Tagebuch

Auszug aus dem Tagebuch einer Frau, die die Deportation selbst erlebte

Sonntag den 3. April 1932. Jahre sind dahingeschwunden und haben in unserm Leben vieles verändert. Ja, der Herr hat uns tiefe Wege geführt. Als ich das letzte mal in diesem Buch schrieb, wohnten wir noch in Lysanderhöh bei unserem Vater. Wir hofften auf den Auslandspass, doch der wurde uns abgesagt. So kauften wir im Herbst 1928 die Kornelius Frösen Wirtschaft von Schw. Cornelius Wiens, die er gekauft hatte. Wir zogen Ende Oktober dort ein. Wir haben uns dort schnell eingelebt. Anfangs hatten wir noch einen Knecht und ein Dienstmädchen.

Da sich aber die Verhältnisse immer mehr zuspitzten und von der Regierung darauf gedrungen wurde, dass die Besitzer keine Dienstboten haben sollten, so entliessen wir sie und wurden auch ganz gut allein fertig. Aber das Wirtschaften wurde von aussen immer mehr erschwert. Anfangs konnte man noch den Anforderungen gerecht werden. Das Getreide wurde geliefert bis aufs Letzte. Man hoffte immer noch wohnen bleiben zu können. Aber auch diese Hoffnung war vergebens. Ein Besitzer nach dem andern mussten räumen. Im Herbst 1929 wurden die orloffer Geschwister hart angegriffen. Schwager Johannes wurde verschickt nach Baku(?). Darauf musste Schwester Mariechen mit den Kindern das Haus räumen. Sie kamen zu uns gezogen und bewohnten die beiden Vorderstuben, und das Wohnhaus.

Im kommenden Februar 1930 mussten auch wir aus dem Haus. Das Meiste blieb stehen und liegen. Wir durften ins Lysanderhöher Schmiedehäuschen einziehen, und wenn ich jetzt daran zurückdenke, waren es sehr schöne Monate, die wir dort verleben durften. Wie konnten uns zum Frühjahr eine Kuh kaufen und lebten so still und zufrieden miteinander. Aber auch hier sollte unsere Bleiben nicht sein.

Im August 1930 erfuhren wir, dass wir unsern Osterfelder Schuppen zu Wohnungen ausbauen sollten. So wurde auch bald mit dieser Arbeit begonnen. Es wurden Speicher und Schuppen abgerissen aus den Dörfern und neu dort <in Ostenfeld> aufgebaut. Manche bauten sich auch Semljanken <russisch – землянки Häuschen aus Erde> . Wir waren 106 Personen die anfangs ausgesiedelt wurden. Mitte Oktober zogen wir hin. Wir waren kaum eine Woche dort, da wurden die Männer zur Arbeit fortgeschickt nach Neukolonie gleich hinter Seelinen. Dort haben sie Bäume gefällt, durften aber öfters nach Hause kommen. Wir waren dort nur Mennoniten zusammen. In unserm Hause wohnten Schw. Peter mit seiner Familie, Schw. Johannes mit seiner Familie. Onkel Joh. Bergmann mit seinen unverheirateten Kindern und wir. Unsere Männer hatten alles so schön gebaut, und wir fühlten uns bald heimisch. Doch es waren oft Haussuchungen und so mancherlei wurde uns weggenommen.

Mein Mann fuhr von dort zu andern Dörfern, wollte sehen ob wir irgend wo ein Heim für uns fanden. Hat dieses aber dort nicht für uns gefunden und so wollten wir geduldig abwarten, was da kommen würde. Dies dauerte nicht lange, dann wurden die Männer wieder zur Arbeit gerufen. Sie waren unterdessen alle von Neukolonie zurückgekehrt und mussten nun an der Brücke in Köppental schaffen.

Kaum das diese Arbeit dort an der Brücke vollendet war, wurden unsere Männer gefangen genommen. Erst einige Tage im Lysanderhöher Fermehaus dann in Hohendorf in Johann Bergmanns Wirtschaft.

Dort konnten wir sie noch immer mit Lebensmitteln genügend unterstützen. Aber dann am 26. April 1931 wurden sie abgeführt durch unsere Dörfer. Wir sahen sie vom Kuterchen aus längs der Gasse vorübergehen. Liefen noch hin, aber sprechen durften wir nicht mit ihnen. Sie gingen zur Station und fuhren nach Pokrowsk mit der Bahn. Dort waren sie auch eine Zeitlang in Gefangenschaft. Später mussten sie Erdarbeiten verrichten. Dort konnten wir sie schlecht mit Lebensmittel versehen. Sie bekamen lange nicht alles was wir hinschickten. Endlich wurden sie von dort fortgeschickt nach Kasachstan in das Dörfchen Maikuduck. Sehr beschwerlich war die Reise. Mein Mann hatte seine Lebensmittel und sein Geld als es auf die Bahn ging. Unterwegs haben sie sehr knapp Post bekommen. Auch die erste Zeit hier haben sie sehr schlecht gelebt, ungesalzene Suppen bekommen und wohl oft gehungert. Mein Mann war auch eine zeitlang geschwollen, aber der Herr hat ihn in Gnaden erhalten. Uns liess man anfangs ganz im Unklaren über das Verschicken unserer Männer. Wir haben uns viel Sorgen und Gedanken gemacht und immer wieder alle und alles dem Hern anbefohlen. Endlich kam ein Telegramm, dass sie in Kasachstan angekommen seien. Es wurde uns gesagt, dass wir auch bald nachgeschickt werden sollten. Wir packten und backten. Es war wohl mehr wie 3 Mal, dass uns das Datum angesagt wurde, wann es weggehen sollte und immer wurde es aufgeschoben. Endlich den 16. Juli 1931 wurde es doch zur Wirklichkeit. Wir mussten fort, hatten alle unsere Sachen eingepackt, die durch die vielen Haussuchungen schon recht zusammengeschmolzen waren. Aber auf dem Wege sollten sie noch weniger werden. Einesteils freuten wir uns, dass wir zu unsern Männern geschickt werden sollten, aber so auf diese Weise die lieb gewordene Heimat, den lieben Schwiegervater und andere Verwandte und Bekannte zu verlassen und in die Ferne zu ziehen, fiel doch schwer.

Als wir so fuhren ein Wagen nach dem andern, da war es mir als wenn ich einen langen Trauerzug sah und wir alle in den Tod fuhren. Wir waren 38 Familien, die ausgesiedelt wurden. Schon früh morgens kamen die Fuhrwerke und fort ging’s. Durch die Dörfer ging es nur langsam. Es wurde noch manche Hand geschüttelt und ein letztes Lebewohl! zugerufen. Auf der Steppe wurde übernachtet und am andern Tag ging es nach Seelmann. Wir hofften schnell wieder befördert zu werden, aber wir wurden alle in einem Mühlhof versammelt, wo wir uns 8 Tage unter freiem Himmel aufhalten mussten. Es wurde doch nach unserer Hinsicht für uns gesorgt. Es waren nämlich grosse Kessel auf den Hof eingemauert und auch Holz wurde gebracht., dass wir alle kochen konnten. Den 23. Juli 1931 fuhren wir von S. los an die Wolga. dort am Kontor haben sie uns nochmals gründlich bestohlen. Unser Fleisch, Eier, Nudeln und noch manches andere verschwand. Das Mehl und die Wiege liessen sie schon garnicht aufladen. Man glaubte alles so nötig zu haben, doch man musste sich von einem Stück nach dem andern trennen. Wir fuhren bis zum späten Abend auf dem Dampfschiff, dann landeten wir in Prokowsk. Wir mussten uns sehr quälen die Kästen mit den Sachen vom Dampfschiff herunterzutragen. Alles wurde ans Wolgaufer gestellt wo wir auch übernachteten. Am andern Tag den 24. Juli wurden wir bei grosser Hitze in einen Maschinenschuppen gebracht. Sie fingen schon früh morgens an die Sachen zu fahren. Wir hatten leider alles mitgegeben, bis wir an Stell und Ort kommen. Es wurde Mittag, die Kinder bekamen so Hunger und Durst. Eine Frau Grinke lieh uns etwas Kolatsch. Wir tranken Wolgawasser dazu.

Die Kinder badeten sich in der Wolga, was ihnen eine rechte Wohltat war. Wir hoffen nun bald in den Zug zu kommen aber nein. Wir mussten dort liegen bis Montag den 3. Aug. Die Zeit wurde uns sehr lang. Sie schickten unsern Sohn zu uns, der damals von Osterfelde schon einen Tag früher abfahren musste mit den Pferden und Ackergeräten. So hatte ich dann unsere 8 wieder um mich. Wir bekamen in Poktowsk täglich Brot und Suppe heraus auch mitunter Brei. Aber zum Sattessen war es nicht. Das Kochen war hier sehr beschwerlich. Wenn man zum Brunnen nach Wasser ging, hat man sich Brennung zusammengesucht, was die Miliz nicht gerne erlaubte. Wir wurden hier alle ganz schwach und bekamen Durchfall.

Endlich durften wir uns rüsten zum Weiterfahren. Die Bagage hatten wir schon vorher aus den Kästen herausnehmen müssen und in Säcke packen, weil sie die Kästen nicht befördern wollten. Die Sachen wurden zur Bahn gefahren, wir gingen mit etwas Handgepäck nebenher. Ich hatte unser kleinsten auf dem Arm und die andern um mich herum. Wie wir nun so in Staub und Hitze gingen, kamen mir immer wieder die Worte in den Sinn: ‚So demütiget euch unter die gewaltige Hand Gottes“. O Herr verhilf mir doch zu dieser Demut, die vor Dir gilt.

Bis wir eingeladen waren, war es ganz dunkel. Mit uns wurde auch eine ganz schwerkranke Frau eingeladen. Sie starb den ersten Morgen. Dem Mann und ihren Kindern war es sehr schwer. Paar Stunden später kamen sie mit der Tragbahre und holten sie fort. Den ersten Tag war es sehr beklommen, den 2. Tag den 5. August bekamen wir noch eine recht gute Krautsuppe. Wir hatten die nächsten Tage Regenwetter, sodass es uns gerade kühl wurde. Unser Bubchen wurde ganz krank. Brechen und Durchfall und Fieber dazu. Den 19. August Die letzte Zeit auf der Bahn wurde uns sehr lang. Der Zug ging immer so langsam und hielt so viel. Wir alle wurden ganz schwach und kraftlos und kamen so den 17. August <mit den Datums 19. und 17. stimmt was nicht> endlich bei unserm Papa in Maikuduk an.

Ach wie freuten wir uns des Wiedersehens. Auch unser Papa sah sehr angegriffen aus. Wir lagen die ersten Tage an der Bahnlinie. Dann kamen wir nach Maikuduk. Da war erst kaum angefangen Häuser zu bauen. Wir lagen fürs Erste unter freiem Himmel. Unser kleines Jungchen wurde immer schlechter. Den 22. August hat es der liebe Heiland zu sich genommen. Unsere Tochter und ich waren schon unterwegs recht geschwollen und konnten uns garnicht erholen. Wir waren so recht mutlos. Mein Mann hat mich öfters ermahnt, nicht den Mut sinken zu lassen, und es ist mir jetzt, dass ich zurückblicke so sehr schade, dass ich meinen Kindern nicht eine bessere Stütze gewesen bin.

Wir gruben uns nach einigen Tagen eine Semljanka. Das Dach bildete ein Strick an dem Decken befestigt wurden. Es war sehr mangelhaft, wenn Wind und Regen kam, sah es ganz trostlos aus. Die Kinder mussten arbeiten gehen. Unser Sohn musste helfen Patzenhäuser bauen und Tochter musste schmieren helfen. Das liebe Kind hat oft über Müdigkeit geklagt. Ich hab’s nicht genug geachtet. Ende Sept. zogen wir unten in ein Häuschen, wo auch Janzens, Albrechts und Esaus wohnten. Es wurde bald empfindlich kalt. Unsere Tochter bekam sehr den Durchfall und war ganz furchtbar geschwollen. Ich hoffte ganz sie wollte wieder gesund werden. Doch es kam anders. Ende Oktober zogen wir oben ins Häuschen, wo Penners. Abram Wiensen, Julius Wiensens, Herbert und Heinrich Isaaks und Engbrechts wohnten.

 

Hier endete das Tagebuch. Die Schreiberin starb im Februar 1933

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