3. Kapitel

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Zu den Kindern hatte die theure Verstorbene gesagt: „Ich fuhr gerne mit euch mit, aber so wie der Herr will.“ Einmal sagte sie in Lublin: „Ich habe vor dem Herrn nicht anzuweisen.“ Ein andermal: „Christi Blut und Gerechtigkeit, daß ist mein Schmuck und Ehrenkleid.“ Sanft ruhe ihre Asche.“ Am 20. Wurde C. Epps jüngster Sohn krank, so daß wir eilten nach Ostrog zu unsern Brüdern zu kommen. Wir langten den 29. 7 Uhr Abends in Carolswalde an bei dem Aeltesten Beng. Doerks und den 30. Um 9 Uhr war auch dieser unser Kranke eine Leiche. Am 31. August wurde dieser 7 1⁄2 Jahr alte Cornelius auf dem dortigen Mennoniten Kirchhof begraben. Die Gemeinde scheint hier in dürftigen Unständen zu sein. Der Brandwein wird wohl zu viel gebraucht. Den 3. September wurde mein Cornelius bedeutend krank, den 5. kamen wir nach Michalin, wo ich, da es Sonntag war, zur Kirche eilte. Die Brüder nahmen uns gastfreundlich auf. Mit Cornelius besserte es nun aber wurde ich bedenkend kränklich, wurde aber bald besser. Nun gings ohne sonderliche Unterbrechung fort, daß wir den 18. September um 2 Uhr in Chortitz ankamen. Am 22. langten wir in Steinbach bei Peter und Claas Schmidt an, indem letzterer mich geschrieben hatte, ich könnte in seinem Bathark wohnen. Nun war mit des Herrn Hilfe unsere Reise vorläufig beendet und gingen ein bei diesen äußerst gastfreundlichen Brüdern und Schwestern.

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Da wir aufgefordert waren nach der Krim zu fahren, weil Vater Koeppen mit seiner Familie aus Petersburg auf der Südküste dort war, so fuhr Claas Epp, David Hamm und der junge Daniel Schmidt von Steinbach ich und mein Cornelius den 10. Oktober mit eigenen Pferden wieder ab, waren am 15. Bei Vater Koepper und wurden dort mit der gr. Herablassung und Freundlichkeit aufgenommen, wir mußten 2 Nächte bei ihm bleiben. Nachdem alles wegen dem Landsuchen und wählen besprochen war, und wir wieder die prächtigsten Trauben gegessen hatten, gings zurück und kamen den 26. Bis Orloff und erfuhren, daß mein Vetter Franz Wall der Krankheits halber von dieser Reise zurück bleiben musste, todt sei. Derselbe wurde am 29. Oktober begraben. Da die Jahreszeit zu weit vorgerückt war, so müßte die Reise nach der Wolga um Land zu suchen, bis auf`s Frühjahr verschoben werden. Ich hatte mit meinen Kindern ein Jahr passende Wohnung und nie können wir es vergessen, wie gnädig der Herr in dieser Beziehung gesorgt hatte. Wir fühlten uns dort recht glücklich. In zwischen bekamen wir noch ein Schreiben aus Petersburg in Betreff unserer Angelegenheit, die immer an C. Epp geadressiert waren, der die Sache führt und leitet, daß ich mit meinen Namen unterschreiben darf, was ich bis dato gerne thue.
1853 den 2 Mai gings in Gottes Namen nach der Wolga. C. Epp kam mit David Hamm, meinen jetzigen lieben Amtsbruder zu uns. Einen jungen Menschen Namens Jacob Wiens nahmen wir mit der gut russisch sprach als Dolmetscher. Nun gings nach Berdjansk wohin uns mein Sohn Cornelius brachte, von dort über Rostow, Novoscherkask über die Donetz und über den Don nach Zarizin an der Wolga. Von hier machten wir einen Abstecher nach Sarepta,

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da gefiel es uns und wir hielten uns 3 Tage auf. Hier kam uns der Vorsitzer Philipp Wiebe mit seinem Bruder nach, indem er uns im Land aufsuchen behilflich sein wollte. Den 18. Mai gelangten wir in Saratow an. An dem 19. machten wir Seine Exelenz dem wirklichen Herrn Statsrath von Froese unsere Aufwartung. Er empfing uns mit der größten Freundlichkeit. Sagte uns, er hatte schon lange auf uns gewartet. Er wünschte, daß wir uns im Novousenschen Kreise Land aussuchten, jedoch möchte und wollte er uns so rathen, daß wir wenn er im Grabe liege, wir über ihn nicht Klagen dürfen. Den 24. waren wir in Katerinenstadt. In Marienthal kam uns seine Exelenz der H. Oberrichter mit dem Landmesser nach und nun wurden die Kronsländer durchfahren und am 31. Mai kamen wir wieder nach der Kronsferm. Den 3. Juni wurde hier der Salztrakt durchgefahren und in Waremburg bei H. Leonard hatten wir Halt und bei H. Conrad Müller war Seine Exelenz. Von hier gings wieder nach Catharienstadt wo wir die Pfingsfeiertagen blieben, hier hörten wir beide Pastorn und mit Hr. Pastor Thomas wurde ich so bekannt, daß es meinem Herzen wohl that. Den 12. kamen wir nach Samara. Den 13. machten wir auf der Palate dem Hr. Kajonder unsere Aufwartung. Es schien als sollten wir das uns von Ministerium zuletzt vorgeschlagene Land nicht sehen aber als Epp dem Herrn Kollegien Rath S………… ein Schreiben aus Petersburg vorzeigte, so war alles bereit. Am 15. Waren wir in dem Russendorfe Barma und von dort wurde am 15. und 16. Juni das Land besehen. Dies war das äußerste Ziel dieser Reise und ist 500 Werst oberhalb Saratow. C. Epp war von Anfang dieser Reise ganz fest entschloßen nur dieses und

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kein anderes Land zu nehmen, indem wir so viel Kunde hatten, daß es sehr gut und wasserreich sei. Bei mir lag es immer erst Alles besehen und dann zu beschließen was H. Wiebe auch meinte. Wie wir jenes Land durchfuhren, so habe ich den Herrn mit Thränen gebeten wie ich dies seit Jahren gesehen hatten, er möchte

für uns wählen oder vielmehr unsere Sinnen und die Herrschaften, die hierüber zu entscheiden haben, so lenken wie für uns und unsere Hachkommen am besten ist. Als wir hier alles besehen hatte, sprach C. Epp wir wollten das Land nehmen, welches uns die hohen Herrschaften am liebsten geben, jedoch stellten wir die Wahl zwischen hier und dem Salz Trakt und daß ersteres unter Russen gelegen wäre und die Verwaltung hierher schwieriger. Wir boten den H. Oberrichter noch einmal den Salztrakt mit uns durchzufahren wozu er uns den damaligen Kreisbesitzer H. Gottlieb Rottärmel aus Orlowskoi mitgab. Und als dies geschehn war, machte Epp die Schreiben nach Petersburg und wir tratten unsere Rückreise an. Am 7. besahen wir im Orlowschen Gestütt die prachtvollen Hengste, wovon wie der Oberlandstallmeister sagte, der eine 13,000 und der andere 18,000 Rubel Silber kostet. Den 11. trafen wir in Charkow ein, wo ich den Herrn Landese prädigen hörte. Nichts ist erfreulicher auf der Reise, als solche treue Zeugen der Wahrheit zu hören. Auch besuchte ich einige Unbekannte und doch Bekannte. Den 17. war ich durch des Herrn gnädige Hilfe wieder bei meinen Kindern in Steinbach. Damals schrieb ich in mein Notizbuch: Seist denn mit des Herrn Hilfe auch diese Reise glücklich beendet. Sollte ich alle diese Gnadenerfahrungen und erweise der Liebe meines Gottes aufgezeichnet haben, das Heft würde zu groß werden. Dort droben war seinem Thron, wohin er mich selig führen und leiten wolle, da will ich ein ewige

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Lob und Dank aussprechen. Es wurde mir zwar manchmal schwer, so wohl dem Leibe als auch dem Geiste nach, so daß ich mitunter gedrückt einher ging. Die Psalmen find aber oft mir zum Trost und zur Aufrichtung meines ohnehin zur Schwermuth geweigten Gemüths gewesen. Herzlich habe ich mich gefreut, wenn ich gläubige Seelen fand. Wohin der Herr uns auch führen wird, und wo ich mein Haupt auch niederlegen werde, daß steht in seiner Hand. Mein teurer Heiland leite du mich und meine Kinder, so wie unser aus Preußen ausgewandertes Häuflein nach deinem Rath. Verherliche dich an uns und schenke uns allen den rechten Glauben an dich und nimm uns endlich zu Ehren an. Amen.
Nun rüstete sich Claas Epp mit den Seinigen um noch den Herbst nach der Wolga zu ziehn. Nun war es auch Zeit, daß unser Häuflein was so lange an der Molotschna zerstreut war, sich kirchlich organisirte. Nun wurde von Bernhard Fast die Lehrer-Wahl unter uns in der Kirche in Orloff und am 2. August 1853 traf mit 28 Stimmen dies Amt den lieben Bruder David Hamm, eine Stimme fiel auf Claas Epp und eine auf mein Sohn Cornelius. Also im ganzen 30 Wähler. Da die Sache Eile hatte, so war am 9. August Aeltesten Wahl, da fielen die Stimmen 1 auf David Hamm und 26 auf mich. Das hatte ich als ich zum Lehreramte gewählt war, nicht gedacht. Auch später nicht. Am 30. Wurde ich von meinem lieben Bruder B. Fast bestätigt. Damit ging der erste Zug nach der Wolga, dem mein junger Mitdiener David Hamm anschloß. Ich blieb noch den Winter an der Molotschna. Es bleibt an der Molotschna, wie in Preußen unter unserm Volk viel zu wünschen übrig und bei uns nicht das Wenigste. Oft habe ich, ja der Herr weiß es Thränen vergoßen, über unser Volk. Oft habe ich in Preußen und besonders an der Molotschna den Wunsch gehabt

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und dem Herrn darum angefleht, daß er Männer unter unserm Volk erwecken wolle, die durch seinen Geist getrieben, zum Segen unseres Volkes wirken möchte, und daß er diejenigen die er sowohl in Preußen als an der Molotschna zu seinem Dienst berufen und gesendet hat, immer mehr mit seinem Geiste erfüllen und ausrüsten wolle damit die Gemeinden gebaut und die Todtengebeine zum Leben kommen möchten und wenn ich denn so über all dem Jammer der unter uns ist, nachdachte und nachdenke und dann auf mich und unser Häuflein hier an der Wolga blicke, dann sinke ich nieder vor Scharm und Bengung und schreie zu meinem Gott und Heiland: Herr! Erbarme dich unser und sei uns Sündern gnädig!
Sollte ich alle die Erlebniße an der Molotschna und auf der Reise so wie überhaupt auf meinem Lebensgange aufgezeichnet haben, es würde viele Hefte geben, zu dem ist es auch hier mein Zweck einige Skizzen aus meinem Leben zu zeichnen und zu zeigen wie der Herr mich so weislich geführet hat, und viel er bald durch Lieben und Leiden zu mir gekommen ist, mein zur Sünde geneigtes und von ihr durchdrungenes Herz zu sich zu ziehen. Viel, sehr viel, ja weit das Mehrste, bleibt für jenseits, wo ich Ihm für alle treu Liebe, womit er mich je und je geliebet hat, in Ewigkeit leben und danken werde. Nun halte mich also der Herr über unser kl. Häuflein Aus und Einwanderer zum Wächter gesetzt. Die noch an der Molotschna blieben, von den unserigen waren in den verschiedenen Dörfern zerstreut. Die nach der Wolga gegangen waren wohnten den Winter in Privalnaja und besorgten für sich und uns das Bauholz, worüber sie uns und über manches andere bereihteten. Zum Frühjahr versammelten wir uns die an der Molotschna wohnende einige mal, um über unseren Aufbrüche zu besprechen. Ich wohnte mit meinen liebe Kindern auf Steinbach, wo die Gastfreundschaft

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zu Hause ist, bis zu unserer Abreise. Sonntag den 6. Juni 1854 hielt ich in Steinbach bei P. Schmidt, der seine Scheune, worin 3. Dreschdielen nebeneinander sind, eingerichtet hatte, meine Abschiedspredigt. Sonst war in der Schule die Andacht. Eine große Menge Zuhörer hatte sich bei dem schönen Wetter eingefunden. Der Herr gab mir viel Gnade und Segen zum Vortragen seines Wortes. Nachmittag hielt Br. Jantzen von Scherdon einen Vortrag. Wir hatten recht gesegnete Stunden. Von vielen lieben Brüdern nahmen wir Abschied bis aufs Wiedersehen vor dem Thron des Herrn. Schwer war der Abschied, aber auch leicht weil wahre Liebe nie scheidet, wenn man auch getrennt voneinander lebt. An 7. Juni brachen wir nach thränenvollem Abschiede auf. Mein Schwager Janzen der mit meiner Schwester und Familie den Herbst vorher nach der Molotschna gekommen war und Peter Peters aus dem kl. Werder im ganzen 11 Wagen mit den unsern. Die Reise ging langsam, weil wir 15 Stück Rindvieh, 13 Kühe und 2 Bullen von dort mitnahmen. Aber auf dieser Reise schickte der Herr nach seiner Weisheit wieder ein schweres Kreuz. Mein jüngster Sohn Jacob fing bereits auf Steinbach an einer Krankheit an zu leiden, die ich bis dahin nicht kannte: Fröhlich, traurig, zornig, das waren die Symptome, die sich wechselseitig im höchsten Grade bei ihm zeigten. Diese Krankheit wurde immer stärker, so daß er zu weilen ganz irr war. Oefter tobte er so, daß wir ihn anbinden müssten. Der Stuhlgang war schwer

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zu bewirken. Da ging mir es denn, wie man zu sagen pflegt, das Wasser an die Seele wie in Kurhoff (siehe 81. Seite). Da blieb denn die teure Verheißung des Herrn mein Trost und wenn ich dieselbe auch nur mit zitternder Glaubenshand fashen konnte. Verse wie der foglende waren mir tröstlich:

Versage nicht, o Seel, in Kranz und Leideswegen
Wenn s Gold im Feuer ist, so ist der Schmelzer nah
Die liebsten Kinder will der Herr, am meisten haben
Der Weg zum Himmelreich geht über Golgathe!

Ob Bangigkeit mein Herz umgibt
So weiß ich doch, daß Gott mich liebt.
Und wenn er noch so ferne scheint
So weiß ich doch, wie gut er`s meint,
Und wären meine Fehler mehr
Als meine Haar, als Sand am Meer
So weiß ich dennoch, er verzeiht
Die Sünden, die mein Herz bereut.
Der Vater zürnt von Herzen nicht
Das ist mir jetzt zum Trost und Licht.
Er kann die Leidenden nicht haßen,
Kann die Jhesuchen, nicht verlassen,
Er züchtigt uns, weil er uns liebt,
Bleibt Vater auch, wenn Er betrübt.

und s. w. Solltest du mein lieber Sohn Jacob dieses später einmal lesen, so bedenke die Wunderwege des Herrn

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die er uns führte und halte dich fest an unseren lieben Heiland. So kamen wir endlich den 22 Juli um 6 Uhr Abends hier an. Claas Epp sein Stall war das einzige Gebäude was hier zu sehen war. Die andere hatten nur Zaraen und Symljanken. Da war das Ziel unserer Reise vollendet und ich sollte nun meinen vom Herrn auferlegtem Amte vorstehen. Da habe ich mir oft gefragt: Wer bist du? Hat der Herr nicht an dir das Schwächste erwählt? Warum hat er nicht einen begabtern an diese Stelle gesetzt? Aber es ist also das Wohlgefallen Gottes gewesen und so will ich weiter nicht fragen, sondern Ihm für mich um Treue in dem mir anvertrautem Theil zu bitten. Das Uebrige ist seine Sache. Ihm ist es leicht auch für das Schwache und Geringe zu sorgen. Seit mehreren Jahren konzentirt sich das unaussprechliche Seufzen meines Herzens in der Bitte: Der Herr wolle von mir nehmen, was mich von Ihm abhält und mir aus Gnaden geben, was mich Ihm immer näher bringt. Dieses Gebet ist es auch, welches ich täglich für meine Gemeinde auf dem Herzen tragen, so wie auch für meine lieber Kinder. Wenn ich nun meinen Lebenslauf nachdenke und all die Leidenden und Freuden, die ich erfahren habe, nachdenke, so muß ich bekennen:

Der Herr hat Alles wohl gemacht
Und Alles, Alles recht bedact
Gibt unserm Gott die Ehre!

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An meinem 66 Geburtstage den 2/14. Februar 1858.

Für Meine Kinder, Schwieger und Großkinder.

Daß ich die Perle finde,
Die meinem Geist gefällt;
Daß nichts mich halt und binde
In dieser armen Welt; –
Das Jeder überwinde,
Den du mir zugesellt
Bis Jesus ohne Sünde
Uns vor den Vater stellt.
Das hab ich mich erkoren
Zu meinem Lebensstern;
Um dies laß ich den Thoren
Die kurzen Spiele gern
Und ist`s noch nicht geboren
Glänzt Salem auch noch fern
So ist doch nicht verloren
Mein Seufzen vor den Herrn.
Es machen mich die Jahre
Ans obre Vaterland;
Sie untern mir bewahre
Des Geistes Unterpfand.
Du, den die Wunderbare
Mit Wundern sucht und fand.
Sprich: Heute noch erfahre
Ich seine Wunderhand.
Herr, hilf die Perle finden
Die meinem Geist gefällt;
Laß nichts hinfort mich binden
In dieser argen Welt;
Hilf Allen überwinden,

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Die du mir zugesellt;
Dann nimm uns frei von Sünden
Ins himmlische Gezelt!

Nach A. Knapp

Schnell dahin geflohen sind die drei Jahre, seit dem ich die ersten Zeilen in diesem Hefte schrieb. Der Herr, der mich von Kindesbeinen an so sicher geleitet und in allen Lagen des Lebens erhalten hat, ist mit seiner Güte nach alle Morgen nun, Manches ist mit seiner Gnade durchgekämpft und durchgeseufzt. Frohe und trübe Erfahrungen in dem Amte, habe ich erfahren und schwer liegt die Last auf meinem Herzen, wenn ich bedenke, daß ich eine Rechnung von meinem Haushalten ablegen soll. Ich weiß und fühle es wie ungeschickt ich dazu bin; ja um dies auszudrücken will ich mich fremder Worte bedienen, die ich kürzlich von einem Prediger in Odessa in der Sabatglocke von F. M. Krummacher, gelesen habe, die so ganz aus meinem Herzen gesprochen sind, es heißt: „Herr Jesu! Warum vertraust du mir ein so hohes Amt an? Ich fühle mich zu untüchtig dazu, zu schlecht. Ach vergieb mir meine Sünden! Es wird Mancher an mir viele Fehler entdecken. Ich weiß ihrer noch eine größere Zahl, und wie viel mehr wirst du, mein lieben Heiland, an mir schauen! Ach vergieb sie mir! Habe ich geredet, das nicht von deiner Ehre zeugte, das sei verflucht! Abwenden sollen sich von mir alle als von einen Miethling, wenn ich je etwas wieder dein Wort und deine Wahrheit rede!“

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Diese Worte spreche ich aus voller Ueberzeugung jenem lieben Bruder, meinem Geistverwandtem nach. Wenn ich so meine Untüchtigkeit erkenne und fühle, so tröstet mich das Wort welches der Herr zu Paulus sprach: „Las dir an meiner Gnade gemigen, denn meine Kraft ist den Schwachen mächtig! Ja, ich freue mich, daß der Herr auch das geringe zu segnen vermag und daß erallein es ist, von dem jede gute Gabe kommt, daher enthült das tägliche Seufzen meines Herzens die Bitte: der Herr wolle alles von uns nehmen was uns von Ihm abfält und uns aus Gnaden Alles verleien was uns zu Ihm bringt, damit alles menschliche bei uns falle, und er sich mit seiner Gnade an unserer Gemeinde und der ganzen Ansiedlung verherliche. Als eine besondere Gnade habe ich es zu rühmen, daß er mir drei thätige, liebe Amtsbrüder zur Seite gestellt hat. In meinem häuslichen Verhältnissen hat sich in drei Jahren manches geändert, wozu besonders das gehört, daß sich drei meiner Kinder verheiratet haben und ich in dieser Beziehung immer mehr und mehr allein zu stehen komme. Aus meinem Vaterlande kommt eine Kunde nach der andern, daß dieser oder jener liebe Bruder von seinem Tagwerk abgerufen sei und es entsteht bei mir die Sehnsucht, obgleich ich es, denn Herr sei ewig Dank, hier sehr gut habe und mir, was dem Leibe anbelangt nichts fehlt, nach etwas Beßerem und Bleibendern, so daß ich mitunter wünsche, aufgelöst und bei Christi zu sein. Dennoch möchte ich auch wieder noch einige Zeit hier bleiben, wenn es dem Herrn gefällt und ich etwas zu seiner Ehre und zum Aufbau seiner Gemeinde beitragen könnte.

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Dies aber zu beurtheilen, ob der Herr mich noch brauchen will, lege ich getrost in seine Hände. Was mich besonders sehr am Herzen liegt das ist der sehnliche Wunsch daß meine liebe Kinder, möchten in der Wahrheit wandeln und daß der Herr mein Gebet für dieselben welches in den Liedern N. 1401 und 1422 im Berliner Liederschatz von 1846 ausgesprochen ist gnädiglich erhören wolle. Ja

meine herzlich geliebte Kinder.

Für euch schreibe ich dieses nieder und bitte und ermahne euch, haltet fest am Wort Gottes und am Gebet. Uerergebt euch ganz eurem treuen Heiland, der uns bis in den Tod geliebet hat und noch liebet. Er wird euch wenn es euch ein rechter Ernst ist, hier in der Welt, durch alles glücklich hindurch führen. Wiedestehet dem Zuge seines Geistes nicht. Eilet bei jedem Straucheln oder Fallen mit glaubensvoller Zuversicht zu dem Gnadenstuhle Jesu Christi und laßet euch durch nichts abwendig machen von seiner Liebe. Liebt euch untereinander und vergebet euch von Herzen so ihr Klage habt unter euch. Segnet der Herr euch im Irdischen, so hängt das Herz nicht daran. Findet es der Herr für gut euch auf irgendeine Art mit Trübsal und Leiden heimzusuchen so versaget nicht und werfet euer Vertrauen nicht fort, welches eine große Belohnung hat, denn sein Arm ist stark und er kann aus allem heraushelfen auch was vor Menschen unmöglich scheint. Schenkt der Herr euch Kinder, so ziehet dieselben auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn, und besehlt ihnen, daß sie des Herrn Wege

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halten und thun was recht ist. O ich kann mir keine größere Freude denken, als wenn ich euch alle dereinst zur Rechten unteres Heilandes finden werde, so daß ich denn spechen kann: „ Herr, hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast:

Möchte ich einst zu deiner Rechten
Meine Lieben stehen sehn!
O dies würde meine Wonne,
Meine Seligkeit erhöhn,
Welch ein Anblick! – O mein Jusu!
Fände ich sie Alle da,
Daß sie mit mir dir zu ehren
Sängen ein Halleluja!
Möchte keins dahinten bleiben
O wie sehnlich wünsch ich dies!
Rette, mein Heiland, rette
Meine Lieben, thue dies!
Doch du willst sie gerne retten
Niemand darf verloren gehn
Der sich nur will retten lassen
Du willst alle glücklich sehn
Denn es ist dein ernster Wille,
Daß nur komme Jedermann.
Wer nur kommt, wird angenommen.
Ja du nimmst die Sünde an!
O, ich kann`s nicht unterlassen
Weil ein Odem in mir ist
Für die Meinugen zu bitten
O, daß keines würd vermißt!!!

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Kinder, Schwiegerkinder,
Enkel, Und wer sonst mit mir verwandt,
Liegen mir so sehr am Herzen,
Dies ist dir, mein Gott, bekannt.
O, daß doch mein täglich Flehen
Nicht vergebens möchte geschehn!
Nicht ich diese heiße Wünsche
In Erfüllung gehen sehn!
Welchen Stoff wird uns dies geben,
Dich zu greifen ewiglich,
Und vereinte Jubeltöne
Würden stets erheben sich!
Danke ich an solche Wonne
Ach, dann lebt das Herz in mir
Und dann freut sich meine Seele
O wär ich sein bald bei dir!!!

Aus Ehr. Aug. Deckers Herzensgefühle. Nicht so leicht finde ich einen näheren Geistesverwandten wie diesen. Er hat in seinen Gedichten durchweg das ausgesprochen, wozu wir, um den Rum meines Herzens darzulegen, die Worte fehlen. Was mich besonders zur Freude veranlaßt, ist das Wiederauflebn der christlichen Kirche, im Ganzen und Einzelnen, wovon die verschiedenen christliche Zeitschriften Kunde geben. Auch unsere kleine Kirchengemeinschaft erfreut sich seit 1854 eines Organs

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die „Mennonitischen Blätter“. Es ist ein Senfkorn aber schenkt der Herr ferner Gnade und Segen, so kann dadurch ersprießliche für meine Gemeinde bewirkt werden. Auch unsere Gemeinden bedürfen der Erneuerung und Erforschung. Durch den früheren Rationalismus und anderseits durch die todte Orthodoxie Mennonitische Rechtgläubig ohne Ueberzeugung – ist in unsern Gemeinden ein Leichtsinn entstanden, der höchst beklagenswerth ist. Meiste doch je mehr und mehr ein zusammentretten und zusammenhalten unter denen stand finden, die da wissen, daß der Herr allein es ist, wie dem der Odem des lebendig machenden Geistes ausgehen muß, damit wir Jesu vereint anflehen, daß er seinen Geist über unser Volk ausgießen möchte, und daß er uns von seinem Geiste belebte Arbeiter unter uns ausrüsten und senden möchte.

1858 den 24 Oktober. Seit mehreren Wochen liegt eine schwere Last auf meinem Herzen. Es erfordert die Notwendigkeit, daß eine Kirche gebaut werden soll, fast die ganze Gemeinde ist auch damit einverstanden, aber die Mehrzahl wünscht dieselbe in die Mitte des Kirchspiels und auch der weniger Kosten halber in Koeppental und einige wieder durchaus hier nach Hahns-Au auf den früher geprojeckterten Platze. Dies hat bereits zu Reibungen Anlaß gegeben, die betrübend sind; dazu kommt noch daß wegen anderer Verhältnisse zwischen einigen Brüdern Mißhelligkeiten entstanden sind, die schwer zu beseitigen scheinen. Dabei kommt noch daß unsere Bessergesinnte sich nicht darin finden können, daß ich gegen diesere Bevollmächtigen nicht entschiedener auftrette und doch kann ich nicht einsehen was dieses bis jetzt gefruchtet haben wurde sondern glaube vielmehr, daß dieses noch geschadet haben würde.

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Mit diesem Allen mein lieber Heiland, komme ich denn zu dir und lege dieses Alles an dein treues, liebes Herz. Du bist ja doch der Hirt, ja Erzhirte deiner Gemeinde; und wenn auch viele von uns in der Irre wandeln und durch die Blindheit ihres Herzens noch nicht geschmeket und an ihrem Herzen erfahren haben wie lieb du sie hast, so willst du sie, ja uns Allen, doch so gerne zu dir ziehen und ihnen deine Gnade, die uns allen durch dein bitter Leiden und Sterben erworben hast, schmecken und teilhastig werden lassen. Du weißt aber auch, mein lieber Heiland wie schwach und ungeschickt ich bin diese, nach deiner Weisheit mir anbefohlene Gemeinde zu leiten und zu führen. Es fehlt mir an Weisheit, an Entschloßenheit und Beredsamkeit. Zudem habe ich nicht genug Liebe, Geduld und Sanftmuth. Wie konnte es doch dich gefallen mich an diese Stelle zu setzen?
O mein lieber Heiland ich möchte so gerne, ja so gerne nach deinem Willen und Wohlgefallen wandeln, ja du kennst mein tägliches Seufzen und mein Anliegen ist dir nicht verborgen. Viel, viel habe ich versäumt und manches übereilt und unrecht gemacht. Zu wem soll ich in dieser meiner Noth gehen als zu dir! Wem soll ich dieses Klagen als Dir der am besten Sonnt und versteht was auf meinem Herzen liegt, wer anders kann helfen als Du!

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