Diese handschriftliche Erinnerungen hat mir Viktor Petkau zugeschickt. Willi Risto hatte sich bereit erklärt den Text in Druckschrift abzuschreiben. Er hat auch einige Kommentare hinzugefügt in [W.R.]. Willi Frese hat einige Korrekturen vorgenommen (Meistens Tipp Fehler). Einige Kommentare und GRANDMA Nummern sind von mir <A.W.>
Jakob Jantzen (05.11.1863 – 10.02.1945), GRANDMA #4935 hatte als junger Mann die Reise nach Mittelasien angetreten. Nach 4 Jahren Wanderung ist er mit seinen Eltern und Geschwistern in die USA ausgewandert. Dort heiratete er Helena Klaassen (24.01.1876- 06.01.1935), GRANDMA #4893. Sie war Tochter von Martin Klaassen Lehrer in Hahnsau und Köppental. Er hatte die gleiche Reise in seinem Tagebuch beschriben
Den 10. Juli 1939.
Da ich hier in meinem Häuschen so allein sitze und ich mich oft einsam fühle, so schaue ich in meinem Gedanken nach oben, wo die ewige Heimat ist, denn mit 75 Jahren hat man hier auf Erden nicht mehr lange Heimatrecht. Wenn die im Graben liegt, mit der man 40 Jahre gemeinsam durch das Leben gewandert ist und die Kinder alle selbständig sind, dann schaut man mehr nach der Heimat dort oben, wo schon die meisten der alten Weggenossen sind. Es ist wahr, wenn das der Dichter sagt: der Pilger ist daheim, nur wenn das Grab ihn deckt. Aber ich schaue auch manchmal zurück auf meine zurückgelegte Lebens Bahn, da sehe ich wohl manche Untreue von meiner Seite meinem Gott und Heiland gegenüber. Sehe aber auch viel Gnade und Barmherzigkeit von Gottes Seite und manche wunderbare Durchhilfe und Bewahrung Gottes. Ja die gute Hand meines Gottes ist
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mit mir gewesen und davon möchte ich etwas aufschreiben, besonders über die 4 Jahre in Asien, vielleicht interessiert es einigen von den Kindern und Kindes Kinder. Schriftsteller Talent habe ich nicht, Tagebuch habe ich auch keins, so nehme ich nur einzelne Begebenheiten aus dem Leben, die ich im Gedächtnis behalten habe und manche einen tiefen Eindruck auf mich machen. Dies möge dienen zur Einleitung. Merke eben, dass meine Hand schon etwas zittert beim Schreiben.
Mein Geburtsort ist Ost Russland an der Ostseite der Wolga, des größten Flusses Europas im Dorfe Hansau. Hier habe ich meine Kinder und Schuljahre zugebracht. Mit 14 Jahre kam ich aus der Schule, die meisten freuten sich aus der Schule zu kommen, denn der Stock und ohne Mittag bleiben, das waren die Strafmittel, die reichlich angewandt wurden. Das Elternhaus
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war ein Ziegel Gebäude, die Wirtschaftsgebäuden waren meistens von Holz und [mit] Stroh Dach. Die Siedlung wurde aufgebaut in 1853, soviel ich weiß. So lebt man ja auch Kind in diese Welt hinein, als wenn es immer so gewesen ist und als wenn es immer so bleiben wird. Aber die Jahre kommen und gehen und die Veränderungen kommen auch. Ich denke es war im Jahr 1874 als in Russland die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, da wurde es unruhig in der Ansiedlung. Die Mennoniten bekamen Begünstigung, sie brauchten nicht die Waffen nehmen, konnten auf eine andere Art der Regierung dienen, was auch die meisten taten, aber andere sagten, das ist der Übergang zu dem vollen Dienst und suchten nach einem Platz, wo sie frei von jeglichem Militär Zwang seien. Und der Sinn der Leitenden Männer wie der ganzen Bewegung stand nach Asien. Es wurden zwei junge Männer gewählt,
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die wurden nach Taschkent, der Hauptstadt von russisch Turkestan geschickt, um dort nach Möglichkeiten zu einer Ansiedlung zu suchen. Sie fanden dort gute Aufnahme und entgegenkommen vom General Gouverneur Kaufmann, der wollte gerne deutsche Ansiedler hinhaben und machte ihnen gute Versprechungen, wir sollten nur kommen. Als der Gouverneur von Samara das hörte, da sagte er unseren Leuten, das hilft auch nichts, soweit das russische Zepter reicht, gilt auch das Militärgesetzt, geht nach Amerika. Das war sehr vernünftig von dem Mann. Aber man wollte nicht, man hat sich durch religiöse Schwärmer in den Kopf gesetzt (über die ich nichts weiter schreiben will), der Zug der Gemeinde Jesu Christi geht nach Osten und dazu muss sich doch der Liebe Gott schicken, aber er schickt sich nicht immer, dass zeigt ja der weitere Gang. Der einzige, dessen Sinn nach Amerika
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stand, war mein Vater <Heinrich Jantzen (18.04.1830 – 20.07.1902), GRADMA #4930. AW>, aber Mutter <Barbara, geb. Hamm (10.02.1832 – 06.01.1892), GRANDMA #4727. AW> und zwei erwachsene Brüder wollten nicht und so gab er nach. Die ganze Verwandtschaft ging nach Osten und das zog. So wurde nun fertig gemacht zu Reise mit Pferde und Wagen. Wie schwer es Vater geworden ist, die schöne Wirtschaft zu verlassen kann ich nicht sagen. Als wir so im besten zurichten waren, kommt Vater eines Tages zu mir und sagt, Großmutter <Maria Jantzen, geb. Wall (14.02.1808 – 11.09.1882), GRANDMA #342338. AW> braucht einen Kutscher, der mit ihr fährt, willst du das übernehmen? Ich sagte gleich ja. Aber, sagte er, Mutter und ich kommen nicht gleich mit, wir fahren ungefähr acht Wochen später ab, wenn ihr uns nachkommt, dann ist alles gut. So fuhr ich mit Großmutter nach Asien und es ging mir gut. Eine beschwerliche Reise für solche alte Frau. Die erste größere Stadt, die wir trafen, war Orenburg, auf der Grenze zwischen Asien und Europa. Hier ging eine Gruppe von
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uns noch zum Bahnhof, denn weiter in Asien rein ging die Eisenbahn damals noch nicht und wir sagten uns, wir wollten die Gelegenheit wahrnehmen und uns den Bahnzug ansehen, denn noch einmal werden wir sie nicht zu sehen bekommen. Dass ich nach 4 Jahren selbst tausende Meilen Bahn fahren würde, hatte man ja nicht gedacht, der Mensch denkt und Gott lenkt. Von hier aus ging es in die Kirgisen [W.R.heute Kasachen] Steppe hinein, sie sind ein Nomadenvolk und wohnten in Zelten, ähnlich wie die Indianer hier, hatten aber Vieh und Schafherde, auch Pferde Herden. Ein starker kräftiger Menschenstamm, waren wohl halb Heiden und halb Mohammedaner. Hier fuhren wir auf dem Postweg. Die russische Regierung hatte eine Pferde Post von Orenburg bis Taschkent eingerichtet, überall Stationen zum Pferde wechseln. Da fanden wir Wasser für unsere Pferde
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und dann waren zwischenein Militär Stationen, da konnten wir Futter kaufen. Viel Abwechslung war nicht, machten den Tag soviel ich weiß 2 Stationen, das Wetter immer schön, morgens und abends war eine gemeinsame kurze Andacht, wo wir uns den Schutz und Beistand Gottes erbaten und sonntags ruhten wir. Aber mit der Zeit stellte sich Kinderkrankheit ein, wahrscheinlich von dem vielen Wasser Wechsel und wohl auch Klima Wechsel, es wurde das Wasser schon aufgekocht, aber es half nichts, sie siechten dahin, wurden mager und starben, die Kinder von klein bis ungefähr 4 Jahre, ich weiß nicht, ob eins leben blieb. Wir aber waren, solange wir fuhren, gesund. Da hat manche Mutter ihr lieben Kleinen müssen in die Erde legen. So kamen wir an den Aralsee. Ein großer Landsee mit Salzwasser, er lag öde und kahl da, keine menschliche
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Wohnung, auch nicht Nomadenzelte. Er hatte keine Ufer. Wo das Wasser aufhörte, fing der Sand an und weiter nach Süden (wir hatten den See so viel ich weiß nach Norden) [W.R. nein, der See müsste im Süden, bzw. Südwesten von ihnen liegen, weil sie später der Syrdarja entlang gefahren sind] da wurde der Sand zur Wüste. Dicht am See war der Sand auch auf Stellen feucht, aber eine Strecke mussten wir mit 4 Pferden fahren, die Hälfte der Wagen blieben stehen und wurden dann nachgeholt. So ging die Reise unter Gottes Schutz weiter ohne besonders schwere Unfälle. Je näher wir nach der Stadt Taschkent kamen, desto mehr wurde die Gegend besiedelt, auch fanden sich mehr Flüsse, aber ohne Brücken, da mussten wir auf den flachsten Stellen durchfahren und es ging ganz gut. Hier war schon das Bewässerung System, denn Regen gab’s nur im Winter und dann auch nicht immer viel, aber ohne Bewässerung wuchs es nur im Frühjahr. Da haben wir uns manchmal gewundert, wo sie das Wasser
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überall hinbrachten. Da wir mit der Bewässerung ganz unbekannt waren, sagten wir manchmal, hier bei Taschkent läuft das auf den Berg. Da haben wir es später auch ein bisschen mehr kennengelernt. Die Stadt Taschkent hatte einen alten Stadtteil auch einen neuen Stadtteil. In dem alten Teil, da waren alles Mohammedaner, da bin ich einmal gewesen, da gingen die Straßen alle schräg, Straßen im gefürt gab es keine und dann waren sie so eng, wenn so eine Reihe Wagen (Arbas [W.R. Arba] genannt), dann füllten Sie die Straße von einer Seite bis zur anderen aus. Die Arbas sind vielleicht 7 Fuß breit und die nur 2 Räder mögen vielleicht 6 bis 7 Fuß hoch sein, wir haben später rausgefunden, dass nicht ein Stück Eisen, nicht mal ein eiserner Nagel an so einem Wagen war, wie billig die Menschen sich doch behelfen können, wenn sie nicht besser wissen
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und es nicht haben können. Wenn so eine Reihe Arbas kam in den schräg gehenden Straßen, musste man zu Seite gehen, da waren Lehm Portschen [W.R. Mauer?], manche waren ziemlich hoch, aber aus dem Weg musste man. Waren die Wagen vorbei, dann kam eine Reihe beladener Kamele, die nahmen die Straße auch ein, da hieß es wieder warten. Es war gut, dass ich nicht allein war, es waren solche, die sich da schon wussten [W.R. auskannten]. Die Straßen waren oben zugedeckt, mit Strauch oder sonst etwas, dass man so im Halbdunkel war, ich weiß, dass es mir so bisschen unheimlich wurde. Doch genug davon. In neu Taschkent sah es ganz modern aus für jene Zeit. Da wohnten die russischen Beamten und Offiziere, auch Generalgouverneur Kaufmann. Uns hatte man außerhalb der Stadt Quartier gemacht in einem alten Pferdegestüt, das war eingegangen, aber dieses wurde
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für uns verhängnisvoll. Niemand dachte daran, dass es ungesund sein könnte in den engen Mauern, ohne viel Ventilation und die vielen Menschen beieinander, es sollte ja auch nur für den Winter sein, der Winter war ausnahmsweise warm, so dass die Tulpen zwischen Weihnachten und Neujahr auf den Dächern blüten und es regnete auch oftmals, alles so recht günstig für Typhus Fieber. Einige hatten es schon vor dem Winter und der erste, der krank wurde, war wohl ich, damals 17 Jahre alt. Da habe ich zwei Wochen bewusstlos gelegen und als ich wieder zur Besinnung kam, war ich so schwach geworden, dass ich nicht allein gehen konnte. Als meine Krankheit auf höchste war, waren meine Eltern schon nachgekommen. Aber Gott half wieder zur Gesundheit. Andere wurden krank, worunter auch meine beiden älteren Brüdern waren, und starben. Wo auf der Reise die kleinen Kinder zu leiden hatten, da traf es jetzt mehr die jungen Leute von 15 bis 23 Jahren. Die jüngeren
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unter 15 Jahren wurden auch etwas krank, aber nicht so schwer und die älteren weiß ich nicht, ob jemand daran starb. Die russischen Ärzte sagten, dass mache der Klima Wechsel und beim Militär starben auch viele. Als nun das Frühjahr kam und wird weiter fuhren, da waren 12 oder 13 frische Grabhügel. Da hat es manche Trauer und Tränen gegeben. Also unsere Freiheit bekamen wir nicht. Kaiser Alexander II wurde ermordet den Winter, als wir in Taschkent waren und Generalgouverneur Kaufmann auch. Er war deutscher Abkunft und sprach noch gut Deutsch und sein Nachfolger war uns nicht günstig gesinnt. Da hieß es wieder weiter wandern und die religiösen Verwirrungen wurden nicht weniger, aber es gab noch immer nüchtern denkende Männer unter uns, aber nur wenige. So hieß es nun: auf nach Buchara, da glaubte man die nötige Freiheit zu bekommen.
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Schon ehe wir losfuhren, wurde viel von der Hungersteppe gesprochen, schon der Name flößte schon so bisschen Grauen ein, da mussten wir durch, die Post fuhr einen anderen Weg, es würde ungefähr 6 Tage nehmen da durchzukommen, da fragte man sich, was mag das für eine Gegend sein, aber es ging ganz gut. Wir konnten genug Kraftfutter mitnehmen für die Pferde und Wasser zum Tränken war genug, aber von Wachstum war auch keine Spur, es war schwarze feste Erde, aber kein Grashalm oder Kraut. In der Wüste am Aralsee hatten wir noch Kamels Kraut gefunden, so nannten wir es, es war ein bitteres, ein wenig stacheliges Kraut, nur genießbar für ein Kamel, aber hier war gar nichts. Wir sagten uns, das war vor vielen Jahren unter Kultur gewesen, man sah auf Stellen noch die kleinen Dämme vom Bewässern. Wir kamen ohne Unfall durch. Was uns ab und zu mal Aufenthalt gab,
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war, wenn mal ein Wagenrad brach, aber dafür war vorgesorgt und wir hatten geschickte Männer unter uns, die den Schaden schnell zurecht machten. Dann kamen wir an einen Strom, der vom Gebirge kam, das Wasser war kalt und hatte einen starken Fall, dass es nur so rauschte, also hier mussten wir durch. Es waren zwischenein kleine grüne Streifen mit Gras bewachsen und dann wieder stark fließendes Wasser, im Ganzen nicht tief, aber es gab auch tiefe Löcher. Um da durchzukommen, mussten wir uns Führer annehmen, wie viel, weiß ich nicht mehr, die hielten auf ihren Pferden auf beiden Seiten wach, passten auf, dass wir nicht in ein tiefes Loch gerieten und das war auch sehr nötig, manche bekamen Schwindel in dem stark strömenden Wasser und ich auch. Da waren die Männer gleich dabei und schlugen die Pferde an die Köpfe mit ihren Reitpeitschen, dass ich im ersten
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Augenblick beinahe empört war, kam aber bald zur Besinnung, da rief mir einer von hinten zu: sieh immer nach oben und nicht auf das Wasser, das half. Welche Lehre liegt darin, dass nach oben sehen vergessen wir und dann will es schief gehen. So kamen wir ohne Unfall durch, die Männer hatten ihre Schuldigkeit getan. Das Wasser mag vielleicht eine halbe Meile breit gewesen sein. Die nächste Erinnerung knüpft sich an die Stadt Samarkand, da hielten wir uns einige Tage auf. Hier hatten wir Gelegenheit das Grab des großen mongolischen Eroberers zu sehen. Es war kein Prachtbau, auch nur ganz niedrig, aber es war von gebrannten Ziegeln gebaut und soviel ich weiß, ein spitzes Dach, während sonst bei den Einwohnern nur Lehm Mauern und ein plattes Dach war. Hier war dem großen Eroberer eine Kapelle gebaut. Da waren 3 Särge. Das oberste stand auf ebener
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Erde und war von Eisen. Der zweite Sarg war von Silber, aber im Keller, gerade unter dem obersten und der dritte Sarg war von Gold unter den anderen beiden. Wir durften hinein gehen und es besehen, die Leiche, meinte man, sei in keinem von den Särgen. Eine andere Sehenswürdigkeit waren die 4 Türme auf dem Marktplatz. Wie breit sie unten waren, weiß ich nicht, höchstens 12-15 Fuß, so ging es Kerzengerade in die Höhe. Oben gerade so breit wie unten und alles von Lehm, man sagte uns 200 Fuß hoch, aber von außen war ungefähr ein halber Zoll dicker Pläster [W.R. Mosaik?], der den Lehm schützte vor Verfall und der sah nach Jahrhunderten noch so gut aus, als wenn er nur eben aufgelegt war. Grüne Farbe mit Muster drauf und blank [W.R. sauber, glänzend], beinahe zum Spiegeln. Hier gingen wir rauf die 200 Fuß, es war von innen eine Wendeltreppe, Stufen waren keine, aber
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es war zu sehen, dass da mal Stufen gewesen waren von Lehm, jetzt aber abgetreten, wir konnten uns an beiden Seiten an der Mauer mit den Händen stützen, sonst wären wir schwerlich bis oben gekommen. Hier schauten wir runter auf die Stadt und Marktplatz, alles so klein, sah es wie Spielzeug. Man sagte uns, dass die Türme bedeutend höher gewesen seien, aber weil von oben nicht gut versichert gegen Regen und Witterung, so verfiel es so nach und nach und niemand verstand den Pläster zusammenzustellen. Ein wahres Kunstwerk der vergangenen Jahrhunderte. Hier hatten wir die allerschönsten Pfirsiche und Aprikosen und so billig, so wurde viel gegessen, aber es fand sich wieder Krankheit, so fuhren wir bald weiter und wurden auch alle gesund bis auf einen alten Onkel, der siechte so langsam dahin und starb nach Monaten.
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Dann kamen wir an das Sardendorf Syrabulack an der Grenze von Buchara.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Sarten
[W.R. Сарт означает торговец, купец, или зажиточный человек. Согласно БСЭ, до Октябрьской революции 1917 года название «сарт» по отношению к оседлым узбекам и отчасти равнинным таджикам употребляли преимущественно казахи и полукочевые узбеки]
Buchara war ja eigentlich unser Ziel, hatte noch mehr eine selbständige Verwaltung, stand aber doch unter russischem Einfluss, inwieweit weiß ich nicht. Sie wollten aber keine deutschen Ansiedler haben. Über das hin und her an der Grenze will ich nichts weiter schreiben. Da wurde uns gesagt, Chiva würde deutsche Ansiedler nehmen und uns auch die gewünschten Freiheiten geben. Da wurden Deputierten hingeschickt, 2 Mann zu Pferde. Das verzog sich bis zum Frühjahr 1882. Hier im Dorf Syrabulack haben wir das Leben des Volkes mehr kennengelernt, denn wir wohnten ja ganz unter ihnen, sie hatten uns von ihren Stuben eingeräumt, wo ja fast nichts drin war, denn in die Bedürfnisslosigkeit jener Völker kann sich kein Amerikaner hinein denken, alles Lehm Mauern und Lehmdächer. So waren die
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Eltern und jüngeren Geschwistern in einer von den Stuben und wir älteren Brüder schliefen im Wagen, der auf dem Hofe stand. Eins, was mir im Gedächtnis geblieben ist, war ihre Fastenzeit. Ich denke, es war mehr im Herbst, da durften sie nichts essen, solange die Sonne schien. Des Abends konnten wir sie dann beobachten, da machten sie vielleicht eine Stunde vor Sonnenuntergang alles zurecht, die schönsten Melonen, Weintrauben, Brot und andere gute Sachen, da saßen sie dann dabei im Kreise mit unterschlagenden Beinen und warteten auf den Untergang der Sonne. Ihre Opium Pfeife gehörte auch dazu. Sobald die Sonne unter war, fiel alles über das Essen her und die Opiumpfeife wurde auch angesteckt, das nahm [W.R. dauerte] auch nicht lange, da lag einer auf dem Rücken und verdrehte die Augen. Als ich das zum ersten Mal sah, dachte ich, dass der Mensch ist am Sterben, aber die Leute wussten
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sich damit [W.R. kannten sich damit aus], sie rissen ihm den Turban und das kleine Mützchen vom Kopf und begossen ihn mit kaltem Wasser, dann war er bald wieder bei Besinnung, eine Folge des Opiums Rauchens. Das war eine religiöse Zeremonie. Da war in dem Dorfe auch ein großer Mensch, eines Hauptes länger als alles Volk, stark und großmäulig, keiner mochte gern etwas mit ihm zu tun haben. Der wollte gern mit unseren stärksten Männern anbinden, was den zuwider war, ließ sie nicht in Ruhe, bis ihn mal einer zwischen dem Ellenbogen und die Schulter in die Muskeln hatte. Das war genug, da hatte jeder Ruhe. Da wurde mir eines Tages gegen Abend gesagt, dieser Mann hat dich zum Abendbrot eingeladen, mir selbst hatte er nicht gesagt. Ich fragte: wer geht denn noch mit, man sagte mir: keiner, du sollst allein kommen. Das war mir so ein bisschen
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unheimlich, ich war nicht einer von den Starken, ich sagte nein, allein gehe ich da nicht hin, in die dunkle Stube. Da kam Vater und sagte, gehe nur hin, dir wird nichts werden, wenn du nicht gehst, das ist eine große Beleidigung und ich ging, kam das abends hin in seine Stube, da brannte eine kleine Öllampe. Anklopfen brauchte man nicht. Mein Gastgeber war beschäftigt mit zurichten, grüßte wie üblich, nötigte mich zu setzen auf dem Teppich mit untergeschlagenen Beinen. Ich hatte gedacht, er würde mir einen schönen Reis Brei vorsetzen, den verstand ich schon ganz gut mit den Fingern in den Mund zu bringen, aber es gab Suppe mit Fleisch. Zu Suppe war ein hölzerner Löffel und das Fleisch nahm mein Wirt mit seinen langen Fingern aus der Suppe und reichte es mir, dass mir die Suppe an den Fingern runter lief. Darin war ich noch gar nicht geübt und als ich nachdachte,
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was das für Fleisch sei, merkte ich, das ist Kamelfleisch. Kann ziemlich viel vertragen, aber dies war mir doch bisschen stark, aber es ging und es blieb alles im Magen. Viel gesprochen wird nicht bei so einem mohammedanschen Gastmahl und auch dieser Abend verlief und vergessen werde ich ihn nicht. Dann möchte vielleicht jemand fragen, wo bleibt denn die Hausfrau? Eine mohammedanische Frau in jenen Gegenden bekommt man nicht zu sehen. Wenn sie ausgeht, und das ist sehr selten, dann hat sie einen dichten Schleier vor dem Gesicht. Ja, gewöhnlich leben sie hinten in ihren Gemächern wie Gefangene. Man erzählte uns, als die Frauen sahen, wie unsere Frauen Welt sich so frei bewegte, ohne Schleier, dann hätten die Mohammedanischen Frauen sich aufgelehnt, eine Art Revolution in Gang gebracht. Da haben wir aber nichts von gemerkt, das hat sich
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hinten in den Frauen Gemächern vollzogen. Die Männer hatten es schnell unterdrückt. Hier in diesem Dorf hörten wir auch jeden Tag den Mulla (Priester) gegen Abend vor Sonnenuntergang mit langgezogener Stimme zum Gebet rufen, kann mich aber nicht besinnen, dass es von den Einwohnern weiter beachtet wurde, aber von zwei mohammedanische Beter will ich doch erzählen. Es war das schon später, als wir nach Chiva fuhren. Wir hielten schon etwas früh still zur Nacht an einer belebten Straße, unsere Pferde gingen auf die Weide. Da kommen zwei Reiter an, halten so ziemlich in der Nähe still, waren gut gekleidet, wahrscheinlich zwei Mullas, sie lassen ihre Pferde grasen, nehmen jeder eine Decke vom Sattel, spreiten sie auf die Erde, knien hin, saßen so mehr auf den Füßen und fangen an zu beten. Die Lippen bewegen sich und der Oberkörper neigt sich zwischenein
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mit dem Kopf bis zur Erde und richtet sich wieder auf, das ist ihre Weise zu beten. Nun musste ich da gerade von hinten vorbeigehen, nach den Pferden und kam ein wenig zu dicht an sie heran, das war von mir etwas rücksichtslos. Ich hätte die Beter mehr respektieren sollen, das hat der eine von ihnen wohl auch gedacht, er sprang auf, schimpfte und fluchte mit den aller schrecklichsten Wörtern, die ein Mohammedaner nur hat und deren sind nicht wenige. Ich machte, dass ich wegkam und als ich weit genug weg war, kniet der Mann hin und betet weiter. Der andere hatte sich gar nicht stören lassen. Nun sie wissen ja das Wort Jesu nicht: wenn du aber betest, so gehe in dein Kämmerlein, schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im verborgenen und so weiter. Sie tun aber so wie sie gelehrt sind.
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Unsere Deputierten kamen zurück von Chiva, brachten gute Nachricht, da hieß es wieder alles aufpacken auf die Wagen. Das nächste Ereignis ist eine Wüstenreise über die ich schreiben will. Buchara ließ uns durchfahren und da kamen wir an die Wüste Karakum, das heißt schwarzer Sand, aber welch eine Wüste. Dagegen war die Wüste am Aralsee doch gar nichts. In einem Liede haben wir oft gesungen: unser Zug geht durch die Wüste, dennoch birgt sie manches Tal, wo ein Palmen Hain uns grüßte, wo man lagerte ums Mahl und wo nicht mehr Palmen ragen, wo beginnt der heiße Sand, muss das Land noch Weiden tragen an der schmalen Bäche Rand. Das mag schön passen auf geistlichem Gebiet, aber die Wirklichkeit war hier doch ganz anders, nichts von Bäche, nichts von Weiden, nur Sand und wieder Sand.
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Ich habe hier in Amerika gelesen, dass dieses die schwerste Wüste ist auf der ganzen Erde. Hier am Rande der Wüste musste Halt gemacht werden, denn da konnten wir mit unseren Wagen nicht fahren. Es war hier ein kleines Städtchen, da wurde zurecht gemacht für die Kamel Reise. Ich habe eben in alten Briefen gelesen, dass wir 48 Wagen, 81 Pferde und 153 Seelen waren. Da mussten wir die Wagen auseinander nehmen, Räder, Achsen und Bretter für eine Kamel Last zusammenbinden. Kisten und Kochgeschirr musste alles fest zusammen gepackt werden, so dass die Leute fast nicht genug Rob zusammenbringen konnten, denn sie waren für solche große Karawane nicht eingerichtet, auch mussten Krippen oder Bettstellen gezimmert werden für die Menschen, sie waren aus grüner Pappel Äste zusammen genagelt, vielleicht drei bis vier Zoll dick, vielleicht vier solche Äste an jeder Seite mit einem ziemlichen
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Zwischenraum. (Unten die Floss war auch so). Da hatte das Kamel dann an jeder Seite eins und da saßen die Menschen drin. Auch dazu wurde das Holz knapp. Hier an der Wüste sah man mehr das einhöckrige Kamel, das recht Wüstenschiff, es ist etwas größer und stärker als das zweihöckrige, das wir mehr in den Kirgisensteppen sahen. Im Tagebuch meines Onkels habe ich gelesen, dass wir 312 Kamele hatten, auch die mussten von weit zusammen geholt werden. Wie lange wir da zurecht gemacht haben, weiß ich nicht mehr, aber eines Tages ging es ans Aufladen. Dazu muss das Kamel sich ja hinlegen, dann wird die Last von hinten auf den Kamel gehängt, auch die Menschen mussten so einsteigen, das ging auch ganz gut. Das Kamel ist geduldig, wenn es erst eingelernt ist. Aber beim Aufstehen haben Frauen und Kinder doch ein bisschen vor Angst geschrien, wenn auch nicht sehr laut, denn das Kamel steht ja mit
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den Hinterbeinen zuerst auf und die sind ziemlich lang. Und dann fühlt es so, als wenn die ganze Gesellschaft über den Kopf des Kamels gehen wird, aber war doch nur paar Augenblicke, dann stand es auch auf den Vorderbeinen und das Gleichgewicht war wieder hergestellt. So ging die Reise dann los, zuerst am Rande der Wüste, zuerst die lange Reihe Kamele, beladen mit Menschen und Sachen und hinten kam die jüngere Mannschaft mit den Pferden. Zuerst ging es am Rande der Wüste. Soviel ich weiß, ging es nach Süden, ritten auf einem ganz festen Weg, so schön wie es nur sein könnte. Zur Linken war dem Anschein nach noch schönes Land, aber soviel ich weiß, von Menschen verlassen, zur rechten hatten wir den allerschwersten Sand, vielleicht 10 bis 20 Ruten im Sand sah man noch Lehm Mauern halb im Sand vergraben, Endchen weiter sah man
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nur noch das oberste von den Mauern. [W.R.Verschiedene Länder und Berufszweige benutzten als Rute fast 20 unterschiedliche Längenmaße zwischen 3 und 9 Meter, überwiegend aber von 3,6 bis 5 Meter]
Ab und zu sah man auch noch einen Pappelbaum in dem Sand stehen, die Äste ganz kahl und trocken und wieviel menschliche Wohnungen schon ganz verschüttet, weiß man nicht. Wir sagten uns, die Wüste frisst sich mehr ins Land herein. Dann gegen Abend, soviel ich mich besinne, bog die Karawane in den Sand rein. Man hatte uns gesagt, wir könnten über Tag die Hitze in der Wüste nicht ertragen, so gab es nun eine Nacht Reise durch die Wüste, hätte sie mir lieber am Tage besehen, aber es war Mondschein. Da gingen die Kamele voraus, die traten den Sand fest und wir mit den Pferden hinteran, die ganze Karawane schlängelte sich immer zwischen Sandgrube und Sandberg durch. An der einen Seite hängte die Kamel Last so über einem kleinen Abgrund und an der anderen Seite
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war ein Sandberg. Im Tagebuch meines Onkels habe ich gelesen, dass da Sandberge von 180 Fuß hoch sind, ich habe keinen Überschlag [W.R. Schätzung] gemacht, aber dass sie weit über den Kamels Kopf überragten, kann ich mir noch besinnen. Hier hatte ich ein kleines Erlebnis, das zeigen soll, dass der Weg nicht ganz ohne Gefahr war. Ich hatte zwei Pferde. Auf festem Weg ging das zweite Pferd zur Seite und hatte noch ein Fohlen, nicht mehr so jung. Nun hatte man uns gesagt, im Sand, da müssen die Pferde hintereinander gehen und die fanden es auch bald selbst heraus, dass das besser sei, aber das Fohlen ging frei und war gewohnt zu gehen wo es wollte. Da sehe ich, wie das Fohlen abgeht in die Sandgrube, die Beine so bisschen nach vorne gestellt, als wenn es aufhalten wollte und konnte aber nicht. Als es unten ankam, fing es an zu wiehern aus Angst. Ich dachte, das kommt
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da nicht mehr raus und stillhalten, das geht nicht, aber mit der größten Anstrengung kam es ja nach oben und blieb weiterhin schön in der Reihe. Wie muss das doch toben in der Natur, wenn mal die Winterstürme toben, dass sie solche Berge und Gruben machen in der Wüste. Auch die Wüste redet von der Allmacht Gottes. So ging die Reise eintönig weiter. Am Anfang interessant, hernach wird man schlaf und schläfrig, bis mit einmal der Morgen graute und da waren wir aus dem schwersten Sand draußen und soviel ich weiß, hatten wir feuchten und festen Sand, es wurde davon gesprochen, dass sich hier ein Fluss im Sande verlief, wie viel daran ist [W.R. ob es wahr ist], weiß ich nicht. Hier ging es wieder an das Abladen, aber viele von denen, die auf Kamelen geritten, waren ganz steif geworden, hatten nicht genug Raum, die Beine auszustrecken. So ging es nun wieder an
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die Wagen zusammenstellen und bepacken. Ich denke ein jeder war froh, dass die Wüstenreise vorüber war, die, wie man sagte, sich nach beiden Seiten von unserem Weg viel weiter ausdehnte.
Also es ging wieder auf Wagen weiter und wir kamen an den Amudarja, ein ziemlich großer Fluss, waren wieder auf die russische Poststraße gekommen, aber die ging weit rum, so war es billiger und kamen schneller ans Ziel, wenn man die Reise zu Wasser machte. Der Fluss bildet die Grenze zwischen Chiva und den russischen Besitzungen, also hieß wieder die Wagen auseinander nehmen und alles auf Kähne laden. Wie viele Kähne es waren, weiß ich nicht mehr, die Fahrt ging mit Strom, denke nicht, dass sonst eine Triebkraft war, nur musste gesteuert werden, dass das Boot nicht auf den Sand lief. Der Kahn war ungefähr 20 Fuß lang
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und vielleicht 8 Fuß breit und die Reise sollte ungefähr drei Wochen nehmen und ging auch ohne Unfall ab. Wir junge Männer ritten wieder zu Pferde, hatten dazu einen Mohammedaner angenommen, der uns den Weg zeigte, denn auf der längsten Strecke war nur Reitweg, manchmal auch noch sehr eng für zwei Pferde nebeneinander, wegen Strauch und kleine Bäume. Das war wieder ein großer Wechsel, erst wochenlang auf dem Wagen gesessen, jetzt von morgens bis abends auf dem Pferd sitzen, da klagten wohl die meisten über Müdigkeit und am schlechtesten, denke ich, ging es mir. Ich bekam Fieber (Schüttelfrost) und dann den Tag über auf dem Pferde sitzen, ich hätte mich am liebsten am Weg hingelegt und mich um weiter nichts gekümmert, welches ich zu meinen Kameraden sagte. Da gab mir jemand von den älteren Brüdern Pulver gegen Fieber.
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Wie lange es nahm [W.R. dauerte], bis es half, weiß ich nicht mehr, aber ich fühlte [mich] so nach und nach besser. Die ganze Gesellschaft stillhalten [W.R. aufhalten] ging nicht und mit Gottes Hilfe ging es weiter. Und als wir es erst mal gewöhnt waren den Tag über auf dem Pferde sitzen, da war es keine Anstrengung mehr, da habe ich mal zwei Tage und eine Nacht auf dem Pferde gesessen, nur eine Stunde geschlafen ohne große Müdigkeit, davon will ich ein wenig erzählen. Die ganze Reise zu Pferde nahm auch drei Wochen. Alles Notwendigste, was wir brauchten, war auf den Pferden. Wir ritten die erste Zeit noch auf der Poststraße. Auf den Stationen aßen wir, fütterten und tränkten die Pferde. Von so einer Station ritten wir eines Tages auf Mittag weg, waren schon eine Strecke geritten, da merkte ich, das Fohlen ist nicht bei mir. Das war sonst keine Seltenheit, es war da noch ein Fohlen in der
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Gruppe und die waren oft zusammen, hatten Freundschaft geschlossen, machte mir aber nicht viel Gedanken darüber. Wir ritten weiter. Da das Fohlen aber nicht zur Mutter kam, wurde es mir doch bedenklich. Ich halte still und lasse den anderen mit dem Fohlen herankommen, es ist nicht da und niemand hat es gesehen. Da sagte ich mir: das ist bei der Station geblieben. Was tun? Ich beschloss bei mir, bis zur nächsten Station zu reiten und dann weitersehen. Aßen unser Abendbrot, fütterten und tränkten die Pferde, da war es schon beinahe dunkel. Ich ging zu unserem Führer, stellte ihm die Sache vor und fragte ihn, ob er mit mir reiten wolle zurück nach der Station, bis nächsten Morgen sind wir wieder hier. Erst wollte er nicht, als ich ihm aber einen Rubel bot, da sagte er zu. So ritten wir ab, es war eine Mondhelle Nacht, schon etwas kühl, da kamen mir doch erste
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Gedanken, allein des Nachts mit einem fremden Menschen. Gesprochen wurde nicht, Mohammedaner dort sprechen nicht viel. Da weiß ich, habe ich meine Augen aufgehoben zu den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt und Gott half. Wir kamen nach der Station, hörten schon von weit das Fohlen nach der Mutter rufen. Der Station Vorsteher sagte, es sei zurück gelaufen gekommen, da hatte er es eingesperrt. Wir fütterten bisschen, ruhten so lang, bis die Pferde satt waren, dann ging es wieder zurück, kamen bisschen vor Tagesgrauen bei den unseren an und schliefen noch ungefähr eine Stunde, dann ging es wieder weiter bis zum Abend, ohne Nachteil für Pferde und Menschen. Ein altes Sprichwort sagt: ein Unglück kommt selten allein, so ging es mir hier auch. Ich hatte an diesem Tage nach dem Nachtritt ein Erlebnis
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und ein Erleben, wie nicht noch eins in meinem Leben. Wir hatten uns ja alle bisschen in Gruppen eingeteilt mit Essen und Schlafen und wir waren unser drei. Unser Führer stieg mit Sonnenaufgang auf das Pferd, das war das Zeichen zum Aufbruch, dann hielt er noch bisschen still und wartete, dann ging es los, aber nur im Schritt. Wer dann ein wenig hinten blieb, der konnte schon nicht im Schritt bleiben. So sorgten wir drei, dass wir gewöhnlich so mehr vorne an waren, aber an diesem Morgen war auch alles gegen an, dass wir die ganz letzte waren. Als wir los ritten, waren die Anderen schon ein bisschen voraus. Hier kamen wir von dem Postweg ab. Da hatte der Station Vorsteher uns gesagt, das erste Ende [W.R. Stück] Weg ist nicht ganz sicher, nach Norden konnte man einen Gebirgszug sehen und da sind noch Räuber, die russische Regierung
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hat damit noch nicht ganz aufräumen können, aber, sagte er, ihr seid so viele, bleibt nur zusammen, dann wird euch nichts werden. Dies wurde, soviel ich mich erinnere, einem jeden gesagt. Das haben, glaube ich, wohl die meisten nicht ernst genommen, ich wenigstens dachte da nicht weiter dran. So ritten wir denn den anderen nach, kamen da in ein Tal, hatten im Osten, von wo wir kamen, eine kleine Anhöhe und im Westen waren wir auch schon über die Anhöhe. Im Norden fing das Gebirge an. Das ganze Tal mag vielleicht eine Meile lang gewesen sein. Als wir nun über den letzten Hügel schon ein Ende [W.R. ein Stück] hinter uns haben, da wurde ich gewahr [W.R. habe ich gemerkt], dass ich meinen Sack mit mancherlei Sachen, die wir nötig brauchen, verloren habe. Es war ein Sack, der auf beiden Seiten Taschen hatte und in der Mitte am Sattel festgebunden wurde. Ich sagte zu meinen Kameraden, den Sack müssen
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wir haben, da ist noch das bisschen Geld drin, das brauchen wir zum Leben, bis wir mit den unseren zusammen kommen, reitet ihr nur weiter, ich werde zurück reiten, der Sack kann nicht weit sein. Reite zurück und wie ich über die Anhöhe kam und das ganze Tal übersehen konnte, da sehe ich auch meinen Sack liegen und ganz dicht dabei zwei Reiter. Nun dachte ich, ich komme noch zur Zeit [W.R. rechtzeitig], sie haben den Sack noch nicht aufgehoben. Ich weiß heute noch, nach so vielen Jahren, wie mir die Gedanken durch den Kopf gingen, wenn auch nicht ganz der Reihe nach. Ich reite weiter und da fällt mir bei, was der Stations Vorsteher gesagt hatte und fragte mich: sollten das Räuber sein? Die Räuber waren dort nicht so höflich wie hier in Amerika, das erste: „Hände hoch“, sowas kannte man dort nicht. Ich reite weiter und dachte, du bist auf dem Wege der Pflicht, nicht
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auf bösem Wege, da kann dich Gott bewahren, da sehe ich auch schon, dass sie jeder eine Flinte über der Schulter hängen hatten, einen Revolver an der Seite am Gürtel, Patronen und einen Säbel hängen. So bewaffnet hatte ich dort noch keinen gesehen. So wusste ich, oder sagte mir, das sind Räuber und ich dachte an Umdrehen und zurückreiten. Aber ich sagte mir, das hilft dir nichts, sie haben gute Reitpferde und ich hatte schwere Zugpferde, sie holen dich ein, wenn sie wollen und haben ihre Flinten, damit konnten sie mich schon reichen [W.R. erreichen], also ein ganz wehrloser junger Mann stand zwei schwer bewaffneten Männer gegenüber, die zu allem fähig waren. Ich hatte wohl beten sollen, aber das habe ich nicht. Ich sagte mir, reitest gerade auf sie zu und tust so, als wenn das ganz selbstverständlich sei, konnte auch ganz ruhig sein. Ich reite bis an den Sack, steige herab, erwartete aber jeden
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Augenblick den Todesstoß, nahm den Sack und sagte: das ist mein Sack. Keiner sagte was. Als ich den Sack am Sattel festband, fragte mich der eine: wo sind die anderen? Ich sagte ihm: hinter jenem Hügel. Dass sie schon Meilen weit weg waren, haben sie gerade so gut gewusst wie ich. Das war alles, was wir sprachen. Ich drehte mein Pferd quer über den Weg zum Aufsteigen. Dass ich die Männer von hinten hatte, sagte mir, wenn [sie] dir mit dem Säbel über den Kopf hauen, dann siehst du das nicht, [ich] konnte aber ganz ruhig sein. Der Schlag kam aber nicht, ich ritt ab zurück, erwartete aber eine Kugel, sie kam nicht. Als ich aus Schussweite war, sah ich so bisschen von der Seite nach hinten, die Männer hielten auf derselben Stelle. Als ich auf dem Hügel kam, ehe es wieder bergab ging, sah ich mich noch einmal um, die Männer hielten auf derselben Stelle. Da ging mir
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so bisschen ein Zittern durch die Glieder und ich sagte: das ist Gottes Hand, die hat die Räuber gehalten, dass sie mir nichts tun durften. Wo der Allmächtige sich offenbart, da zittert der arme Mensch. Ich kam zu den anderen Reitern, die hatten sich ganz ruhig und friedlich gelagert und aßen schon Mittag, so recht ein Bild des Friedens nach meinen aufregendsten Stunden. Wie das wohl tut. Erzählte meinen beiden Gefährten in kurzen Worten wie es mir gegangen und habe weiter nicht davon gesprochen, aber indem wir weiterritten, viel darüber nachgedacht und als das Herz ruhig geworden war, sagte ich mir: wer weiß, ob du in solcher Lebensgefährlichen Lage gewesen bist, die Männer haben dir ja nichts gemacht, beschuldigst sie vielleicht noch Unrecht. Das ist ja so recht menschlich, das göttlich Große abschwächen, aber davon wurde ich auf wunderbare Weise geheilt
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etwas später. Das will ich noch im weiteren Verlauf der Reise erzählen.
Auf unserem weiteren Wege war meistens nur ein Reitweg, oft durch die Flussniederungen mit Strauch und kleinen Bäumen. So kamen wir nach der russischen Stadt Petro Alexandrowsk. Hier hatten wir eine schlechte Nacht, es regnete bei kaltem Nordwind. Da wir auf Muttererde lagen, wurden die Decken unten feucht und oben nass und froren steif. Zwei Männer hatten immer Nachtwache bis Mitternacht, dann wurden sie abgelöst von zwei anderen. Die erste Nachtwache hatte viel Arbeit mit den Pferden, die froren und, da die Erde aufgeweicht war vom Regen, zogen sie die kleine Pfähle aus und kamen los. Die zweite Hälfte war ich eines von den Wächtern. Da ging es schon ganz gut, der Regen hatte aufgehört und des Morgens schien die Sonne schön, da wärmte sich alles auf, was in der Nacht gefroren hatte. Ich denke
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es war noch denselben Tag, da kamen wir an die Stelle, wo wir über den Fluss mussten nach der anderen Seite, dann waren wir in Chiwa. Da wurden die Pferde auf Kähne gebracht, dann ging es nach der anderen Seite, kamen gut an und dort am Ufer waren auch die Familien, hatten schon ausgeladen. Da lag wieder alles durcheinander, Wagen, Räder, Achsen, Kisten und Kasten, dass man sich fragte, wie wird da Ordnung kommen in dem Durcheinander? Aber es ging ja wieder. Es sollte ja das letzte Mal sein, noch ungefähr ein halber Tag, dann waren wir ja an unserem Bestimmungsort. Da sollte ja mal all das Reisen aufhören, da sollte es ja mal ein Heim geben und wir kamen da an, aber sehr hoffnungsvoll sah es da nicht aus. Ich weiß noch, wie ich dachte: wie sollen wir hier unser Leben machen, aber man sagte ja nichts, die Alten werden ja wissen. Da siedelten wir an einem Bewässerungsgraben
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an in einer Flussniederung mit Strauch bestanden, nicht mal so viel Gras für Viehweide. Da wurden das erste temporäre Hütten gemacht, dass man mal aus den Wagen kam. So hatten wir auch für meine Eltern eine gemacht, wo nur für sie beide Raum war, so brauchte Mutter nicht immer vom Wagen runter und hinaufsteigen. Als wir diese Hütte fertig hatten, kommt Vater eines Tages zu mir, ruft mich hinein, da waren wir drei: Vater Mutter und ich. Du, fragt Vater mich, wann war das, als du das Erlebnis mit den beiden Männern dort auf dem Wege hattest? Ich war ganz erstaunt, hatte nur einmal davon gesprochen und nie etwas von jemand darüber gehört. Ich gab Vater Aufschluss, welchem Tag das war. Da sagte er: das meine ich nicht, welchen Tag, ich meine welche Tageszeit. Auch das konnte ich ihm sagen und als ich ihm die Zeit angab, da sagte Mutter mit zitternder Stimme: Papa das ist ganz
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genau die Zeit, als mir so furchtbar Angst und Bange wurde. Ich konnte nicht anders, ich musste für die Kinder beten. Da sagte ich mir: die Gefahr ist für mich gerade so groß gewesen, wie ich sie mir gedacht und Gott hat mich auf das Gebet der Mutter bewahrt. In wieviel Not, hat nicht der gnädige Gott über [mich] die Flügel gebreitet.
Da wurde dann angefangen zu bauen. Das erste [W.R. Zuerst] in die Erde gegraben, da sollte dann ein Dach übergebaut werden, aber die Erde war unten nass, andere Gruben Keller, da fand sich Grundwasser. Da war nun nahebei eine Anhöhe, wir nannten es nur den Berg, so gingen die meisten dahin, bauten da. Ein kleiner Teil blieb unten, die waren weiter vom Fluss schon bisschen höher gelegen. Sie richteten sich da ein, machten auch eine Mauer rum um die Lehmhäuser mit einem großen Tor, welches zur Nacht zugemacht wurde, wie es dort Sitte war.
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Meine Eltern waren auf den Berg gegangen und hatten uns da eingericht[et], nur sehr einfach, aber es war doch [W.R. endlich] mal ein eigenes Heim. Nur die Existenz schien mir sehr dunkel, aber wir fingen doch ein bisschen Land zurecht zu machen, dicht am Bewässerungsgraben, wo ja immer Wasser lief, aber, da das Land höher lag als das Wasser, so schöpften wir das Wasser mit Eimer auf das Land, haben einmal 2 Stunden zum zweiten gestanden und Wasser gegossen und wir bekamen das kleine Stückchen Land unter Wasser. Da wurden Melonen gepflanzt, eine Hauptnahrung der Einwohner im Sommer, die hatten auch einen schönen Geschmack. Die Melonen gingen auch schön auf, setzten auch schön an, so dass wir uns über das bisschen Wachstum und Gedeihen freuten. Wie sie aber beinahe ausgewachsen waren, merkten wir, das die Größten verschwanden. Nach genauer Untersuchung fanden wir, das tun die Wildschweine, deren es dort genug gab, hatten aber noch nie ein lebendiges gesehen.
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Die Russen kamen da auf die Jagd, die haben manches Wildschwein geschossen, aber nicht in unserer Nähe. Was sollten wir nun machen, uns all die schönen Melonen wegholen lassen? Wir werden die Nacht wachen. Da war einer, der hatte eine Flinte, der bekam das Jagdfieber, er bot sich an zu wachen und weil es unsere Melonen waren, war ich bei ihm zur Gesellschaft, war doch sehr neugierig, wie die Jagd ausfallen würde. Nahm mir eine Mistforke [W.R. Mistgabel], damit wollte ich dann dem Wildschwein zu Leibe gehen, wenn es darauf ankam, nahmen uns eine Decke, legten sie auf die Erde, so ganz in Schußweite und warteten auf die Schweine. Gesprochen wurde nichts, der Mond schien nicht, da haben wir dann die ganze Nacht gesessen und auf das Melonenfeld geschaut, bis der Morgen graute. Da sagten wir uns: die Wildschweine sind nicht gekommen, sie haben uns dochwohl gemerkt, gingen ins Haus, legten uns noch ein
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wenig schlafen. Und das erste nach Frühstück ging es in das Melonenfeld. Wo waren aber die schönen großen Melonen von gestern, die Wildschweine hatten sie in der Nacht geholt, nicht während wir schliefen, nein, geschlafen haben wir nicht, aber sie hatten es so still abgemacht, dass wir nichts merkten. Da ging es uns so, wer den Schaden hat, darf für Spott nicht sorgen. Das war meine erste und auch meine letzte Wildschweinjagd und wieder war ein kleines bisschen Hoffnung und Freude begraben, wie schon so oft.
Ungefähr in diese Zeit fiel auch eine andere Begebenheit. Meine Eltern und noch jemand hatten noch etwas Geld zu bekommen von Russland und es war Nachricht gekommen, dass es in der nächsten Russenstadt zu holen sei. Dazu fuhr mein Bruder und der andere es von der Bank zu holen, eine Tagesreise mit Pferde und Wagen, also in drei Tagen konnten sie zurück sein, nun war aber
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schon über eine Woche vergangen und sie waren noch nicht zurück. Da wurde man bedenklich, ob ihnen auch etwas passiert sei, da wurden zwei Reiter hinteran geschickt und der eine war ich. Wie wir hinkamen, kamen sie uns ganz froh entgegen, hatten sich jeder eine russische Offiziersmütze gekauft, sodass sie uns so ein bisschen fremd vorkamen. Sie sagten, sie hätten es für Zeit lang werden [W.R. die Zeit wird lang: es wird langweilig] getan, das Warten war ihnen sehr ein altes geworden [W.R. plattdeutsch „en aulend“, das Warten wurde ihnen langweilig], aber das Geld war an dem Tage angekommen, als wir hinkamen, so ging es gleich den nächsten Tag zurück. So hatten wir zwei Pferde vor dem Wagen und 2 hinten angebunden. So kamen wir an den Fluss, wo wir über mussten, der war hoch angeschwollen, es hatte sich schon eine Masse Menschen angesammelt, alles Muhamedaner, die warteten auf Überfahren, die Fährleute sagten, es sei zu gefährlich zum Überfahren. Da waren wir in einer schwierigen Lage, bleiben wir Nacht, sagten wir uns, wer
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weiß, ob wir den Morgen erleben. Bei den Mohammedanern waren wir ja Ungläubige, denen dürfen sie sich nach ihrer Lehre alles erlauben, auch hatte ich auf dem Hinweg, beim Reiten gehört, wie einer einen kräftigen Fluch über die beiden Ungläubigen sagte. Wir fragten die Fuhrleute über wegen überfahren, sie sagten, es geht nicht, aber Nacht bleiben wollten wir da auch nicht, wir sagten uns: Gefahr ist am Ufer, Gefahr ist auf dem Wasser. Wir boten den Leuten mehr als den gewöhnlichen Preis, wenn Sie uns überfahren würden. Das nahmen sie an. Wie groß die Gefahr war, das wussten wir ja nicht, nahmen unsere Wagen auseinander, in der Mitte vom Kahn standen die Pferde, konnten nur eben unten die Quere stehen [W.R. die Pferde standen quer im Boot], so schmal war das Boot. An jedem Ende von den Pferden lag etwas vom Wagen, wir standen bei den Pferden. Auf jedem Ende vom Boot war ein Mann mit einem Steuer, so
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ging es denn los, zuerst ganz ruhig, aber bald kamen wir in den Strom, wo er am stärksten ging, der Kahn ging ziemlich tief und fing an zu schaukeln, dass wir dachten, jetzt schlägt er um, manche von [uns?] schrien vor Angst. Die Bootsleute waren beinahe nackend, nur um die Lenden mit kurzen Hosen bekleidet, sie arbeiteten, dass ihnen der Schweiß vom Rücken lief. Da, als wir dachten: jetzt kippt der Kahn um, brachten sie ihn mit einem Ruck in das Gleichgewicht und ging ganz ruhig, fing aber bald wieder an zu schaukeln, das wiederholte sich vielleicht 4-mal, da waren wir aus dem starken Strom herraus und der Kahn ging ruhig und ohne Schaukeln an das Ufer. Wie fühlten wir so dankbar, als wir festen Boden unter uns hatten, es war eine Hilfe Gottes in großer Noht. So fuhren wir unserem Heim zu, wir beide, die wir nachgeritten waren, saßen vorne auf dem Sitz und die beiden mit ihren Offiziersmützen
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saßen hinten. Ehe wir nach Hause kamen, mussten wir durch ein Gestrüpp, nicht so sehr dicht. Da kamen zwei Reiter angesprengt, einer hatte eine Flinte über die Schulter, der andere weiß ich nicht mehr, was er hatte, beide in zerrissenen Kleidern, struppigen Pferden, es sah nach ein paar recht verkommenen Menschen. Sie riefen uns zu, was, weiß ich nicht, wir hielten still. Das erste, was sie fragten, war, wo kommen die beiden da hinten hier? Die hatten sie wahrscheinlich in ihrem Eifer nicht bemerkt. Ich sagte ihnen: von Peter Alexandrowsk [W.R. Petroalexandrowsk]. https://de.m.wikipedia.org/wiki/To%CA%BBrtko%CA%BBl
Gleich drehten sie um, Fluchten und ritten so ab, wie sie gekommen waren. Das ganze sah so komisch, dass wir bei allem Ernst der Lage doch ein bisschen lachen mussten. Was hatten Sie denn im Sinn? Dass wir gefahren waren Geld holen, hatten ihnen 14 bis 16 Jahre alte von unseren Jungen erzählt. Dass wir zwei hinteran [W.R. hinterher] geritten waren, wussten sie nicht und dann saßen 2 mit Offiziersmützen hinten, das könnten auch russische Offiziere sein und mit die wollten
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sie nichts zu tun haben, darum ihr schnelles Zurückreiten, so sagten wir uns. Wären nur 2 gewesen von uns, wer weiß, was dann geworden wäre. Ich sehe heute aber in all diesem Gottes Vorsehung und Fürsorge.
So fingen auch schon die Leute an, des Nachts zu kommen, als sie merkten, dass wir nicht [W.R. keine] Gewehre hatten. Unsere nächsten Nachbarn waren Turkmenen, ein räuberisches Volk. Man hatte uns gewarnt auf russischer Seite, aber unsere leitenden Männer hatten gesagt: wir verlassen uns auf unserem Gott. Das gilt aber doch nur da, wo wir auf Gottes Wegen gehen, was hier wohl nicht der Fall war und wer nicht hören will, muss fühlen. Sie kamen des Nachts, stahlen Pferde und Kühe und wurden recht dreist. So kaufte Vater auch eines Tages von einem Mann etwas, er ging rein, das Geld holen und bezahlen. Da sah ich, dass der Mann von draußen, er saß auf dem Pferde, tief durch das Fenster sieht, wo Vater das Geld holt. Ich sagte zum Vater, diese
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Nacht bekommen wir Besuch, und da sagte er, die werden nicht kommen. Da um Mitternacht klirrt das Fenster. Das gab einen gewaltigen Schreck, wir in der anderen Stube dachten, die Leute seien schon drin. Als wir aber in die andere Stube kamen, wo die Eltern waren, da sah ich den Reiter draußen am Fenster. Er hatte mit der Reitpeitsche nur die Fensterscheiben eingeschlagen, [wir] kamen also mit dem bloßen Schrecken davon. Da packten wir aber all unsere Sachen wieder auf den Wagen (gestohlen hatten sie bei uns noch nichts) und fuhren nach unten, wo sie die Mauern hatten. Also wieder um eine Erfahrung und Enttäuschung reicher geworden, es gab hier kein Heim. Wir wurden dort freundlich aufgenommen. Da waren die Leute auch schon des Nachts um die Mauern geritten. Da nahmen unsere Väter 2 Mann Kosaken an, die sich dort wo aufhielten, sie hatten jeder eine Flinte und konnten
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auch gut treffen. Aber unsere Väter sagten nicht: „schießt sie runter wie tolle Hunde“, wie J.A. Klassen Tuhlsa mal im Herold schrieb. Ich weiß noch, was ihnen gesagt wurde: wir wollen nicht, dass ihr jemand totschießt, wir wollen kein Blutvergießen. Wenn ihr hier bei uns seid, wird sich kein Turkmene zeigen und so war es auch. Aber hier kam auch die Ernüchterung. Hier können wir nicht bleiben. Wenn wir hier bleiben, dann müssen wir das Gewehr nehmen und uns wehren. Das wollen wir nicht. Bei uns, die wir hinter den Mauern wohnten, wurde nichts gestohlen, aber bei denen am Berg haben sie viel genommen, wurde auch ein Mann ermordet. Hier kam auch schon die Teilung der Gemeinde. Das wir 2 Kosaken zu unserem Schutz genommen hatten, wurde verurteilt, wir hätten die Wehrlosigkeit aufgegeben. Sie, die am Berg, beschwerten sich beim Chan in Chiwa über die Räubereien. Er sagte ihnen: dort kann
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ich euch nicht schützen, kommt näher zur Stadt, da ist ein großer Garten, da könnt ihr sicher wohnen. Schickte ihnen auch Soldaten, solange wie sie am Berg waren. Die Prediger, die in der Niederung wohnten, hatten schon vorher im Briefwechsel gestanden mit Amerika, hier waren Bekannte und Verwandte, und um Hilfe zur Übersiedlung angefragt, wohl so mehr im stillen, ich hatte wenigstens nichts davon gehört. Da hieß es auf einmal, wir gehen nach Amerika. Das kam für mich wie Blitz aus heiterem Himmel, sagt man ja manchmal, und für andere vielleicht auch. Ich hatte schon viel über unsere Existenzfrage nachgedacht und ich weiß nicht, ob sich jemand mehr gefreut hat wie ich, als es hieß: wir gehen nach Amerika. Ich war froh und dankbar, mal aus all dieser Unsicherheit und Irrtümer herauszukommen, hinweg von einem Volk, wo kein Fortschritt war, [sie] lebten so weiter wie vor Jahrhunderten, vielleicht wie vor Jahrtausenden, ein träges
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und arbeitsscheues Volk. So machten wir fertig zur Reise. Zu verkaufen war nichts, so packten wir mal wieder alles, was wir nötig brauchten auf die Wagen. Die Pferde waren weniger geworden, man hatte abgeschafft, um Futter zu sparen, aber wir hatten noch genug, um die Reise anzutreten und bis zur deutschen Grenze auch noch das nötige Bargeld. So fuhren wir dann mal wieder los, hatten einen mohammedanischen Führer angenommen, denn ein Fuhrweg war nicht [da], sonst aber ebenes Land. Wenn mal ein kleiner Berg kam, gingen wir jungen Leute und schoben, ging es steil hinunter, dann banden wir ein Rob an die Achse und hielten auf. Möchte hier noch erwähnen, dass ungefähr ein Drittel von der ganzen Gruppe nach Amerika ging. Die ersten Nächte waren wir noch besorgt, ob die Turkmenen uns auch überfallen würden, aber je weiter wir kamen, desto sicherer fühlten wir uns. Waren wir bei dem Hinweg Monate lang
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ins Osten gefahren bis Taschkent, so waren wir bei all unserem herumreisen im Bogen wieder nach Westen gefahren, um nach Chiwa zu kommen und man sagte uns, in ungefähr 3 Wochen könnten wir wieder in Orenburg sein, also auf der Grenzstadt zwischen Asien und Europa. Aber wir würden eine Strecke wenig Wasser haben. Unser Führer meinte aber, wir würden durchkommen. Die ersten 2 oder 3 Tage hatten wir ja noch den großen Fluss, also kein Wassermangel, aber der mündete dann in den Aralsee. Die ersten paar Tage waren wir gefahren, ohne einen Menschen zu begegnen, auch ohne menschliche Wohnungen, fester Weg und die heiße Sonne Mittelasien brannte heiß. Da, wo die Amudarja in den Aralsee fließt, wo sich der Fluss in viele Arme teilt, fanden wir Menschen, man sagt ja manchmal, da geht es zu, wie in einem Ameisenhaufen, so war es auch hier. Die Leute waren dabei, den einen Flussarm
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einzudämmen für Bewässerung. Interessant war es für uns zu sehen, wie sie das machten. Wir mussten hier anhalten. Ich glaube, ein Wagenrad musste zurecht gemacht werden, da hatten wir Gelegenheit uns die ganze Arbeit anzusehen. Es waren da ungefähr 500 Menschen an der Arbeit. Die ganze Arbeit wurde mit Menschenkraft ausgeführt. Was hier [W.R. in Amerika] doch nicht für Maschinen dazu gebraucht werden. Das einzige Stück Gerät war [da] der Spaten. Da hatten sie erst einen kleinen Berg aufgetragen, vom Flussufer schräg in die Höhe, die hohe Seite vielleicht 15 Fuß hoch und der Berg vielleicht 15 – 20 Ruten lang. Wenn ich Maß angebe, das ist nur so mein Überschlag [W.R. Schätzung]. Dieser ganze Berg wurde mit einer Schilfmatte belegt und da trug man Erde rauf, dazu waren die 500 Menschen. Die hatten alle einen langen Mantel an, der bis auf die Füße reicht und um den Leib einen Gürtel. Diese Männer mussten da hingehen, wo sie [W.R. die anderen] mit dem Spaten standen, dann fasste
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der ohne Spaten mit der rechten Hand nach dem Rockzipfel [W.R. nach dem Unterteil seines langen Mantels]. Wenn er dann aufrecht stand, gab es eine Stelle im Mantel, wo ein oder zwei Sparten voll Erde Raum hatten, die wurde ihm hinein gelegt, dann ging er ab nach der Schilfmatte, ließ den Rockzipfel los und die Erde lag auf der Schilfmatte. So ging eine Reihe Männer, wahrscheinlich 250 hintereinander mit dem bisschen Erde und es fiel dann den ganzen Tag Erde auf die Schilfmatte, bis sie bedeckt war. Die Männer, die die Erde trugen, das war eigentlich Fronarbeit [W.R. gemeinnützige, unbezahlte Arbeit], sie mussten da drei bis vier Tage arbeiten, sich selbst beköstigen und dann konnten sie nach Hause gehen und es kamen andere. Das war ein lebendiges Bild, das erinnerte uns an die Kinder Israel in Ägypten, denn an beiden Seiten der Männer, die mit Erde gingen, standen Aufseher, vielleicht so bei jedem 10. oder 15. Mann, die hatten jeder einen Stock in der Hand und schlugen sie [W.R. die Träger] auf den Rücken, wenn sie nicht ganz dicht
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hinter dem anderen waren. Ja die Fronvögte schlugen die Kinder Israel, heißt es ja in der Bibel. Keiner von den Männern, die Erde trugen, sagten ein Wort, ließen alles über sich ergehen. Wenn nun die ganze Schilfmatte mit Erde bedeckt war, dann fängt man oben, an der hohen Seite an zu rollen. Bis sie an das Ufer kam, war sie vielleicht 6 Fuß hoch und fiel in das Wasser. So hat man doch wohl schon Jahrhunderte zurück mit Menschen Kräfte gearbeitet.
Unser Weg ging weiter, kamen an den See. Auf dem Hinweg waren wir an der Südseite vom See, jetzt an der Nordseite. [W.R. Ich glaube, es war genau umgekehrt]. Hier mussten wir auf eine Anhöhe fahren Ust Urt genannt. https://en.m.wikipedia.org/wiki/Ustyurt_Plateau
Hier hatte der See steile Ufer auf den meisten Stellen und hier war es auch, wo das Trinkwasser anfing knapp zu werden. Wasser war genug im See, aber es ist ein Salzsee. Trafen auch Brunnen, die waren tief und das Wasser nicht zu trinken. Wie lange wir gefahren sind ohne Wasser, weiß ich nicht mehr, aber
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es jammerte einen über die Pferde, die wurden so dünn. Als wir an eine Stelle kamen, wo wir an den See konnten, tränkten manche die Pferde, andere warnten und es war auch zum Schaden, sie wurden etwas krank, konnten aber weiterfahren. Die Kinder fingen an zu weinen nach Trinken, aber es war nichts da, sie mussten warten. Wir Erwachsene konnten es noch ganz gut ertragen, aber die Frage stieg doch bei uns auf: werden die Pferde es aushalten? Denn davon hängt ja unser Weiterkommen ab. Fragte man den Führer, der gab keine Antwort, sodass manche schon meinten, er hat uns in eine Gegend geführt, wo wir alle umkommen müssten, dann war es ja ein leichtes uns auszurauben, aber das war eine falsche Beschuldigung. Es fingen auch manche Pferde an, müde zu werden, blieben schon weit zurück, da hat mancher geseufzt, wenn wir doch bald an das Wasser kämen. Den großen blauen See hatten wir ja immer in der Nähe, aber das half
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uns nichts. Da, es war ungefähr um 4 Uhr nachmittags, hält unser Führer an. Man fragte, was ist los, hier kann doch kein Wasser sein und wir gingen nach vorne und da war wirklich Wasser, wo es niemand von uns erwartet hätte. Keiner von uns hätte es gesehen, wir wären alle vorbei gefahren. Wie nötig brauchen wir doch auch einen Führer durch das Leben, sonst müssten wir ja alle verdursten. Hier war eine kleine Quelle im gelben Stein, vielleicht zwei Fuß, mag auch sein bisschen mehr, also ein rundes Loch im Stein mit dem schönsten klaren Wasser und das Wasser bewegte sich, es sah so, als wenn es in der Mitte der Quelle etwas höher war wie an der Kante, lief aber nichts über. Hier standen wir im Kreise um die Quelle, so viele da Raum hatten, keiner sprach ein Wort, schauten das Wunder Gottes an in einer wasserlosen Gegend. Hier war wirklich lebendiges Wasser. Wir blieben nicht lange
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ruhig stehen in stiller Betrachtung, es wurden Eimer geholt, erst für die Kindern, die Pferde wurden ausgespannt und getränkt. Wie die begierig soffen, manche 5, andere 6 und eins, das größte und wohl das schwerste soff 7 Eimer Wasser. Da fragte man sich: wird das auch zuviel sein auf einmal? Aber sie blieben alle schön gesund. So machten wir uns denn auf den Weg mit unseren frisch getränkten Pferden, um die Zurückgebliebenen nachzuholen, sie wären wohl noch hingekommen zur Quelle, aber mit den frisch getränkten Pferden fuhr es doch besser.
Wie oft habe ich, wenn ich an diese Begebenheit denke, an das Wort Jesu in Evangelium Johannes 4 gedacht, wo er zu dem samaritanischen Weibe spricht: wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer das ist, mit dem du redest und du bittest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. Wasser hatten wir genug im See, aber es bedeutete für uns den Tod, die
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kleine unscheinbare Quelle gab uns Leben. Von hier an hatten wir immer genügend Wasser und kamen wieder nach Orenburg, wo ich mit manchen anderen vor 4 Jahren noch nach dem Bahnhof gegangen war, mir den Zug besehen. Bin nachher das Zugfahren noch ganz müde geworden. Wir waren auch nicht alle 4 Jahre von Russland weg, manche waren 3, andere nur etwas über 2 Jahre. Hier in Orenburg mussten wir 9 Wochen warten auf unsere Pässe. Pferde und Wagen wurden verkauft und wir jungen Leute gingen nach dem Bahnhof und suchten Arbeit, halfen die Güterwagen aus und einladen, verdienten so viel wir brauchten zum Leben. Als wir dann Pässe hatten, dann ging ja die Reise schnell. Was soll ich da viel darüber schreiben. In Russland waren die Bahnbeamten höflich, in Deutschland fuhren wir, ich weiß nicht mehr, war es 3. oder 4. Klasse, da waren die Beamten grob, es soll jetzt
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damit aber besser sein, kamen gut nach Bremen und von da ging es aufs Schiff. Seekrank bin ich nicht was geworden, hatte nur eine kleine Probe davon. Wenn ich jetzt reisen sollte, würde ich mehr Beobachtungen machen. Damals dachte ich: wenn nur das Reisen Mal aufhörte. So kamen wir nach Neu < wahrscheinlich New-York. AW> und den 12. September 1884 in Beatrice Nebraska an. Hier ging es dann bald an die Arbeit, das meiste war neu und ungewohnt, aber ich hatte mich bald eingewöhnt. Am Anfang war es einsam, man war ja nun schon Jahre gewöhnt, wo man ging und stand mit anderen Menschen zusammen, ist mir später aber gar nicht mehr einsam vorgekommen. So habe ich 10 Jahre bei Beatrice Nebraska gewohnt. Den 24. Januar 1895 war meine Hochzeit mit Helena Klaassen <Helena Klaassen (24.01.1876- 06.01.1935), GRANDMA #4893. AW>, dann zogen wir nach Oklahoma Wachita Co. <Washita County. AW> Da hatte ich eine Heimstätte aufgenommen, haben hier die Pionier
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Zeit durchgemacht, an Arbeit hat es uns nie gefehlt. Unser Leben wird 70 Jahre und wenn es hoch kommt, so sind es 80 Jahre und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Das haben wir beide erfahren. So haben wir etwas über 40 Jahre zusammen gelebt und gearbeitet, an Kreuz und Trübsal hat es auch nicht gefehlt, bis der Herr sie durch den Tod von meiner Seite nahm. So habe ich noch fast drei Jahre mit meiner jüngsten Tochter zusammen gewohnt. Seit sie verheiratet ist, wohne ich allein in meinem Häuschen, wo es sehr still und manchmal auch recht einsam ist. Wo man sich sehnt nach der oberen Heimat, wo so viele schon vorausgegangen sind. So ist denn der Feierabend gekommen, so dass ich mir oft sage: Herr bleibe bei mir, denn es ist Abend geworden. Doch hat es an Segnungen von oben auch nicht gefehlt in meinem Leben.
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Durch so viel Not und Plagen
Hat mich der Herr getragen
Von meiner Jugend auf;
Ich sah auf meinen Wegen
Des höchsten Hand und Segen,
Er lenkte meines Lebens Lauf.
War Menschenkraft vergebens
So kam der Herr des Lebens
Und machte Weg und Bahn.
Wust ich mir nicht zu raten
So taht Gott große Thaten
Und nahm sich meiner mächtig an.
Bis in das Alters Tagen
will er mich haben trage
mein Erretter sein.
Dies hat er mir versprochen
Der nie sein Wort gebrochen
Ich werde Sein mich ewig freun.
Jacob Jantzen