In der Neuen Wellt

3 AUF NACH AMERIKA 

Am 18. August verließ er Dirschau mit der Postkutsche, fuhr bis Waldenbirg. Von da per Zug bis Berlin und Hamburg. Wegen Dänischen Unruhen in Schleswig-Holstein durften nur amerikanische Schiffe in deutschen Häfen ankern, weshalb er bis zum 1. September warten mußte. Während seines Aufenthalts im Homer Hotel in Hahntrap-Straße, traf er Karl Berisch, einen jungen Sachsen, ebenfalls auf dem Wege nach Amerika. Er war ein guter Kerl; sie fanden sofort Gefallen aneinander und beschlossen, zusammenzuhalten, einerlei, was da kommen würde. Zusammen gingen sie zum Kapitän Servey, vom Schiff „Joseph Fisch“, zahlten ihm je 56 preußische Thaler und besprachen, daß sie am 31. August an Bord kommen würden. Am 1. September schifften sie bis nach Cuxhaven. Um 2 Uhr am 2. September lichteten sie die Anker und nahmen langsam die Richtung in die offene See. Vor Dunkel waren Deutschlands Ufer vom Horizont verschwunden. Darüber schreibt er in seinem Tagebuch so: »Ein besonderes Gefühl ergriff mich, als ich mein Heimatland im Meer verschwinden sah; das Land in dem ich geboren und erzogen war; das alles in sich barg, was mir lieb und teuer auf Erden war. – Vor mir lag die 

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Zukunft, unbekannt und dunkel und ein Land, wo alles anders sein wird – Gewohnheiten, Sprache, Menschen. Ich blieb allein auf Deck. Wer kann in solchen Momenten den Tränen wehren? Aber schwach werden taugt nicht. Vorwärts war mein Motto, dann und jetzt – mit Gott.« Es war ein kleines Schiff mit 50 Passagieren, 24 davon waren Juden von Polen. Ihre Kabinen hatten vier Betten. So waren seine Genossen sein Freund Berisch, dann Grauaug, ein Jude von Wien und Ahlweiß. Letzterer hatte für die Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins gegen die Dänen gekämpft und war jetzt auf der Flucht. Am 3. September gegen Morgen wurde das Schiff plötzlich durch Kanonenfeuer von einem Dänischen Patrouillenschiff angehalten. Nachdem aber festgestellt war, daß es kein deutsches Schiff sei, durften sie weiterfahren. Sie passierten Helgoland und fuhren in Richtung zum englischen Kanal, als plötzlich ein starker Wind sich erhob, der bald zum rasenden Sturm wurde und das kleine Schiff wie ein Ball in den Wellen hin und her warf. Der Kapitän meinte, sie könnten den englischen Kanal in diesem Sturm nicht durchqueren und drehte nordwärts, um fim Norden von Schottland den Ozean zu erreichen. Der Sturm hielt an. Tagelang wagte sich niemand auf Deck, um nicht über Bord gespült zu werden, von den Sturzwellen, die über das Schiff gingen. Die Luft im Schlafraum war erstickend, doch konnten keine Türen geöffnet werden. Das Weinen und Schreien der Kinder, das Jammern der Mütter und das Stöhnen der Seekranken machte auch die Besten nervös. Dazu kam das Bewußtsein, daß sie längs der felsigen Küste Schottlands fuhren und daß ihr Schiff irgend eine Minute daran zerschellen konnte. Der Wind war ihnen auch ungünstig, da er meistens südlich oder nordwestlich blies. Endlich, nach 18 Tagen, erreichten sie den atlantischen Ozean, und der Kapitän hoffte, daß sie in zwei Wochen in New York landen würden. Aber es kam anders. Die Stürme hielten an und ein Weiterkommen war mühsam. Am 15. und 16. Oktober wütete 

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der Sturm furchtbar; ein Matrose wurde über Bord gespült, ein Passagier so gegen die Wand geschleudert, daß er ein Bein brach. Endlich am 2. November kam Land in Sicht und am Abend landeten sie. Zum ersten Mal betrat mein Großvater die neue Welt. Genau zwei Monate waren sie auf See gewesen, aber es schien ihnen viel länger. Nachdem sie das Zollamt passiert hatten, mietete er und sein Freund Berisch eine Droschke und fuhren für 2 Dollar zum Shakespeare Hotel. Da Großvater kein bestimmtes Ziel hatte und sein Freund Berisch nach Chicago wollte, so beschloß er, ihn zu begleiten. Zwei Tage später fuhren sie den Hudson-Fluß hinauf, in einem Flußdampfer, bis Abbany und in einem Boot bis Buffalo. Eines Nachts wurde ihm seine Uhr gestohlen. Von Buffalo fuhren sie, sich die gewaltigen Niagara-Fälle zu besehen und am nächsten Tag mit dem Dampfer bis Chicago. Sie erreichten es in 5 Tagen und er nahm gleich Quartier, nahm [zusammen] mit einem Deutschen, und begab sich auf die Suche nach Arbeit.

4 SEIN ERSTES JAHR IN DER NEUEN WELT

In der Zeit hatte Chicago 100 000 – 200 000 Einwohner. Es war Winter. Arbeit war schwer zu finden. Schließlich fand er Anstellung als Kellner in dem Hause, wo er wohnte, so daß er für Kost und Quartier zahlen konnte. Alle freie Zeit brauchte er, die englische Sprache zu erlernen. Er hörte Berichte über fabelhaften Reichtum in den Goldminen Kaliforniens, aber er hatte kein Geld und so blieb er bei seiner Arbeit. In der Zeit ging er einst über eine Brücke, welche zu gewisser Zeit eingezogen wurde, um die großen Schiffe durchzulassen. Ein deutsches Mädchen, welches nicht lange [vorher] aus Rußland mit ihrer Mutter gekommen war, [sie] gingen [mit der Mutter]

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auch beide über die Brücke, um auf den Markt zu gehen, Produkte einzukaufen. Und da sie in allem noch so unwissend waren, fiel das Mädchen mit ihrer Markttasche ins Wasser. Großvater sah dieses, entkleidete sich sofort (er war ein guter Schwimmer) und da er sah, wo sie unterging, wußte er sogleich, in welcher Richtung sie auftauchen würde; es gelang ihm, sie zu retten. – Dieses Mädchen diente bei einem Arzt. Letzterer wollte Großvater belohnen, doch er nahm nichts und sagte: „Der Händedruck der Mutter mit tränenden Augen sei ihm genügend gewesen“. 

Sobald die Schiffe wieder fuhren, kreuzte er den Michigan-See nach Milwaukee, wo er mehrere Bekannte traf, darunter auch die Schwester von Frau Hamm, für die er sieben Jahre gearbeitet hatte. Hier fand er auch lohnende Arbeit in dem Füllton Import Geschäft. Sein Anfangsgehalt von 30 Dollar monatlich wurde nach zwei Monaten auf 45 Dollar erhöht; ein großer Teil seiner Arbeit war auf den Schiffen des Geschäftes, die im Hafen lagen. Den Sommer 1849 bis Februar 1850 arbeitete er auf verschiedenen Stellen in den Städten Illinois und Visconsin. Manche Tage eilten schnell dahin, andere mühselig langsam, denn Briefe von daheim brauchten Wochen, Monate und oft erreichten sie ihr Ziel überhaupt nicht. Seine Arbeit war lohnend, doch nicht gut genug, da er seiner Helene ja versprochen hatte, in zwei, höchstens drei Jahren zurückzukehren; und das wollte er nicht mit leeren Händen tun. So horchte er immer mehr auf die Berichte über die Goldminen im Westen. Ein Fieber erfaßte die ganze Bevölkerung. Jeder Tag brachte neue Berichte (in den Zeitungen) und sah neue Gruppen ausziehen, um ihr Glück durch das Gold im Westen zu finden. Allmählich erfaßte das Fieber auch ihn, und er beschloß, westwärts zu gehen, komme was da wolle. 

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5 ÜBERSCHREITEN DER LETZTEN GRENZE

Anfangs plante er per Boot über Panama dann Francisco zu erreichen, doch fehlten ihm die nötigen 250 bis 300 Dollar. So beschloß er, die Reise über Land zu machen. Berichten zufolge überlebten nur sehr wenige solchen Versuch. Schlimmer als alle anderen Strapazen waren die wütenden Angriffe der Indianer. Nur erst im vorigen Jahr hatte eine große Gruppe Jova-Staat verlassen, mit Viehherden und allem Nötigen, um in Oregon Anzusiedeln, hatten ihr Ziel aber nicht erreicht. Feindliche Indianer hatten alle bis zum Letzten, Männer, Frauen, Kinder ermordet. Berichte kreisten über einen gewissen Berg-Trapper (Fallensteller) Kitt Carson, dessen Heldenmut, um den Weißen gegen die Indianer [zu] helfen, im Fabelhaften grenzte. Es wurde gesagt, daß die bloße Nennung seines Namens die Indianer in die Flucht schlug.

Sobald der Entschluß gefaßt war, wurden sofort Vorbereitungen getroffen. Er kaufte ein Pferd und einen kleinen Wagen und zog los nach Westen. Westwärts ziehende Gruppen sammelten sich gewöhnlich bei Conneil Bluffs oder St. Joseph und so war dies sein erstes Ziel.

Am 14. März kam er zu dem kleinen Mormonenstädchen Canesville nahe dem Missousire Fluß. Hier traf er mehrere Gruppen, die sich fertig machten, in den Westen zu ziehen. Doch etliche, die eben von da kamen, sie schworen, daß sie es nie wieder versuchen würden. Sie berichteten, daß 40 Meilen westlich zwei Gruppen beim Platte Fluß von den Pawnie Indianern total vernichtet wurden. Alle waren hingemetzelt. Aber unerschrocken schloß Großvater sich einer Gruppe an. Sie bestand aus 21 Männern, einer Frau (wahrscheinlich wollte diese Frau nicht von ihrem Manne lassen), 5 Wagen von Ochsen oder Maultieren gezogen und einer guten Anzahl Ponies. Er verkaufte seinen Wagen und kaufte ein paar Ochsen für 80 Dollar. Am 19. März 1850 setzten sie mit der Fährte über den Missousire Fluß und fanden sich von jeglicher Zivilisation abgeschnitten, im 

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Lande, wo die Rothaut Meister war. Beim Lagerfeuer an dem Abend versprachen sie ihrem Führer die Treue, und daß sie einander helfen und beistehen würden, wenn nötig – bis in den Tod. Sie bekräftigten dieses Versprechen mit Händedruck über geladener Flinte. 

Die ersten paar Tage vergingen ohne ein besonderes Ereignis. Aus Furcht, sich zu verirren, folgten sie den Windungen des Platte Flusses. Hin und wieder sahen sie einen Indianer, aber alle schienen freundschaftlich zu sein. Allmählich kamen sie in das Gebiet der Pavnies (auch ein Indianerstamm). Sie sahen von nun an keine Indianer, was Gefahr ankündete; und als sie auf eine blutgetränkte Stelle eines kürzlichen Gemetzels stießen, wurde die Gruppe sehr still. Es wurde gesagt, daß 44 Männer da ermordet waren. Jedoch nichts passierte. Nur kamen sie sehr langsam vorwärts. Endlich am 22. Juli erreichten sie Fort Laramie, ungefähr 750 Meilen westlich von Council Bluffs im Südosten des Bundesstaates  Wyoming. 

Hier begegnete er einem Mann, der ihm im Gedächtnis blieb, Louis Mellon. Derselbe war ein Kanadier und ein jahrelanger Trapper (Fallensteller), der 25 Jahre in wenig Berührung mit der Zivilisation gekommen war. Er wollte auch nach Kalifornien und machte keine Einwendungen, daß Großvater ihn begleitete. Mellon hatte diese Reise schon etliche Male gemacht; er konnte auch eine Anzahl indianischer Dialekte sprechen. So verkaufte Großvater seine Ochsen, kaufte ein Packesel für 120 Dollar, vertauschte sein Pferd für ein besseres, erneuerte seinen Vorrat an Nahrung und Munition und nach zwei Tagen zogen sie zusammen los. Am nächsten Tag schloß ein Irländer, James Kinney, sich ihnen an, der 3 gute Pferde und einen Packesel eignete. Seine Gesellschaft war nicht sehr erwünscht, aber da war nichts bei zu machen; das Gesetz der Wildnis gebot Gastfreundschaft. 

Das Reisen war jetzt anders. Bisher hatten sie im Zelt geschlafen und regelmäßig zubereitete Mahlzeiten gehabt; jetzt schliefen sie nur, wenn es auskam, und dann unter freiem Himmel. Ihre 

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Nahrung bestand in Tee, Reis, harte Biskuits, und was sie an Wild schießen konnten. Als sie vom Fluß abbogen, waren beinah keine Büffel mehr zu finden; und die Hirsch- und Antilopenjagd war sehr zeitraubend. Mellon war ein ausgezeichneter Schütze und so hatte Großvater viel Gelegenheit, ihn zu beobachten und sein eigenes Zielschießen durch viel Übung zu vervollkommnen. 

• 1. Anmerkung: Meine Mutter erinnerte sich, wie viele Jahre 

später (in Rußland), als Großvater schon 68 Jahre alt war, etliche erwachsenen Schuljungen ihn über die Vergangenheit befragten. Sie hatten gehört, was für ein guter Schütze er war und baten ihn um eine Probe. Er meinte, er sei zu alt, gab aber schließlich nach und holte seine Flinte. Fast ohne zu zielen, schoß er einen fliegenden Sperling herunter, der kaum zu 

sehen war… 

Sie kreuzten das Rocky Gebirge durch den südlichen Engpaß und kamen ohne viel Schwierigkeiten Mitte August bis Fort Bridge. Hier rasteten sie sieben Tage nach den Strapazen der Reise durch die „Wüste des Todes“, wie sie genannt wurde; sie waren die 150 Meilen Sandwüste in 37 Stunden geritten. In Fort Bridge traf Mellon mehrere alte Bekannte, unter ihnen auch Kitt Carson (von dem schon eher erwähnt ist), in dessen Gesellschaft sie die übrige Rastzeit verbrachten. Carson warnte sie, doch ja nicht den südlichen Kurs zu wählen über Salt Lake und das Sierra-Nevada Gebirge durch das Sakramento Tal. Denn der schwere Schneefall würde sie unbedingt im Gebirge übereilen und ihren Tod bedeuten. Augenscheinlich hatten im vergangenen Winter viele Ihren Tod auf diese Art gefunden. Statt dessen riet Carson, den Kurs über das Green-River Gebirge zu nehmen, den Bär Fluß zu finden, diesem nordwärts zu folgen bis Thomas York, von da den Kurs über das Caseade Gebirge zu nehmen zu der Ansiedlung Oregon.

• 2. Anmerkung: Christoph (Kitty) Carson wurde 1809 in Kentuchi geboren und starb 1868 in Colorado. Er wuchs in der Missouri Grenzgegend auf und war schon mit 17 Jahren cin ausgezeichneter Händler, Erforscher und Führer. Er war 

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berühmt als der Nestor (?) des Rocky Gebirges. Durch seine Indianerkenntnis und ihrer Sprachen, hatte er viele Jahre einen zum Frieden steuernden Einfluß auf die Apachee und andere Indianerstämme. Sein persönlicher Mut, seine große Umsicht und erfinderische Geistesgegenwart; sein haarscharfes Entkommen dem Tode bei vielen Gelegenheiten usw. sind der Gegenstand von zahllosen Geschichten über ihn. Carson City, die Hauptstadt von Nevada, ist nach ihm genannt. Die Geschichte stellt historisch fest, daß Carson 1850 einen guten Pferdehandel gemacht hatte und von New Mexiko nach Fort Lorramie reiste, welches ein weiterer Beweis ist, daß er in dieser Zeit in der Fort Bridge Gegend war, wo Großvater ihn traf. 

Während ihrer kurzen Rast erneuerten sie ihre Vorräte, tauschten neue Pferde ein, und mit dem Kompaß in der Hand zogen sie los, ihren Weg durch die Windrever Berge zu finden, die eben in Sicht waren. Noch niemals hatte er solch hohe Berge gesehen. Eines Tages sahen sie Salt-Lake City von den Bergen aus. Nach sieben Tagen erreichten sie den Bär Fluß. Aber durch einen drei Tage langen Regen waren sie so kalt und erstarrt, daß sie sich kaum im Sattel halten konnten. Sie folgten* dem Bär Fluß, erreichten den Snake (Schlange) Fluß am 1.Sept. Sie machten Halt im kleinen Städtchen Fort-Wall. Hier handelte er ein vierjähriges, weißes Pferd von den Snake Indianern ein, das später für ihn von großer Bedeutung wurde. 

Während der Reise sahen sie manchmal bis 30 Gräber in einem Tag neben dem Wege, da die Cholera unter den Reisenden ausgebrochen war. Er hatte auch einen Anfall, konnte die Reise aber fortsetzen. 

Von da an blieb alles still, bis sie den Maher Fluß kreuzten. Dann schien Gefahr im Anzug. Am Morgen des 12. September fanden sie drei weiße Leichen neben dem Pferd skalpiert und noch warm. Das bedeutete nichts Gutes. Sie wurden von Indianern überfallen, entkamen aber. Nach vielen mühsamen Wochen erreichten sie Oregon und wendeten sich südwärts nach den

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Goldminen. Von Oregon schrieb er einen Brief an seine Helene in Preußen. Wenn wir annehmen, daß sie den Brief gleich nach Empfang beantwortete, muß der Brief ungefähr 12 Monate gereist haben. Kein Wunder, daß Berichte zirkulierten, daß er schon gestorben sei. Hier folgt ein Brief von Helene, seiner Braut: 

„Groß Lesewitz, Preußen 23. Dezember 1851. 

Mein innig geliebter Johannes! 

Schon hoffte ich im Geheimen, daß Du selbst statt eines Briefes kommen würdest. Aber auch der Brief war höchst willkommen, denn so lange keine Nachricht von Dir, mein Geliebter, zu erhalten, ist das Schlimmste, was mir widerfahren kann. O ich kann mit Dir fühlen, mein lieber Johannes, denn ich sehe aus deinem Brief, daß Du meinen wieder nicht erhalten hast. Ich kann mir das nicht erklären, es muß an der Adresse liegen, denn ich habe jeden Brief beantwortet. Lieber Johannes, Du schriebst von Oregon, daß du im nächsten Herbst heimkehren willst und daß Du bald wieder schreiben wirst, aber da kein weiterer Brief kam, fing ich an zu glauben, daß Du jetzt irgend einen Tag ankommen würdest. O, wie mein Herz bei jedem Schritt zitterte, wie es vor Furcht sich zusammenkrampfte, wenn der Wind heulte. Tante sagte, es sei so gemütlich drinnen, wenn der Sturm heule, aber ich fühle gerade das Gegenteil, denn ich dachte an Dich auf hoher See. Aber ich will gerne warten; sei mir nicht zu dringend mit Deiner Heimkehr, denn da sind so viele Stürme im Frühling auf dem Ozean. Ja, Du hattest recht in Deinem Abschiedsbrief, als Du schriebst, unser Leben ist in Gottes Hand, daß kein Haar von unserem Haupte fällt, ohne seinen Willen, und das hat mich oft getröstet, wenn Sorge, Sehnsucht und Einsamkeit mein Herz erfüllten. O, mein lieber Johannes, ich habe viel, sehr viel gelitten, denn vorigen Winter waren Gerüchte im Umlauf, daß Du auf die grausamste Weise von den Indianern crmordet warst. Es war mir unmöglich, solches zu glauben, und

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doch kämpfte ich immer zwischen Furcht und Hoffnung. So kannst Du Dir vorstellen, mit welcher Freude ich Deinen Brief von Oregon erhielt und an mein Herz drückte. Ich sank auf meine Knie und dankte Gott mit Tränen für diese Gnade. Ja, Lob und Preis sei Ihm, der Dich in so großen Gefahren beschützt hat. Du fragst mein Geliebter, daß ich Dir schreiben soll, wie ich mich fühle und wie es mir geht. Es gibt ja immer schwere dunkle Stunden im Leben des Menschen, und da denke ich an das Lied aus unserm Stammbuch: Trage mutig jede Bürde deines Lebens, auch wenn es sehr schwer sein sollte usw. 

Was meine Gesundheit anbetrifft, muß ich gestehen, daß sie nicht so sehr gut ist. Ich leide beinah beständig an den Ohren, sie schmerzen mir. Der Arzt sagt, es ist eine schwere Erkältung. O mein Geliebter, ich will ja gerne leiden, wenn nur Du gesund bleibst. Oft bedrückt mich der Gedanke, daß Du krank werden könntest und keine liebende Hand da ist, Dich zu pflegen. Ich bitte Gott soviel um Dein Wohlbefinden, und Er, der alles weiß, wird meine Gebete erhören und Dich sicher und gesund zu uns zurückbringen. Er ist unser Vater und unser Herr, und Er wird auch bestimmt Dir ein Vater sein, dort in der Fremde. 

Geliebter! Nimm von ganzem Herzen Dank für das Geburtstagsgeschenk, das ich mit Furcht und Wehmut betrachte, wenn ich daran denke, in wieviel Gefahren Du Dich begeben hast, um es für mich zu bekommen. 

Und nun noch etwas über die Zustände hier zu Hause. Wir hatten diesen Herbst ein Begräbnis in Heubuden. Deine Tante Tinchen ist gestorben. In Popai ist der kleine Dietrich gestorben und ein Mariechen geboren. Schwester Mariechen ist beständig krank; im übrigen ist alles beim Alten. 

Und nun ein inniges Lebewohl. Hoffe, daß diese Zeilen Dich in bester Gesundheit antreffen. O, möchte Gott Dich vor Gefahren bewahren und Dich an das Herz Deiner Dich treu liebenden Helene bringen. 

Also Gott befohlen, bis wir und wiedersehn, worauf ich schon mit unbeschreiblicher Vorfreude warte. Wie oft schon habe ich

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geträumt, daß Du heimgekehrt warst. Aber immer sind es Träume, und die Wirklichkeit scheint in weiter Ferne. Noch einmal leb wohl, leb wohl. 

Deine bis in den Tod getreue Helene Janzen. 

M.S. Habe dieses in Eile geschrieben. Mir scheint, Du schreibst etwas auf Englisch in Deinen Briefen, nicht wahr?“

• 3. Anmerkung: Meine Mutter erzählte uns, daß Großmutter in den 10 Jahren 3 Jahre davon total keine Nachricht von ihm erhielt. War er in solch schwerer Lage oder hatte er die Hoffnung ganz und gar aufgegeben, sie seine Braut nochmals zu sehen? Niemand weiß [es]. In diesen 3 Jahren waren andere, welche um ihre Hand anhielten, sie sagte ab und wartete. Als ungefähr nicht ganz drei oder etwas über 3 Jahre um waren, bekam sie wieder Nachricht. (Kätchen) 

4. Anmerkung: Hier endet das Tagebuch meines Großvaters und wird zehn Jahre später in Rußland fortgesetzt, auch in Tagesberichtsform. In Amerika führte er Tagebuch oft in Englisch, und nahm es mit nach Rußland. Auf seinem Sterbebette mußte sein Großsohn (mein Cousin J. D.) selbige vor seinen Augen verbrennen. Sein Grund war augenscheinlich, weil ja doch niemand das Englische lesen konnte, sollten künftige Generationen in seinen Problemen, Sorgen usw. rumwühlen? Wer weiß es? Sie würden uns jetzt von großem Wert sein. So wurde auch Material gesammelt aus Briefen, erzählten Begebenheiten und wörtlichen Berichten von Personen, die ihn noch kannten, so wie auch meine Mutter, Tante Lenchen, (Tante Franz Wall – Hohendorf), Tante Kätchen, (Tante Leonard Penner – Fresenheim, auch der alte Johannes Dyck – Lysanderhöh) – diese drei Geschwister waren ja Großvaters Kinder und haben uns auch manches hinterlassen, was sie uns erzählt haben und auch auf Wahrheit beruht. Werde zuvor doch noch aus dem Tagebuch schreiben. 

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 6 ERFOLGE KOMMEN UND GEHEN 

In den Minen (Gruben, in denen Gold zu finden war) angekommen, fing er wie die anderen an, zu arbeiten. Es war ein rauhes Leben und die Flinte war das Gesetz des Westens. Räubereien und andere schwere Verbrechen waren [an] der Tagesordnung. Es ist unbekannt, wie lange er in den Minen blieb, vielleicht ein Jahr, vielleicht 2 – 3. Er hatte Glück in seiner Arbeit, wenn auch mit vielen Mühsalen verbunden. — Er machte Pläne für seine Heimkehr. Ihr Geld (Gold) sorgfältig in den Satteltaschen ihrer Packpferde verpackt, machten er und seine zwei Begleiter sich auf den Weg nach Osten. Mehrere Wochen reisten sie ohne Störung. Doch eines Tages, als sie ruhig entlang trotteten, hörten sie einen Schrei, und schon überfielen sie die Indianer. Sie drehten blitzschnell um zu Flucht, aber einer von ihnen wurde gleich gefangen, der andere auch sehr bald und nun waren Hunderte hinter ihm her. Doch sein treues weißes Pferd, das er sich eingetauscht hatte, war schneller als die ganze Bande, und so entkam er. Seine Begleiter waren fort, er konnte sie nicht retten; fort war auch sein Packpferd mit dem Gold, dem Lohn seiner mühsamen Arbeit. Aber er mit seinem Schimmel lebte … 

Ihm war klar, daß allein er nicht weiter reisen konnte. Auch zögerte er, so arm nach Preußen zurück zu kehren wie er ausgezogen war. So ritt er wieder westwärts zurück zu den Minen. Es muß ein mühsamer Weg für ihn gewesen sein. Beinah wäre er verzweifelt. Er war so einsam. Würde er je seine Helene wiedersehn? – Viele Jahre später, drei Tage nachdem seine Helene heimgegangen war, schrieb er in seinem Tagebuch, am 28. Januar 1888 (in Rußland): Wo ist die Zeit, da ich mit meinem Schicksal kämpfte und mit zahllosen Gefahren, wo ich mein Leben in den Bergen Kaliforniens aufs Spiel setzte? Wo ist die Zeit, wo ich schier verzweifelte, daß ich noch einmal zu ihr zurückkehren würde, wo ich mit wehem Herzen ihren Namen in die Berge des Westens schrie und mir das Echo spottend antwortete? O, wenn ich an jene Zeit zurückdenke, wo ich mich mühte und litt wie

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kaum ein Mensch, – – – aber ich will nicht klagen. Wir haben nun 29 Jahre lang dürfen Freude und Leid miteinander teilen; wir sind zusammen glücklich gewesen. Gott ist gut. 

In diesem zweiten Versuch in den Minen hatte er verschiedene Erfolge. Es schien, als wenn fabelhafte Gerüchte über den großen Goldreichtum doch übertrieben waren. Gold war durchaus nicht so reichhaltig und so leicht zu bekommen wie viele gedacht hatten. Daß er das zweite Mal nicht sehr günstig angetroffen, ist daran zu sehen, daß er vier Jahre in der Gegend blieb. Jedoch ist zweifelhaft, daß er die ganze Zeit in den Goldminen zubrachte, denn es ist kaum denkbar, daß er seinen Sinn für Abenteuer und seinen ruhelosen Geist vier Jahre lang auf ein und derselben Stelle im wilden Westen aushalten würde. [Es] sind aber weiter keine Berichte mehr darüber, sind doch die eigentlichen Tagebücher abhanden gekommen, und ist vieles mir aus Erinnerungen [weg], welche später in Rußland wiederholt wurden, und auch diese sind gegenwärtig nicht mehr. In den Minen sich das Gold zu suchen, war ein mühevolles Arbeiten, dazu ein rauhes Leben wie schon vor dem erwähnt wurde. Eines Morgens sah er beim Erwachen, daß sein Partner (Genosse) ermordet war; er lag nur ein paar Fuß von ihm entfernt und hatte die Habseligkeiten bewacht. Jetzt war er tot, und alle Sachen und alles erworbene Gold war weg, natürlich auch das seine. 

• 5. Anmerkung: Werde hier noch einiges einflechten, welches nicht aus dem Tagebuch genommen, aber unsere Mütter erzählt haben. Sein Schimmel war mit den Jahren so eingelernt von ihm, welcher ihm große Dienste leistete. Es war ein kluges treues Pferd und war zugleich sein Freund, hat mit Großvater viel durchgefochten. Denn er mußte viel Verfolgung von den Indianern erdulden. Natürlich waltete eine höhere Hand über sein Tun und Lassen. Das Pferd aber war das Mittel, welches ihn in zahllosen Gefahren Beistand geleistet und ihn viel Mal vom Tod errettet hat, daß er den Indianern nicht zum Opfer fiel. 

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Als er eines Tages ritt, dieses Mal allein, da hörte er hinter sich Blätterrauschen (im Herbst) und der Indianer Ausdruck „hugh“ (welchen Großvater sich auch schon angewöhnt hatte und später im Leben viel gebrauchte). Da flüchtete er mit seinem Schimmel ins Dickicht, ehe er noch von ihnen gesehen wurde, denn das Dickicht war niedrig. Auf Großvaters Geheiß legte sich der Schimmel und Großvater legte sich neben ihn, ihn mit seinem Arm umfassend; so lagen sie, bis die Bande vorbei war. Denn die hatten keine Ahnung, daß die beiden im Gebüsch sein könnten So entkamen sie. 

Ein andermal, während des Indianerkrieges, war Großvater auch beteiligt, denn die Engländer hatten Krieg mit den Indianern. Großvater hielt sich natürlich zu den Engländern. Eine Gruppe von Letzteren hatten sich verirrt, worunter Großvater war, und sie befanden sich hinter einem Wald. Ihr Anführer bat, ob sich jemand übernehmen würde, den Wald zu durchqueren, dahinter das Städtchen Wernicken liegt, die Kunde aufs Rathaus zu bringen, dann würden sie gerettet, denn man wußte nicht, wo sie geblieben waren. Großvater, stets energisch, meldete sich, auch noch jemand schloß sich ihm an, waren zu zweit. Großvater nahm seinen Schimmel, bewickelte ihm die Füße. Der Wald war groß und irgendwo hatten die Indianer ihr Lager aufgeschlagen. Da galt es große Vorsicht. Großvater wußte schon, in welcher Zeit die Indianer ihren Schlaf haben, so ritten sie los. Eine lange Strecke hatten sie schon hinter sich, da drohte Gefahr. Sein Kamerad drehte sofort um, Großvater setzte durch. Die Gefahr wurde so groß, daß er keine Aussicht sah irgend durchzukommen. Es war eine Herde von Indianern, welche ihn verfolgten, er war in großer Bedrängnis und wußte, daß es nicht mehr lang so weiter könne gehn. Der Wald hörte auf, und ein großes Wasser zeigte sich, war es ein Fluß oder See (weiß man nicht) mit steilen Ufern. Um nicht in ihre Hände zu fallen, war er blitzschnell auf dem Ufer und ließ sich mit seinem Schimmel ins Wasser, er sprach ihm mit Worten zu, den sie verstanden sich. Großvater schlang seine Arme um den Hals des teuren Tieres

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und ließ sich neben ihm runter, denn jetzt kamen die Pfeile im ihre Köpfe geflogen. Solange sie Großvater vor sich hatten, wollten sie ihn wahrscheinlich lebend nehmen, jetzt, da sie ihn nicht mehr erreichen konnten, wurden die Bogen gespannt. Dennoch kamen sie, wenn auch bis zum Tode erschöpft, am jenseitigen Ufer unversehrt an, und [er] kam an den Ort, wo man schon mit Angst nach jemand ausschaute. Es war ein großer Jubel, als er dort ankam, man warf ihm Blumen zu bis vor das Rathaus, und die Gruppe wurde gerettet. Auch bekam er dafür eine große Belohnung. 

Mit Wettrennen hat Großvater auch manches erreichen können. dank seines eingelernten gehorsamen Schimmels. Ein Mann mit seiner Frau, welche auch aus Rußland gekommen waren, wollten mit Wettreiten sich Vermögen aneignen. Leider glückte es dem Manne nicht, hatte schon viel, ja beinah alles, verloren. Da kam dessen Frau zu Großvater und bat ihn mit Tränen, Großvater möchte ein Wettrennen für ihren Mann übernehmen, was Großvater nicht gerne wollte, er meinte: „Es kann auch mir mal nicht glücken, und dann verspiele ich Ihr Letztes.“ Doch sie hielt so sehr an und sagte: „Wenn Sie, Herr Dyck, verspielen, so verspielt mein Mann ganz und gar.“ Er tat es dann, die Frau schaute voll Angst zu, denn Großvater schien immer hinten zu bleiben. Doch als er nicht weit vom Ziele war, gab er seinem Schimmel die Sporen und er kam als Erster ans Ziel und gewann ihnen ihr Vermögen zurück. Man kann sich vorstellen wie sie ihm dankten dafür. Darüber war es Abend geworden, da sie baten, er möchte bei ihnen nächtigen, konnte nicht absagen. Sie schliefen draußen im Freien. Großvater merkte wohl, daß diese Leute im Sinn hatten, ihm eine Belohnung dafür zu geben, er aber wollte das nicht. Kaum, daß der Morgen tagte, stand er auf, sattelte sein Pferdchen, denn dasselbe war klein von Wuchs, aber gesetzt, und machte sich weg, denn außer ihm schliefen noch alle. So hat er diese Leute auch nicht mehr getroffen. Einst rettete Großvater einen Indianer, auf welche Weise ist unbekannt. Viel später, als Großvater mal wieder auf der Flucht

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war mit anderen Deutschen zusammen, wurde er erkannt von demjenigen, den er gerettet hatte. Die Indianer zogen sich zurück und ließen die Deutschen in Ruh.

Fortsetzung vom Tagebuch 

Nach vielen Mühen, Arbeiten und Entbehrungen, denn nicht nur einmal kam es vor, daß sie ihr erworbenes Gold, welches natürlich noch viel gereinigt werden mußte, über Nacht, vielleicht auch am Tag vom Platzregen fortgeschwemmt wurde, dann hieß es von Frischem zu suchen, arbeiten und gewinnen. 

Schließlich aber schien Großvater genug erworben zu haben, daß er wieder seine Heimkehr plante. Ob er diesmal per Boot bis New York kam, oder wieder über Land zog ist ungewiß, aber es scheint, als wenn er mit einer kleinen Gruppe die Rückreise wieder zu Pferde machte. (Denn seinen Schimmel, welcher ihm solch treue Dienste geleistet hatte, fiel den Indianern in die Hände. Sie töteten ihn, doch Großvater kam auch das Mal wieder mit dem Leben davon. Er kaufte sich danach ein anderes Pferd, doch kein Vergleich mit dem Schimmel.) Es ist auch sehr möglich, daß er auf der Rückreise wieder seine Freunde und Bekannte in Milwaukee besuchte und danach heimwärts segelte.

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