schule eine Kundgebung wo der Direktor in seiner Rede über den angefangenen Krieg informiert hat, er sagte, dass Deutschland ohne eine Kriegserklärung, treubrüchig die Sowjetunion angegriffen hat und dass wir, Kinder, müssen alle zusammen helfen dort, wo man nur kann. Diesen Sommer sind die Schüler älteren Klassen nicht in die Schule gegangen, alle haben bei der Ernte geholfen. In den ersten Kriegstagen wurde allgemeine Mobilisierung ausgerufen, das war schrecklich, das ganze Dorf war aufgeregt, Lärm, weinende Menschen, Musik, Abschied. Im September hat man in Schulen des Bezirks einige 17 Jährige Jungen ausgesucht, die dann weiter als Militärflieger ausgebildet werden sollten. Aus unserer Schule schickte man 3 Jungen – mich, einen Russen Kirpaja

Seite 56
Iwan und einen Armenier. Aus allen Schulen kamen etwa 48 Menschen zusammen. Wir drei aus unserer Schule haben alle Gesundheitliche Tests bestanden und wurden anerkannt als tauglich für die Fliegerschule.

Am Eingang hat man Listen mit den Namen von denen, die die Eignungsgstests bestanden haben und denen, die zur Ausbildung zugelassen waren, ich habe nachgeschaut – ich stand nicht auf der Liste, ich wende mich an Kapitän und frage ihn warum ich auf der Liste fehle. Der Kapitän frage nach meinem Namen, ich sagte ihm, er sagte, dass Deutschland einen Krieg mit uns angefangen hat, das sind Deutsche und wir, einheimische deutsche, müssen im Hinterland helfen.  Mich hat das gekränkt, ich bin hier aufgewachsen, wir haben zusammen gelernt und jetzt hat man sie genommen und ich bin geblieben.
Das war wohl wieder mein Glück, die Jungs lernten ein paar Monate fliegen und ab an die Front, die Flieger haben gefehlt,

Seite 57
und sie beide sind in den ersten Monaten in den Kämpfen umgekommen. So haben wir weiter im Kolchos gearbeitet und man stellte uns Striche[1].
Am 14 Oktober wurde ein Befehl erlassen, alle deutschen aus Europäischem Teil des Landes nach Sibirien und Kasachstan umzusiedeln. Die deutschen aus den Wolgagebiet wurden schon früher, schon im August umgesiedelt. Die Deutschen aus Kaukasus und anderen Regionen wurden innerhalb eines Tages vertrieben. Es wurde erlaubt so viele Sachen mitzunehmen wie man tragen konnte, man sagte, dass man bald zurückkommen werde. Wir hatten einen Hund namens „Indus“, der lief hinter uns in die Stadt, bis zum Bahnhof, wo man alle Deutschen aus der Region zusammen brachte. Sie wurden in den Zug, in die Viehwaggons, in welch zweistöckige Pritschen eingebaut wurden und so passten in den Zug etwa
[1] Jeder in der Kolchose bekam für ein Arbeitstag einen Strich auf seiner Liste. Am ende des Jahres hatte man Anspruch auf einen Anteil vom Gewinn entsprechend, den geleisteten Arbeitstagen. (Theorie, -in der Praxis, nach dem alles an den Staat abgeliefert wurde, blieb nichts zum Verteilen). AW

Seite 58
anderthalb tausend Menschen. Als der Zug losfuhr, stand ich in der Tür und konnte sehen wie unser „Indus“ aus letzter Kraft hinter dem Zug lief. Es schmerzt immer die Seele, wenn man so verbunden ist, nach dem er bei uns aufgewachsen war, und wir mussten ihn so zurücklassen.
Im Zug war ein Wagon, in dem waren die Soldaten von Innenministerium, sie haben uns begleitet und bewacht. Der Zug ging Richtung Süden, zum Kaspischen Meer nach Baku,
woher man uns mit Lastkähnen über das Meer nach Krasnowodsk bringen wollte, aber dort waren schon Deutsche, es wurde überall bombardiert und der Zug fuhr zurück nach Tichorezk, Salsk und richtung Norden nach Armawir und weiter zur kleinen Anlegestelle an der Wolga unter Stalingrad und man hat uns dort ausgeladen. Es war ein ruhiger sonniger Tag und eine Menschenmenge hat sich mit ihrem Gepäck beschäftigt. An Wolgaufer standen zwei große

Seite 59
Lastkähne und uns wurde befohlen auf sie zu gehen. An der Wolga standen Militärschiffe, auf dem Bahnhof Militärzüge in der Luft flogen Sowjetische Jagdflugzeuge. Plötzlich kamen drei große Flugzeuge, das waren deutsche „Junkers“, die Richtung Stalingrad flogen. Die Jagdflugzeuge waren sofort verschwunden. Wir konnten gut die Zeichen auf den Tragflächen sehen, die Menschen winkten mit den weisen Tüchern, aber sie schenkten uns keine Achtung, flogen weiter nach Stalingrad und warfen ihre Last- Bomben dort herunter und flogen zurück. Wir konnten die Explosionen gut hören, weil Stalingrad nicht weit war. Während des Rückfluges eröffneten die Militärschiffe und Luftabwehrkanonen von Bahnhof das Feuer auf die deutschen Flugzeuge, aber, leider, kein Geschoss hat das Ziel getroffen und Flugzeuge flogen ruhig zurück. Als deutsche Flugzeuge weg flogen, waren wieder

Seite 60
die Jagdflugzeuge in der Luft und kreisten über der Wolga. Als man auf die Flugzeuge schoss, haben sich die Menschen in Angst und Panik unter die Wagone versteckt. Später gingen sie auf die Lastkähne und setzten sich eng ein neben dem anderen so viele waren es, die auf diesen zwei Lastkähnen transportiert werden mussten. Danach kam ein kleiner Schlepper, und zog die beiden Lastkähne Flussabwärts Richtung Astrachan. So fuhren wir zwei Tage, während dieser Zeit hat sich das Wetter geändert, es regnete, und es gab keine Möglichkeit für die Menschen sich vom Regen zu verstecken. Alle wurden nass. Am zweiten Tag sind über uns die deutsche „Junkers“ geflogen, ganz tief, wahrscheinlich haben sie gesehen, wer wird gefahren und haben nicht geschossen

Seite 61
und nicht gebombt, so sind wir in Astrachan angekommen. Es war Anfang November, man hat uns ausgeladen auf linken Ufer Wolga und man hat uns gesagt, dass nach den Festtagen, das heißt, nach dem 7 November, werden wir weiter transportiert. Dort war ein Militärlager gewesen, Soldaten gingen an die Front und man hat uns in die leeren Erdhütten einquartiert. Während der Fahrt auf der Wolga sind viele Menschen unter dem Regen nass geworden und waren erkältet, aber es gab schon Morgenfrost und in den Erdhütten war es kalt. Gegen die Kälte musste man etwas unternehmen, man suchte Backsteine, baute kleine Öfen. Es gab kein Wald, aber irgendwelches Gebüsch, das benutzte man als Brennholz, Wasser holte man aus Wolga, die Menschen waren alle aus Süden und nicht gewohnt an dieses Wasser

Seite 62
eine Epidemie brach aus, Menschen wurden krank und einige starben, besonders Kinder und die Ältere, es brach roter Durchfall aus. Es gab keine Medizinische Hilfe, keine Medikamente die Lage war sehr schwer. Es gab keine Bretter, die Leichen wickelte man in Irgendwas und beerdigte in kleinen Erdlöchern. Während der Zeit von 5 November bis 28 November ist ein ganzer Friedhof entstanden, es starben über 400 Menschen, alte und Kinder.
Es war schon Winter, es schneite, die Kälte war bis -20 Grad. Wolga ist eingefroren und wir konnten auf dem Eis auf die andere Seite des Flusses gehen. Dort, wo die Wolga ins Kaspische Meer mündet, bildet sie ein Delta mit vielen Inseln, wo reichlich Gebüsch wuchs, wir sammelten das als Brennholz und das hat uns teilweise gerettet.

Seite 63
Einmal gingen wir, drei Freunde, über das Eis auf die andere Seite der Wolga in Astrachan. Ich war schon ein Hochgewachsene Junge und meine Freunde waren nicht Klein, bekleidet waren wir nicht beneidenswert, gingen über die Straßen von Astrachan, und wurden verdächtig für Militärstreife. Sie haben uns angehalten und fragten wer wir sind, weil es damals viele Spione gab. Man brachte uns in die Kommandantur und Offiziere machten uns ein Verhör. Sie haben telefoniert und haben erfahren, dass auf dem anderen Wolgaufer auf altem Militärlage evakuierte Deutschen eingesiedet sind. Man ließ uns gehen und sagte, dass wir uns hier nicht wieder zeigten sollten, sondern in unserem Lager blieben,

Seite 64
weil Astrachan schon im Kriegszustand war. Wir gingen in unser Lager, es war schon dunkel, am Spätabend. Am 28 November brachte ein Eisbrecher einen großen Lastkahn und man befiel uns auf den zu gehen. Er transportierte uns auf die andere Seite der Wolga. Auf dem Bahnhof in der Nähe standen rote Lastwaggons und man befiel uns in sie einzusteigen. Ich erinnere mich, dass in dem Zug, mit dem wir aus Kislar fuhren, war Tante Meta mit ihren Mädchen und mit ihnen auch Vaters Mutter. Beim Ein- und Aussteigen aus Lastkahn trug ich die Großmutter auf den Händen, weil sie zu schwach war und konnte fast nicht mehr gehen. Der Winter war voll im Gange, die Kälte war bis -20 Grad, der Zug ging Richtung Norden, in den Waggons war

Seite 65
es kalt. Wir fuhren um das Kaspisches Meer von Norden und dann weiter nach Norden Richtung Orenburg, in Wagons war kalt, mit der Nahrung war sehr schlecht, kein Brot, nichts Gekochtes, kein Wasser. An einer Halterstelle ich lief mit einer Teekanne um Wasser zu holen, der Zug fuhr los, wir zwei konnten nur auf die Verbindungsplatte vom letzten Wagon aufspringen. Und der Zug fuhr und fuhr, es war sehr kalt und wir sind fast erfroren, bis er wieder stehen blieb. Wir gingen in unseren Waggon, man hielt uns schon für zurückgebliebene. An manchen Tagen blieb der Zug kein einziges Mal stehen, in den Waggons gab es keine Toiletten. Man schlug im Boden von Wagons Löcher machte eine Schirmwand und erledigte dort das Notwendige. Manchmal blieb der Zug die ganze Nacht stehen, fuhr auf Ersatzgleise und blieb stehen.

Seite 66
Von Orenburg ging es Richtung Süden, mit Turksib nach Mittelasien. Einmal war unser Zug die ganze Nacht auf den Abstellgleisen stehengeblieben. Und vom Nichtstun sind wir, drei Freunde, auf die Suche gegangen, ob sich nicht etwas zum Essen findet. Wir sind an den Zügen entlang gegangen und an einem Waggon nahmen wir plötzlich einen guten Geruch war. Wir öffneten die Wagentür und sahen Kisten aus Sperrholz und Papiersäcke. Wir öffneten eine Kiste und fanden dort Teepackungen. Jeder von uns nahm sich Einige davon, wir machten die Kiste und die Tür zu und sind gegangen. Wir wussten, dass man das nicht machen darf, aber wir waren hungrig. Einmal in der Woche verteilte man in den Waggons Suppe aus den Eimern, aber das war viel zu wenig. Wir fuhren auf dem Turksib bis Tschimkent und es wurde warm, es gab keine Kälte mehr und in den Wagons wurde warm.

Seite 67
Aus Tschimkent ging es nach Dshambul, Alma-Ata, Ust-Kamenogorsk, Omsk, Petropawlowsk. So sind wir um den Kasachstan von Westen, Süden, Osten und wieder Richtung Norden gefahren. Dort wurde es wieder kalt, es war ja Winter. Nach Petropawlowsk, bei einer Ortschaft namens Mamljutka sind alle ausgestiegen. Auf dem Bahnhof standen viele Pferdeschlitten aus unterschiedlichen Gebieten und Siedlungen.
Es gab Befehl die deutschen möglichst weit von einander in Kasachstan zu zerstreuen. Einige Schlittenkutschen fuhren nach Sokolowskij Bezirk, wir kamen in eine kleine Siedlung Malaja Malyschka, in der Nacht auf Neuejahr.
Nach Anweisung der Verwaltung von Kolchos wurden die Häuser festgelegt, deren Besitzer uns auf‘s Quartier nehmen mussten. Wir kamen zu einer Frau, die uns ein Zimmer gab, das nicht beheizt wurde.

Seite 68
Sie hatte in dem Zimmer die Kälber und die Hammeln. Wir waren die Deutschen, die Feinde des russischen Volk, man ging mit uns wie mit einem Volk, dem man misstraute, das auf seinen Schultern die Verantwortung für den Krieg tragen musste.
Angekommen sind wir am 1 Januar 1942. Es war ein schrecklicher Krieg, wir kamen nackt und hungrig in eine kalte Gegend, die wir nicht kannten, wir mussten in vielen kalten Gebieten von Kasachstan und Sibirien sehr schwere Arbeit unter unerträglichen Bedingungen leisten und bei einer dürftigen Ernährung aus letzten Kräften arbeiten. Gleich am ersten Tag nach unserer Ankunft, mussten wir an die Arbeit. Man schickte uns den Weizen zu dreschen, aber die Dreschmaschine im Lager war die ganze Zeit außer Betrieb.

Seite 69
Wir mussten Weizen aus Haufen mit den Schlittenkutschen in das Lager fahren. Die Haufen waren unter Schnee. Niemand von uns hatte warme Schuhen wir waren nur leicht angezogen. Ich trug Schuhe, die ich mir selbst gebastelt hatte. Wir machten im Lager Feuer über dem hängte ein Kessel in dem wir uns Weizenkörner gebraten haben. Die haben wir gegessen. Im Hause, wo wir wohnten gab es nichts zum Essen, nur etwas Mehl, das man unserer Familie gegeben hat.
Im September 1941 war die erste Mobilisierung Deutschen in die Arbeitsarmee nach der Verordnung des Staatlichen Verteidigungskomitees. Im Januar 1942 gab es die zweite Mobilisierung Deutschen im Alter von 17 bis 50 Jahre. Ich wurde mit zweite Mobilisierung eingezogen, ich war damals schon 17.

Seite 70
Man sagte, dass jeder Essen für eine Woche mitnehmen sollte. Die Mutter hat aus dem letzten Mehl ein Brot gebacken, das war mein ganzer Proviant, und man fuhr uns mit Schlittenkutschen 60 km weit nach Mamljutka. Die Kälte war unter -20 Grad, ich hatte auf den Füssen meine selbstgemachten Schuhe in die ich noch Stroh eingelegt habe und meine Füße waren warm. Ich hatte noch eine warme Jacke, die noch vom Vater geblieben war. Auf der Kutsche lag Stroh, ich habe mich da reingegraben und saß so bis wir angekommen waren. Während die anderen, die auch besseren Schuhen hatten mussten der Kutsche nachlaufen, damit sie nicht erfrieren. Man brachte uns zum Sammelpunkt, wo schon mehr als 1300 von solchen wie wir waren. In einem kalten Haus warteten wir 3 Tage auf den Zug, jeden Morgen

Seite 71
mussten wir in Gruppen in der Nähe von Bahnhof marschieren, damit man nicht zu viel liegen bleibt. Das Brot, das mir die Mutter gebacken hat, habe ich schon am ersten Tag gegessen, unter uns waren auch Deutsche aus Kasachstan, sie hatten Provision bei sich für den ganzen Monat. Es ist sehr kränkend und schmerzlich, wenn die Menschen in deiner Anwesenheit satt essen und du hast kein Stückchen Brot. Am vierten Tage kam ein Befehl uns in Züge von 25 Menschen zu Verteilen und zur Arbeit in die Kolchosen zu schicken. Wir, oder besser gesagt, unser Zug kamen in ein deutsches Kolchos, wo wir dann 25 Tage gearbeitet haben. Es gab unterschiedliche Arbeit, so wie Weizen dreschen. Es mangelte an Menschen, viele Männer wurden zur Armee oder Arbeitsarmee eingezogen, unter Einheimischen waren auch einige Russen. Nach diesen

Seite 72
25 Tagen, kam ein Befehl, dass alle zurück zum Bahnhof mussten. Am Morgen haben wir gegessen, ich nahm noch ein Stückchen Brot mit für den Weg. Überhaupt, hat man uns in diesem Kolchos gut ernährt. Zum Mittag gab es immer eine Suppe oder Kartoffel mit Fleisch, am Morgen Brot mit Butter und Wurst, es gab genug Milch, kurz gesagt, wir waren satt. Wenn ein Mensch satt ist, ist ihm keine Arbeit zu schwer. Die alte Jacke von Vatter hatte große Tasche, die ich mit gebratenen Weizenkörnen gefühlt habe, so dass ich an diesem Abreisetag noch nicht hungrig war. Es war die Nacht, der Zug ging bis Petropawlowsk und dort blieb stehen. Man befiehl allen aus unserem Waggon aussteigen und Bewaffnete Bewachung war eingestiegen,

Seite 73
die Mittarbeiter der Innenministeriums, die uns bis zu unserem Bestimmungsort begleitet haben. Die Männer aus unserem Wagen wurden auf anderen Waggons verteilt. Ich hatte es nicht eilig in irgendein Waggon einzusteigen und ging am Zug entlang. Ich sah, dass man ein paar Leute sammelt, um das Brot für den ganzen Zug aus dem Büffet zu hohlen. Ich habe mich auch dazu geschlichen und wir gingen unter Bewachung zum Bahnhof um Brot zu holen. Es kam einer nach dem anderen und jeder bekam ein Sack mit 5 Laibe Brot. Danach gingen wir wieder in Reihen und unter Bewachung zurück. Einer aus der Wache ging Vorne, ein in der Mitte und einer Hinten. Wir kamen zum Zug, zum Waggon, wo die Wache war und jeder hat seine 5 Laiben abgegeben und wir gingen wieder in Reihen

Seite 74
zum Bahnhof ins Büffet. Dort hat jeder wieder 5 Laiben bekommen und wieder gingen wir zum Zug. Unterwegs hat es vom Brot so gut gerochen und ich habe schon den ganzen Tag nichts gegessen, die Versuchung war so groß, ich habe riskiert, steckte die Hand in den Sack, brackte von Brot kleine Stückchen und habe die heimlich gegessen. Als wir drittes Mal ins Büffet kamen, hat jeder nicht 5, sondern nur 3 Brote bekommen, und man sagte dass das alles ist. Als wir zurück gingen, dachte ich, dass ich irgendwie mit diesem Brot abhauen muss, aber wie? Wir gingen am Zug entlang und an einer Stelle war die Beleuchtung schlecht, ich habe diese Dunkelheit genutzt. Der hintere Wächter ist etwas zurück geblieben

Seite 75
und passte auf die Reihe nicht besonders auf. Ich war der letzte und in diesen Moment sprang unter den Waggon von nebenstehenden Zug, krabbelte auf der anderen Seite aus und ging weiter weg. Wirklich weglaufen konnte ich natürlich nicht, ich hatte keine Papiere, und zum zweiten, solle man mich fangen, so konnte ich fürs Weglaufen und Diebstall verurteilt und sogar erschossen werden. Es war Krieg, und ich war ein Deutscher. Aber ich war hungrig und nahm das Risiko in Kauf.
Etwas später ging ich zu meinem Zug, hörte wie man stritt, dass 3 Laiben Brot fehlen, stieg in den letzten Waggon ein und habe mich dort versteckt. Der Zug ging am Morgen los und ich war zufrieden, dass ich das Brot für den Weg hatte, das Brot mit Wasser, so konnte man sagen, dass ich

Seite 76
immer satt war. Die ersten Tage, als wir führen, bekam jeder 300 g, dann war wohl Brot zu Ende und wir bekamen nichts mehr. Ich konnte jeden Tag ein Stückchen Brot essen und mein Leib war noch im normalen Zustand.
Der Zug ging nach Norden, Richtung Swerdlowsk und hat oft angehalten, besonders nachts. Es gab so einen Fall, wir standen auf einem kleinen Bahnhof, ich weiß es nicht mehr wie der hiss, in unserem Wagon haben alle geschlafen, niemand ging raus, dann sind wir weiter gefahren, es war schon hell und plötzlich blieb der Zug stehen. Wir hörten Stimmen und wie man von außen alle Wagentüren schloss. Man hat mit dem ersten Waggon angefangen, man öffnete die Tür und sagte, dass alle ohne Sachen aussteigen mussten, dann stieg man in den Wagon ein und alle Sachen wurden durchgesucht, sollte man etwas finden

Seite 77
hat man nachgefragt wem das gehörte und derjenige musste zur Seite gehen. Dann mussten die anderen einsteigen und Türen wurden von außen gesperrt. So haben die Soldaten alle Waggons durchgesucht. Es hat sich rausgestellt, dass auf dem kleinen Bahnhof, wo wir nachts standen, Menschen aus verschiedenen Waggons ausgestiegen sind und, während die anderen schliefen und die Wache schlief, haben Produkte geklaut. Die Menschen haben irgendwie erfahren, dass in einem Waggon eingefrorenes Fleisch, Kisten mit Butter und anderen Lebensmittel, die für die Front bestimmt waren, befinden. Sie schnitten sich große Stücke Butter, Fleisch und manche nahmen sich die ganzen Packungen. Wir, das heißt Menschen in unserem Waggon, haben geschlafen und haben von nichts gewusst. Aber wir mussten auch aussteigen und unser Waggon wurde durchgesucht, alle Sachen wurden kontrolliert, aber man hat nichts gefunden und

Seite 78
wir konnten wieder einsteigen. So wurden 35 Menschen aussortiert. Jemand von der Wache hat ein Befehl vorgelesen, dass wegen des Raubes des Zuges für die Front, was ein Verbrechen gegen Sowjetmacht und Armee ist, wird jeder dritte erschossen. Und gleich wurde jeder dritte aus der Reihe erschossen. Alle Einzelheiten wurden uns erst später bekannt aus Gesprächen mit den Zeugen, die mit uns zusammen weiter unterwegs waren. In dieser Reihe war ein Vater mit seinem Sohn. Der Sohn stand neben dem Vater, war der dritte und wurde erschossen. Ja, es war der Krieg, gegen die Deutschen und wir waren Deutsche. So ging unser Zug immer weiter Richtung Norden und schließlich kam nach Werchnjaja Tawda, <Gebiet Swerdlowsk. A.W.> alle wurden ausgeladen und in das Lager geschickt.

Seite 79
Im Lager standen Baracken, nicht beheizte, kalte, auf beiden Seiten standen zweistöckige Holzpritschen, in den Wänden kleine Fenster, die oft zerschlagene Scheiben hatten. Als die Pritschen mit Menschen befühlt waren, die Löcher in den Fenster zugesteckt und Brandholz für die Öfen gefunden war, dann wurde es in der Baracke warm. Wir wurden in Brigaden verteilt und haben angefangen zu arbeiten. Unsere Brigade, in der ich war, arbeitete auf einem Sägewerk, erledigte jede Arbeit, räumten Späne, Sägemehl und so weiter. Die drei Laiben Brot, die ich mir damals angeeignet habe, haben mir geholfen, ich war doch nicht so entkräftet und konnte Arbeiten. Man bekam 600 g. Brot, die Suppe, die wir bekamen war sehr Fettarm, aber wir konnten arbeiten. Eine Zeitlang habe ich in einer Fabrik gearbeitet, wo man

Seite 80
Kisten für die Verpackung von Patronen, Artilleriegeschossen und andere Munition produzierte, alles für die Front, es war der Krieg. In der Fabrik, wo ich arbeitete, gab es Reste von Sperrholz, das ich Stückchenweise in unsere Baracke mitgebracht habe. Aus diesem Holz habe ich mir einen Koffer gebastelt, in dem ich ein Heft für Briefe nach Hause an die Mutter, eine Schirmmütze und Unterwäsche aufbewahrt habe. Wir haben Täglich 12 Stunden gearbeitet, von 8 bis 20 Uhr, tags und in der zweiten Schicht von 20 bis 8 Uhr morgens. Zeitlang habe ich in der Flößerei gearbeitet, wir haben Stämme zum Vliesband geschoben, welches sie dann zum Sägewerk förderte. Es war interessant, dass es keine Nacht gab. Die Abenddämmerung ging in die die Morgenröte über. So haben wir diesen Sommer durchgelebt und durcharbeitet. Am Ende des Sommers hat man 100 Menschen in die Dienstreise weiter Richtung

Seite 81
Norden in den Wald geschickt. Die Aufgabe war dort im Wald eine Kaserne und Schuppen für das Vieh zu bauen. Der zukünftige Bauplatz befand sich in etwa 50 km Entfernung in der wilden Taiga. In dieser Gegend gab es so viele Mücken und kleinen Fliegen, dass man nicht einmal den Mund aufmachen konnte, die kamen gleich rein. Wir gingen unter bewaffnete Bewachung durch mehrere Siedlungen, die Menschen durften mit uns keinen Kontakt haben, es hieß wir sind gefangenen Deutschen. Als wir an den Bestimmungsort kamen, hat man an uns solche Masken verteilt, die waren wie ein Helm auf den ganzen Kopf mit den Schlitzen für die Augen. Wir haben angefangen mit dem Aufräumen im Wald, brannten Feuer und den Mücken und Fliegen wurden weniger. Wir lebten in Zelten, mit der Nahrung war es genau wie im Lager, nur eins war besser,

Seite 82
im Wald gab es viele Waldbeeren und wir konnten sie während der Mittagspause essen. Es gab solche Stellen, wo alles rot war, wie ein Teppich, wir konnten mit einer Bewegung sich die Hände füllen und essen, das waren die Moosbeeren. So haben wir etwa zwei Monaten lang gearbeitet, haben eine Kaserne für Menschen, die das Vieh und Schweine aufziehen sollten, gebaut. Als die Schuppen gebaut wurden, kam das Vieh, man brachte auch die Ferkel. Die Schuppen für die Ferkel gab es an den Wänden Tröge und in den Wänden gab es Lüken, die man von außen öffnete und durch die man Futter in die Tröge werfen konnte. Manchmal gab man den Ferkeln den Brei, den wir nicht bekamen, dann kamen wir heimlich an die Lüken und aßen den Brei mit den Ferkeln zusammen. So lebten wir dort und arbeiteten im Wald, es war gut, und die Mücken wurden weniger

Seite 83
geworden, weil man ständig Feuer brannte. So war unsere Dienstreise zu Ende, alles, was man bauen sollten, wurde gebaut.
Im Herbst kam ein Befehl uns alle zurück ins Lager zu holen. Man führte uns den gleichen Weg zurück durch dieselben Siedlungen. Nach der Ankunft in Tawda, im Lager kam der nächste Befehl – uns alle aus diesem Lager nach Krasnoturinsk mit dem Zug zu transportieren. Dort gab es vier große Lager hintr zwei Reihen Stacheldraht Zäunen, Türmen mit Maschinengewehren und strenge Bewachung, die der NKWD unterstellt war. In diese Lager kamen etwa 35 Tausend Menschen, die mit dem Bau von Bakalsk und Bogoslowsk Werke im Ural beschäftigt waren. Man behandelte uns als die größten Verbrecher der Welt, das waren

Seite 84
die echte Lager für Konterrevolutionäre, wo wir, Deutsche, durch den Hunger regelrecht vernichtet wurden, dort starben tausende und abertausende aus unserem Volke. Diese Mobilisierung namens „Arbeitsarmee“ brachte schwerste moralische Verletzung unserem Volke.
In diesen Lager standen großen Baraken wo auf beiden Seiten dreistöckige Pritschn aufgebaut wurden. Es gab keine Matratzen, man lag auf den nackten Brätern in dem, was man als Kleidung getragen hat. Als Essen bekam man „Kotlowka“ (Kessel) – das heißt erster Kessel war eine Schöpfkelle Suppe aus Melden, Brennnessel und weiß Gott was dort noch beigemischt wurde und 400g Schwarzbrot, zweiter Kessel war gleiche Schöpfkelle der gleichen Suppe und 500g Schwarzbrot, 3-er Kessel war

Seite 85
der beste – die Suppe war etwas besser, und manchmal bekam man einen guten Löffel mit irgendeinem Brei – das zählte wie eine Prämierung, und 600g Schwarzbrot. Bei der Ankunft bekamen wir gleich den 3-en Kessel, danach war die Ernährung von der Erfüllung der Arbeitsnorm abhängig. Sollte man weniger als 60% der Norm gemacht haben – bekam man nur den 1-en Kessel. Mit der Zeit wurden auf diese Wiese ernährte Menschen immer schwächer, und ich genauso auch. Am Anfang führte man uns, einige Brigaden, zum Bäume fällen. Wir haben Bäume gefällt, Stemme in unterschiedliche Größen gesägt, Äste und Zweige wurden abgeschlagen und verbrannt, die Arbeit dauerte 12 Stunden Täglich, von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Die Wintertage im Norden sind kurz, im Dunklen gingen wir zur Arbeit, und als wir zurück kamen war es auch schon dunkel. Um 6 Uhr sind wir aufgestanden, gingen essen, tranken unsere Suppe,

Ergänzung zur Seite 85
Diese Ergänzung gehört zur Seite 85. Hier wollte ich noch ergänzen mit der Beschreibung eines Ereignisses das mit mir in der Zeit passierte. Etwa in der Mitte September musste ich mit noch zwei Männern in einem Lagerhaus aufräumen und die Regale auffüllen. Während der Arbeit bin ich auf eine Kiste mit Kernseife gestoßen und nahm mir zwei Stück davon und habe die unter der Kleidung auf der Brust versteckt. Kurz danach schickte man unsere Brigade eine Stelle in etwa 3 km vom Lager von den wachsenden Bäumen zu befreien und zum Pflanzen eines Gemüsegartens vorzubereiten. Dort in der Nähe gab es Eisenbahngleise die bewacht wurden, weit weg konnte man ein Häuschen sehen. Ich habe diese zwei Stück Seife mitgenommen, dachte dass ich sie, beim Durchgehen durch eine Siedlung, gegen Brot tauschen werde. Aber es gab keine Siedlung und wir haben angefangen zu arbeiten. Zwei Wächter saßen auf der anderen Seite am Feuer. Ich nutzte, dass sie uns nicht besonders viel Aufmerksamkeit schenkten und ging auf andere Seite den Gleisen. Da hat mich der Wächter aus dem Häuschen gemerkt und rief: „Stehen bleiben, sonst schisse ich!“ Ich sprang in die Büsche und er hat geschossen, aber hat mich nicht getroffen. Vielleicht dachte er, dass er mich getroffen hat und ist nicht zurück komme. Ich ging weiter durch das Gebüsch in eine Siedlung. Ging in das erste Haus und habe gefragt, ob man mir die Seife gegen Stückchen Brot tauschen könnte. Während ich sprach, kam aus dem Nebenraum jemand in Militäruniform und fragte mich wer ich bin. Ich habe im ehrlich gesagt, dass wir hier arbeiten, dass man uns ab und zu Seife gibt und ich möchte sie gegen Brot tauschen. Er hat seiner Frau gesagt, dass sie mir Stückchen Brot geben soll, und zu mir, dass ich zurück zu meinem Platz gehe. Ich habe gedankt und ging weg, es wurde schon dunkel. Ich ging leise durch die Büsche und über die Gleise, der Wächter hat mich nicht mehr bemerkt. So habe ich mir ein 300g Stückchen Brot gegen diese Seife ausgetauscht.

Seite 86
die Hälfte vom Brot und stellten uns danach in die Reihen, an den Toren sammelten sich ganze Kolonnen, es war schon kalt, die Menschen waren schlecht angezogen und ich darunter auch. Noch früher, in Tawda habe ich meine Jacke abgeschnitten, so dass man in der gut arbeiten konnte. Sie hat aber schon schlecht ausgesehen und wurde schon oft geflickt. Den Selbstgemachten Schuhen, in denen ich von Zuhause fuhr, gab es schon nicht mehr. Und ich, wie auch vielen anderen, trug Schuhen mit hölzernen Sohlen und oben aus Zelttuch. Die Wege dort waren mit Baumstämmen ausgelegt und darauf wurden Bretten angenagelt. So, wenn wir auf diesen Wegen in unseren Holzschuhen marschierten, haben wir solchen Krach erzeugt, wie eine Pferdeherde. Man zwang uns im Gleichschritt zu marschieren und dabei noch Lieder zu singen.

Seite 87
Am Tor wurde jede Brigade kontrolliert und die Zahl der Menschen notiert, bei der Rückkehr wurde die Anwesenheit von jedem streng kontrolliert. Sollte die Zahl der Menschen nicht stimmen, wurden sie zur Seite gestellt und mussten so lange warten bis alles über die fehlenden Menschen geklärt wurde. Und je weiter desto schlimmer, die Menschen wurden immer schwächer, es gab schon solche, die nicht mehr gehen konnten, sie wurden auf die hinten fahrende Schlittenkutschen geladen und hatten keine Chance mehr zu überleben. Alle diesen Arbeitsarten – Bäume fällen, Baugruben ausheben, Bau des Staudammes und des Aluminiumwerkes – das alles war ein Komplex, das Bakalsk und Bogoslowsk Bau. Ein Werk im Ural, in Krasnoturinsk. In dieser Gegend gab es einen kleinen Fluss namens „Turinka“, der hatte ein tiefes Tal und wurde irgendwo oben umgeleitet, so dass man hier diese Arbeiten durchführen konnte.

Seite 88
Die erste Zeit, als wir im Wald gearbeitet haben, hatte ich noch etwas von meinen Kräften. Wir marschierten immer in Reihen. Ich ging immer in den ersten Reihen, weil ich ziemlich großgewachsener Junge war. In dem Wald habe ich die schwerste Arbeit gemacht, später haben die Kräfte mich verlassen und ich konnte nicht mehr die Stämme bewegen und Brigadier gab mir leichtere Arbeit, die ich noch machen konnte.
Eines Morgens gingen wir zur Arbeit und mir viel es sehr schwer in der ersten Reihe zu gehen. Der Brigadier war von unseren, er merkte das und stellte mich zurück, aber das reichte nicht, ich war immer noch zu langsam. Es gab noch einen, der nicht mehr schnell genug gehen konnte, und Brigadier bat den Wächter uns zu erlauben alleine und langsamer zu gehen. So blieben wir mit dem Kumpel immer weiter

Seite 89
zurück und kamen zum Arbeitsplatz fast eine Stunde später. Ich habe damals die Äste in ein Haufen getragen, wo sie dann verbrannt wurden, die Holzstämme konnte ich schon nicht mittragen. Zum Schichtsende bat der Brigadier den Wächter uns etwas früher zurückgehen lassen, so, dass wir gleichzeitig mit den anderen am Tor sein konnten. Ich habe schon früher erwähnt, dass wenn nicht alle am Tor waren, lies man die ganze Brigade nicht rein, bis nicht geklärt wurde wo die anderen sind. So sind wir drei wie drei Alkoholiker, die ein anderen unterstützen, gegangen. Der dritte war ein älterer Mann, der wesentlich älter war, als wir zwei. So haben wir uns mit langsamen Schritten bewegt, dieser ältere hängte auf uns zwei und konnte nicht mehr gehen, und wir konnten ihn nicht tragen. Uns überholte ein Holztransporter, den Fahrern wurde streng verboten jemanden mitzunehmen

Seite 90
Wir mit dem Kumpel haben ihn irgendwie überzeugt den Alten bis zum Lager mitzunehmen, damit wenn die Brigade kommt, alle da wären. Wir sind zu zweit geblieben und sind langsam weitergegangen. Ich sehe, mein Kumpel lässt nach, schließlich setzte er sich und sagte, dass er nicht mehr gehen kann und ich alleine weiter gehen sollte. Es war aber schon ziemlich kalt, ich dachte, dass er so erfrieren wird, bis die Brigade kommt. Ich habe schon früher erwähnt, dass alle Wege mit den Holzstemmen und oben Bretten bedeckt waren, an diesen Wegen in bestimmter Entfernung standen kleine Häuschen in denen die Wächter lebten, die diese Wege in Ordnung halten sollten. Wir mit dem Kumpel waren gerade in der Nähe von solchem Häuschen. Wir konnten noch bis zum Häuschen gehen und ich bat den Wächter, dass der Kumpel bis zur Ankunft der Brigade bleiben durfte, weil sonst würde er erfrieren. Weiter ging ich alleine.

Seite 91
Ich bin gerade an das Tor des Lagers gekommen, als auch die Brigade ankam. Der Fahrer lies den alten Man auch am Toraussteigen und fuhr selbst weiter. Den Alten hat man mitgezählt und der Junge wurde mit der Schlittenkutsche ins Lager gefahren. Dieser Junge lag mit mir auf der gleichen Pritsche, er ging nicht in die Kantine zum essen, sagte mir, dass ich seine Suppe selbst essen sollte, das Brot aber, im bringe. In der Kantine habe ich meine und seine Suppe gegessen, es wurde vermerkt, und sein Brot habe im mitgebracht und legte im unter den Kopf, er schlief. Am Morgen beim Aufstehen habe ich ihn geweckt, aber er war schon tot, und den Alten gab es da auch schon nicht mehr, so gingen sie einer nach dem anderen. Und ich fühlte mich wieder etwas besser fing wieder an zu Arbeiten. Unsere Brigade schickte man auf den Bau des Staudamm, wo wir unterschiedliche

Seite 92
Arbeiten verrichteten, ich habe eine Zeitlang Steine für den Staudamm mit der Schubkarre gefahren. Das Flussufer war steinig, man sprengte das und Steine hat man zum Staudamm gefahren. Es wurden überall die Holzbretter gelegt damit man besser mit den Schubkarren fahren konnte. So fährst du manchmal auf solchen Brettern mit der Schubkarre und sie schaukelt sich von Seite zur Seite – die Kraft in den Händen hat gefehlt. Wenn man vom Ufer nach unten schaute, dann sah man unten viele Menschen, die sich wie Ameisen hastig bewegt haben, hunderte und tausende Menschen. Das war eine große Baustelle, die Baugrube, ein Staudamm, ein Kraftwerk und am Ufer ein großes Aluminiumwerk. Oben auf den Ufern auf beiden Seiten standen Feldküchen dort wurde das Mittagessen gekocht, neben jeder Küche war ein Pfeil eingegraben an welchem ein Stück vom Gleis hing. Darauf wurde gehauen um Zeichen zu geben , dass das Essen fertig war. Jede Brigade

Seiten 93
war einer Küche zugeteilt und jeder kannte seine Küche. Das Mittagessen war einfach. Jeder kam mit seinem kleinen Behälter und der Koch gab einem seine Portion, der ging etwas zur Seite, setzte sich auf irgendein Stein, trank seine Portion, blieb noch kurz sitzen und ging zurück zur Arbeit. Oben auf den Ufern standen starke Scheinwerfer und beleuchteten die ganze Baustelle. Am Abend, beim Schichtwechsel, gingen die Menschen nach oben und stellten sich in Reihen, und wenn man dann nach unten schaute, so konnte man sehen, wie viele schon nicht mehr nach oben gehen konnten und lagen oder saßen dort unten schon für immer.

Ich habe noch bis Mitte Februar 1943 unter diesen Bedienungen gearbeitet, dann haben meine Kräfte ganz versagt. Es gab solche Regel, dass die schwachen im Lager arbeiten mussten.

Seite 94
Man musste den Schnee von den Wegen wegräumen, oder manchmal trug man irgendwas in der Küche. Ob so oder so, das galt als großes Glück, da konnte man ein Paar grüne Kohlenblätter mittnehmen und abends sich kochen oder einfach so essen, was dich schon unterstützte. Bei mir schmerzte damals der Zeigefinger an der rechten Hand. Er war rot und angeschwollen, und die ganze Hand schmerzte und begann zu eitern. Es ging nach oben bis zum Ellbogen, so dass ich nicht mehr arbeiten konnte. Ein ältere Mann sagte mir, dass ich Wasser im kleinen Kassel aufkochen sollte, den Finger reinstecken und solange, wie ich aushalte im Wasser lassen. So habe ich auch gemacht, und plötzlich fühle ich, dass mir ganz leicht geworden ist, der Finger war aber ganz gelb von Eiter,

Seite 95
die Wunde öffnete sich und der Eiter ging raus, mir ist dann ganz leicht geworden. Es stellte sich raus, dass bei mir der erste Fingerknochen zu faulen begann, es öffnete sich solche Wunde und ich abends einen kleinen Knochen aus der Wunde rausnehmen konnte. Das war „Das Haar“, eine Knochenkrankheit.
Es gab einmal folgender Vorfall. Ich hatte schon einmal erwähnt, dass an der Grenze zwischen den Lagern es Toiletten gab und Manschen von einer und der anderen Seiten gingen in die Toiletten. Es gab eine Regel – die Menschen aus einem Lager durften nicht in das andere gehen. Es war aber so, dass in einem Lager der Vater und in anderem der Sohn saß. Wenn der Vater ein Päckchen von Zuhause bekam, dann wollte er das mit dem Sohn teilen. So redete man über Stacheldraht, dass die beiden Lager teilte und verabschiedete sich in der Toiletten. Die Toiletten waren nur durch eine Holzwand voneinander getrennt.

Seite 96
Ein Brett unten wurde lockergemach und die Menschen konnten das Brett zur Seite schieben und auf die andere Seite heimlich rüber kriechen. Auf dem Zaun stand ein Wachturm mit Scheinwerfer und einem Wächter, der die Grenze überwachte. Es war spät abends, ich ging in die Toilette und als ich drin war, sah ich wie ein junger Mann durch das Loch in unsere Toilette von der anderen Seite kroch. Er ging auf unsere Seite. Und ich ging auch gerade raus. Plötzlich höre: „Halt, sonst ich schieße!“ Der Junge war etwa 10 Meter vor mir. Er ging weiter hat auf Ruf nicht reagiert, gleich höre ich ein Knall, der Junge ist gefallen, er wurde

Seite 97
in die Brust getroffen. Ich bin noch neben ihm kurz stehengeblieben, er war tot, mit der Hand drückte er kleine Tasche mit eine Flasche Pflanzenöl an den Bauch. Über das alles floss Blut. Ich war wütend. Er konnte genauso auch auf mich schiesen. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, nur weil wir Deutsche waren, hatte er mit Genuss einen Deutschen getötet. Am nächsten Tag war ich beim Arzt, mein Finger schmerzte wieder. Ich konnte alle Gespräche dort hören und auch wie der Arzt irgendein Papier unterschrieben hat. Sie haben den Mensch wie irgendein Vieh abgeschrieben, so ging man mit uns um. Ich wurde zur leichteren Arbeit angewiesen und machte alles Mögliche im Lager, aber mir wurde nicht besser, ich fühlte, dass meine Kräfte mich verließen, und obendrauf quälte mich mein Finger.

Seite 98
Ich ging wieder zum Arzt, ich konnte schon gar keine Arbeit machen. Im Wartezimmer waren viele Menschen, alle solchen wie ich, die zum Arzt wollten um eine Arbeitsbefreiung zu bekommen. Ich musste warten, das Zimmer wurde nicht beheizt. Ich erinnerte mich nur dass mir dunkel vor den Augen wurde, ich wollte mich an der Wand stützen und fiel bewusstlos um. Als ich wieder zur sich kam, lag ich auf dem Bett im Krankenhaus. Mir ist es besser geworden und ich wurde zur anderen Abteilung überwiesen, das PGP hiss, das bedeutete „Punkt der Genesung und Prophylaksis“ Dort lagen solche, die nicht mehr arbeiten konnten aber noch am Leben waren. PGP war die gleiche Baracke mit 3-Stockigen Holzpritschen in zwei Reihen, der dritte Stock war durchgehend. In der Baracke war warm, keine Matratzen, wir lagen auf den nackten Holzbretten. Toilette gab es keine auf dem Boden stand ein Fass etwa 70 cm hoch.

Seite 99
Dort erledigte man seine kleineren und größeren Bedürfnisse. In diesem PGP mussten die Menschen wieder zu den Kräften kommen und zur Arbeit zurückkehren, aber keiner von dort konnte wieder arbeiten. Als ich in PGP kam, sagte man mir, dass ich ganz nach oben in dritten Stock steigen sollte, weil ich noch ein Neuling war und noch gehen konnte. Hier bekam man „dritten Kessel“ – eine etwas bessere Suppe, zum Mittagessen bisschen Brei und 600g Brot. Wenn man so überlegt, man hat nicht gearbeitet, lag nur, aber die Menschen wurden mit jedem Tage immer schwächer. Es ist so, weil die Nahrung gar keine Fette beinhaltete, die ein Mensch unbedingt braucht, so wurden die Menschen immer schwächer und starben. Ich fühlte, dass ich mit jedem Tag schwächer wurde, dass meine letzten Kräfte mich verlassen. Ich konnte nicht mehr auf den dritten Stock der Pritsche klettern – man sagte, leg dich auf den zweiten. Aber ich kam auch auf den zweiten Stock nicht mehr hoch.

Seite 100
Dann sagte man, leg dich auf den ersten und ich wusste, dass das das Ende ist, weil aus dem ersten Stock wurde man nur in die Leichenhalle getragen.
Alle, die die diesen letzten weg von der unteren Pritsche in die Ewigkeit gingen, waren sich dabei sicher, dass sie auf diese Weise dem ganzen Leiden und Quälerei entgehen konnten. Auf diesem unteren Stock der Pritsche habe ich auch einen Brief an meine Mutter geschrieben, wo ich mich von ihr verabschiedet habe und schrieb, dass wir uns nicht mehr sehen werden. Wie viel Zeit so vergangen war, weiß ich nicht mehr, aber einmal nachts hat man mich geweckt und sagte, dass ich zum Tisch gehen sollte. Ich stand auf und ging auf zitternden Beinen zum Tisch. Am Tisch saßen zwei in Militäruniform. Ich musste mich gegenüber auf die Bank setzen. Sie fragten: „Willst du nach Hause?“ Ich sage, welches Haus? Das, wo ich geboren und aufgewachsen bin, das hat man uns genommen und nackt rausgeschmissen,

Seite 101
im 1941 von dort, wo wir uns etwas eingelebt haben, hat man uns nach Sibirien verbannt. Die wollten, aber mein Geschwätz nicht hören und sagten dorthin von wo du in die Arbeitsarmee eingezogen wurdest. Ich sagte die Adresse, wo sich meine Mutter befand. Faktisch nahm man mich aus Sokolowskij Gebiet, von Petropawlowsk, Dorf „Malaja-Malyschka“ Aber, als die Mutter in diesem Dorf alleine blieb, nach dem man meine Schwestern und den jüngeren Bruder weg nahm, hat sie 1943 ihre Sachen auf ein Schlitten gepackt und ist zum naheliegenden deutschen Dorf „Neues Leben“ gegangen. Diese Adresse habe ich auch genannt. Man gab mir ein Dokument, dass ich aus der Arbeitsarmee entlassen bin, wegen des Verlustes der Arbeitsfähigkeit. Sie sagten, dass ich morgen im Büro die Entlassung bekommen sollte.

Seite 102
Die Tatsache, dass ich, noch am Leben, aus dieser Knechtschaft ausbrechen konnte, gab mir Kraft und gleich am nächsten Tag, ging ich ins Büro und bekam meine Abrechnung – 62 Rubel für 1,5 Jahre Arbeit.
Solche, wie ich „kranke Elemente“, die schon für nichts Taugten, gab es etwa 1200 Menschen aus 3 Lagern. Sie wurden nach Hause geschickt.
Alle, die nach Hause durften, haben eine Abrechnung und eine Reise Ration bekommen. Unabhängig davon, ob sie 300km oder 3000km nach Hause fahren mussten. Jeder bekam 1kg Laib Schwarzbrot, zwei Heringe, 300g Zucker, halbe Packung Tee. Viele, die sich nicht in den Händen halten konnten, aßen sich gleich satt davon und kamen aus diesem Raum nicht mehr raus. Die sind schnell und schmerzhaft gestorben, weil bei den Menschen, die lange

Seite 103
Zeit nur wenig essen konnten und nur sehr fettarme Nahrungsmittel bekamen, bei solchen Menschen wird der Magen sehr klein und schwach. Diese Menschen konnten solches Essen nicht überleben. Ich wollte, natürlich, auch essen, aber ich dachte, dass ich dieses Essen teilen werde, damit ich nach Hause kommen konnte. Ich wollte zu meiner alten Mutter, die auf ihren Kindern gewartet hat, um sie noch einmal wieder zu sehen. Schon im Jahr 1937 wurde der Vater verhaftet und man wusste nichts über sein Schicksal, der älteste Sohn wurde mobilisiert in die Armee und die Mutter bekam ein Brief, dass sein Schicksal unbekannt ist. Dann wurden die restlichen vier Kinder zur Arbeitsarme eingezogen. Schweres Los hat sie gezogen, so wie auch tausende andere Mütter. Alle, die nicht gestorben waren, hat man auf die Lastwägen aufgeladen, es gab solche amerikanische

Seite104
Studebakers. Etwa 50-60 Menschen warf man, wie die Schafe, auf die Ladefläche, weil sie selbst dort nicht aufsteigen konnten. Man fuhr uns zur Station Turinsk, die Straße ging durch das Flussbett des Flusses Turinka, wo es aber kein Wasser gab, weil der Fluss oben schon mit dem Staudamm überbrückt wurde. Das Auto fuhr nach unten in das Flussbett und steckte dort fest, konnte nicht nach oben. Man sagte uns, dass wir alle aussteigen und hoch auf Flussufer gehen müssten, wo wir uns wieder ins Auto setzen durften. Wir sind alle ausgestiegen und das Auto fuhr hoch, und auch wir haben angefangen uns hoch zu ziehen. Das war ein schreckliches Bild. Manche konnten langsam gehen, die anderen gingen auf allen vieren, und wieder die anderen mussten kriechen. Ich bin auf allen vieren gekrochen, aber ich hab es geschafft. Beim Einsteigen ins Auto haben wir ein anderem geholfen. Es gab aber auch solchen, die es nicht geschafft haben hoch zu kommen und niemand konnte ihnen helfen, weil jeder musste sich aus letzten Kräften

Seite 105
ansträngen. Als wir im Auto waren, ich schaute nach unten und habe dort Menschen gesehen, die nie mehr nach oben kommen konnten. Es war kalt und Menschen waren schwach und schlecht angezogen, sie haben nicht mehr ihren Nächsten gesehen. Wir fuhren zum Bahnhof und setzten uns in die Waggons (der Zug bestand aus Personenwagen – keine Viehwaggons) und wir sind losgefahren. Ich hatte noch bisschen Brot, ein Stückchen Fisch und etwas Zucker, gekochte Wasser gab es im Waggon, man konnte sich stärken, man bekam die Kräfte alleine vom Gedanken, dass man nach Hause fuhr. Nach Swerdlowsk kamen wir am nächsten Tag nachmittags. Alle mussten aussteigen, weil man in einen anderen Zug umsteigen musste. Gehen in den Bahnhof, aber man lässt mich nicht rein, sagte, dass ich mein Koffer bei der Gepäckaufbewahrung abgeben musste. Das war noch der Koffer, den ich noch in „Werchnaja Tawda“ gemacht habe, dort hatte ich noch Stückchen Brot, ein Sack, Unterwäsche,

Seite 106
Schirmmütze und ein Heft. Der Diensthabende schaute mich an und sagte, dass ich in ein anderes Gebäude gehen sollte, „dort sind die euren“. Im Gebäude, wo er zeigte waren die befreiten Häftlinge, weil es gerade eine Amnestie gab. Ich hatte solche Mütze, wie alle Häftlinge getragen haben. Ich ging zum anderen Bahnhof, aber man lies mich auch dort nicht rein, sagten: „Gib den Koffer in die Gepäckaufbewahrung“. Es war kalt, ich fror und der Koffer war sowieso nichts wert. Ging etwas zur Seite legte alles, was dort war in den Sack, nahm den Sack unter den Arm und ging rein. Denn niemand hat uns mehr bewacht oder begleitet, jeder musste selbst dort, wohin er wollte hinkommen. Im Bahnhof war die ganze Menge von Menschen und einige von ihnen hatten die gleichen Mützen, wie ich und kamen aus der Haft. An einer Wand war Platz frei und ich landete dort und sprach mit dem Nachbarn, der

Seite 107
auch nach Petropawlowsk fuhr. Seine Eltern lebten in Petropawlowsk, er erzählte, dass er ein Sack mit Weizen gestohlen hat und dafür 5 Jahren Haft bekommen hatte. Jetzt wegen der Amnestie ist er frei geworden und fuhr nach Hause, er sagte noch: „Wenn wir ankommen, gehen wir zu meinen Eltern und werden essen“. Dann hat er mir vorgeschlagen kurz spazieren zu gehen. Ich nahm meinen Sack und wollte gehen. Er fragte mich warum nehme ich den Sack mit, ich sagte, dass dort ein Stückchen Brot drin ist, alles, was ich hatte. Er sagte, dass ich den Sack ruhig liegen lassen kann, dass man unter denen niemals klauen wird. Ich ließ den Sack liegen und wir gingen. Wir gingen ins Büfett, dort saßen und aßen viele Menschen, die meisten vom Militär. Ich hatte 62 Rubel, die ich im Lager bekommen habe und ich kaufte mir zwei Pasteten mit Fleisch. Dann gingen wir zurück in den

Seite 108
Bahnhof, es war schon Abend. Plötzlich haben sich alle bewegt und mein Bekannte sagte, dass jetzt das Essen verteilt wird. In der Nähe von der Tür war eine Abteilung aus Glass, wo einige Menschen in Militäruniform leckeren Brei und viele kleine Stückchen Brot hatten. Alle stellten sich in eine Reihe und bekamen nach einander ihr Essen. Man zeigte sein Dokument für die Befreiung und ein Mann stellte dort einen Stempel. Ich stellte mich auch in die Reihe, gab mein Dokument und bekam den Brei und 200g Brot. Ich habe mich von den befreiten Häftlingen nicht unterschieden, ich hatte gleiche Mütze und mein Dokument war ähnlich.

Seite 109
So bekam auch ich ein Stempel, wo stand Gefängnis der Stadt Swerdlowsk. Mir war das gleich, ich dachte, dass sie von mir aus auch 10 Stempels stellen sollten, ich wollte nur Brei und Brot, das mich wieder etwas stärkte. Bald kam ein Zug nach Petropawlowsk und alle, die in diese Richtung fahren wollten stiegen ein. Unterwegs aß ich mein letztes Brot und als wir in nächster Nacht aus dem Zug ausstiegen, habe ich meinen Bekannten verloren.
Im Bahnhof setzte ich mich auf den Boden an der Wand neben einem älteren Mann, der war auch einer von uns, von Demobilisierten war. Wir wollten mit der Morgendämmerung zusammen weiterfahren, er wollte auch in die gleiche Richtung wie ich, nach Sokolowka.

Seite 110
In der Dämmerung wollte ich ihn aufwecken, sagte ihm, dass es schon die Zeit zum Gehen ist, schubste ihn par mal, aber er saß neben mir auf dem Boden und war schon tot. Es war schon nicht mehr weit bis nach Hause, nur noch 30 km, aber er hat es nicht geschafft, hat seine Verwandte nicht getroffen. Er hatte eine warme Mütze aus Hundfell, meine war nur dünn aus einfachen Stoff, ich nahm seine Mütze und zog sie an, und meine Mütze habe ich ihm angezogen.
Ich bin aufgestanden und gegangen, ich kannte den Weg nach Sokolowka, musste nur auf die richtige Strecke kommen. Ich fragte nach und bald fand ich den richtigen weg. Ich habe mir ein Stock ausgesucht und bin langsam gegangen, ich ging eine Sterecke, dann bleib eine Weile stehen, erholte mich etwas, und gig so weiter. Etwa 3 km. nach Petropawlowka direkt am Ufer von Ischim war eine Siedlung Nowopawlowka

Seite 111
Ich dachte mir so: „Gehe ich hin, und bitte mir etwas zum Essen“ Ich habe mein letztes Brot noch im Zug gegessen. Ich ging nach unten, in die Siedlung, dort sah ich erst eine jüngere Frau mit einem Mädchen. Ich sammelte mein ganzen Mut zusammen und fragte ob sie mir etwas Essen geben konnte. Die Frau sah mich an und sagte nein. Natürlich, sah ich schrecklich aus. Ein großer, dünner, Haut und Knochen. Ich ging weiter. Dort stand ein alter Mann. Ich dachte, komm, frage auch ihn. Er schaute mich an und sagte: „Weis du was, Söhnchen, ich habe etwas zum Essen, nur du bist nicht der erste, der so kommt. Komm mit in die Hüte.“ Wir gingen in die Hüte, er sagte mir, dass ich mich an Tisch setzen sollte und zur seiner Frau, dass sie mir ein wenig Suppe geben sollte. Und sagte mir der alte Mann:

Seite 112
„Das kannst du essen, und noch ein Stückchen Brot gebe ich dir, aber mehr gebe ich dir nicht. Denn du nicht der erste bist, der so kommt. Und wenn man so einem so viel Essen gibt, wie er will, dann stirbt er gleich und wir müssen ihn beerdigen. Aber du selbst weist wie schwer die Bedingungen sind“. Dann fragte er wo ich hin gehe. Ich sagte, dass ich nach „Neues Leben“ gehe, wo meine Mutter wohnt. Er sagt, dass dort noch 12 km zu gehen sind, du schaffst das heute nicht. Dort gegenüber wohnen die Deutschen, frage sie, ob du nicht bei denen übernachten dürftest, und morgen gehst weiter. Ich dankte ihm für das Essen, aber wer würde mich bei sich übernachten lassen. Alle hatten Angst, dass ich nachts sterbe. So ging ich langsam in die Gasse und weiter auf die Sokolowskaja Trasse. Ich dachte, dass Gott mir noch so viel Kraft gibt, dass ich ankommen werde. Ich ging weiter, gehe etwas und dann bleibe stehen, stütze mich auf den Stock und stehe.

Seite 113
Ich hatte Angst mich zu setzen, ich wusste, dass ich dann nicht wieder aufstehen werde und erfriere. Als ich auf der Straße ging, habe ich einen eingefrorenen Kohlkopf gefunden, den man offensichtlich beim Transport verloren hat. Ich habe mir den genommen und aß den beim Gehen ein Blättchen nach dem anderen, war so lecker. Als wir noch in M. Malyschka wohnten, fuhr ich mit der Jungs nach Petropawlowsk, wir brachten die Landwirtschaftlichen Staatliche Abgaben in die Stadt. Wir fuhren auf den Schlittenkutschen mit angebundenen Kalben. Und die Jungs zeigten mir damals die Siedlung „Neues Leben“. Das war deutsche Siedlung mit musterhafter Wirtschaft. Dort standen drei große Birken am Straßenrand. Ich dachte, dass ich bis zu diesen drei Birken gehen werde und dann biege nach unten in die Siedlung ab, es war zwar dunkel, aber so viel werde ich schon sehen können. Ich blieb oft stehen,

Seite 114
stützte mich auf meinen Stock, erholte mich etwas und ging weiter. Ich hatte Angst mich zu setzen, dass ich es nicht schaffe wieder aufzustehen, werde erfrieren, obwohl ich sehr müde war, die Gedanken, dass ich immer gehen muss, hatten mich nicht verlassen. Der Weg ging durch die Wälder. Es war dunkel, es gab weder den Mond noch die Sterne, das finstere Wetter und nicht weit heulten die Wölfe, aber Gott schützte mich von allen Gefahren, von denen ich schon reichlich hatte, ich sollte noch nicht sterben, ich musste noch leben. Als ich diese drei Birken erreicht habe, ging ich in die Richtung der Siedlung und bald merkte ich Licht. Das war ein kleines Haus in der Nähe von Pferdestahl und alles deckte der Schnee.

Seite 115
Ich klopfte am Fenster. Es kam ein Mann, den ich nach einer alten Frau namens Penner fragte. Er sagte, dass er hier niemanden kennt, er sei Tierarzt und musste hier geschäftlich sein. Ich sollte in einem anderen Haus nachfragen. Ich habe mich bedankt und ging weiter. Im nächsten Haus sagte man mir, ich soll weiter die Straße entlang gehen. Hinter der Schule steht eine große Birke und daneben ein Haus mit einem roten Blechdach. dort bei den alten Leuten namens Huschie wohnt die alte Frau Penner.

Seite 116
Ich dankte und ging weiter, dann sah ich ein langes Haus mit einem großen Hof und dachte, dass das wohl die Schule ist. Etwas weiter standen eine große Birke und ein Haus mit dem blechbedeckten Dach. Ich klopfte am Tor und gleich kam bellend ein großer weißer Hund an der Kette. Er stellte sich auf die Hinterpfoten und bellte sehr laut. Wegen dem Lärm kam aus dem Haus ein alter Mann und fragte mich was ich will. Ich sagte ihm, aber er konnte mich nicht verstehen, da der Hund sehr laut war. Er kam an das Tor, beruhigte den Hund und ich habe im alles erklärt. Er brachte den Hund weg, führte mich ins Haus und zeigte mir an die Tür, wo sie wohnte. Ich klopfte und öffnete die Tür. Im Zimmer sah ich eine Bettdecke auf dem Boden und

Seite 117
kleine Leuchte daneben, das war ein kleines Tellerchen mit Öl, in dem, eine brennende Schnur schwamm. Mama saß auf dem Boden und flickte die Bettdecke.
Mama hob ihre Augen auf mich und fragte: „Artur, bist du das?“ Sie meinte meinen Vater Artur, den man im 1937 verhaftet hat, und seit dem wir nichts von ihm gehört haben. Ich sagte: „Nein Mama, das bin ich, Ernst“. Sie ist aufgestanden, hat mich umarmt und hat geweint. So bin ich zurück nach Hause gekommen und traf meine Mutter. Ich hatte schon oben erwähnt, dass die Mutter alleine im armen russischen Dorf geblieben war, nach dem man meine Schwestern Katja und Lena und den jüngsten Bruder Artur zur Arbeitsarmee eingezogen hatte. Arbeiten konnte sie nicht und hatte keine Mittel zum Leben. Sie nahm ihre Sachen und kam hierher. Hier wohnten wenigstens zum größten Teil Deutsche und Kolchos war nicht so arm. Sie fand sich hier eine Wohnung und begann hier zu leben. Sie konnte gut nähen und konnte damit einem oder anderen helfen.

Seite 118
Man gab ihr dafür Milch und Brot oder Kartoffel und so konnte sie leben, was dort anderswo nicht möglich war. Kurz danach kam zur ihr die Mittglied der Verwaltung und Schuldirektor und forderte von ihr eine Erlaubnis von der Kommandantur, sie sagte aber dass sie keine Erlaubnis hat und dass sie dort nicht leben konnte. Die Schuldirektorin sagte, dass sie gehen müsse, sonst wird sie dazu von der Polizei gezwungen. Die Zeit verging, sie kam dann noch einmal, aber die Mutter ging nicht weg und dann kam ich und alles hat sich geändert. Ich hatte Anweisung in dieses Kolchos und Bescheid über Entlassung aus der Arbeitsarmee. Sobald meine Gesundheit etwas besserte, ging ich ein paar Tage später in die Verwaltung, zeigte mein Bescheid und meldete mich dort ordentlich an. Danach konnte man auch

Seite 119
die Mutter dort anmelden. Natürlich, habe ich damals nicht so gut ausgesehen und war schwach, der Kolchosvorsitzende fragte mich wie ich mich fühle und wann könnte ich anfangen zu arbeiten. Wir bekamen etwas Mehl, die Menschen gaben uns ab und zu Milch und Kartoffel, Karotten. Mama hat etwas gebacken und schon eine Woche später war ich in der Lage mit der Arbeit anzufangen. Es gab überhaupt nur weniger Männer im Dorf. Fast alle Deutschen waren in der Arbeitsarmee und die russische Männer, die im Dorf lebten, waren alle an der Front, so gab es praktisch niemanden, der arbeiten konnte. Ich ging in die Kolchosverwaltung und der Vorsitzende fragte mich ob ich auf die Pferde und Ochsen im Stall pflegen und futtern könnte. Ich war einverstanden. Es ging langsam zum Frühling, es wurde wärmer an manchen Plätzen wuchs Gras, das Vieh wurde nach draußen gelassen. Als noch überall Schnee lag, fuhren wir mit den Jungs mit den Schlittenkutschen um Stroh zu holen,

Seite 120
wir waren 4 Kutschen Ich fuhr als letzte und von meiner Kutsche ist ein „Wostrik“ gefallen. Das ist ein dünner Holzstamm mit einem Seil. Nach dem die Kutsche voll mit dem Stroh war, steckte man den Stamm von oben in das Stroh und mit dem Seil spannte das Stroh von oben damit das beim Fahren nicht wegflog. Dieses „Wostrik“ ist von meiner Kutsche beim Fahren gefallen, ich bin ausgestiegen nahm das Teil, aber die Pferde liefen langsam weiter und ich konnte die Kutsche nicht einholen und lief ihr hinterher ich hatte noch nicht genug Kraft zum Laufen. Die Jungs merkten das haben die Pferde angehalten und warteten auf mich. Die Jungs haben, natürlich, gesehen, dass ich nicht laufen konnte und fragten

Seite 121
warum ich nicht gerufen habe, aber ich sagte, dass ich gehofft habe, dass ich das selbst schaffe. Wir haben alle Kutschen vollgeladen und fuhren zurück. Die Jungs waren alle, natürlich, junger, als ich, weil sie noch nicht in die Arbeitsarmee, oder die Russen nicht an die Front mussten. So habe ich im Kolchos unterschiedliche Arbeit gemacht. Es war Frühling und man begann zu Pflügen. Einmal fragte mich Brigadier ob ich nicht die jungen Ochsen nachts hüten wolle. Die tagsüber gepflügt haben. Ich habe zugesagt. Und man machte aus mich und einem alten Man ein Paar. Ich bekam ein junges gesatteltes Pferd und der Alte ein so alters Pferd wie er selbst. Mit diesem alten Man verbrachten wir die Nächte am Lagerfeuer. Einmal nachts saßen wir mit dem Alten am Lagerfeuer, unsere Ochsen weideten friedlich und unsere Pferde waren in der Nähen. An den Zäumen waren die Seile befestigt, und die anderen Seiten von den Seilen hatten wir in den Händen.

Seite 122
in den Händen. Unsere Pferde waren immer in der Nähe. Der alte saß und pennte. Plötzlich höre ich ein weinendes Kind, ich weckte den Alten auf und sagte ihm, dass da die Kinder weinen. Er sagte, dass das keine Kinder sind, sondern die Wölfe haben die Kälber überfallen, die nicht nach Hause gegangen sind und neben den Garben am Fluss lagen. Ich sagte: „Komm, jagen wir sie weg“, er sagte gut. Ich sprang auf das Pferd und ritt schnell zum Fluss, aber ich wusste nicht, dass auch unsere Ochsen mir nachgelaufen waren. Sie haben dieses Weinen auch gehört und als ich weg rannte, lief die ganze Herde mir nach. Als ich näher kam, sah ich wie die Wölfe ein Kalb am Hals packten, warfen es über sich und das Kalb war fertig. Ich hatte eine Peitsche, die ich mir gemacht habe, und schlug damit in der Luft und es knallte wie ein Schuss aus dem Gewehr. Die Wölfe sprangen zur Seite stellten sich in eine Rehe, sie schnalzten mit den Zähnen und blitzten mit den Augen

Seite 123
Mein Pferd stellte sich auf die Hinterbeine und röchelte, es konnte schlimm enden, aber dann rannten an mir vorbei unseren Öchschen mit tief gebeugten Köpfen und gingen direkt auf die Wölfe los. Das war wieder mal meine Rettung. Ich kann bis heute nicht begreifen, wie diese Öchschen mir nachlaufen konnten. Der alte Mann kam mit seiner Schindmähre erst viel später, als schon alles vorbei war und die Wölfe weg waren. Sie haben drei Kälber getötet und die restlichen drückten sich an einen Heuschober. Am nächsten Tag meldeten wir das Geschehene den Menschen in der Siedlung und sie holten das, was von getöteten Kälbern übrigblieb, ab. Nach diesem Vorfall gab man uns ein altes Gewehr. Einmal während der Mittagspause trieb ich die Herde zum Feldlager zurück zur Arbeit, sie hatten immer auch ein paar Stunden Pause. Und ich habe gesehen, wie das ganze Rudel Wölfe aus dem Wald kam.

Seite 124
Ich hatte das Gewehr dabei und schoss in ihre Richtung. Sie sind momentan im Wald verschwunden. Die Wölfe haben sich damals sehr vermehrt. Sie griffen Vieh und Menschen an. Noch früher fuhren wir aus dieser Siedlung in die Stadt und haben auf dem Weg zerrissene Kleidung und alte Stiefel, in denen abgebissenen Knochen steckten, gesehen. Es ging ein Mensch auch nach Hause, aber ist zur Seinen nicht angekommen. Während der Zeit wo ich bei den Huschie mit der Mutter wohnte, habe ich mich sehr mit seinem Hund „Freund“ befreundet. Ich brachte ihm oft etwas zum Essen, manchmal gab es auch Fleisch von gefallenem Vieh, ich ließ ihn nachts an langem Draht im Hoff laufen und morgens setzte ihn wieder an die kurze Kette. Einmal brauchte die Mitter eine Schüssel, die im Hof stand und sie wollte diese holen. Ich sagte: „Warte, ich nehme den Freund“. Ich ging raus und rief den „Freund“. Er kam zu mir und ich habe ihn gehalten während die Mutter schnell die Schüssel

Seite 125
nahm und wieder ins Haus lief. Mama wohnte dort schon länger, als ein Jahr, aber der Hund hatte sie nicht anerkannt. Ich ließ den „Freund“ laufen und er lief Mama nach, aber sie war schon weg. Er hat sich dann sehr geärgert, stellte sich an der Tür und knurrte. Ich sagte: „Freud, geh weg!“ Dann sprang er zu mir, stellte sich auf hinteren Pfoten und biss mich an der Brust, ich griff ihn mit beiden Händen am Hals und habe ihn zur Seite geworfen, dann lief ich ins Haus und machte die Tür hinter mir zu. Er kam und hat nun an der Tür gebissen. Er hatte sich so geärgert, dass ich ihn nicht an die Mutter lies. Ich ging ins Haus und zog die Jake und das Hemd aus. An der Brust konnte man blauen Flecken sehen. Seit dem ließ er mich an sich nicht heran, alle Versuche eine Freundschaft mit ihm zu schlissen, halfen nicht,

Sete 126
er zeigte mir immer seine Zähne. So musste der alte Man selbst ihn jeden Morgen an die kurze Kette setzen. So ruhig lebten wir mit Mama, ich ging die ganze Zeit zur Arbeit, während der Ernte brachte die Garben zur Dreschmaschine und näher zum Herbst hütete die Ochsen und Pferde. Im Sommer pflanzten wir etwas Kartoffel und Möhren und im Herbst ernteten ein paar Säcke davon.
Am 20.11.43 bekam ich die Anweisung ins Militärkommissariat nach Sokolowka zu kommen. Das war die dritte Welle der Mobilisierung von Russlands Deutschen in die Arbeitsarmee wo nicht nur Männer, sondern auch die deutschen Frauen mobilisiert wurden. An dieser Etappe wurden Einheiten in Lagern und Baustellen der NKWD

Seite 127
(Innenministerium) oder anderen Kommissariaten, wie Kohle und Öl Förderung, organisiert. Ich, wie auch viele Tausende sind in KohleIndustrie gekommen. Wir wurden am 25.11.43 nach Karaganda in die Zeche geschickt, ich selbst wie auch viele anderen kam an die Grube 55/57. Bei der Verteilung hatte ich nur Angst wieder auf die Uralsk Bogoslowsk Bau zu kommen. Und wieder war unsere Mutter alleine geblieben. Nur eins war beruhigend, dass sie jetzt nicht mehr alleine, sondern unter Menschen, die sie in schwierigen Zeiten unterstützten, war. Zuerst kamen wir in das West-Lager, wir lebten in den Erdbaracken und von dort marschierten wir in Kolonnen zur Arbeit in die Kohlengrube. Mit der gleichen Mobilisierung kam auch die Lifa Janz nach Karaganda, in die Bergindustrie. Ihr erste Arbeitstag untertage war, wie auch meiner, 27.11.43. Sie war grade

Seite 128
16 geworden. Aber wir kannten uns damals noch nicht. Später haben wir uns kennengelernt und geheiratet.
Die erste Zeit, in den ersten Kriegsjahren, waren die Arbeitsbedingungen sehr schwer, es gab keine Technik, alles war Handarbeit. Es war Krieg. Russlands Westen war unter deutscher Okkupation, die wichtigsten Kohlengruben waren unter Deutschen, das Land brauchte Kohle, deswegen wurden alle Kräfte auf den Bau von Kohlengruben in Karaganda und Kuzbass konzentriert. Man zwang uns 12 Stunden Täglich zu arbeiten. Später wurden wir in ein anderes Lager verlegt, etwas Nähe zur Kohlengrube, wir lebten in Erdbaracken, schliefen auf Holzpritschen auf nacktem Holz. Eins war noch gut, dass alle Bergleute 1 kg Brot bekamen. Man führte uns zweimal pro Tag, morgens und abends in die Kantine.

Seite 129
Es gab keine Dusche, beim Aufstieg aus der Kohlengrube, haben wir uns Zuhause gewaschen. In der Erdbaracke war ein kleines Stübchen, wo man das Wasser zum Waschen erwärmte. Es war so, beim Übergang von dritter Schicht in die erste schufteten wir in der Grube 24 Stunden untertage. Morgens schickten wir 2 Leute nach oben, die haben das Brot für jeden Mietglied der Brigade bekommen. Als jeder sein Essen bekam, setzten wir uns im Kreis, aßen das Brot und schafften weiter bis 8 Uhr abends. Wir waren unter Aufsicht der Militärkommandantur und durften nirgendwo hingehen, ohne die Erlaubnis des Kommandanten. Ich habe schon erwähnt, dass die Lebensbedingungen sehr schwer waren, die Kohlengrube war neu. Man machte zwei schräge Tunnels in der Kohlenschicht, eins für das Hochziehen von Waggons mit Kohle und eins für die Menschen, danach wurden horizontalen Strecken geschlagen,

Seite 130
wo man Kohle mit Waggons förderte. Man schneidet zwei Abbaustollens an, eins im Westen und eins im Osten, und die Kohlengewinnung geht los. Es gab keine Ventilatoren, die den Untertagebau durchlüften konnten, belüftet wurde mit natürlicher Ventilation. Nach der Sprengung im Arbeitsbereiches, blieb das Gas manchmal noch lange in der Luft und wir hatten uns vergiftet. Aber das alles spielte keine Rolle, man brauchte Kohle. Es gab keine Leuchten, man hatte nur Petroleumlampen, die man mit Petroleum fühlte, das nur für eine halbe Schicht reichte, danach schuftete man in der Dunkelheit. Es gab so ein Vorfall, meine erste Arbeitstaufe: das war in der zweiten Schicht, das heißt nachts, ich, als Neuling, musste eiserne Förderbänder von Überschüttung befreien. Zur dieser Zeit sprengte man den Flöz ab. Ich saß genau gegenüber, meine Lampe leuchtete nicht und man konnte mich nicht sehen. Die Rufe von dem Sprengmeister

Seite 131
habe ich nicht gehört, ich war eingepennt. Die Explosionswelle schlug und kippte die Eisentroge um, die mich von größeren Steinen schützten, aber die kleinen haben mich getroffen. Aber ich war eingeschlafen und hielt den Kopf zwischen den Knien und das hat mich gerettet. Der Mann, der den Sprengstoff zündete, lief rein und merkte, dass da sich etwas bewegte, ich sagte zu ihm: „Wolodja, warum hast du nicht gesagt, dass du zündest?“ Der war sehr erschrocken und schimpfte sehr auf Russisch. Als wir nach Hause kamen und ich mich ausgezogen habe, sah ich dass das ganze Körper von der rechten Seite rotbläulich war, aber es gab keine Knochenbruche und ich konnte weiter arbeiten. In 25 Jahren während ich untertage gearbeitet habe, gab es verschiedene Vorfälle und ich war an unterschiedlichen Stellen und Berufen beschäftigt. In der ersten Zeit habe ich

Seite 132
Löcher für den Zündstoff gebohrt, habe die Stollen befestigt, das sind Berufe in der komplexen Brigade, eine Zeit lang füllte ich die Leerenräume, wo die Kohle abgebaut wurde, mit den Steinen, das war eine schwere Arbeit. Einmal gab es so ein Vorfall: ich füllte die leeren Räume mit Steinen und plötzlich fühlte ich die starke Schmerzen im Rücken und in den Füssen, so, dass ich nur sehr schwer nach oben rausgehen konnte. Ich und Lifa (damals waren wir schon verheiratet) gingen zusammen ins Krankenhaus zum Arzt, weil ich eine Befreiung von der Arbeit brauchte. Der Arzt konnte wegen seiner Unerfahrenheit keine Ursache für meine Krankheit feststellen und gab mir keine Befreiung, so gingen wir langsam nach Hause. Ich hatte solche Schmerzen in den Beinen und im Rücken, dass ich weder essen noch schlafen konnte, arbeiten konnte ich nicht. Lifa ging zum Abteilungsleiter Stepanow

Seite 133
und sagte, dass ich starke Schmerzen habe. Er sagte, dass ich zwei-drei Tage im Bett bleiben sollte um zu schauen ob es nicht besser wird. Aber es war nicht besser. Ich aß und schlief nicht, habe schnell auch an Gewicht verloren. Eine alte Frau hat Lifa gesagt, dass sie von einem Pferdestall einen halben Sack mit frischen Pferdeäpfel bringen soll und das in einem heißen Bad reinschütteln und mischen. Und ich soll in diesem Bad sitzen solange ich kann. So hat sie auch gemacht und ich setzte mich in dieses Brei. In fünf Minuten füllte ich, dass die Schmerzen vergehen, mir wurde es so gut, dass ich dort, in diesem Bad, eingeschlafen bin. Danach habe ich mich gut gewaschen, legte mich ins Bett und schlief 24 Stunden. Während dieser Zeit wurde ich so schwach, dass kaum mehr gehen konnte. Lifa ging am nächsten Tag ins Krankenhaus und hat dort solchen Krach gemacht, bei den Schwestern und bei den Ärzten. Die Chefin sagte einem Arzt,

Seite 134
dass er mich zuhause untersuchen sollte, den ich ging schon seit mehr, als eine Woche nicht zur Arbeit und eine Ärztliche Befreiung hatte ich nicht. Der Arzt kam und sagte, dass ich morgen zu einer Kommission kommen sollte. Ich konnte selbst nicht gehen und Lifa ging zum Pferdehof und bettete um ein Pferd mit der Kutsche um mich ins Krankenhaus zu fahren, einen Krankenwagen gab es damals noch nicht. Die Kommission hat mich untersucht, ich weiß nicht mehr welche Diagnose haben sie gestellt, aber ich habe eine Befreiung ab den ersten Tag, als ich krank wurde, bekommen. Bald ist es mir besser geworden und ich ging wieder zur Arbeit.
Ich gehe in der Zeit etwas zurück. Es gab noch so ein Vorfall. Ich arbeitete als Absetzer, das ist so eine Arbeit, wenn man die Stutzen rausschlägt, die an der Stelle stehen wo die Kohle rausgenommen wurde. Die Kohlenschicht, wo wir gearbeitet haben, war etwa 120 cm hoch und alle Schichten hatten eine Neigung von 10°-12°. Beim Absetzet des Arbeitsbereiches entfernte man die Stutzen und bewegte sich von unten nach oben. Es gab eine Regel, dass beim Absetzen unbedingt entweder Abteilungsleiter oder

Seite 135
der Stellvertreter von Hauptingenieur als Aufseher dabei sein sollte. Dieses Mal war der Abteilungsleiter Stepanow anwesend. Die Länge des Arbeitsbereiches war 100 m. und ich war schon in der Mitte, Stepanow saß hinter Grenzlinie (wo extra eine Reihe von Stützen stand), und schaute auf die Decke. Plötzlich ruft er: „Schnell nach oben!“. Ich schaute nach oben und sah, wie die Decke sich biegt, ich konnte noch weg springen und dort, wo ich stand, stürzten die Steine – Krach, Staub, nach dem die Staubwolken sich zerstreuten wurde es still und dunkel. Stepanow kam sofort zu mir und half mir das unter den Steinen vergrabenes Bein zu befreien. Ich dankte den Stepaniw und Gott, dass ich am Leben war, der half mir noch nach oben zu kommen. An der Stelle, wo ich arbeitete sind noch meine Axt und Schaufel unter den Steinen geblieben. Ich hatte keine Brüche, nur gezogene Muskeln. Ich wurde 10 Tage krankgeschrieben

Seite 136
und danach konnte wieder arbeiten. In dieser Zeit, noch im Jahre 1945, arbeiteten wir noch 12 Stunden Täglich, aber in vielen Gruben arbeitete man nur 8 Stunden, besonders dort, wo die Deutschen Kriegsgefangene gearbeitet haben. Das hat uns sehr empört, dass die Gefangenen Deutschen 8 Stunden gearbeitet haben und wir 12. Darüber konnten wir uns aber nicht beschweren, wir lebten unter der Kommandantur und hatten gar keine Rechte. Unsere Brigade, wo ich der Brigadier war, bestand aus 7 Menschen, die im Abbaustollen (Arbeitsbereich , wo Kohle gewonnen wurde)  gearbeitet haben. Wir haben Kohle aufgeladen, zwei haben befestigt, einer hat gebohrt und einer brachte holzstützen, und noch 8 Frauen und Mädchen haben die leeren Förderhunte von der Platte zum Abbaustollen geschoben und die vollen dann zur Platte zurück, wo sie weiter nach oben gezogen wurden. Auf dieser Strecke – vom Abbaustollen bis zur Platte, hat es von der Decke an vielen Stellen ganz stark getropft, so dass die Mädchen, die unter

Seite 137
diesen Tropfen die Hunte zogen, nach der Schicht ganz nass wurden. Sie hatten mit Gummi beschichtete Jacken, aber sie halfen wenig. Es war Winter, wir haben die Nachtschicht gearbeitet, das heißt von 8 Uhr abends bis 8 Uhr morgens, also 12 Stunden. Als wir in die Grube gegangen sind, habe ich allen gesagt: „Machen wir so – arbeiten wir 8 Stunden und dann gehen wir nach oben“ – alle waren einverstanden. So haben wir auch gemacht – haben 8 Stunden gearbeitet, dann schalteten wir die Energie ab, haben alles im Abbaustollen aufgeräumt und gingen nach oben. So gingen wir den schrägen Gang nach oben und uns entgegen kommt der Abteilungsleiter Djaschenko und fragte wo wir hin gehen und wie viele Förderhunte haben wir nach oben „gepumpt“. Nie Norm war 80 Hunte und wir haben 50 „gepumpt“. Dann sagte er: „Geht zurück und macht die restlichen 30. Dann könnt ihr gehen“. Aber ich sagte ihm, dass wir schon 8 Stunden gearbeitet haben und morgen kommen wieder und machen die restlichen. Er sagte: „Das

Seite 138
ist Sabotage und ihr könnt dafür bestraft werden“. Ich sagte ihm: „Wir haben 8 Stunden gearbeitet, die deutsche Kriegsgefangenen arbeiten auch nur 8 Stunden, wir aber sind keine Kriegsgefangenen“.
Wir kamen nach oben, haben die Schaufel und Werkzeug abgegeben und sind in die Zone, wo wir lebten, gegangen. Der Abteilungsleiter ist über einen anderen Weg schnellen in die Zone gegangen und hat den Wachleiter informiert, damit er uns zurück in die Grube schickt. Ich wusste, dass das zu einer „Politische Angelegenheit“ wurde und dass man dafür 10 Jahren Gefängnis oder noch schlimmere Strafe bekommen könnte. Es war Krieg und man ist mit uns nicht besonders zimperlich umgegangen. Als wir zum Tor der Zone kamen, lies uns der Wächter nicht ins Lager. Er sagte, dass man ihm befohlen hat uns zurück in die Grube zu schicken. Ich sagte ihm: „Schau doch die Mädchen an, sie sind doch ganz nass.“ Die Kälte war, aber unter -30°,

Seite 139
die Kleider waren wie aus Blech. Ich sagte dem Wächter: “Lass uns rein, sie werden erfrieren.“ Er sagte: “Nein, mir wurde befohlen nicht rein zu lassen“. Dann nahm ich ihn an den Schultern und druckte an die Wand zusammen mit dem Gewähr. Und sagte zur Brigade, dass sie rein gehen, dann ging ich auch selbst. Die Frauen gingen in ihre Baracke und wir in unsere, haben uns gewaschen und legten uns auf die Matratzen. Für das Waschen gab es noch kein extra Raum, wir wuschen uns direkt in der Baracke, keine Bedingungen fürs Laben, nur Arbeit. Erst sind wir eingeschlafen, schon kommen in die Tür der Lagerleiter, Kommandier der Wache, Abteilungsleiter und der Wächter, der am Tor stand und fragen nach dem Penner. Ich bin aufgestanden. Man befahl mir und dem Grabe Andrej uns anziehen und denen folgen. Dann brachte man uns in Karzer, in einen kalten Raum. So sitzen wir und warten auf unser Schicksal. Die Zeit war schon kurz vor Mittag,

Seite 140
niemand kam zu uns, und es war, aber ziemlich kalt, ich habe angefangen in die Tür zu Klopfen. Es kam ein Wächter und fragte, was wir wollen. Ich sagte ihm: „Man setzt uns in einen kalten Raum, wollt ihr etwa, dass wir erfrieren? Führe uns zu den Vorgesetzten!“ Er sagte: „Wartet, ich muss fragen.“ Und ging weg. Eine Zeit später kam er zurück und sagte: „Kommt!“ Er führte uns ins Zimmer vom Lagerleiter, wo schon alle Vorgesetzten saßen. Gleich sprachen sie zu mir. Irgendwie haben sie mich für einen Anführer gehalten. Und der Leiter der Bewachung fragte mich ob es mir bewusst ist, was ich getan habe und was mir dafür geschieht, dass ich den Wächter angegriffen habe? Ich sagte, dass ich ihm gesagt habe, dass er uns in die Zone rein lässt und dass die Mädchen ganz nass sind und erfrieren werden. Der Lagerleiter sagte: „Ihr habt den Befehl gehabt zurück in die Grube zu gehen und eure Zeit und die Norm abarbeiten!“

Seite 141
Ich sagte ihm, dass in den benachbarten Gruben wo die gefangenen Deutschen arbeiten, dauert die Schicht nur 8 Stunden am Tag, wir arbeiten, aber 12 Stunden. Womit haben wir uns verschuldet und was ist unser Schuld? Der Lagerleiter sagte: „Gut, geit jetzt in eure Baracke, und wir werden uns entscheiden, was wir mit euch machen“. Wir mit Andrej gingen in unsere Baracke legten uns schlafen, denn nachts mussten wir wieder in die Grube. Aber das alles war nicht umsonst – seitdem haben wir nie wieder 12 Stunden pro Tag gearbeitet. Man organisierte die Arbeit in drei Schichten und 8 Stunden pro Tag. Die Geschichte wurde aber noch lange nicht vergessen, das ließ man mich lange spüren, bis die Vorsitzenden ausgetauscht wurden. Damals gab es im Winter schreckliche Windstürme, die bis zu drei Tagen pausenlos andauern konnten. Der Wind war so stark, dass die Menschen umgefallen wurden, besonders nachts war es gefährlich, dass besonders die schwachen nicht weggefegt werden. Damit das nicht passiert hat man ein Seil aufgezogen von den Baracken bis die Kohlengrube und wir konnten uns an dem Seil halten, als wir zur Arbeit gingen, damit

Seite 142
der Schneesturm uns nicht wegtragen konnte. In der Winterzeit, als die Luft von oben in die Grube zog, die war genau so kalt, wie draußen, die Säulen (das heißt die Stützen) waren ganz weiß, wie im Wald und die Wände waren bis zu 10 cm in die Tiefe durchgefroren. Nach der Sprengung des Arbeitsbereiches, stieg von der Kohle Dampf auf. Im Sommer war es leichter, aber, wie ich schon sagte, der Luftzug war schwach das Gas blieb bis zur halben Stunde stehen, es war schwer zu atmen, aber wir mussten arbeiten, auf uns nahm man keine Rücksicht, es war ein Krieg. Im Jahre 43 kamen viele Frauen und Mädchen, die auch in die Arbeitsame mobilisiert wurden, und wie es schon sagte, unter ihnen war eine namens Liefa Janz, die hat mit anderen Mädchen in unserer Abteilung die Hunte geschoben. Die leeren Waggons rollten die 12° Neigung sehr leicht runter und man sollte sie leicht anhalten.

Seite 143
Die Gleise waren nass und rutschig, die Mädchen stellten sich auf die Gleisen, rutschten mit den Wägelchen zusammen und so haben sie gebremst. Aber sie haben sich trotzdem manchmal stark beschleunigt und kippten auf den Weichen. So ist es auch mit dem Wägelchen passiert, das Liefa und ihre Freundin Rose Deperschmidt geschoben haben. Das Wägelchen kippte um und Rose zwischen dem und einer Stütze eingeklemmt. Dabei hatte sie eine schwere Schädelverletzung. Sie wurde ins Krankenhaus angeliefert, aber in Kürze starb sie dort.
Wie ich schon oben sagte, die Kohle wurde von Hand gewonnen, erst später, am Ende des Jahres 1944 kam die erste Technik in die Gruben, kamen die ersten Elektrolokomotive und im Jahre 1945 die ersten Bergmaschinen für Untertage. Ein russischer Ingenieur Makarow hat eine Maschine konstruiert, die eigentlich, aus zwei auf einander gestellten Maschinen bestand –

Seite 144
zweistöckig. Die obere Maschine schnitt die Form und Größe, je nach der Größe der Kohlenschicht. Und zwischen beiden Maschinen standen starke hydraulische Zylinder, die obere Maschine nach oben und unten bewegt haben. Diese Maschine vergrößerte sprunghaft die gewonnenen Kohlenmengen.  Ich erinnere mich, wie man bei uns die erste solche Maschine installiert hat. Hinter der Maschine gab es noch eine Ladeeinheit, die abgeschlagene Kohle aufgeladen hat. Als wir die Maschine gut kennengelernt haben, haben wir schon am ersten Tag zwei Mal mehr Kohle gewonnen wie früher. Ich erinnere mich, man gab uns die Norm 100 Tonnen in 8 Stunden, aber wir haben 150 Tonnen geliefert. Als wir nach oben kamen, traf man uns mit einem Blasorchester und Blumen, wir machten uns sauber und wurden alle in ein Restaurant eingeladen. Für uns war das sehr ehrenhaft, alle waren sehr aufgeregt.

Seite 145
In der Brigade waren nur deutsche, alle aus der Arbeitsarme, alle waren sehr stolz, solche Aufmerksamkeit zu erleben. Jeder bekam 100g Wodka und gutes Essen, was damals sehr geschätzt wurde, wir alle konnten mal satt essen. Stäter gab es so eine Regel. Das Kombinat bekam zu irgendeinem Festtag die neue, erhörte Norm des Kohlengewinnens. Und an diesem Tage machte unsere Brigade wieder das Doppelte von der neuen Norm. Und alles widerholte sich von vorne, wieder Musik, und Blumen, und Restaurant. Natürlich, meine Jungs, unsere Brigade eine der besten war, und unsere Abteilung wurde oft als eine herausragende in der Grube und ganzem „Kombinat Karaganda Kohle“ anerkannt. Im Januar 1946 wurde ich zum Bergmeister,

Seite 146
als ein gute Arbeiter mit Organisatorischen Fähigkeiten der Arbeitsabläufe. Ich erwähnte schon, dass wir im August 1946 geheiratet haben. Wir haben ein Haus auf der Stadionstraße gebaut. Es war, freilich, nicht einfach zu bauen, weil es gar kein Baustoffe gab. Alles musste man selbst organisieren je nach Situation. Es gab noch keine Geschäfte oder Märkte, wo man Baustoffe kaufen konnte. Es gab kein Zement, stattdessen kaufte man Puschonka, aber das hatte nicht die Eigenschaften von Zement. Als wir unser Häuschen aus zwei Zimmern gebaut haben und noch einen Flur dazu, da konnte man schon leben. Im Sommer 46 hatten ich und Liefa unseren ersten Urlaub seit der ganzen Zeit in der Kohlengrube gehabt. Ich hatte schon erwähnt, dass dort von wo ich in die Arbeitsarme mobilisiert wurde, war noch meine Mitter geblieben. Wir mit Liefa haben schriftliche Bestätigung bekommen, dass wir

Seite 147
uns von – bis bestimmten Datum im Urlaub befinden. Pässe hatten wir noch keine, weil wir, deutschen, alle unter Sonderkommandantur waren und das Verlassen des jeweiligen Gebiets oder Dorfes ohne Erlaubnis des Kommandanten wurde uns verboten. Sollte einer beim Verlassen seines Gebietes erwischt werden, zählte das als Flucht und wurde mit 10 Jahren Lager bestraft. Wir mit Liefa haben unseres Häuschen gebaut und haben uns entschieden nach Petropawlowsk zu fahren und Mitter zu uns zu bringen. Das Häuschen war aus Holz gebaut. Ich bekam Holz von der Grube, grub Löcher in der Erde steckte dort die Hölzer mit dem unteren Teil, das vorher mit Isolierungsmittel und Folie isoliert war. So stellte ich sie streng nach Schnur in einer Linie mit bestimmten abständen, wo dann Fenster und Türen eingebaut wurden. Die Wände machte man auch aus Holz,

Seite 148
bedeckt mit einer dicken Schicht Lehm. Man setzte Fenster und Türen ein, deckte das Dach mit Schiefer und das Haus war fertig, man konnte dort leben. Also haben wir Ausschreibungen aus der Urlaubsgenehmigung bekommen, haben die Fahrkarten für den Zug gekauft und, ohne jede Erlaubnis, sind wir auf eigene Gefahr nach Petropawlowsk gefahren. Den Weg zum Dorf „Neues Leben“, wo die Mutter alleine wohnte, habe ich gekannt. Wir mit Lifa gingen noch nach Sokolowski Gebiet Dorf Kustowoe, wo Lifas Mutter wohnte, haben sie besucht und kamen zurück zur meine Mutter. Haben sie abgeholt, gingen zum Bahnhof in Petropawlowsk, kauften uns drei Fahrkarten und fuhren nach Karaganda. Alles hat sehr gut geklappt, niemand hat uns kontrolliert. Am nächsten Tag nach der Ankunft ging ich zum Kommandant, und wollte die Mutter anmelden. Ich habe ihm gesagt, dass sie

Seite 149
selbst zum Sohn gekommen war, eine alte, kranke, arbeitsunfähige Frau. Er forderte eine Erlaubnis von dem anderen Kommandanten, von dort, wo sie wohnte. Ich sagte, dass sie keine Erlaubnis hat. Dann sagte er, dass sie gleich zurück fahren muss. Ich sagte, dass sie nicht zurück fahren wird, sie ist alt und krank, sie wird mit uns leben. Er hatte mir gedroht, dass er mich fürs Verstecken eines Entlaufenen ins Gefängnis bringt, holte mich zu sich mehrmals nachts, drohte mit der Pistole, aber ich sagte immer dasselbe, sie ist alt und krank und wird nicht wegfahren. Dann, zum Glück wurde der Kommandant gegen einen anderen ausgetauscht und der neue wurde dann einverstanden Mutter anzumelden. Sonst hätte mich der alte noch lange gequält. Wir mit Lifa haben weiter in unserer Kohlengrube gearbeitet. Ich arbeitete untertage und Lifa wurde auf Ober Tage versetzt, sie arbeitete beim Aufladen von Lampen Akkus und Ausgabe von Gas-Methan-Messgeräten. Zuhause haben wir kleine „Wirtschaft“ aufgebaut, hatten Küken gekauft in

Seite 150
einer Hühnerfarm. Nach dem sie groß gewachsen sind, haben wir uns ein Ferkel gekaut, vor dem Winter, als es groß wurde, haben wir es geschlachtet und dann hatten wir Fleisch, Eier und Fett. Wir haben auch Wurst gemacht, das Leben ist leichter geworden. Wir hatten eigenes Grundstück, pflanzten dort Kartoffel, Tomaten, Gurken, viele Kleinigkeiten. Für den Winter hatten wir unterschiedliche Konserven vorbereitet. Im Juli 1947 ist bei uns die Tochter geboren. Wir haben sie Alija genannt, im 1951 ist der Sohn Artur geboren. Das, was wir in der Kohlengrube verdienten, reichte nicht für das Leben unserer Familie, da half uns unsere Hauswirtschaft. Im Jahre 1953 schickte man mich von der Grube in die Schule des Bergmeisters mit 100 Rubel Stipendium, wo wir gekürzten Kurs technischer Bergschule durchgemacht haben. Nach dem ich diese Schule beendet habe, kam ich im 1955 zurück in die Kohlengrube und wurde Abteilungsleiter in der Abteilung, wo ich früher gearbeitet habe. Die Abteilung,

Seite 151
die ich leitete, war immer eine der besten in Kohlengewinnung und Erfühlen des Planes. Im 1954 ist unsere zweite Tochter Irina geboren. Die Familie wuchs, die Kinder gingen in die Schule, es kamen neue Sorgen. Im 1948 ich beantragte eine Einladung für meine Schwestern Katja und Lena aus Molotowsk <Heute Sewerodwinsk. AW> Gebiet zum ständigen Wohnsitz bei uns in Karaganda. Sie lebten bei uns 5 Jahren. Katja war schwanger, hat den Sohn geboren er wurde Viktor genannt. Also lebten diese 5 Jahre 9 Menschen in zwei Zimmern, natürlich war es eng. Im Sommer 1953 kam Lifas Mutter auf Beantragung zum ständigen Wohnsitz, so waren wir 10 Leute in unserer Wohnung – zwei alte Frauen, vier erwachsenen und vier Kindern. Kurz nach der Ankunft von Lifas Mutter bekam Lena eine Wohnung und sie, Mutter und Katja mit Viktor sind in neue Zweizimmerwohnung umgezogen. Bei uns im Hause ist wieder etwas mehr Platz geworden. Im 1955 habe ich mir ein Motorrad IS-49 gekauft, bin viel mit dem gefahren

Seite 152
habe auch viele Sachen hin und her gefahren. So habe ich untertage gearbeitet, Lifa arbeitete in der Probenanalyse in der Abteilung für technische Kontrolle. Im 1958 wurde ich verletzt. Es war so: wir bauten einen Durchgang für ein Förderband zum Transport der Kohle aus dem Gewinnungsbereich. Bei der Sprengung wurde der erste Rahmen rausgeschlagen und als wir kamen hatte die Steinschicht oberhalb von Kohle gelöst. Man musste das Ganze befestigen. Wir stellten schnell eine Stütze und schoben das obere Rahmenteil drüber und ich habe angefangen sie langsam mit der Stütze zu verbinden. Ich stand mit den Knien auf einem Kohlenhaufen und hier löste sich die Steinschicht und drückte mich nieder. Meine Wirbelsäule wurde nicht gebrochen, aber stark zusammengedrückt. Die 4 und 5 Wirbel wurden gebrochen. Ich hatte starke Schmerzen, konnte nur sehr schwer atmen, aber ich stand auf den Füßen und konnte gehen.

Seite 153
Ich wurde krankgeschrieben, aber nicht lange, nach 10 Tagen ging ich wieder arbeiten. Nur wenn ich mich bewegte, oder ging hatte ich Schmerzen im oberen Teil der Wirbelsäule. Ich musste wieder in die Klinik gehen, dort hat man Bilder von der Wirbelsäule gemacht und festgestellt, dass die durch den Druck zusammengepresst wurde. Man legte mich ins Krankenhaus und zog einen Monat lang die Wirbelsäule auseinander aber es gab keine Besserung sollte man mich gleich behandelt haben, hätte man bessere Ergebnisse gehabt. Man machte mir eine Korsette aus Gips und ich trug sie einen Monat lang, danach fuhr ich in die Prothesenwerkstatt in Petropawlowsk, wo man mir eine richtige Korsette machte und sie trug ich fast einen Jahr lang. Im 1961 schickte man mich in einen Kurort, wo man mir sagte, dass ich die Korsette nicht mehr tragen brauchte, aber ich sollte Gymnastik machen, um die Wirbelsäule zu trainieren.

Seite 154
Diesen Monat, wo ich im Kurort war, musste ich jeden Tag Gymnastik und Massage machen, und ich kam zurück nach Hause ohne Korsette und gesund. Ich habe wieder angefangen untertage zu arbeiten. Ich arbeitete, aber nicht mehr direkt im Kohlengewinnungsbereich, weil dort war die Decke zu niedrig, ich fühlte mich noch schlecht ständig gebogen zu bleiben. Aber ich machte jeden Tag Gymnastik. Man schickte mich als Brigadier an die Abteilung OKR, dort habe ich länger, als ein Jahr gearbeitet, und fühle mich besser und mach versätzte mich in die Produktionsabteilung als Bergmeister. Im Jahre 1962 haben wir uns entschieden unser Haus umzubauen, die Kinder sind grösser geworden und es mangelte am Platz. Wir bauten ein Wohn- und ein Schafzimmer und eine Küche dazu. Haben die Heizung geändert, eine warme Toilette und es wurde in unserem Hause gemütlicher. Das Motorrad habe ich verkauft, weil ich es nach meiner Verletzung nicht mehr fahren konnte.

Seite 155
Die Zeit ging weiter, bis 1965 habe ich untertage gearbeitet. Im Herbst 65 wurde ich krank, meine rechte Seite wurde gelähmt. Ich kam nachts nach Hause, hatte nichts gespürt und als ich am Morgen aufgewacht bin, ist es passiert. Man brachte mich ins Krankenhaus. Ich lag ganz still. Der Arzt sagte, man muss einige Zeitlang liegen und alles wird gut. So lag ich 18 Tage, ich hatte starken Schluckauf, ich verlor das Bewusstsein, man brachte mich in das erste „Michailowsker“ Krankenhaus. Die Chefärztin Tamara Grigorjewna machte mir eine Spritze und der Schluckauf verging und es wurde mir besser. Nach 1,5 Monaten hat man mich in die II Behinderten Gruppe eingestuft, in der war ich 1,5 Jahre lang, dann kam die III Gruppe, in dieser Gruppe kann man schon arbeiten und ich habe angefangen wieder zu arbeiten. Erst als Meister in Lampenabteilung ober Tage.
(Die Zeilen wischen den Strichen gehören zur Seite 154) Im 1962 gab es Wahlen in die Kreissowjet. Es gab Anweisung aus dem Kriesparteikomitee – einen Delegierten für den Kreisrat zu delegieren, einen Deutschen, Parteilosen,

Seite 156
guten Arbeiter und mit langer Berufszugehörigkeit (unter Tage). Und das Kollektiv unserer Grube hat sich für mich entschieden. Und man wählte mich zum Deputierten des Kreisrates. Diese Ehrenamtliche Belastung zusammen mit der täglichen Arbeit in der Grube war zu schwer für mich und führte zu dieser Krankheit – Lähmung.
Unseren Kindern beendeten einer nach dem anderen die Schulen und haben angefangen zu studieren. Lili in Pädagogischen Hochschule, Artur nach 8 Klassen in der Technischen Bergbauschule, als Bergmeister. Irina nach 10 Klassen an der Technische Hochschule von Karaganda, Fakultät Maschinenbau. Wanja, nach 10 Klassen, an der Universität Tomsk im Fach Physik
Damals hatten wir schon ein Auto. Als Kinder groß wurden, konnte man schon ein Auto kaufen. Ein gebrauchtes auf der Markt möchte man nicht kaufen, aber ein neues zu kaufen war damals sehr schwierig. Autos kamen zum Kombinat und von dort wurden auf einzelne Unternehmen verteilt. Und die Führung der Grube verteilte die Autos nach ihrem Ermessen unter Mitarbeitern. Natürlich, als erste bekamen die Autos die Chefs. In der Grube gab es eine Warteliste. Die Liste war lang und Autos gab es wenig, so musste man lange warten.

Seite 160
Noch im Jahre 1955 habe ich mir ein Motorrad gekauft. Und als ich dafür ein Führerschein machte, habe ich auch Führerschein fürs Auto bekommen. Ich dachte damals schon ein Auto zu kaufen, ich wollte sehr ein Auto, aber es gab keine Möglichkeit. Schon im Jahre 1980, als ich ober Tage arbeitete und Behinderung der 3 Gruppe hatte, weiter oben hatte ich schon erwähnt, wie und wann ich diese Behinderung bekommen hatte, erst 2 und dann 3 Gruppe. Ende 70-er Jahre hatten wir einen neuen Direktor Gen. Mukajew, ich hatte mit ihm ein angespanntes Verhältnis. Ich war eigentlich mit dem Auto an der Reihe, aber der Direktor gab es mir nicht, sagte, dass nur diejenige, die unter Tage arbeiten, dürfen ein Auto bekommen. Und dass ich

Seite 161
25 Jahre unter Tage gearbeitet habe, hat in nicht interessiert. Mir war es bitter, dass nach so vielen Jahren guter Arbeit, ich, nach seiner Meinung, immer noch das Auto nicht verdient habe. Ich bin zum Leiter des Kombinat Karaganda Kohle gegangen und er hat dem Direktor befohlen mir das Auto zu geben. Der gab mir das Auto, aber, natürlich, hat es ihm nicht gefallen. Im 1980 haben wir das Auto bekommen, aber ich musste die Grube verlassen. Im 1985 gingen wir mit Lifa in die Rente. Dieser Direktor hat die Deutschen gehasst, obwohl in der Grube 70% Deutschen gearbeitet haben. Und ich war ein Opfer des Hasses auf die Deutschen.
Da wir beide Rentner wurden, so

Seite 162
reichte uns das Geld für die Familie nicht mehr, wir hatten ja noch einen Studenten, der finanzielle Unterstützung brauchte. Deswegen haben wir uns entschieden Kaninchen zu Züchtern. Artur liebte schon seit seiner Kindheit Kaninchen und überhaupt hat er sich sehr interessiert für die Tiere, er hatte auch Zeitschriften über die Züchtung von Kaninchen gehabt. Wir haben eine gute Rasse gekauft und ein Vertrag mit einer Firma abgeschlossen. nach dem Vertrag haben wir 3 Monatige Kaninchen geliefert, mit einem Gewicht nicht unter 3kg. Von der Firma bekamen wir spezielles Futter für Kaninchen. Außerdem mähte ich Grass und habe bis 3t. Heu für Winter gelagert. Damals hatten wir bis 100 Kaninchen gehabt. Die, die für den eigenen Bedarf waren, haben wir geschlachtet und Lifa

Seite 165
hat Jacken und Mützen für die Enkelkinder genäht. So lebten wir, dank dem, dass wir Kaninchen und einen guten Obstgarten hatten. Wir pflanzten Kartoffel und Gemüse, haben viel für den Winter konserviert, hatten Hühner und es reichte uns zum Leben. Schließlich wurde es uns zu schwer die ganze Arbeit zu leisten und wir siedelten in eine Wohnung um. Im 1990 haben wir unser Haus verkauft und gingen in die Wohnung, in der vorher Viktor wohnte, der 1990 nach Deutschland fuhr. Dort gab es einen kleinen Garten, den wir noch bearbeiten konnten, und eine Garage für mein Auto.
Zwei Jahre lebten wir in dieser Wohnung und im Dezember 1992 siedelten auch wir nach Deutschland um.

Seite 164
Mein Ziel war, dass wir alle zusammen nach Deutschland umsiedeln, ich wollte, dass unseren Kindern deutsche bleiben. Aber meine Pläne haben sich nicht verwirklicht, in jeder Familie von unseren Kindern gab es Schwierigkeiten wegen verwandtschaftlichen Beziehungen und Trennung mit den Verwandten. Die Anträge zur Ausreise nach Deutschland haben wir alle gleichzeitig ausgefühlt, aber die Erlaubnis hat jeder zur anderen Zeit bekommen. Als erste bekam die Erlaubnis die Familie Schulz, im Sommer 1992, nach der Ankunft im Flughafen Frankfurt, wurden sie ins Aufnamelager „Friedland“ angewiesen. Aus Friedland gingen sie nach Berlin, wo sie bis heute leben. Wir mit Lifa kamen im Dezember 1992 ins Lager Bramsche. Aus Bramsche schickte man uns nach Lorch am Rein

Seite 165
und hat uns in eine Provisorische Wohnung in einem Hotel angesiedelt. Das Zimmerchen war 12qm, ein Bett mit zwei Ebenen, ein Tisch, zwei Stühle, eine gemeinsame Küche für 9 Familien. Hier lebten wir genau ein Jahr. In dieser Zeit bekamen wir die Pässe und haben die Rente beantragt.
Im Januar 1994 haben wir 2 Zimmer Wohnung in Darmstadt bekommen. Eine Küche, Balkon, 58qm. Hier wohnten wir sechs Jahre. Das Haus in Darmstadt, wo wir wohnten stand am Walde. Wir waren sehr zufrieden, nach dem Zimmer mit 12qm. Unser Leben verlief in einer ruhigen und gemütlichen Umgebung. Wir bekamen unsere Rente, gingen jeden Tag in den Wald spazieren. In unserem Haus lebten viele Familien aus Russland und wir haben sie kennengelernt. So fühlten wir uns nicht so fremd und einsam.

Seite 166
In diesem Jahr gingen wir jeden Tag spazieren, es gab viele Eichhörnchen, die auf den Bäumen sprangen, man traf Rehen und Fuchse. Eines Morgens ging ich durch den Wald und habe gesehen wie zwei kleine Füchschen auf der Straße spielten. Sie waren so mit ihrem Spiel beschäftigt und ich ging so leise, dass ich ganz nahe an sie kommen konnte. Als sie mich gemerkt haben (ganz nahe) rannten sie in den Wald, wo sie sich bei ihrer Mutter beschwert haben. Die Mutter lief aus dem Walde auf die Straße und bellte noch lange mir nach, weil ich ihre Kinder umsonst erschreckt habe.

search previous next tag category expand menu location phone mail time cart zoom edit close