Dieser Brief wurde vom handschriftlichen Original von Tamara Born abgeschrieben.
Fresenheim. d. 31ten. D.1927
[1]
Liebe Renate!
Es ist der letzte Tag im alten Jahre es sind auch schon
fast die letzten Stunden denn die Uhr ist schon gleich 7.
In den Andachtshäusern und Kirchen wird wohl gerade von
Predigern u. Choren? Dankeslieder erschallen. Ich bin fast direkt
aus dem Grunde, Briefe an Euch zu schreiben, zurück geblieben.
Ich musste heute als ich etwas zweifelte was besser sei
zu tun und zu lassen, daran denken wie unser gewesener
Lehrer Görzen einmal zu mir sagte: „Es ist nicht immer
gut zur Andacht fahren.“ So dachte ich heute es sei besser
Euch eine kleine Abwechselung zu bereiten durch einen Brief.
Ich schreib gleich die nächsten Tage, nach Erhaltung deines Briefes,
schickte den Brief nicht gleich ab u. so ist er verschwunden.
Liebe Renate, herzlichen Dank für deinen Brief, daraus
ersehe ich eben, wie ein kleines gutgemeintes Wort in
der Fremde Freude macht. Wilda[1], Justine[2] u ich waren
2. Feiertag bei Joh. Penners[3] da las uns Lenchen[4] deinen
Brief vor da schreibst du Lenchen solle nur alles schreiben,
wenn ihrs auch nichts vorkäme, das habe ich mir hinter die
Ohren geschrieben u machs heute so. Wilda und Justine
[2]
bestellen auf jeden Fall zu Grüßen. Justine bleibt in Köppental
bis nach Neujahr. Die Feiertage sind schon wieder zur
Hälfte hinter uns. Ich muß mir’s diese ganze Woche im
Stillen schwer machen, ob wir Segen davon tragen?
Ich dachte an Euch, es kam mir fast ein Sehnen in Eurer
Mitte zu sein, Ihr steht mir immer so ernst, so kämpfend
mit Heimweh u doch dankend vor da Ihr doch
nicht anders als Segen ernten. Ihr lieben Alle das wünsche
ich auch Euch von Herzen, ja Gott der Liebe erhalte Euch noch
lange gesund Euren Vater u Gatte.
Wie mögt Ihr nur dort Weinachten verlebt, die frohe
schöne Weihnachtszeit hier durften wir sie doch lange
ungehindert feiern. Erstens die zwei lieben Prediger
in der Fremde, dann war Heilige Abend mehr ein Gottesdienst.
Die Kinder durften kein Wort aufsagen, ihre Tüten
erhielten sie natürlich. Und zu Hause hat unser Joh. nur
2 Lieder u. die Weihnachtsgeschichte gelernt u. einen Wunsch.
Ich schreibe schon eine ganze Stunde und komme nicht weiter,
habe nämlich die 2 Jungen bei mir die sind wie die
kleinen raufen sich und wollen zwischenein einen Vers
[3]
aufgeschrieben haben u.s.w. dazu nahm ich zwei Russen
Frauen zu Nacht, mußte ihr Essen und Lager haben auch
etwas ihre Lebensgeschichte anhören. So etwas geht mir auch gut.
Die Ersten kommen schon aus der Kirche die Sänger wollten
noch gleich etwas Übstunde halten, wollen auch morgen
vortragen, es geht immer so schön. Zu Großneujahr üben sie einen
russischen Psalm ein „Из долины смертных тени».
Die Melodie geht gut, der Text ist sehr gut. Wie es auf dem
Einsegnungsfest ging, wird euch wohl schon bekannt sein. Penners
haben schon etliche Briefe geschrieben auch Weihnachten wird im
Januar schade das nicht alle hinkommen. Uns sind eure Briefe
schon so sehr lieb, wieviel lieber noch die aus der Heimat.
Unsre beide Mädchen müssen gleich kommen dann muß ich
auspannen helfen Towsen Hermann ist mit ihnen
gefahren. Wir haben den Arbeiter nachhause fahren lassen.
Wünsche gesegnete Feiertage auch nachträglich u. Zum
neuen Jahr. Alles begeht Ihr jetzt zum erstenmal,
dann zum 2.mal u. so feiern u. erleben wir schon
alles alles zum 6. mal. O wie lange noch u
einmals- u. doch einmal zum letzen mal.
Sei alle herzlich gegrüßt u. Ihr beide besonders.
Elsa[5].
[am Rande]
Gott mit euch u. Uns
Müsst euch an mein schief geschriebenes nicht stoßen ich sehe die Linien nicht.
Habe aller wärts gegrüßt u. gesagt mehr Briefe schreiben. Nur bei Isaaks nicht, habe Frau Jo schon lange nicht gesehen.
[1] Wilda Epp (*ca. 1894), GRANDMA #1476260, Schwester von Briefsreiberin
[2] Justina Epp (*ca. 1899), GRANDMA #1476261, Schwester von Briefsreiberin
[3] Johannes Penner (02.12.1889- 15.02.1942), GRANDMA #1196380
[4] Magdalena Penner, geb. Heinr. Neufeld (27.05.1895- 06.04.1977), GRANDMA #1196384 und #1409616. Ehefrau von Joh. Penner
[5] Elsa Janzen, geb. Epp (*ca. 1891), GRANDMA #1476258, Tochter von Bernhard Epp (ca.1858-ca. 1925), GRANDMA #342312