Jugend in Westpreußen

1 SEINE KINDHEIT UND FRÜHE JUGEND 

Mein Großvater wurde am 5-12-1826 im Dorf Popai, Westpreußen geboren. Sein Bruder Dietrich und Schwester Katarina waren älter als er, Jakob und Cornelius jünger. Seine Eltern waren preußische, mennonitische, mittelbegüterte Bauern. Sie besaßen 1/2 Hufen Land (1 Hufe Land = 40 Morgen; ein Morgen = 2500 Quadratmeter). Früher besaßen sie noch 3 Hufen Land im Dorfe Glabitz, verloren es aber während der französischen Besatzung (unter Napoleon 1800 – 1812) – Über seine Kindheit und frühe Jugend ist mir wenig bekannt. Er war ein stiller Junge, jedoch energisch in Arbeit und Spiel. Mit 10 Jahren verlor er seine Mutter. Drei Jahre später heiratete sein 

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Vater Agneta, Tochter des Oberschulzen von Groß Heubuden nahe Marienburg. Seine erste Bildung erhielt er durch Privatlehrer, die seine Eltern mieteten. Später besuchte er die Dorfschule in Fischerbabke unter Lehrer Wilhelm Lethgau. Geographie und Weltgeschichte waren seine Lieblingsfächer; Landkarten fesselten ihn. Als er zwölf Jahre alt war, kam für ihn die Zeit, daß er sein Heim verlassen mußte, um auf eigenen Füßen zu stehen. Sein Bruder Dietrich und ein Knecht ruderten ihn die Nogat hinunter bis Einlage, von wo er per Wagen nach Robach fuhr, wo er als Geschäfts- und Kaufmann sich ausbilden sollte. Obgleich sein Vater ein milder Mann war, wurde der Sohn doch nicht gefragt (er war eigentlich noch ein Kind), ob dieser Plan für sein Leben ihm zusagte. Es war im Familienrat beschlossen, und seine einzige Sorge hatte nun zu sein, daß keine Klagen über ihn einliefen. Das Geschäft, das ihn als Lehrling mietete, war groß und handelte mit Eßwaren, Schnittwaren und Hausgeräten. Da die Eigentümerin, Frau Hamm, Witwe war, hatte sie ihren Bruder Peter Baerg zum Geschäftsführer. Aber weil Frau Hamm und eine ihrer Tochter ziemlich stolz und anspruchsvoll waren, kam es oft zu Reibungen im Geschäft, und nur zu oft wurde der junge Lehrling der Sündenbock. In jener Zeit fand er immer Zuflucht bei der 19-jährigen, zweiten Tochter Agate, die für ihn ein rechter Schutzengel war. Durch ihre Hilfe gelang es ihm, eine große Anzahl verschiedener Bücher zu bekommen – sogar eine Geometrie. Leider mußte er diese Studien heimlich machen, daß die anderen im Hause nichts merkten (natürlich nach der Arbeit), sonst wäre ihm strenge Strafe gesichert. In seinem ganzen Leben hat er es bedauert, daß er in seiner Jugend nicht viel mehr studieren konnte. Aber seine Lage änderte sich nach vier Jahren seiner Lehrzeit. Der Geschäftsführer verheiratete sich, und so wurde ihm, Johannes, die Stelle angeboten, für 60 Reichsthaler jährlich. Er war besorgt, wie er seine Herrschaft zufriedenstellen würde, 

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besonders da Agate auch heiratete und das Heim verließ. Aber es ging viel besser, als er erwartet hatte; da die Damen von ihm abhängig waren, wurden sie geneigter zusammen zu arbeiten. So vergingen die Jahre.

2 DIE ERSTEN MANNESJAHRE

In 1844 – wurde er vom Ältesten Jakob Kroeker getauft und in die mennonitische Kirche in Ellerwald aufgenommen. Er war ein verschlossener Mann und in seinen Tagebüchern ist nur wenig erwähnt von tieferen Gefühlen, die ihn müssen bewegt haben. Für ihn scheint sein Tagebuch gewesen zu sein, um Ereignisse aufzuschreiben, und nicht ein geheimer Freund, dem man alles anvertraut. Und doch sieht man durch all seine Schriften einen einfachen, unbeweglichen, festen Glauben an Gott, und eine feste Annahme von Jesus Christus als seinen Helfer, Freund und Erlöser. Vielleicht ist (das) die Ruhe und die Sicherheit, mit denen er in so vielen Lagen in seinem Leben begegnete, sowohl auch die Achtung, die ihm von vielen Seiten zuteil wurde. Ein weiterer Beweis seines tief gegründeten Geisteslebens. Daß er besorgt war um das Wohl – Seelenheil seiner Mitmenschen, ist aus folgendem Ereignis zu sehen: »Als mein Cousin J. J. Dyck (Lysanderhöh) im Kriegsjahre 1917 nach Südrußland reiste, mußte er auf einer Station mehrere Stunden warten. Da wurde er auf einen Mitreisenden, der auch wartete, aufmerksam, einen alten ehrwürdigen Mann, wohl ein Mennonit. So sprach er ihn an. Aber sobald er seinen Namen und Adresse nannte, fragte der Mann, ob er mit Johannes Dietrich Dyck verwandt sei, dem früheren Oberschulzen vom Trakt. Und dann erzählte er (der alte Mann), daß er vor vielen Jahren ein wildes Leben geführt habe, daß er im Dorfe wo Johannes Dietrich Dyck Oberschulze war, ein ernstes Vergehen begangen habe und dafür gründlich bestraft 

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wurde. Nach der Strafe wurden er und seine Mitschuldigen zum Oberschulzen Dyck gebracht und bekamen da eine „Wortstrafe“, die er nie vergessen wird. In ernsten, liebevollen Worten hatte er ihnen das Verkehrte ihres Tuns vorgehalten und sie ermahnt, doch Buße zu tun. Alle waren tief bewegt. Und nun viele Jahre später, in einer entfernten Station, erzählte der alte Mann dieses Erlebnis und schloß mit den Worten: „Die Stunde wurde zum Wendepunkt in meinem Leben; es wurde die Stunde meiner Bekehrung.“« 

Nach siebenjähriger Arbeit verließ er das Geschäft der Frau Hamm und fand auf anderen Stellen ähnliche Arbeit, erst in Marienburg und dann in Caldove. Aber er war nicht wirklich glücklich in seiner Arbeit, war er doch immer den Launen und Ansprüchen von Arbeitgeber und Kunden ausgesetzt. So kehrte er 1848 zu seinen Eltern zurück und verbrachte den größten Teil des Winters mit Jagen von Hasen, Füchsen usw. Er erlegte sogar 2 Hirsche. 

In dieser Zeit hörte er von Johannes Cornies, Sohn des großen Agrar- und Sozial-Reformators unter den Mennoniten Südrußlands. Cornies war auf Geschäften in Preußen und schaute sich nach einem Begleiter um, für die Rückreise nach Rußland. Sofort suchte mein Großvater ihn in Caldove auf und versprach, ihn zu begleiten. In acht Tagen sollte es losgehen. Doch es wurde nichts daraus, denn Herr Cornies fand mittlerweile Fräulein Klassen in Elbing, die auch willens war, ihn zu begleiten. Sofort ließen sie sich trauen und vergaßen prompt alle vorherigen Reiseabkommen [und] dem Begleiter ihr Vornehmen mitzuteilen. Daraufhin beschloß mein Großvater, nach Amerika zu gehen. Gedacht – getan. Sofort wurden die Vorkehrungen für die Reise getroffen. Doch fiel es ihm nicht leicht, diesen Entschluß durchzuführen. Während seiner Arbeit in Caldove hatte er die Bekanntschaft von Helene Janzen aus Groß-Lesewitz gemacht. Die Freundschaft wuchs und ehe er nach Amerika abfuhr, gaben sie ihre Verlobung kund. Er versprach ihr, in 2 – 3 Jahren zurückzukehren, sie nach Amerika zu holen, oder in Preußen 

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anzusiedeln. Sie konnten ja nicht ahnen, daß sie 10 lange einsame Jahre getrennt sein würden. Über seinen Abschied schreibt er im Tagebuch so (natürlich viele Jahre später): »Am 14. August 1848 nahm ich zum letzten Mal Abschied von ihr. Wir waren in Bruder Dietrichs Heim nahe bei Kaminka. — Ich erinnere mich an den Tag, als wenn es gestern war. Aber 44 Jahre sind seit dem vergangen, mein Haar ist weiß, und sie ist schon bald fünf Jahre von mir geschieden.« 

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