Diese Geschichte ihrer Eltern wurde von Elsa Wall, geb. Penner aufgeschrieben. Mir wurde erlaubt diese hier zu veröffentlichen. AW

Helene geb. Penner (11.06.1909-05.12.1978) heiratete 1931 Robert Penner (19.01.1905-29.12.1997) aus Alt-Samara. Sie bekamen neun Kinder:
- Anna (*18.07.1932), verheiratet mit Bernhard Wall (*1926)
- Heinrich (27.01.1934-05.01.2022), verheiratet mit Maria, geb. Klassen (*1938)
- Johann (03.04.1936-19.04.2002), verheiratet mit Herta geb. Wall (02.06.1936-16,12.2016)
- Innes (24.04.1938-30.10.2022) (war nicht verheiratet)
- Agnes (19.09.1939-05.07.2023) (hat mit 58 Jahren, einen Witwer; Richard Kunze
geheiratet) - Elvira (20.02.1942- 04.1943)
- Elsa
- Woldemar (08.12.1950-20.12.2011) (war nicht verheiratet)
- Olga
Geschrieben von Elsa Wall
Mitte März 1931 heiraten die Eltern in Alexandertal Alt-Samara, sie wurden von Papas Vater, Heinrich Penner getraut.
1934 bauten die Eltern ein eigenes Haus. Sie hatten eine kleine Wirtschaft und es ging ihnen sehr gut. Sie hatten von allem genug und litten keinen Mangel.

Papa arbeitete in der Elektrostation. Mama musste auf einem Wachtturm der Feuerwehr arbeiten. Sie hatten eine kleine Wirtschaft und es ging ihnen sehr gut. Sie hatten von allem genug und litten keinen Mangel, aber plötzlich hat sich alles geändert.
Am 22. Juni 1941 begann plötzlich der Zweite Weltkrieg, der große Veränderungen im Leben der Menschen mit sich brachte. Im Herbst 1941 wurde die deutsche Bevölkerung aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nach Sibirien und Kasachstan „umgesiedelt“.
Papa schrieb: Am 3. Dezember sollten auch wir ausgesiedelt werden. Nun hieß es für uns, die Sachen und Proviant zu packen. In aller Eile musste nun gekocht, gebacken, gestrickt, gestopft, unter die Stiefel neue Sohlen genäht werden. Unsere Kühe mussten wir auf den Hof der Milchwirtschaft der Kolchose treiben, wo sie ohne Aufsicht sich selbst überlassen blieben. Und dann standen eines Abends einige Schlitten aus den umliegenden Russendörfern vor unseren Türen, um unsere Sachen zur Bahnstation zu bringen. Ich fuhr mit, um die Sachen dort persönlich abgeben zu können, doch dort angekommen, fand ich niemanden vor, der sie in Empfang nahm. Alles wurde einfach auf dem Gelände der Station abgeladen, um später nachgesandt zu werden. So fuhr ich also wieder nach Hause.
Mit zwei Schlitten fuhren wir mit den Bettsachen und dem Proviant zur Station. Meine Familie bestand zurzeit aus neun Personen: meiner schwangeren Frau, der alten Großmutter, der Schwester meiner Frau und fünf Kindern, eins kleiner als das andere, im Alter von neun bis anderthalb Jahren. Das Haus blieb einfach unverschlossen mit seinen Möbeln und sonstigem Hausrat ohne Aufsicht stehen. Als wir vom Hof fuhren, blickten wir uns noch einmal um. Anni dachte: „Werde ich das geliebte Elternhaus noch einmal sehen?“
Der Zug, mit dem wir fahren sollten, bestand aus Viehwaggons, die wir erst herrichten mussten. Wir mussten den Ofen aufstellen, die Bretter einlegen und etwas Brand herbeischaffen. Im Waggon, in dem wir fuhren, war auch die Mutter von Bernhard Wall mit ihren Kindern, sie kamen auch nach Akshar. Sie war Ende der 30er Jahre aus der Kolonie „Am Trakt“ Saratow, nach Alexandertal, Samara gezogen.
Es war eine schwere Reise und mit großen Schwierigkeiten verbunden. Um die Weihnachtszeit kamen wir bei der Station Nurinsk an. Hier warteten wir zwei Tage auf die Fuhrwerke, die uns zu den umliegenden Dörfern bringen sollten. Ich bekam für meine Familie und die Sachen drei Schlitten aus dem 100 Kilometer entfernten Dorf Akshar.
Hier wurde uns in einem leerstehenden Häuschen ein Zimmer zugeteilt. Die Lebensmittel, die wir mitgenommen hatten, waren zur Neige gegangen. Um etwas zum Essen für die Familie zu haben, gingen wir aufs Feld, um Schnee anzuhäufen und in den Speicher, um das Saatgetreide zu reinigen, wofür wir Weizen bekamen, der auf der Handmühle gemahlen, zu einer Wassersuppe verkocht wurde. Einen Monat später wurde ich mit noch anderen jungen Männern aus Akshar zu der Arbeit in den Wäldern des Urals eingezogen, unsere Familien ihrem eigenen Schicksal überlassend. Meine Tochter, die einen Monat später geboren wurde, habe ich nie gesehen, denn sie starb nach einem Jahr.
Für uns war der Anfang hier sehr schwer. Wir hatten keine Wohnung, keine Möbel, keine Lebensmittel, wir hatten nur ein paar Sachen, die wir mit uns im Zug mitnehmen konnten. Das meiste von dem, was wir in Kisten verpackt hatten, wurde gestohlen. Diesem Umstand verdanke ich es auch, als ich nach fünf Jahren aus dem Arbeitsdienst zurückkehrte, dass ich meine Familie in den ärmsten Verhältnissen vorfand.´
Mama blieb mit 6 kleinen Kindern unter dem für sie fremden Volk ohne ihren Beschützer und Ernährer zurück. Sie war erst 33 Jahre alt. Aber sie war froh, dass wenigstens ihre alte Mutter und ihre ältere Schwester Anna, die nicht verheiratet war, bei ihr waren. Sie verstanden die kasachische Sprache nicht.
Mama musste mit ihrer Familie auf so vieles verzichten, viel hungern und frieren. Da Mama mit ihrer Familie keine eigene Wohnung hatte, mussten sie oft umziehen und in einem kleinen Zimmer bei verschiedenen kasachischen Familien wohnen.
Anni und Heinrich mussten für die Kasachen Weizen auf einer großen Handmühle mahlen, dafür bekamen sie nur eine Handvoll Kleie. Daraus wurde dann eine dünne Suppe gekocht.
Oft gab es nur einmal am Tage etwas zu essen. Mama hatte am Fenster einen Strich gemacht und erst wenn die Sonne bis zu diesem Strich kam, gab es etwas zu essen.
Mama, Heinrich und Ina mussten die Kälber der Einwohner weiden. Sie bekamen nicht jeden Monat Geld für ihre Arbeit, sondern ihnen wurden Trudodni (Arbeitseinheiten) angeschrieben, die nur am Ende des Jahres mit Getreide ausgezahlt wurden. Statt Weizen bekamen sie nur Schrot (отxоды) und so wenig, dass es nicht lange ausreichte.
Mama tauschte die wenigen Sachen, die sie noch hatte, gegen Nahrung bei den Kasachen ein.
Da die Kasachen keine Gärten hatten, bauten sie auch kein Gemüse an, das machte das Leben der Deutschen auch schwer.
Mama hatte ihre Bibel aus Alexandertal mitgebracht. Die Bibel war ihr Lieblingsbuch, da fand sie Kraft und Trost. Aus dieser Bibel hat sie auch den Kindern vorgelesen. Abends zündete Mama ein kleines Dochtlämpchen an und erzählte den Kindern biblische Geschichten, betete und sang Lieder mit ihnen. Aus der Bibel lernten Heinrich und Anni von Mama lesen und schreiben.
Ina sagte: – „Ich habe Mama oft mit gefalteten Händen stehen sehen, ich wusste, dass sie betet und das war für mich ein Vorbild.“
In den langen Winterabenden erzählte Mama den Kindern oft von Papa, damit er ihnen in Erinnerung blieb. Sie leitete die Kinder an, für Papa und auch für ihre Onkel und Tanten zu beten, die ebenfalls in der Arbeitsarmee waren. Dann schliefen die Kinder auf dem Strohsack, der auf dem Boden lag bald ein, während die Erwachsenen daneben saßen und strickten.
Ende Oktober 1946 kam Papa aus dem Arbeitsdienst nach Hause. Das Leben wurde leichter.
Von 1945-1956 standen die Deutschen unter der Kommandantur. Sie durften sich nicht weiter als fünf Kilometer ohne Erlaubnis vom Dorf entfernen. Unerlaubtes Weggehen wurde wie eine Flucht behandelt und bestraft.
Papa schrieb: `Die Freiheitsbeschränkung währte bis Juni 1956, erst dann erhielten wir unseren Personalausweis als freie Bürger des UdSSR, mit der Verpflichtung nie mehr in unsere alte Heimat bei Samara zurückkehren zu dürfen.´
1957 zogen sie nach Urumkai Koktschetaw Gebiet
Die Eltern verließen gerne diesen kleinen Ort, in den sie ausgesiedelt wurden, und wo sie fünfzehneinhalb Jahre gelebt haben.
In Urumkai verlebten wir 11 glückliche Jahre, dann zogen wir 1968 nach Karaganda
Wir schlossen uns der Deutschen Mennoniten-Brüdergemeinde an. Mama starb mit 69 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
1990 nach Deutschland.