Petersburger Briefe

Diese Briefe mit Kommentaren habe ich von Viktor Petkau zugeschickt bekommen. Er schreibt, dass es in den Jahren 1935-1943 eine Zeitschrift: „Mitteilungen des Sippenverbandes Danziger Mennoniten-Famillen. Epp – Kauenhewen – Zimermann“, herausgegeben von Dr. Kurt Kauenhoven, Göttingen gab. Viktor Petkau hat aus drei Publikationen (1942) Artikel über die Kolonie Am Trakt rausgesucht. Ich habe mit Hilfe eines Texterkennungsprogramm die gotische Schrift in Druckschrift umgewandelt und eigene <Kommentare> hinzugefügt. Weil die Briefe schon der Redaktion als Abschriften vorlagen, könnten durch den Druck und meine Bearbeitung Abweichungen von Originalen entstehen. Zum Vergleich kann ich nur PDFs von den Zeitschriften anbieten. Hier im ersten Teil sind Briefe, die Claas Epp (1803 – 1881), GRANDMA #4731 an seine Frau aus Petersburg geschrieben hat. AW. 

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Zur Gründung der Ansiedlungen westpreußischer Mennoniten
„Am Trakt“ im Wolgagebiet

Petersburger Briefe und Aktenstücke aus dem Jahre 1851 Mit Beiträgen zur Geschichte der Familien Epp und Wiebe in Russland
Unter Mitwirkung von Gustav Reimer, Heubuden, Bernhard Harder, Hamburg – Altona, und Anna Andres, Fürstenwerder,
mitgeteilt von Dr. Kurt Kauenhowen, Göttingen

Nach der für das gesamte Russlanddeuschtum fo bedeutungsvollen Ansiedlung westpreußischer mennonitischer Bauern im südrussischen Schwarzmeergebiet in den Jahren 1787–1820 kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur noch zu zwei kleineren Auswanderungen von Gruppen unserer ländlichen Sippen nach Russland. Beide gingen nicht nach den früheren Zielen, sondern ins Gebiet der mittleren Wolga, wo ja schon seit 1764 deutsche Kolonisten sich angesiedelt hatten.
Die erste dieser Neuansiedlungen vollzog sich in den Jahren 1854 – 1874 (1895) in einem Gebiet, das am östlichen Ufer der Wolga „am Trakt“, einer alten Salzstraße, gelegen ist. Dort wurden im Gouvernement Samara, auf der Wiesenfeite der Wolga, etwa 50 km südöstlich der Stadt Saratow, im Kreise Novo-Usensk im Malyschner Bezirk, der nach den Flüßchen Malyich seinen Namen hat, folgende 10 Dörfer gegründet: Hahnsau (gegründet 1854), Köppental (1855), Lindenau (1856), Fresenheim (1858), Wlujewka, Hohendorf (1867), Lysanderhöhe (1869–1870), Orloff (1871), Ostenfeld (1872) und Medemtal (1874–1895). (Menn. Lexikon 3, 4).
Der Gründer dieser Kolonie, Claaß Epp <(01.01.1803 – 21.01.1881), GRANDMA #4731. AW>, stammt aus der weitverzweigten westpreußischen Sippe dieses Namens, die so manchen bedeutenden Führer des bäuerlichen Auslanddeutschtums gestellt hat. Er hat auch, zusammen mit Iaac Claaßen, die Einwanderung und Ansiedlung dieser Gruppe westpreußischer Mennoniten in Russland vorbereitet. Als Abgeordnete auswanderungswilliger westpreußischer Mennoniten unternahmen sie im November und Dezember 1851 eine Reise nach St. Petersburg, um dort in dem zuständigen Ministerium die Verhandlungen über die Einwanderung und ihre Bedingungen zu führen.
Aus diesen Tagen hat sich in Abschrift ein langer Brief des Claaß Epp erhalten, den er am 12.12.1851 aus Petersburg an seine Frau nach Fürstenwerder richtete und in dem er tagebuchartig seine Erlebnisse in dieser Stadt schildert. Wir sehen die beiden Abgeordneten, wie sie ihre Bittschrift einreichen, wie sie in der Amtszimmern des Landwirtschafts Ministeriums warten und warten, wie sie in ihrer freien Zeit die Sehenswürdigkeiten der Zarenstadt besichtigen: Kirchen und Paläste, aber auch Wirtschaftsbetriebe, wie sie ihre Abendstunden in pietistischen Kreisen der Petersburger Deutschen verbringen. Es sind kulturgeschichtlich anziehende Bilder, die so vor uns entstehen, und mit Teilnahme wird man heute noch die Eindrücke verfolgen, die die glanzvolle Hauptstadt auf die beiden schlichten, aber zielbewußten Männer machte.
Claß Epp führte die Verhandlungen in etwa 4 Wochen zu dem von ihm gewünschten Ergebnis. Die beiden dem langen Brief ebenfalls in

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Abschrift beigefügten Aktenstücke geben uns ein deutliches Bild von den Wünschen der Landsuchenden und von der Ansiedlungspolitik der russischen Regierung. Die beiden Schriftstücke werden hier zum ersten Mal veröffentlicht. Sie stellen wesentliche Urkunden zur Geschichte der letzten deutschen Bauernsiedlungen in Russland dar.
Auch sippenkundlich ist der Brief Claaß Epps mit seinen Nachträgen von Bedeutung. Er bildet nicht nur für die Mitglieder der Familie Epp ein wertvolles Zeugnis für das Wirken eines ihrer hervorragendsten Sippenangehörigen, sondern er erwähnt auch andere Namen aus unserem Sippenkreis, z. B. Cornies, Klaaßen, Wiebe. Sie sind mit der vorkommenden Namen aus der Petersburger Gesellschaft, so weit es möglich war, in den Anmerkungen erläutert worden. Berichtigungen und Ergänzungen dazu erbitten wir von unseren Lesern.
Über den Verfasser des Briefes und der Bittichrift selbst, Claas Epp, seien schon an dieser Stelle die näheren Angaben der Freundlichkeit und Sachkenntnis Gustav Reimers verdanken:
Der Schreiber dieser Briefe, Claaß Epp, Fürstenwerder, war am 1. Januar 1803 zu Schönsee, Kr. Gr. Werder, geboren. Er besaß in Fürstenwerder den Hof Bl. 3 B. Von Claaß Epp wird im „Mennonitischen Lexikon“ Bd. 1 S. 596 berichtet, dass er Schulze dieses Dorfes gewesen ist. An der letzten Auswanderung der Mennoniten nach Russland habe er hervorragenden Anteil gehabt. Diese leitete er als Deputierter der Mennoniten und regelte sie als Bevollmächtigter der russischen Regierung. Er hatte Russland bereist, um Siedlungsgebiete auszusuchen und war einer der ersten, die 1852 auswanderten. Bei der 1854 erfolgten Gründung und Anlage des ersten und ältesten Mennoniten-Dorfes im Wolgagebiet, Hahns-Au, war er hervorragend beteiligt und siedelte sich hier mit 4 Söhnen an.
Sein Vater Bernhard Epp, ein Sohn von Jacob Epp – Heubuden, wohnte in Schönsee BI. 1 und war Prediger in Ladekopp. Über Jacob Epp und die weiteren Vorfahren wird in den „Mitteilungen“ Jahrg. 6 Heft 1 S. 21 berichtet. Bernhard Epp starb am 22.05.1823, 55 Jahre alt an Schlaganfall, als durch einen Blitzschlag sein Gehöft in Flammen aufging. Er hatte diesen Hof von seiner Schwiegermutter Judith Bergmann geb. von Bargen, einer Tochter von Hans von Bargen – Heubuden, übernommen.
Sein „liebes Weibchen“, an das Claas Epp seine Briefe richtete, war Margaretha, geb. Klaaßen, geb. am 21.07.1800 zu Fürstenwerder. Die Ehe wurde mit 13 Kindern gesegnet, wovon 6 im zarten Kindesalter wieder starben. Das neunte Kind Ivar Claas Epp jun., ein Schwärmer, der den Auszug der Mennoniten nach Mittelasien leitete.
Margaretha, geb. Klaaßen, war eine Tochter von Dirk Klaaßen, Fürstenwerder. Dieser war Prediger in Fürstenwerder, sein Bruder Cornelius Prediger in Ladekopp. Über deren Vater, David Klaaßen – Fürstenwerder, berichtet uns David Mandtler in seiner Lebensbeschreibung. (Schriftenreihe des Menn. Geschichtsvereins Nr. 3 S. 135). Die Ehefrau von David Klaaßen, Anna geb. Andres, war eine Tochter des ältesten der Großwerdergemeinde, Cornelius Andres, Tiegerweide. Dieser wurde am 23. September 1680 von Luth. Eltern geboren und in dieser Lehre erzogen und konfirmiert. Im Jahre 1706 ging er jedoch nach Amsterdam, wurde dort im Glauben der Mennoniten unterrichtet und am 15. August d. Js.<dises Jahres. AW> von einem Ältesten der Amsterdamer Mennonitengemeinde nochmals getauft und in die Gemeinde aufgenommen. 1710 trat er mit Ida Claaßen, einer Tochter des Hans Klaaßen — Petershagenerfeld in die Ehe. Im Jahre 1719 wurde er von der Gemeinde Tiegenhagen zum Diakon, 1724 zum Prediger und 1736 zum Ältesten der Großwerdergemeinde gewählt. Nachdem er das Ältestenamt 5 Jahre verwaltet hatte, starb er im Jahre 1741.

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Sein früher Tod wurde durch Gram über den Fehltritt einer Tochter
mitverursacht. Ida geb. Klaaßen, geb. 11.07.1688 in Petershagent, starb 1734. Der Vater von Hans Klaaßen war Behrend Klaaßen. Letterer soll um das Jahr 1635 geboren sein.“
So weit über den Verfasser der folgenden Schriftstücke. Über die von ihm im Wolgagebiet begründete Kolonie soll an Hand von Briefen aus Hahnsau in diesen Blättern später ausführlicher berichtet werden. Wir hoffen, dann auch eine Karte der Kolonie beifügen zu können. Es bleibt mir nur noch übrig, Herrn Gustav Reimer, Heubuden, herzlich dafür zu danken, dass er die wertvollen Schriftstücke, die sich heute im Besitz der Mennonitengemeinde Heubuden befinden, zur Veröffentlichung in unserer Zeitschrifft zur Verfügung stellte und mit sippenkundlichen Erläuterungen versah. Der gleiche Dank gebührt auch der Sippenforscherin Fräulein Anna Andres in Fürstenwerder, die für unsere Anmerkungen die Angaben über Johann Wiebe und seine Familie beisteuerte.
Dr. K. K.

St. Petersburg, d. 12. December 51.

Mein liebes Weibchen!
Noch immer sind wir in St. Petersburg. Anfangs schien es, als wenn unser Geschäft, soweit es voraussichtlich möglich war, in 14 Tagen beendet und wir dann unsere Rückreise antreten können, und vielleicht halten wir uns noch 14 Tage hier auf, nachdem wir schon 4 Wochen verweilet haben. Man glaubt allgemein, dass, so bald unser Antrag gemacht und angenommen sei, das Notwendigste geschehen, und die Entscheidung abzuwarten, zu lange für uns währen möchte, indem unsere Sache Sr. Majestät vorgelegt werden müßte. Allein, es war anders. Alles arbeitet für uns, der Würfel ist gefallen, zu unseren Gunsten, das große Wort ,,Freiheit von der Rekrutierung“ ist ausgesprochen, und so sehen wir dem Augenblick mit Sehnsucht entgegen, wo uns diese Aller höchste Entscheidung ins Deutsche übersetzt übergeben und wir damit unserer Heimat und unseren Lieben zueilend, (…) unsere Glaubensbrüder im südlichen Russland vielleicht nicht weniger Wert hat als für uns. Gott sei dafür gepriesen. Der Herr hat seine Segen gegeben zu unserem Unternehmen. Wollte Gott, es würde nicht missbraucht, damit er seine Gnadenhand nicht zurückzöge von unserem Volk.
Diejenigen Männer, welche die Privilegien für unsere Glaubensbrüder hier 1787 erwarben, sie werden mit Undank belohnt, und diejenigen, die durch ihr Wirken und Tun dieselben erhalten, an dessen Spitze ein Cornies[1] stand, dessen Wirken hier bei der höchsten Obrigkeit im gesegneten Andenken steht, dessen Lob man bei vielen hohen Herrschaften hören kann, der eine allgemeine Anmerkung findet, nachdem er bereits im Grabe ruht, dessen Früchte von seinem Wirken unsere beste Empfehlung gewesen sind für unsere Wünsche, die uns überall Eingang verschafft haben. Wie gerne hätte man ihn anderswohin geschickt,
[1] Cornies: Johann Cornies (1789—1848), der erfolgreichste Kolonist der russlanddeutschen Mennoniten und ihr bedeutendster Führer. Vgl. Menn. Lexikon 1, 374 und F. H. Schröder, Russlanddeutsche Friesen, Döllstädt-Langensalza 1936.

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wovon die Erzählungen und Reden über ihn bei uns, dass es bereits geschehen, nur zu sehr Zeugnis geben. Und wir, wir haben nichts getan, was der Beachtung wert wäre, außer dass man manchmal ungeduldig werden wollte des langen Aufenthalts wegen, wir haben nur immer ja sagen dürfen, und wenn, was selten vorgekommen, auch nein gesagt werden musste, so wurde auch dies gnädig aufgenommen. Andere haben für uns gearbeitet.
Du weißt, mein liebes Weib, dass ich diese Reise nicht mit der Freudigkeit wie die vorjährige habe beginnen können. Ich konnte mich eines tiefen Ernstes, der sich meinen Gemüthe aufdrang, nicht erwehren. Allein ich habe sie mit Hoffnung auf Gottes Hülfe begonnen, und es scheint, der Herr wird unser Vertrauen nicht zu Schanden werden lassen.
Unsere Gesundheit, meine sowohl als die meines Reisegefährten Klaaßen[1], hat sich bewährt, obgleich es in St. Petersburg fast Regel ist, dass Fremde krank werden von dem hier übrigens schönen und (bei) daran Gewöhnten auch gesunden Wasser. Wir (er)hielten gleich zu Anfang die Warnung, wie wir uns zu verhalten hätten. Außer dass ich im Anfang ein paar Tage ermattet war und jetzt wieder etwa 4 Tage, mit belegter Zunge, wovon ich etwas angegriffen gewesen, was auch schon (vor)über ist, habe ich eine schöne Gesundheit genossen. Gott sei Dank dafür. Die Witterung ist hier sehr gemäßigt, bis 7 Grad Frost und etwas Schnee, dass eine schöne Schlittenbahn ist, mit ganz gelindem Wetter abwechselnd, ist hier eine seltene Erscheinung in dieser Jahreszeit.
Dass der Schiffskapitän Berend[2] aus Freienhuben mit seinem Schiff dem Schicksal, was (dem) hier viele Schiffe im Herbst erlagen, glücklich entgangen und in seiner Heimat angekommen ist, haben wir durch Herrn Heise[3] erfahren, was uns recht gefreut hat. Es that mir recht leid, dass er bei unserem Eintreffen schon weg war, was vielleicht sein Glück gewesen ist. Wir sind mit dem von ihm empfohlenen Gasthause sehr zufrieden, das können meine Nehrungschen Freunde ihm sagen, z. B. Joh. Wiebe*) in Freienhuben.
Unser Leben hier ist ein unstetes Treiben und liefert mehr denn je den Beweis, dass der Mensch hier keine bleibende Stätte hat. Könnte ich nicht das Ende absehen, es würde mir eine unerträgliche Last werden. Ein Glück, dass man hin und wieder bei guten Menschen einige Erquickung genießt. Um ungefähr ein Bild davon zu geben folgendes:
Den 28ten bei Herrn Heise das Frühstück, wir genossen es statt Mittag, wozu es vollkommen genügte.
Den 29ten den Tag über frei, uns die Stadt besehen und durchgelaufen. Abends bei unserem Nachbarn, dem Schuhmachermeister Zimmermann[4] zugebracht. Hier sah ich einen Stiefel vom Lord Palmerston[5] aus London, der denselben als
[1] Klaaßen: nach Dr. Quiring aus Ladekopp.
[2] Berend:?
[3] Heise:?
[4] Zimmermann:?
[5] Balmerston: englischer Staatsmann (1784—1865), 1846—1851 englischer Außenminister.

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Maß hergeschickt, um nach demselben ein Paar Stiefel für sich anfertigen zu lassen. Er arbeitet mit 16 Mann.
Den 30ten Sonntagmorgen in die Lutherische Kirche, ein schönes Gotteshaus mit drei übereinander vorhandenen Chören oder Emporkirche, mit einem kühnen Gewölbe, sie kann sich den Danziger lutherischen Kirchen gleichstellen, die St. Marien ausgenommen. Ein ausgezeichneter Prediger echt christlichen Sinnes. Nachher besahen wir vom Kaiserlichen Stallmeister geführt, der ein guter Freund von Herrn Heise zu sein schien, wovon es Herrn Heise überhaupt unter allen Klassen hier nicht zu fehlen scheint, die Kaiserlichen Stallungen, wo wir die Kaiserlichen Wagen und Reitpferde besahen, sowie die Staatskutschen, wie sie von Peter dem Großen bis auf den heutigen Tag angeschafft zum Gebrauch dastehen. Da ist eine Pracht, wovon man keine Idee hat. Bei einer Stelle sagte unser freundlicher Führer im Scherz: Meine Herren, hier nehmen Sie Ihren Hut ab! Das ist eine Reliquie, die Lieblingsdroschke des hochseligen Kaisers Alexander[1]. Zu den vielen Merkwürdigkeiten gehörte auch ein Schlitten, womit Peter der Große Sibirien bereist war. Abends schreiben.
Den 1ten December besahen wir in Gesellschaft eines Herrn Obristen, eines äußerst freundlichen Mannes, mit Herrn Heise die Isaaks Kirche, wo nicht jedermann Zutritt hat. Sie ist von finnischem Marmor aus Quadersteinen erbaut, ein regelmäßiges Viereck, 120 Schritt lang und 90 Schritt breit. Die 4 Fassaden werden von 40 aus einem Stück Granit gehauenen 56 Fuß hohen Säulen getragen, mit einer Haupt- und vier kleinen Kuppeln, alle vergoldet. Die Höhe beträgt 340 Fuß. Auswendig scheint sie schon fertig, inwendig aber arbeiten noch mehrere hundert Menschen wie in einem Ameisenhausen. Das ganze Inwendige ist voller Gerüste und Treppen. Man entkleidete einen Pfeiler seines Vorhanges, und es bot sich dem Auge eine Pracht von Malachit-Arbeit des ganzen Pfeilers dar, der höchst überraschend und imposant war. Solche Pfeiler sollen vier kommen. Im Jahre 1818 ist angefangen sie zu bauen, und noch ist kein Ende abzusehen.
Den 2ten führte Herr Heise uns in Gesellschaft des Obristen und vier Damen in die Kaiserliche Eremitage, die noch nicht der Öffentlichkeit übergeben, schwer Eingang zu haben ist. Das Gebäude an und für sich soll 6 Millionen Silber kosten. Die inneren Sehenswürdigkeiten und Kostbarkeiten sind wohl schwer zu taxieren, man geniert sich, den Fußboden zu betreten. Eine Vase 18 Fuß lang, 10 Fuß breit, der obere Rand ca. 6 Fuß Höhe, aus einem einzigen sehr schön gemarmorierten Stein ohne die vielen anderen kleinen aus Stein von verschiedenen Farben selbst aus Malachit-Arbeit in verschiedenen Formen und Säulen stehen den Vasen waren eine Pracht. Eine Gemäldesammlung, die die Königsberger in Preußen weit übertreffen soll. Ein Gemälde soll

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65 (?) Franks gekostet haben. Drei Tische von Mosaik, wovon der eine ein Geschenk vom Heiligen Vater aus Rom, sind wahre Kunstprodukte, wovon man keinen Begriff hat. Wir gingen die vielen Säle, die Kunstsachen flüchtig besehend durch, und verweilten über zwei Stunden darin, bekleidet mit schwarzem Leibrock, die Herr Heise uns besorgte, der Etikette gemäß. Die Eremitage ist eine Fortsetzung des Kaiserlichen Winterpalais. Die hier gesehene Kostbarkeit und Pracht übersteigt alle Begriffe eines Landmannes, und alles übrige hier Sehenswerte schien nach diesem Gesehenen auf einige Tage allen Wert verloren zu haben.
Den 3ten auf der Post gewesen und in der Stadt herumgeschlendert.
Den 4ten im Departement (Ministerium), nachher bei Heise, abends bei Dr. Schmalz[2], Redaktor der Deutschen Zeitung.
Den 5ten ließen wir unsere Aufenthaltskarte verlängern, dann um 1 Uhr im Departement, um 4 Uhr wieder dort mit einer Nachweisung der mitzubringenden Sachen: Kleider, Leinen usw. Abends bei Frau Hofräthin Lemson[3], an die wir durch Goßner[4] aus Berlin empfohlen, eine alte Dame von Geist und Gelehrsamkeit. Wir besuchten in ihrer Gesellschaft die Betstunde der Brüdergemeinde und tranken bei ihr Tee. Die Besuchstunde ist hier von 7 Uhr Abends ab.
Den 6ten im Departement beim Direktor Hahn[5]. Unser Gespräch lenkte derselbe auf Cornies, von dem er mit Liebe und Achtung spricht. Wir haben ihm manchen guten Rat zu danken, er verdient ein Denkmal. Abends bei Heife.
Den 7ten morgens überraschte uns S. Exzellenz der Herr Staatsrath von Köppen[6], wir können ihn unsern Vater nennen, denn kurz nach unserem Eintreffen hier begrüßte der Herr Minister ihn, als er diesen besuchte, mit der Anrede: Köppen, Ihre Kinder aus Preußen sind angekommen – mit einem Besuch in unserem Quartier uns die frohe Botschaft verkündigend dass Se. Kaiserliche Majestät uns von der Rekrutierung freigesprochen. Abends zum Tee eingeladen, besuchte uns die Hofräthin Lemson, wo wir zur Kirche gewesen, und auf unsere Entschuldigung unseres hohen Besuchs (wegen) meinte sie, den hätte Herr Staatsrath zu einer anderen Zeit machen können. Wir fanden dort eine kleine Gefellichaft aus ihrem Sohn und dessen Frau, der sich mit lebhafter Freude der Bekanntschaft Jung-Stillings[7] während des Feldzuges 13-14 erinnerte, einen Herrn Baron und noch einen Herrn nebst Frau und zwei andere Damen. So ein Abend, wie wir da verlebten, richten den Menschen wieder auf, der von dem ungewöhnten unstäten Hin- und Herwerfen entmuthigt scheint. Diese Freundlichkeit, dieses Freudige, Heitere, ohne den höheren Ernst zu vermissen, man muss so etwas selbst sehen, eine solche Gemeinschaft. Zu einer fröhlichen Unterhaltung
[1] Alexander: Zar Alexander I. (1801-1825).
[2] Schmalz:?
[3] Lemson:?
[4] Goßner: Johannes Goßner (1734-1858), erst kath. Priester, 1820—24 Prediger in St. Petersburg, seit 1826 ev. Pfarrer, Begründer der Berliner Missionsgesellschaft, Erbauungsschriftsteller. Sein „Schatzkästchen“ in mennonit. Kreisen verbreitet. Hatte Beziehungen zur Altonaer Mennonitenfamilie van der Smissen, Menn. Lexikon II., 145). über Goßners Petersburger Kreis sagt sein Biograph Prochnow: „Unter der von der Welt diesem Häuflein gläubiger Seelen spöttisch beigelegten Benennung „Goßners Gemeinde“ hat sich dieselbe jetzt nahe an vierzig Jahre in Petersburg erhalten.“ (F. D. Prochnow, Johann
Goßner, Berlin v. 3, S. 359.)
[5] Hahn: Edurd von Hahn, russischer Staatsrat, Präsident des Fürsorgekomitees für die deutschen Ansiedler in Südrussland. Ihm waren alle Mennonitenansiedlungen unterstellt (Menn. Lexikon II., 232).
[6] von Köppen: russischer Staatsrat, eifriger Förderer der mennonitischen Ansiedlungen. Nach ihm wurde die 1855 gegründete Kolonie westpreußischer Mennoniten im Gouvernement Samara Köppental genannt (Mennt. Lexikon II., 548).
[7] Jung-Stilling: Joh. Heinr. Jung-Stilling (1740–1817), Arzt, Nationalökonom und religiöser Schriftsteller, besonders durch seine Selbstbiographie bekannt. Gehörte zu Goethes Straßburger Freundeskreis. Hatte lebhafte Beziehungen zu den pfälzischen Mennoniten (Menn. Lexikon II., 446).

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gaben die Mitteilungen des jungen v. Samson[1] (?) (ist Staatsrath und Censor der ausländischen Zeitungen) über seine Reise zum Sängerfeste nach Würzburg in Deutschland, wo er der einzige Russe gewesen, (die Veranlassung).
Den 8ten im Departement. Abends bei vont Heise, nach einer Baumwollspinnerei geführt und besehen, die großartig ist. Sie ist auf Aktien mit einem Kapital von 1 Million Silber gegründet, 5 Direktoren stehen dieser Fabrik vor, wovon Heise auch einer ist, 1000 Menschen beschäftigt, mit 69000 Spindeln, liefert ca. 64000 Pud (à 40 Pfund) Garn jährlich, braucht zum Betriebe zwei Dampfmaschinen von 60 und 150 Pferdekraft, und zur Gasbereitung, wodurch das ganze sehr großartige Fabrikgebäude erleuchtet wird, jährlich gegen 1/4 Millionen Pud Steinkohlen. Auf dem Hofe zählt man an dem 6 Etagen hohen Hauptgebäude und den beiden 5 Etagen hohen Flügeln über 200 Fenster. Des Abends sieht ein solches Gebäude in der Ferne (aus), als sei es ein Flammenmeer, ein Feen-Palais, es macht einen eigentümlichen Eindruck auf einen zum ersten Mal so etwas Schauenden.
Den 9ten in Departement und Post.
Den 10ten waren wir zu halb zwei ins Departement befohlen, als uns um 12 Uhr schon ein Unterbedienter vom Direktor Hahn geschickt mit einem Schlitten uns abzuholen, uns überraschte. Als wir dort eintrafen, übergab uns der Her Direktor einen Brief von dem General von Krüdener[2], Hofmeister der Größfürstin Helena Pawlowna[3], die von uns gesprochen hätten. Wir fuhren hin, fanden den Herrn General schon nicht zu Hause, wurden zu abends … Uhr bestellt, wo wir denn auch nicht auf uns warten ließen. Er stellte uns vor, dass die Großfürstin bei Pultava auf ihren Besitzungen einige Mennoniten angesiedelt sehen möchte, um den anderen Bewohnern, die in der Landwirtschaft noch sehr zurück seien, mit gutem Beispiel vornanzugehen, was von unserer Seite nicht angenommen werden konnte. Und wir hatten das Glück, Se. Exzellenz auch zu überzeugen, so dass er zuletzt sagte: Wenn es dem großen Gott gefällt, dass Sie einwandern, und Sie darauf reflektieren sollten, so wissen Sie, an wen Sie sich zu wenden haben – und uns entließ.
Den 11ten im Departement unseren gestrigen Besuch reportiert. Lebe wohl, mein liebes Weib, der Herr erhalte uns alle bei guter Gesundheit und schenke uns ein frohes Wiedersehen.

Dein
Claaß Epp.

St. P. den 16. Dezember 1851.

Endlich ist der erseinte Tag herbeigekommen, wo unsere Abreise bestimmt beschlossen ist, wenn gleich noch etwas hinausgeschoben, so (ist es) doch beruhigend, ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Der Herr Direktor v.
[1] von Samson:?
[2] von Krüdener:?
[3] Helene Paulowna: Großfürstin, spielte unter Zar Nikolaus I., eine bedeutende Rolle am russischen Hofe (Menn. Lexikon II., 232).

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Hahn hat erlaubt, dass wir uns zum 25ten d. M. bei der Post einschreiben lassen können. Also werden wir, so Gott will, (am) ersten Feiertag gegen Abend mit der Post von hier abreisen, und, wenn alles aufs beste geht, zu meinem Geburtstag, den 1. Januar 52, bei Euch, meine Lieben, vielleicht Tags vorher schon eintreffen. Dank ihm, der so weit geholfen, er wird weiter helfen. Unser Leben hier ist noch immer dasselbe.
Den 13ten verbrachten wir drei Stunden im Departement. Abends wurde Goßners Geburtstag gefeiert durch einen kleinen Gottesdienst, dem wir beiwohnten, und machten noch Vater Köppen unsere Aufwartung. Den 13ten habe ich 9 Stunden geschrieben, so dass ich recht ermüdet war. Wir hatten am 12ten die Aufgabe, die infolge unserer am 27. November dem Herrn Minister überreichten 8 Bitten erfolgte Erledigung (?) zu beantworten und am 14ten schon zu überreichen.
Am 12ten ca. drei Stunden im Departement, die längste Zeit bringt man mit Warten zu. Unsere Arbeit überreicht und die Erlaubnis erhalten, uns den 25ten d. M. bei der Post zur Abreise einzuschreiben. Abends von 6-halb 11 Uhr im Sareptischen Hause der Brüdergemeinde bei Herrn Mory[1] in sehr angenehmer Gesellschaft zugebracht. So ein Abend ist wieder einmal ein lindernder Balsam für ein ungeduldig Gemüht, und heute bei Herrn Heise zu Frühstück Mittag gespeist punkt 12 Uhr und dann dies wenige geschrieben.
Lebe wohl. Grüße alle, die nach mir fragen. Bald sehen wir uns wieder.

Dein
C. Epp

NB. Um ein Bild von St. Petersburg zu geben, ist zu bemerken, dass man um drei Gebäude und die Newa-Brücke zu passieren 2630 Schritt, eine Drittel Meile, zu machen hat. Natürlich sind nicht lauter solche große Häuser. Ein kürzlich hier angekommener Herr hat die Reise von Paris bis Woldenberg per Eisenbahn und von da mit Schnellpost in acht Tagen bis Petersburg zurückgelegt.
(Den 16. Dec. geschrieben, den 26. Dec. in Fürstenwerder angekommen.)
St. Petersburg, den 15./27. Nov. 1851. Sr. Erlaucht dem Herrn Minister Grafen von Kiselov[2] von den aus Westpreußen eingereisten Deputierten der dortigen auswanderungslustigen Mennoniten Claaß Epp und Isaac Klaassen.
[1] Mory:?
[2] Kiselov: Paul Graf Kisselew (1788–1872), russ. Landwirtschaftsminister.

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Unterthänigste Bitte!

Se. Kaiserliche Majestät haben allergnädigst zu der Huld und Gnade, womit Hochdieselben unsere Glaubensbrüder die Mennoniten in Südrussland bisher beglückt, und unserer aller gnädigst gedenken geruhet, und uns die Freiheit verliehen, dass Familien Mennoniten in Höchstdero Staaten von neuem einwandern dürfen.
Da wir das Glück haben, Ew. Erlaucht vorgestellt zu werden, so wagen wir um die Gnade bittend, die in Folge der von dem vom Kaiser l. Russischen hohen Ministerium ausgegangenen uns in unserem Vaterlande vorgelegten Papieren, wonach wir nach 20 Freijahren die Militärpflicht übernehmen sollen, und mit 300 Rubel Silber den zu stellenden Mann ablösen können, folgende so gehorsamste Bitte zu höchstdero Füßen niederlegen zu dürfen.
1) Um allergnädigste Verleihung der Freiheit von der Militärpflicht und persönlichen Militärdienst für uns und unsere Nachkommen, und die für diese uns huldreichst verliehene Gnade zu zahlende Gabe als jährliches Rekrutengeld nach Verhältnis der vorhandenen männlichen Seelen zahlen zu dürfen, um nach unserer Art zu den Lasten des Landes, das uns Schutz und Obdach gewährt, beitragen zu können, indem es bei uns Mennoniten religiöser Glaubensgrundsatz ist, Militärpflicht nicht übernehmen zu dürfen.
2) Wie viel Freijahre den neuen Ansiedlern verliehen werden möchten.
3) Wieviel Lande jeder Familie zum Bebauen zugewiesen werden möchte.
4) Ob uns vergönnt wäre, vorher dieses Land und namentlich bei Simbirsch an der Kasanschen Grenze, wo früher Kosacken und Kalmücken wohnten, vorher besehen zu dürfen.
5) Ob uns auch Reserve-Land zur Deckung des Bedürfnisses der sich von uns neu bildenden Familien verliehen werden möchte, damit diese Kolonie Umfang genug gewönne, um sich in sich selbst erhalten zu können.
6) Ob uns ein Stück Land zu einer Gemeinde-Anlage zur Gameinde-Schäferei etc. Zur Bestreitung der in einer Muster Kolonie häufig vorkommenden Ausgaben verliehen werden möchte.
7) Ob es uns auch gestattet sei, unsere Bücher religiösen und wissenschaftlichen Inhalts, sowie unsere Kleider, Leinen, Betten, einiges wenige noch fehlende Werkzeug mitnehmen zu dürfen.
8) Zuletzt wagen wir noch die unterthänigste Bitte, ob uns auch die Gnade zutheilwerden möchte, die Verwaltung der zu bildenden

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Kolonie die Instruktion unterzuordnen, wie bei den Mennoniten an der Moloschna den anderen Kolonisten gegenüber.
Euer Erlaucht so gehorsamst als unterthänigst bittend, die Gnade und Fürsorge, womit dieselben unsere Glaubensbrüder den Mennoniten im südlichen Russland beglückt, auch auf uns geneigtest übertragen zu wollen, zeichen wir uns in aller Ehrfurcht

Euer Erlaucht unterthänigste Diener die Deputierten der
auswanderungslustigen Mennoniten in Preußen

Claaß Epp
Isaac Klaassen

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Bedingungen, auf Grund welcher die übersiedlung von einhundert Familien preußischer Mennoniten in das Samarische Gouvernement gestattet wird.

1) Die Mennoniten, welche zufolge der Allerhöchst ertheilten Erlaubnis, einhundert preußische Mennoniten-Familien auf Kronsländereien des Samarischen Gouvernements sich anzusiedeln, nach Rußland überzusiedelnt wünschen, sind befugt, sich von ihrer Regierung einen Entlassungsschein auszuwirken, und bei Vorstellung dessen der Kaiserlichen Russischen Gesandschaft, von welcher die Ertheilung der erforderlichen Pässe abhängen wird, zur Sicherstellung der Ansiedlung nicht weniger als zu 350 preußische Thaler für jede Familie einzuzahlen, welches Geld nach Abzug der übersiedlungskosten, sie bei ihrer Ankunft an dem Ort ihrer Ansiedlung zurückerhalten.
2) Desgleichen sind sie verpflichtet, einen Revers auszustatten, dass sie stets den Zweck ihrer Berufung nach Russland im Auge haben werden, nämlich als Muster dem Ackerbau treibenden Stande zu dienen und in dieser Hinsicht dem Beispiel ihrer Mitbrüder an der Moloschna zu folgen.
3) Zur Ansiedlung soll nicht eher geschritten werden, als bis sich wenigstens zwölf Familien dazu gemeldet haben werden, da nur bei dieser Bedingung die Gründung einer Kolonie
möglich ist.
4) Alle in den Verordnungen über die ausländischen Ansiedlungen für die ausländischen Ansiedler überhaupt und für Mennoniten insbesondere bestehende Regeln, insofern solche durch gegenwärtige Bedingungen nicht verändert werden, beziehen sich auf die ansiedelnden einhundert Mennoniten-Familien.

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5) Sie werden mit ihrer Nachkommenschaft vom persönlichen Militärdienst befreit und haben statt dessen nach Ablauf von zwanzig Freijahren, von der Zeit ihrer Zuzählung zu den ausländischen Ansiedlern gerechnet, eine bestimmte Abgabe unter dem Namen Rekruten-Geld zu entrichten, diese Abgabe wird nach dem von der Regierung zu bestimmenden Werth eines Rekruten, jeßt 300 Rubel S<ilber>.-berechnet.
6) Von der Zeit ihrer Zuzählung zu den ausländischen Ansiedlern werden ihnen zehn Freijahre von Zahlung der Abgaben verliehen.
7) Einer jeden zur Übersiedlung angekommenen Familien werden fünfundsechzig Dessatinen Land angewiesen, sobald nur die Örtlichkeit, die zur Ansiedlung gewählt wird, solches gestatten wird.
8) Die Ansiedlung der Mennoniten soll im Maloschnaschen Gouvernement in dem Nikolajewichen und Novousenichen Kreise wo deutsche Kolonien sich befinden, unternommen werden. Die Bestimmung der Ländereien, nachdem solche durch die ersteren Ankömmlinge (nicht weniger als 12 Familien) oder ihre Bevollmächtigten besichtigt und angenommen sind, hängt von der Bestätigung des Herrn Ministers der Reichsdomanien ab. Bei dieser Bestimmung soll hauptsächlich die Möglichkeit alle 100 Familien beisammen, jedoch in mehreren Dörfern angesiedelt werden. Sollten aber bei dieser Bedingung die Wahl der Ländereien im Nikolajewichen und Novousenschen Kreise Schwierigkeiten unterworfen sein, oder sollten die Mennoniten diese Ländereien in ökonomischer Hinsicht zur Ansiedlung nicht geeignet finden, und deshalb sich weigern solche zu nehmen, so wird es ihnen gestattet, sich Ländereien in anderen Gegenden des Samarischen Gouvernements auszusuchen.
9) Der Pachtzins für die Ländereien im Nikolajewschen und Novousenschen Kreise wird nach Ablauf der 10 Freijahre der nämliche sein, wie der der Mennoniten in Südrußland, das heißt 4½Kopeke Silber für die Desjlatine; in anderen Gegenden aber wird der Pachtzins nach Abschätzung des relativen Wertes der erwählten Landstücke bestimmt.
10) Die einmal zur Ansiedlung von hundert Mennoniten-Familien bestimmten Ländereien sollen zu keinem anderen Zweck verwandt werden, es wird aber von denselben nur zur 65 Desjatin einer jeden Mennoniten-Familie, die zur Ansiedlung ankommt, angewiesen. Das übrige Land wird bis zur Beendigung der Ansiedlung als Kronpachtstück verpachtet, den Mennoniten jedoch überlassen, das ganze Land oder einen Teil desselben, welchen man ohne Verletzung der Regeln der

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guten Wirtschaft abtheilen kann, und zwar für den zur Zeit bestehenden Pachtzins mit Zuzählung (von) 1% für jedes Pachtjahr.

Den 10. Dezember
Mit dieser Bedingung vollkommen zufrieden und einverstanden unterzeichnen wir uns

Claaß Epp
Isaac Claassen

Mit dem Original gleichlautend Chef der Abtheilung
A. v. Linden

(Dieses Schriftstück ist durch Herrn Gustav Penner, Irrgang, der Kirchengemeinde Heubuden zur Chronik überwiesen, was hiermit bescheinigt Der Vorstand der Mennoniten-Gemeinde Heubuden Kl. Lichtenau den 23. 3. 1923.  Bernh. Klaassen, Ältester)

Anmerkungen:
*) Johann Wiebe, Freienhuben, wurde am 17.04.1806 <#507764> als Sohn des Hakenbüdners Gerhard Wiebe <#604620> und der Elisabeth Kröker <#604621>  in Tiege geboren. Er war seit dem 20.06.1833 mit Margarete Hamm <#507763> verheiratet, einer Tochter des verstorbenen Hakenbüdners Johann Hamm aus Robach und seiner verstorbeneit Ebefrau Margarete, geh. Jantzen. Johann Wiebe erwarb 1842 in Freienhuben den Hof BI. 4 jeßt Mekelburger), der an der Chaussee Nickelswalde-Steegen liegt. Hier wohnte er bis 1872. Den Hof Fürstenwerder Bl. 3 besaß er noch von 1867—1870. Ich nehme an, er diese beiden Wirtschaften mit seinen Kindern bewirtschaftet hat. Johann Wiebe wird als Ältester der Fürstenwerder Mennonitengemeinde erwähnt. Er galt als vermögender Mann. Sein Sohn Gerhard heiratete in Russland, wohin Johann Wiebe 1872 ausgewandert war, Margarete Claaßen. Gerhard Wiebe ging nach Amerika, wo er in Beatrice im Staate Nebraska ein Konfektionsgeschäft besaß. Er muss dort in guten Verhältnissen gelebt haben. Seine Heimat hat er in späteren Jahren auch noch einmal aufgesucht. Anna Andres.
Es ist möglich, daß hier eine Verwechselung zwischen Vater und Sohn Johann Wiebe unterlaufen ist. Ob der in Fürstenwerder ansässige Johann Wiebe, der als Ältester der dortigen Mennonitengemeinde tätig war, nach Russland auswanderte, ist mir nicht bekannt. Seine Söhne die auswanderten und in der Alexandertaler Kolonie lebten, sowie ihre Nachkommen, waren mir alle persönlich gut bekannt.
Es handelt sich um folgende Söhne des erwähnten Johann Wiebe:

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1) Wilhelm Wiebe, verh. mit Helene geb. Reimer (verwandt mit Reimer Heubuden).
2) Johann Wiebe, verh. mit seiner Cousine Margarethe geb. Janzen. Johann Wiebe war über ein Jahrzehnt Ältester der Alexandertaler Mennonitengemeinde. Nach einem Konflikt in der Gemeinde legte er sein Amt nieder und schloss sich der jungen, damals in den Anfängen stehenden, Mennoniten-Brüdergemeinde an, wo er gelegentlich als Prediger mitwirkte.
Er hatte 4 Söhne: Heinrich, verh. mit Henriette geb. Matthies. In zweiter Ehe mit Helene, geb. Löwen. Heinr. Wiebe war ansässig als Gutsbesiter in Besentschuk, an der Station gleichert Namens, 56 km von Samara entfernt auf der Strecke Samara – Sysrarn.
Johannes Wiebe, verh. mit Magdalena Wiebe (seiner Cousine), ist in den Revolutionsjahren verbannt worden und am Weißen Meer in einem der Verbannungslager gestorben. Ich stand mit ihm im briefl. Verkehr.
Gerhard Wiebe verh. mit Christine geb. Japs (evgl.) war Gutsbesitzer in der Siedlung Dawlekanowo, Gouv. Ufa.
Cornelius Wiebe, verh. mit Renate geb. Fast, war ansässig in Mariental Krs. Alexandertal, wurde ebenfalls mit seinem Bruder verbannt und später aus dem erwähnten Verbanitungslager nach den Solowezki-Inseln im Weißen Meer mit zwei Leidensgenossen: Johannes Harder (mein Vetter) und Gerhard van Riesen weiter verschleppt, wo alle drei erschossen wurden.
3) Gerhard Wiebe, verh. mit Margarethe geb. Claaßen, war Kaufmann in Alexandertal, wanderte 1893 nach Amerika aus und begründete in Beatrice, Nebraska, USA ein neues Geschäft mit Manufakturwaren. Er besuchte mit seiner ältesten Tochter etwa 1905 noch einmal seine Heimatkolonie, wobei ich Gelegenheit hatte, mehrfach mit ihm zusammenzutreffen. Auch später, als ich nach Deutschland kam, stand ich in briefl. Verkehr mit Gerh. Wiebe.
1935 hatte ich Gelegenheit seine beiden Söhne zu besuchen. (Anlässlich meiner Besuchsreise in USA) Beide waren meine Schulkameraden: Gerhard und Wilhelm. Wilhelm hatte das väterliche Geschäft in Beatrice übernommen, musste es aber, infolge unglücklicher Umstände, später aufgeben und war bei meinem Besuch Schuldiener.
Gerhard Wiebe begründete in derselben Straße ein Herrenkonfektionsgeschäft, stand aber bei meinem Besuch in großen geschäftlichen Schwierigkeiten.
4) Hermann Wiebe, verh. mit Gertrude, geb. Epp, war einer der bedeutendsten Prediger der Alexandertaler Mennonitengemeinde und Religionslehrer in der dortigen Ministerialschule. Er war Teilhaber und Mitinhaber des Kaufmannsgeschäfts, Gerhard und Hermann Wiebe führten ihr Geschäft unter der Firma Gebrüder Wiebe, und gelangten in Alexandertal zu bedeutendem Wohlstand. Hermann Wiebe wanderte zusammen mit seinem Bruder nach USA, zog sich aber vom Geschäft zurück und erwarb ein Landgut, eine Farm, in der Nähe von Beatrice in Staate Nebraska. Seine Tochter ist verheiratet mit dem derzeitigen Ätesten Albrecht von der Landgemeinde Beatrice.
Die erwähnten vier Brüder Wiebe sind alle gestorben.
B. Harder.

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Schrifttum

1) Mennonitisches Lexikon, hrsg. von Chr. Hege und Chr. Neff. Artikel Cornies, Epp, Hahn, Hahusau, Köppental, Malyschner Bezirk u. a.
2) W. Quiring, Die Mundart von Chortißa in Südrußland. Diss. München 1928, mit Karten.
3) Lothar König, Die Deutschtumsinsel an der Wolga. Ein Beitrag zur länderkundlichert Darstellung der deutschen Wolgakolonien und der natürlichen Grundlagen ihrer Wirtschaft. (=Deutschtum und Ausland 64/65) Dülmen 1938.

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