Lebensläufe, aufgeschrieben von Manfred Penner

LEBENSLÄUFE  (Leonhard Penner u. Kinder)

Die nachfolgenden Lebensläufe handeln von meinem Urgroßvater Leonhard Penner und meiner Urgroßmutter  Käthe (geb. Dyck), sowie  ihren Kindern, d.h. meine Großonkel Johannes Leonhard und Herbert Penner, meiner Großtante Meta (später verheiratete Horn)  sowie meinem Großvater Arthur Penner.

Meine Geschwister und ich fanden die Aufzeichnungen im Nachlaß ihrer Mutter, Anita Penner (geb Fölsche, gest. am 29. April 2011) der 2. Ehefrau meines Vaters Johannes Penner. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir die nachfolgenden Aufzeichnungen unbekannt. Das Lesen dieser Zeilen beeindruckte mich ungemein. Es kam mir vor, als könnte ich einen Blick in die Vergangenheit richten.

Die Zusammenfassungen wurden von Helene Dyck Funk und Eliese Quiring erstellt und von mir, zwecks der besseren Übertragung in ein Word.doc abgeschrieben.

Nach meiner Recherche in Grandma-Online waren Helene Dyck Funk und Eliese Dyck Quiring die Töchter von Johannes J. Dyck (geb. 1885 Am Trakt in Russland, gest. 1948 Rosthern, Canada). Er war ein Bruder <Neffe>meiner Urgroßmutter Käthe Dyck Penner.             (Manfred Penner am 20.Juli 2012)

 

Geschrieben von Helene Dyck Funk

 

Leonhard Penner und Käthe Dyck

Käthe Dyck Penner 20. August 1868 —13.Juni 1943, Eltern : Johannes D. Dyck und Helene Janzen Dyck

Leonhard Penner 1 .Dezember 1866 — 21. Januar 1927

Heirat: 28.Febr.1889

Wohnhaft in: Fresenheim, Am Trakt, Russland

Johannes L. 02.12.1889 — 15.2.1942

Arthur           16.10.1895 — in der Verbannung

Herbert        02.03.1899 — 1938 in der Verbannung

Meta            03.05.1907 — 23.12.1976

Unser Urgroßvater, Johannes Dietrich Dyck,(1826 — 98), der “49“er, wie er manchmal genannt wurde, heiratete seine treue Verlobte Helene Janzen spät im Jahre 1858. Sie hatten sich im Mai 1847 verlobt, dann hatte er Deutschland verlassen, um nach Amerika zu gehen, wo er zehn Jahre lang blieb. Er liebte Amerika und wollte dahin zurückkehren, um sich in Oregon niederzulassen. Helenes Eltern jedoch sowie einige Freunde und Verwandte wanderten nach Russland aus, so gab er nach, und sie zogen in die dortige Siedlung Am Trakt. Das war im August 1858. Nur eine Woche später starb ihr Vater.

Am 6. April wurde ihnen ihr Sohn — mein Großvater — Johannes J. Dyck geboren. Fünf weitere Kinder wurden ihnen geboren, doch zwei starben in ihrer Kindheit. Maria (verheiratet mit Dietrich Töws) wurde am 22. Juli 1864 geboren. Helene am 11. Dezember 1865 (sie heiratete Franz Wall) und Katharina (Käthe) am 20. August 1868 (sie heiratete Leonhard Penner).

Es folgt nun die Geschichte der jüngsten Tochter, Käthe Penner, ihrer Familie und ihrer Nachkommen. Es gibt wenig Quellen. Wir begegneten Johannes A. Penner (Sohn von Artur) im Juli 1984 in Deutschland. Er wusste nur wenig. Ich schrieb an Anita, der Tochter von Johannes L in die UdSSR. Sie hatte sehr wenig Informationen oder fürchtete sich, viel zu schreiben. Von Anni, Meta Penner Horns Stieftochter, bekam ich schließlich einige genaue Daten und Namen, die sie aus Metas Tagebuch entnahm. Das andere sammelte ich nach und nach aus den vielen vergilbten Briefen zusammen, die ich im letzten Winter las und jetzt, im Januar 1986, noch einmal.

Was schreibe ich nun über ihr Leben? Es gibt viele herzzerreißende Briefe, die an unsere Eltern, an Lieschen, an mich geschrieben wurden, die meisten von Tante Käthe Penner in einer zierlichen, feinen Handschrift; von 1927—37 von ihrem ältesten Sohn Johannes L. Penner, von seiner Frau Helene, deren Tochter Anita, die in meinem Alter ist, und von Meta, der einzigen Schwester von Johannes, Artur und Herbert. Schließlich schrieb mein Vater, J.J.Dyck in seiner “Biographie“ oft sehr zärtlich über seinen Cousin und besten Freund Johannes, der ihm wie der Bruder war, den er nie hatte, sowie auch über die Eltern, Käthe und Leonhard Penner.

Vater schrieb, dass er und Mutter die Familie Leonhard Penner oft besuchten, besonders in den ersten paar Jahren, in denen sie den Waluevka Bauernhof bewirtschafteten, nur vier Werst (ca. 3 Meilen) von Fresenheim entfernt, wo die Penners lebten, doch auch später die Jahre hindurch von Lysanderhöh. Onkel und Tante waren jedes mal froh, sie zu sehen, und sie führten viele gute Gespräche, oft auch zusammen mit Johannes. Vater schrieb, dass Onkel Leonhard bisweilen eine raue Natur an den Tag legte, aber die, die ihn gut kannten, merkten, dass er sich dessen nur bediente, um sein freundliches, mitfühlendes Wesen dahinter zu verbergen, besonders was seine Frau Käthe anbetraf. Er war immer ein guter und freundlicher Ehemann und Vater. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1927 hatte Leonhard starke Schmerzen in der Brustgegend. Er konnte nicht schlafen, weckte aber niemanden auf. Am Morgen zündete er die Laterne für den Knecht an, weckte seine Frau und die Tochter Meta und ließ seine Söhne holen. Artur lebte mit seiner Familie im selben großen Haus, Herbert mit seiner Familie auf dem selben Hof, Johannes weiter weg. Als sie alle versammelt waren, sagte er ihnen, dass er dächte, dass er an diesem Tag an einem Herzanfall sterben würde. Sie ließen den Arzt holen. Dieser bestätigte die Tatsache, dass Leonhards Herzschlag sehr unregelmäßig war. Bevor der Arzt gekommen war, hatte er seiner Familie erzählt, dass er es tief bereute, nicht mehr von seinem Heiland gezeugt zu haben, aber er hatte die Überzeugung, dass alles vergeben war und dass er bereit war, seinem Schöpfer zu begegnen. Er redete ernst zu jedem Mitglied seiner Familie, jeden auf das einzige hinweisend, was zählt, die Rettung. Er saß, voll angekleidet und völlig gefasst, auf seinem Ledersofa. Bald nach der Diagnose des Arztes stieß er einige tiefe Seufzer aus, sein Kopf fiel zurück und er war gegangen. Es war, ein großer Schock für alle, die ihn liebten, besonders, da er nie krank gewesen war. Er war ein war ein starker, robuster Mann gewesen. Unsere Eltern vermissten ihn schmerzhaft. Vater schrieb:  “ Welche Gnade, so plötzlich heimgerufen zu werden, und trotzdem auf das Ende vorbereitet zu sein“.

Tante Käthe war immer zart gewesen, und noch lebte sie nach vielen Entbehrungen und Nöten; In einem Brief, der mit dem Datum vom 25.November 1928 versehen ist, schrieb sie, dass das Land neu vermessen worden sei und wieder, neu verteilt, fünf Desjatin (ca. 11-12 Morgen) pro Person. Sie hatte das meiste von dem kleinen zurückgebliebenen Viehbestand verkauft. Artur war bereits enteignet, so mussten sie und ihre Tochter Meta allein in dem großen Haus leben. Aber es war zu viel für Meta sich um Haus und Garten zu kümmern. Sie wollten das kleine Haus neu aufbauen und hineinziehen, doch die drei Söhne waren dagegen. Was sollte sie tun? Sie vertraute darauf, dass Gott ihr helfen würde, eine Entscheidung zu treffen. (Meta schrieb später, wie sie sich des kleinen Hauses erfreuten, aber nicht all zulange.) Käthe schrieb “Johannes hofft, seinen Pass für Kanada im Frühjahr zu erhalten.“

Am 11.März 1930 schrieb sie, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben und in die Baracken bei Waluevka im Lande gebracht worden waren. Eines Tages hatte sie die Erlaubnis erhalten, zu Fuß nach Orloff zu gehen. Sie hatte keine Ahnung, dass ihr Sohn Artur heimlich zurückgekommen war und sich versteckt hielt, in der Hoffnung, seine Mutter mit sich wegschmuggeln zu können. Sie, schwach und gedemütigt, wanderte und wurde von einer Familie zur anderen gestoßen. Viele waren freundlich, andere zeigten offen ihre Abneigung aus Furcht vor der GPU (Geheimpolizei), falls diese herausfinden sollte, dass sie, die “Staatsfeindin“ beherbergten. Meta war nun von Friedrich, der inzwischen ihr Ehemann geworden war, gefunden worden und sie schafften es, zu fliehen. Schließlich fand Tante Käthe ihre Schwiegertochter Helene, Arturs Frau, und blieb bei ihr. Das Essen war sehr knapp, doch manchmal bekamen die Kinder etwas Milch, und überlebten so. Früher, in den Baracken, mussten alle hart arbeiten und immer unter polizeilicher Aufsicht. Von hier aus wurden die jungen Frauen und Mädchen in eine unbekannte Zukunft weitergeschickt. Sie waren glücklich, denn sie dachten, sie würden mit ihren Ehemännern und Vätern wieder vereinigt werden die irgendwo anders verbannt waren! Dann wurden nur die alten Frauen und kleinen Kinder zurückgelassen.

Im gleichen Brief schrieb Käthe, dass alle drei Söhne sie in dem kleinen Haus früher besucht hatten. Plötzlich kamen drei schwerbewaffnete Soldaten und verhafteten Johannes und seine Familie. Es wurde ihnen nur erlaubt, sich warm anzuziehen (März—Winter) und etwas Bettzeug und einige andere Dinge zu nehmen. Er sagte seiner Mutter auf immer Lebewohl.

Einige Jahre Später schaffte sie es, Meta und ihre drei Stieftöchter zu finden. Dann wurden sie und Meta mit ihren Töchtern nach Kasachstan verbannt, in den fernen Osten der UdSSR. Nach nur zwei Monaten wurden Meta und die zwei ältesten Mädchen weiter nach Perm geschickt und ließen Anni, die jüngste allein mit Tante Käthe zurück. Nach zweieinhalb Monaten, starb sie am 13. Juni l943, im Alter von 75 Jahren. Wie viele Entbehrungen und Nöte hatte diese feine, geliebte und liebende Schwester meines Großvaters zu ertragen

Johannes Leonhard und Helene Neufeld Penner

Johannes L. Penner 2. Dez. 1889, Fresenheim, Am Trakt, Russland  – 15. Feb. 1942

Eltern: Leonhard Penner und Käthe Dyck Penner

Helene Neufeld Penner  27. Mai 1895, Fresenheim, Am Trakt, Russland – 6. April 1977

Heirat: 12. Juni 1914

Bauer, Gemeinschaftsleiter

Heinrich         31. März 1915 – 1944 in der Verbannung

Anna/Anita     10. September 1616 –

Victor              08. August 1926

Johannes       September 1929 – 10. März 1930

Onkel Johannes und mein Vater wurden bereits in ihrer Jugend sehr gute Freunde, obwohl Johannes vier Jahre jünger war als Vater. Beide waren Intelligent. Beide hatten einen angeborenen Idealismus. Beide waren bestrebt, das zu fördern, was schön und gut war für andere, für sie selbst und für ihre Umgebung. Beide hatten: gewisse demokratische Instinkte, die mich im Mitleid für alle, die unterdrückt und benachteiligt waren, ausdrückten. Beide hatten ein scharf sinniges politisches Auffassungsvermögen. Sie waren Führernaturen.

Nach der Revolution 1917 war Johannes Partner einige Jahre Vorsitzender des Bezirksrates, Viele Male rettete er durch sein umsichtiges und furchtloses Eingreifen das Leben meines Vaters sowie das vieler anderer. So wurde zum Bespiel Vater und andere in seinem Alter, 1920 zu einem Jahr Arbeit in den Minen verordnet. Diese Verordnung war viel schlimmer als die während des ersten Weltkrieges. Johannes Penner, einflussreich sogar in dem kommunistischen Russland, schaffte es, sie zu befreien. So verdiente sich Johannes Partner die Hochachtung vieler, obwohl wenige die Gefahren erkannten, die er auf sich nahm, noch ihm dankten. Neben Gott, der die vielen Gebete erhörte, zollte Vater ihm die Anerkennung dafür, dass er viele Male ungeschoren davon kam. 1920 verbrachte das Tribunal eine Woche Am Trakt mit Durchsuchungen, Plünderungen, unbarmherzigen Folterungen und brutalen Verhören jener, die auf irgendeinem Gebiet Führer gewesen waren oder einen hohen Standard in der Landwirtschaft erreicht hatten, und erschossen schließlich 23 von ihnen. Es war ein Wunder, dass Johannes L. Penner und Vater nicht auch niedergeschossen wurden,

Dann kam die Dürre, Hungersnot, Typhus und Cholera. Millionen sterben. Auch viele Am Trakt.

Aufstände in vielen Teilen Russlands waren eine eindeutige Warnung an Lenin dass andere wirtschaftliche Methoden als Requisitionen versucht werden mussten. Er brachte die neue ökonomische Politik anstelle des anfänglichen Kommunismus. Privater Handel wurde wieder legalisiert.

Wieder waren es Johannes L. Penner und Vater, die in den Wolgakolonien dazu erwählt wurden, die schlimm verdorbene und zerstörte Wirtschaft wieder aufzubauen.

 

Es wurde ein landwirtschaftlicher Zusammenschluss gebildet. Die beiden arbeiteten unglaublich hart und selbstlos, um jeden einzelnen und das ganze Gebiet aus der Armut zu heben, in die der Kommunismus sie gestürzt hatte. Viele Male unternahm der eine, der andere, oder beide zusammen die weite Reise nach Moskau, um mit den Regierungsbeamten über Rechte und Privilegien für den Zusammenschluss zu verhandeln. Mit Stammbaumunterlagen und registriertem Saatgut wurden Farmen auf Kredit erstanden. Eine höhere Ausbildung für drei junge Männer wurde bezahlt, in der Hoffnung, so der kommunistischen Propaganda durch die “roten“ Lehrer zu entkommen.

Obwohl die NÖP eine Zeit industriellen und landwirtschaftlichen Fortschritt war und nach der schrecklichen Unterdrückung des anfänglichen Kommunismus der Lebens- und Bildungsstandard stieg, war es bald ganz offensichtlich, dass sie einen kapitalistischen Charakterzug hatte und den linken Flügel der kommunistischen Partei beunruhigte. Vater fühlte dies schon bei seinen Verhandlungen mit verschiedenen politischen Beamten in Saratow und Moskau stark, doch Johannes L. Penner glaubte, dass dies wieder vergehen würde. Und dennoch gibt Vater in seiner “Biographie“ auf Seite 239 folgendes Zeugnis über ihre Freundschaft: “Ich erinnere mich nicht an einen Schatten, der unser Verhältnis trübte. Obwohl wir nicht immer in allem die gleiche Meinung hatten, ließen wir diese Meinungsverschiedenheiten in keiner Weise unsere persönliche Haltung zueinander beeinflussen.“ Als jedoch unsere Eltern erkannten, dass es höchste Zeit war auszuwandern, so schwer es ihnen auch fiel, besonders, dass sie die Großeltern Peter Matthies zurückließen, sagte Johannes L. Penner zu Vater: “Ich weiß, dass du in politischen Dingen das Gras wachsen hörst, aber diesmal irrst du dich. Die kommunistischen Gefahren und Zwänge werden wieder nachlassen.“ Vater glaubte, dass sein geliebtes Russland in einem Blutbad, wie es vorher nie gesehen worden war, auch nicht in der Revolution 1917, untergehen würde. Er konnte seinen Freund Johannes nicht davon überzeugen. Sogar später, in seinen Briefen versuchte Vater, ihn zum Kommen zu überreden. Als er Ende 1928 und 1929 versuchte, Pässe zu bekommen, war es zu spät.

Johannes schrieb in seinen Briefen bereits im Dezember 1927 und Anfang 1928 “H.S. — Vorsitzender der Autonomen S.S.Republik, hat einen besonderen Hass auf die drei Führer des landwirtschaftlichen Zusammenschlusses: unseren Vater (bereits in Kanada), mich selbst und A. Fröse, und nennt sie die wolgadeutschen Kulaken. Der Zusammenschluss wird aufgelöst, das Land in Beschlag genommen und wieder aufgeteilt, die Steuern sind sehr hoch.“ Die Traktoren und andere Maschinen, die dem Zusammenschluss gehören sind weggenommen worden. Wie steht die Aussicht für einen kleinen Bauern in Kanada? Ich kann es mir nicht vorstellen, nur körperliche Arbeit zu verrichten, ich brauche etwas für den Kopf. Ich habe mit C.F. Klassen in Bezug auf die Auswanderung gesprochen.“

Im März 1930, nachdem Johannes in Fresenheim Am Trakt verhaftet worden war, kam er für sieben Wochen ins Gefängnis. Dann wurden er und seine Familie im Viehwaggon nach Sibirien transportiert, bei Arkhangelsk, nicht weit vom Weißen Meer. Seine Frau, Meta und Klein-Victor waren in einer dürftigen Hütte, die aus Baumstämmen und mit Erde bedeckt war, untergebracht. Sie hatte ein Fenster mit einer einfachen Scheibe. Wenn sie sich zum Schlafen niederlegten, konnten sich die vier kaum ausstrecken. Durch das Zusammenlegen von Steinen hatten sie einen kleinen Herd. Später machten sie einen Fußboden, indem sie Bäume fällten und mit einer Axt spalteten. Er, Johannes, arbeitete als Buchhalter mit sehr niedriger Bezahlung und kleinen Rationen. Er arbeitete nur zwölf km von der Familie entfernt, doch wurde es ihm selten erlaubt, zu Fuß nach Hause zu gehen, um sie zu sehen. Heini (15) war irgendwo in einem Zwangsarbeitertrupp. Sie fürchteten, dass er umkommen könnte. Anita (14) arbeitete im Wald, war mager, beschwerte sich aber niemals, sie musste sehr hart arbeiten. Auf der Reise nach Kotlas waren sie 41 Leute im Viehwagen. Eine Woche lang wurde niemand hinausgelassen. Es war kalt. Klein – Johannes starb unterwegs. Manchmal schneite es auf das Baby. Immer zart, hatte er selten gelacht. Er starb am 22.März 1930. Tante Helene musste ihren kleinen Jungen in ein Handtuch gewickelt einem Soldat aushändigen, damit er es beseitigte. Sie waren dankbar, dass das Baby den Leiden dieser traurigen Welt enthoben war, doch es war auch schmerzlich für sie, das Kind zu verlieren.

In einem Brief vom Juni 1933 schrieb Johannes:“Es sind nun mehr als drei lange Jahre in der Verbannung.“. Er bat um Lesematerial. Sie bangten um die geistliche Zukunft ihrer Kinder, Heini lebte. Er und drei andere wurden zum Heuen in ein anderes “Kartell“ geschickt. Dann wurden sie wieder verhaftet und schon für drei Monate ins Gefängnis gesteckt. Heini bekam, nur 250 g schweres Schwarzbrot (Lieschen sagt, dass es den Hals in den Hungertagen von 1920/21 zerkratzte), 800 g wurden als Norm betrachtet, so versuchten seine Eltern, ihm an Brot zu schicken, was sie nur konnten, sonst würde er verhungern. Später arbeitete er als Zimmermann in der Zwangsarbeit. Er war sehr geschickt, aber seine Eltern waren besorgt um ihn. Fast ein Jahr lang konnte er mit seinem Vater zusammen sein und teilte dieselben fadenscheinigen Kleider und die kleinen Rationen mit ihm. Johannes schrieb, dass Heini immer höflich und ordentlich seinen Eltern gegenüber war, aber mürrisch und unkommunikativ seiner Umwelt gegenüber. Ein Teenager, aufgewachsen in diesem Kreuzfeuer der Werte — ist es da ein Wunder? Heini wurde weiter verbannt und starb 1944 in der Verbannung, im Alter von 29 Jahren.

Tante Helene schrieb 1935: “Manchmal bekommen wir ein kleines Stück Pferdefleisch, aber ich kann es nicht essen. Victor, jetzt neun, ist sehr mager und kann kaum die dünne Kohlsuppe dreimal am Tag schlucken.“ Unsere Eltern schickten Nahrungspakete, wenn sie konnten, doch war es in den 30er Jahren sehr schwierig, das Geld für ein teures Paket zusammenzutreiben. Sie waren solch eine Freude für sie, wenn sie sie erhielten, Reis, Kakao, Zucker – welch ein Luxus, der sehr vorsichtig gehandhabt wurde, damit er möglichst lange reichte. Johannes und Helene konnten eine Anleihe von 250 Rubeln bekommen, um ein kleines neues Haus zu bauen, aber wenigstens war die Familie nicht mehr in den Baracken mit ungeschlachten Leuten und jeder-Art von Läusen!

Anita war sehr krank an Typhus und eine Zeitlang in der Isolierungsabteilung gewesen. Sie gewann ihre Gesundheit langsam wieder. Sie musste im Wald arbeiten, war eine tapfere und liebevolle Tochter und teilte alles, was sie hatte. Tante Helene hatte im Frühling Kartoffeln gepflanzt. Es gab früh Frost, aber sie hofften, einige zu ernten. Es war unmöglich, so weit im Norden Gemüse zu ziehen. Im Sommer stand Tante Helene um drei Uhr morgens auf, um Beeren im Wald zu pflücken. Sie kam um acht Uhr abends sehr müde zurück, mit dem, was sie finden konnte und war froh, dass auch die Beeren für den Winter trocknen konnte. Sie fürchtete die Bären, die sie in den sechs Werst Wald nicht nur beim Beerenpflücken gesehen hatte, sondern auch, wenn sie die Erlaubnis hatte, gelegentlich zur Wohnstätte ihres Mannes zu gehen. Sie tauschte alle Kleider, die sie entbehren konnten, gegen Nahrung ein. Die Hosen der Männer fielen auseinander, so machte sie ihnen welche aus Leinensäcken.

Tante Helene war glücklich, als sie ihre: Nähmaschine. zurückbekam, doch sie hatte keine Nadeln. Später schrieb sie, dass die Singernadeln, die unser Volk schickte, perfekt passten. Im Herbst und Winter nähte sie eine unglaubliche Menge als Verkaufsware. In einem Monat nähte sie 41 Schuluniformen für Mädchen. Im Oktober machte sie acht Blusen, sechs Kleider, fünf Hosen, Röcke, Hemden, Jacken und einen..Mantel. Ihre Mutter, Frau Neufeld, war jetzt bei ihnen und half, wo sie konnte. Sie besaßen so wenig, zum Beispiel einen Teelöffel und einen Tischlöffel. Heini hatte einen kleinen Tisch und eine Bank gemacht. Sie beteten für unseren Vater, der hier in Kanada so viel wegen dem Einwanderungsamt herumreiste.

Ein Brief von 1936 von Tante Helene erzählt: “Am Weihnachtsabend kam Heini, er ging mit kaputten Schneeschuhen zu Fuß. Was für eine Freude, ihn wiederzusehen, und ihn und Johannes für zwei Tage zu Hause zu haben! Wir hatten von Heinrich sieben Monate lang nichts gehört. Alle Freiheit ist weggenommen, aber wir kamen mit den zwei anderen mennonitischen Familien zusammen und “feierten“ die Geburt des Heilandes. Ich arbeite jetzt in einem Kindergarten, Anita an einer Maschine, die Holz für Lokomotiven zerkleinert. Sie hat einige schlimme Schnitte gehabt. Victor ist immer lustig, immer hungrig. Er wünschte, er könnte die Überbleibsel von ‘Nelus‘ (CJ‘s) Teller haben! Früher musste Anita in einem Sumpf arbeiten, bis ihre Füße sehr entzündet waren.“

Onkel Johannes schrieb im März 1937: “Meine Zähne sind sehr arm, ich habe oben nur noch sieben übrig, unten neun. Zwei ‘Ärzte‘ (CPU-Beamte) untersuchten mich gründlich. Ich fürchte, ich könnte zur Erholung an einen ‘Kurort‘ geschickt werden (ins Gefängnis). Es ging mir noch nie so gut wie jetzt. ihr tut mir so leid, weil ihr unser System nicht habt. Aber könntet ihr dem Cousin Hansp. (ihm selbst) etwas Kleidung schicken? Es ist hart, darum zu bitten. Ich habe eine gute Arbeitszeit, von 7.00 — 12.00 Uhr vormittags, 13.00 — 17.00 Uhr nachmittags und von 19.00 – 22.00 Uhr abends als Buchhalter (unter polizeilicher Aufsicht). Ich bin hoffnungslos krank! (Er meint politisch.) Falls ich mich ‘erhole‘, noch einmal ein herzliches Dankeschön für all die Liebe und Freundlichkeit, die Ihr mir und meiner Familie erwiesen habt! Ich gratuliere Euch, dass ihr Großeltern geworden sein!“ (Alfred Neufeld) Sie waren sehr vorsichtig in den Briefen, alle wurden zensiert, wenige kamen an. Johannes hatte recht. Es war sein letzter Brief. Im Dezember 1937 schrieb seine Frau, dass sie 100 km gegangen war (und zurück!), um ihm ein Paar warme Stiefel zu bringen. Es wurden ihnen drei Minuten gegeben, um sich Auf Wiedersehen zu sagen, und sie sollten sich erst im Jenseits wiedersehen. Bis 1956 hörten wir von niemandem mehr, da schrieb Meta einen Brief an Lieschen. Ein Brief von Tante Helene 1961 erzählte, wie sie und Anita durch Stalins Terrorregime hindurch zusammen gewesen waren, in den 1940 er und 1950er Jahren. Sie lebten in Tokmak, im östlichen Asien der UdSSR. Anita schaffte viele Stunden als Krankenschwesterhilfe und trug in einem Krankenhaus drei Treppen hoch Essen aus, wobei sie 70 bis 80 Leute mit Essen versorgte, während Tante Helene den Haushalt führte und nähte. Anita war zweimal verheiratet gewesen, hatte eine Tochter Irma von ihrem ersten Ehemann und einen Sohn Harry vom zweiten Mann. Nun, in den 60er Jahren war es leichter, es gab zumindest weniger Verfolgung. Anita hatte einen kleinen Gasbrenner und Kühlschrank. Victor war weit weg, mit einem russischen Mädchen verheiratet.

Um Licht auf das Schicksal von Johannes L. Penner und vielen anderen nach 1937 zu werfen, muss ich einige notwendige Informationen einfügen. Ich habe die vollständigen Berichte der Friedenskonferenz vom 20./21. Juli 1949 in Saskatoon, Sask. Ein umfassender Bericht, der dort von J.A.Neufeld erstattet wurde, der nach dem zweiten Weltkrieg aus der UdSSR in die USA kam und der zum großen Teil die gleichen Nöte wie die Penners erfahren hatte, erzählt, was mit ihnen 1937—38 geschah, besonders mit denen, die Verbindungen ins Ausland gehabt hatten. “Encyclopedia“ bestätigt dies in ihrer Geschichte Russlands. Nach grausamen Untersuchungen wurden diese Verbannten in die entferntesten Straflager, weit weg von den Grenzen irgendeines Landes wie z.B. China, gebracht, um Fluchtversuche zu verhindern. Viele von diesen Sträflingslagern befanden sich längs des Kolyma—Flusses mit ihrer Verwaltungsstadt Magadan nur mit dem Flugzeug oder Schiff von Nowosibirsk aus erreichbar. Drei bis vier Millionen Menschen kamen in dieser Gegend während der Stalin-Jahre um. Schon früher wurde gesagt: “Dieser Weg, diese Eisenbahnstrecke, wurde auf den Knochen von Menschen gebaut.“ Die überlebenden mussten Sklavenarbeit in Gold und Silberminen östlich des Lena-Flusses verrichten und gleichzeitig landwirtschaftliche Versuche machen, um ihre eigenen Erträge zu erzielen. Hier war eine eigene enge Welt. Keinem einzigen gelang es, auch nur eine Botschaft an ihre Lieben, die eine halbe Hemisphäre weg waren, zukommen zu lassen, oder an ihre Freunde im Ausland. Dies war nach Jahren der Trennung von ihren Familien der härteste Schlag von allem. Auf jeden Fall war diese Periode, Stalins dritter Fünf-Jahres-Plan eines der unmenschlichsten Kapitel des Massenterrorismus und der Folter in der modernen Geschichte. Johannes L. Penner kam hier um, einige überlebten sogar das, und schließlich wurde der Familie erzählt, dass er am 15.Februar 1942 im Alter von 53 Jahren gestorben war.. Das kann gut ein erfundenes Datum sein.

Ein Brief von Meta im Februar 1974 an Lieschen lautete: “Anitas Tochter, Irma, ist zuckerkrank. Sie bat einen wohlhabenden russischen ‘Gentleman‘ geheiratet, einen Einzelsohn. Es war eine große weltliche Hochzeit. Irma ist ein sehr lebhaftes, geselliges Mädchen. Sie sind glücklich, sie lieben einander. Sie haben einen Sohn, Heinrich, und sie leben drei Flugstunden von Anita entfernt. Victor ist noch weiter weg, 1,5 Tage mit dem Bus.“

Meine letzten Briefe waren von Anita und Anni (Metas Stieftochter, im Herbst 1985. Anita ist nun pensioniert und lebt allein. Sie geht vier mal in der Woche zum Gottesdienst. Sie ist zufrieden und noch immer kräftig, dankbar für Gottes Güte und Gnade.

Artur Penner und Helene Görtz Penner

Artur Penner 16. Oktober 1895, Fresenheim,Am Trakt, Russland  — im Exil

Eitern: Leonhard Pennerund  und   Käthe Dyck Penner

Helene Görtz Penner  3. Dezember 1895, Köppental, Am Trakt, Russland

Verheiratet:              4. Oktober 1918

Katharina/Käthe            1. Aug.1919

Johannes A.                22.Jan.1921

Ernst                             27.Feb.1923

Magdalena                    9 Jul.1925

Artur                             5.Apr.1926 — 3.Mai 1977

Artur übernahm den Hof seines Vaters, als er heiratete. Sie lebten mit den Eltern und Meta im selben Haus. Herbert bewirtschaftete den Hof mit ihm zusammen. Sie lebten auf demselben Hof. Beide Grundstücke wurden während der Revolution konfisziert. Später bekamen sie einen Teil davon zurück. 1929 wurden beide wieder enteignet und später verbannt. Im November 1931 waren sie in Arkadak. Tante Käthe, Meta und Familie nicht weit weg.‘ Sie hatten unterwegs von Grassuppe gelebt. Artur war Chef der staatlichen -Molkerei, die aus 16 Kühen bestand. Alles war schlecht verwaltet. Artur hatte immer noch Sinn für Humor. Er schrieb, dass die meisten Kühe trocken waren, aber im Mai kalben würden! (In sechs Monaten). Artur starb in der Verbannung. Wann? Wo? Seine Frau Helene musste, wie alle Frauen in dieser Zeit, Sklavenarbeit verrichten. Trotz allen Entbehrungen und körperlichen sowie psychischer  Qualen überlebte sie und hat mit ihren Töchtern Katharina und Magdalena ein friedevolles Alter verbracht. Sie ist schwach und brach sich im Herbst 1985 die Hüfte. Ihr Gedächtnis ist gut, doch sie kann nicht viel am Stück schreiben. Anita und Anni möchten ihr nicht schreiben, um sie nach Informationen aus der Vergangenheit zu fragen. Es würde zu viele tragische Erinnerungen in ihr wachrufen und zu hart für sie sein. In einem früheren Brief hieß es, dass Magdalena ein außerordentliches aufgewecktes Mädchen war. Sie leben in Karaganda.

Wie am Anfang schon erwähnt, lebt Arturs Sohn Hans in Deutschland. 1946 kam er als Kriegsgefangener nach Deutschland. Wir trafen ihn auf einer Brücke am Main, Deutschland und besuchten ihn etwas. Er wusste sehr wenig. Sie haben vier Kinder.

Herbert Penner und Auguste Isaak Penner

Herbert Penner 2.März 1899, Fresenheim, Am Trakt, Russland  – 1938: in der Verbannung

Eltern: Leonhard Penner und Käthe Dyck Penner

Auguste Isaak Penner 25.März 1902 – November 1932, Köppental, Am Trakt, Russland

Verheiratet: 1.November 1922

Harry                   19.März 1924

Otto                     30.Juli 1926

Walter                 13.Juni 1928

Herbert               21.Oktober 1932

Lieschen erzählte mir, dass Herbert sehr musikalisch war. Er spielte Klavier und Orgel sehr gut. Sie erinnert sich, dass er sie mehrere Male fragte wann sie anfangen würde, Musikunterricht zu nehmen bei ihm. Sie bedauert heute noch, dass sie es nicht tat. Einige Jahre später war Herbert Organist in einer lutherischen Kirche in Süd-Russland.

Ein Brief von Johannes im Jahr 1931 sagte, dass Herbert ein Landwirtschaftsfachmann sei, ein Buchhalter in einer deutschen Konzession im südlichen Russland. Das kommunistische Regime ermutigte eine Zeitlang ausländische Konzessionen, Industrie und Geld in die UdSSR zu bringen. Zu dieser Zeit hatte Herbert noch eine Kuh und einige Hühner. Sooft es erlaubt war, sandte er Nahrungspakete zu seiner Mutter und seinen Brüdern. Im August 1933 schrieben sie, dass Herberts Frau, Auguste, im Jahr 1932 gestorben war. Er war sehr einsam. Er und Artur waren beide in einem Zwangsarbeitslager im Kaukasus. Er starb 1938 im Alter von 39 Jahren. Wer zog seine vier Jungen auf? Der Jüngste, Herbert ist ein Arzt. Keiner von ihnen ist Christ. Sie fragen sich: “Wenn es einen liebenden Gott gibt, weshalb ließ er all die Leiden für sein Volk zu?“ Die meisten von ihnen leben in der Nähe von Karaganda. Wie unerforschlich sind die Wege Gottes!

(Helene Dyck Funk)

 

 

 

 

 

 

 

Geschrieben von Eliese Quiring

Friedrich und Meta Penner Horn

Meta Penner Horn 3.Mai 1907, Fresenheim, Am Trakt, Russland-23.Dez.1976

Eltern : Leonhard Penner und Käthe Dyck Penner

Friedrich Horn 27.Dez.27.1894, Orloff, Am Trakt, Russland   – 27. Dez. 1941

Verheiratet: 1931

keine eigenen Kinder Fünf Stiefkinder, da sie einen Witwer heiratete. Der jüngste Sohn starb in der Zeit, als Meta und Friedrich weg waren, als sie heirateten. Einige Jahre später starb die zweitälteste Tochter.

Olga

Emmy

Anni

Meta war das jüngste Kind und die einzige Tochter von Leonhard und Käthe Penner. Sie hatte drei Brüder, Johannes. Artur und Herbert. Ihre Mutter war die jüngste Tochter unseres Großvaters Johannes Dyck, der zehn Jahre lang in Amerika war.

Meta und ich waren gute Freundinnen. Sie war nur einige Jahre älter als ich. Als die Post durchging, korrespondierten wir regelmäßig, bis sie starb. Als wir 1927 gingen, lebten Meta und ihre Mutter noch in ihrem Heim in Fresenheim, das einst ihrem Großvater gehört hatte. In den letzten paar Jahren Am Trakt gingen wir am dritten Mai immer zu Metas Geburtstag. Es kamen immer eine Anzahl ihrer Freunde und Verwandten dorthin. Wir hatten stets eine sehr gute Zeit. Wir redeten miteinander, machten Spiele und hatten eine Menge gutes Essen. Auch einige der jungen Leute in Fresenheim kamen zur Feier. Da es ein ziemlich weiter Weg zu gehen war, blieben wir auch zu Nacht dort. Einige von uns gingen auch zu den Verwandten, der Familie Heinrich Isaak. Sie wohnten gerade gegenüber von den Penners. Auch Artur Penner und seine Familie lebten bei den Eltern, Leonhard und Käthe Penner.

Am 27. Oktober 1929 schrieb Meta unter anderem: “Drei •Wochen leben Mutter und ich nun schon in dem kleinen Haus. Im Frühling konnte Mutter sich noch nicht entscheiden, ob sie es aufbauen sollte, da Dein Vater davon abriet. Aber da Mutter an großer Herz- und Nervenschwäche leidet, entschieden wir uns; zu bauen. Mutter fühlt sich hier, wo es ruhig ist, so gut. Sie schläft ungestört bis spät in den Morgen, wo sie doch wegen all dem Lärm gewöhnlich früh aufwachte. Ich wünschte – Ihr Mädchen könntet kommen und mein Zimmer anschauen. Es ist ganz freundlich mit der Nähmaschine, der Orgel und dem Kleiderschrank darin. “

Am achten Januar 1929 schrieb unsere Cousine Käthe Isaak von Meta, dass sie Lesekränzchen hatte. In einem Brief erwähnte Meta: “Als Deine Eltern nach der Abschiedsfeier zu uns kamen, waren auch Anna und Irma dabei. Ich spielte ‘Gott mit Euch, bis wir uns wiedersehn‘, bevor sie gingen.“

Meta war solch eine feine Person, ein edler Charakter, wie ihre Mutter. Ich dachte immer, dass die jungen Männer es nicht wagten, ihr zu nahe zu kommen. 1972 schrieb sie mir über ihre Erfahrungen aus der Jugend. Zweimal hatte sie die Gelegenheit, zu heiraten, kümmerte sich aber um keinen Mann. Später bereute sie es und wusste lange nicht, ob sie nun ihr Leben ruiniert hatte oder ob es einfach für sie so bestimmt war. “Aber nun weiß ich es.“- schrieb sie.

Meta und ihre Mutter wohnten nur eine kurze Zeit in ihrem Haus Dann wohnten sie eine Weile bei Franz Dyck in Lysanderhöh. Danach zogen sie in die Sommerküche der Familie Riesen in Orloff. Sie schrieb: “Zu dieser Zeit starb die Frau von Friedrich Horn, einem Lehrer in Orloff. Als ich das hörte, sagte ich bei mir selbst ‘Oh, lieber Gott, warum hast Du nicht eine andere Frau genommen? Vielleicht warst Du wie so viele andere überrascht, dass ich ihn nahm. Im März 1931 willigte ich auf Friedrichs herzliche Bitte ein. Er war so liebevoll zu mir und ich schätzte das sehr. Er hatte sein eigenes Haus in Orloff aber er hatte auch fünf Kinder. Es ist gut, dass ich Kinder liebe.“

“Die Hochzeit war am 25. Mai geplant. Der Schleier und der Kranz lagen bereit. Die Kuchen waren gebacken. Am nächsten Abend sollte der Polterabend sein. In dieser Nacht wurde Friedrich verhaftet, weil er Mutter nicht in das Lager hinter Medemtal gebracht hatte, wo schon so viele von unseren Leuten waren. Friedrich hatte uns nichts von dieser Anordnung erzählt. Er wollte bis nach der Hochzeit warten, da er wusste, wie traurig ich darüber sein würde. Mama und ich wurden am nächsten Tag in das Lager geführt. Am Tag danach kam Friedrich nach Hause und fand mich da nicht, obwohl sie eigentlich nicht das Recht hatten, mich zu nehmen, da wir schon staatsbürgerlich verheiratet waren. Aber zu jener Zeit handelte jeder nach seinem eigenen Gutdünken Und da sie mich nicht freiließen, ging ich auf Friedrichs Wunsch hin einfach weg.“ Ein Brief von Lenchen Fröse, die in demselben Lager war, erzählte mehr über das Leben dort und wie traurig Tante Penner am nächsten Morgen war, dass Meta und Friedrich verschwunden waren. Am 12 Juli schrieb Lenchen Fröse: “Wir haben bis jetzt nichts mehr von ihnen gehört. Alle Sachen von Friedrich Horn sind konfisziert worden, und sie versuchen alles, um ihn zu finden. Möge Gott Seine schützende Hand über sie halten. Wir werden hier durchgehend von der Polizei bewacht.“

Meta fuhr fort mit ihrem Bericht: “Wir gingen nach Saratow, von wo aus ich zu meinem Bruder Herbert ging, der mit seiner Familie im Kaukasus lebte. Friedrich kam später nach, um mich abzuholen, aber noch waren wir kirchlich nicht verheiratet. Herberts Frau Gustchen fuhr mit uns in eine kleine Stadt, die nicht weit von ihnen war, wo sie einen Prediger kannten, der uns traute. Seine Frau hatte einen Schleier und einen Kranz und, gab sie mir. Unser Hochzeitstext war: „Ist Gott für uns, wer kann dann gegen uns sein.“ Das war tröstlich für mich. Wir gingen für eine kurze Zeit zu Herbert zurück und dann zurück nach Hause. Mutter war bei Gerhard Wall in Hohendorf.  Als wir nach Hause kamen, war Friedrichs jüngstes Kind, ein Sohn, gestorben. Die Kinder waren bei seinen Eltern geblieben. Einige Jahre später starb die zweitälteste Tochter im Alter von viereinhalb Jahren. Wir lebten ruhig und glücklich und ich freute mich an den Kindern.

“Aber dann kam die Trennung. Solange Friedrich nicht allzu weit entfernt war, konnte ich ihn manchmal sehen, aber später war es nicht mehr möglich. Ich fuhr dann mit Mutter und zwei Mädchen in den Kaukasus. Wo mein Bruder Artur und Helene wohnten. Das war im Winter 1936/37. Artur war bis zum Februar zu Hause. Ich zog in ein großes deutsches Dorf wo ich unseren Lebensunterhalt durch Nähen verdiente. Später ging ich in das Kollektiv. Von den Leuten dort wurde etwas Gartenland weggenommen so bekam auch ich ein Stück davon, ein kleines Sommerhaus und sogar einen Obstgarten.

Die Dame, der es gehört hatte, war sehr glücklich, dass wir es bekamen, und wir auch. Wir waren glücklich und dankbar und begannen, besser zu leben. Bald kam auch Olga, die zu Hause geblieben war, um ihre Lehrerausbildung zu beenden, in den Kaukasus. Dann wurde das Leben leichter. Mutter war sehr zufrieden, wie immer. Sie konnte Früchte in ihrer Schürze tragen. So schwach sie war, war sie immer noch eine große Unterstützung. Wenn ich auf der Arbeit im Kinderheim war, kochte sie. Die Mädchen halfen, wo sie konnten, und sie waren gehorsam. Friedrich konnte schreiben, aber in seinem letzten Brief schrieb er, dass er krank war. Als wir uns erkundigten, erhielten wir eine Notiz, dass er gestorben war. Wir erhielten auch eine Todesurkunde. Nun gab es keine Hoffnung mehr. Bald begann der Krieg, und damit will ich schließen. Ich bin müde vom Schreiben, und Du vielleicht vom Lesen.“.

Später lebte Meta in Tokmak, 60 km von Frunse. Dann heirateten die zwei ältesten Mädchen. Olga heiratete einen Russen. Sie haben fünf Kinder. Emmy und ihr Mann Oskar hatten vier Kinder. Oskar ist nicht sehr wohlhabend. So hatte Meta Lilli zweitjüngste Kind fast die ganze Zeit bei sich. 1960 schickten ihre Neffen ihr Geld, so dass sie eine Reise nach Karaganda machen konnte, wo einige von den Penners und viele Leute vom Trakt hingezogen waren.

Meta erinnerte sich ziemlich gut an ihren Großvater. Sie schätze es, dass Irma ihr einige Auszüge aus seinem Tagebuch schickte, aber sie hätte gerne viel mehr aus der Zeit gehabt, als er in Amerika war. Sie schrieb einige seiner Erlebnisse in Amerika nieder, wie sie ihre Mutter ihr erzählt hatte. Sie schrieb:

“ Sehen wir hier nicht die allmächtige Hand Gottes? Ja, er war sehr energisch, aber er war immer unter dem Schirm des Allmächtigen. Ich bin seine jüngste Enkelin, und wenn ich auf das zurückschaue, was ich erlebt habe, kann ich nicht sagen, dass ich jemals mutlos war. Ich glaube, ich habe etwas von ihm geerbt. Ich kann dies zur Ehre Gottes sagen und bin ihm dankbar dafür.“

Am 29. Juli heiratete Anni Johann Kutzmann, einen Witwer mit 6 Kindern, er war drei Jahre jünger als Meta. Anni war 45.

Meta versuchte, nach Deutschland auszuwandern. Ihr Neffe Hans Penner, Sohn von Artur Penner, der in Deutschland lebt, versuchte mehrere Male, sie herauszuholen. Zuerst war sie nicht allzu froh darüber, denn sie wollte ihre Kinder und Großkinder, zu denen sie ein sehr gutes Verhältnis hatte, nicht verlassen. Später entschlossen sich auch Emmy und Oskar, mit ihrer Familie zu gehen wenn sie konnten. Sie war enttäuscht, als es nicht möglich war. Sie schrieb: “Aber mein größtes Bestreben soll sein, dort anzukommen, wo kein Schmerz uns befallen wird, wo alles vollkommen sein wird. So können wir uns alle dort einmal treffen.“

Tante Lenchen schrieb am vierten Januar über Metas letzte Tage:

<1976>

“ Wir haben die Sitte, eine Weihnachtsfeier mit den Vorschulkindern am 23. zu machen, Am 24. die Feier für Jugendliche und die ganze Gemeinde. Auch Meta ging dorthin. Sie musste sei sich etwas beeilen, um den Bus zu erreichen. Während sie vom Bus zum Versammlungsort ging, kam ihre Freundin Herta dazu und begleitete sie. Einige Häuser vor dem Versammlungsort sagte Meta, es ginge ihr nicht gut. Sie fiel nieder und war nicht mehr (Sie hatte ein schwaches Herz). Ein junger Mann kam, hob sie auf und trug sie in das Haus. Anita und wir gingen zehn Minuten später weg. Als wir hinkamen, lag sie tot auf dem Bett. Wir waren zutiefst erschüttert. Gesegnet ist der, der zur Zeit bereit ist. Wir hoffen, dass unsere liebe Meta bereit war.“ Es war ein großer Schock für alle. Ihre Enkelin Lilli schrieb unter anderem: “Wir alle vermissen Oma sehr, aber besonders ich. Ich habe immer im gleichen Zimmer mit ihr geschlafen. Oma liebte mich sehr.“

(Eliese Quiring )

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